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Quelle: Romanistisches Jahrbuch 20 (1969), S. 219–238.

Der frühe Góngora und die italienische Lyrik

Daß die Jugendwerke Góngoras – insbesondere die Sonettdichtung der Jahre 1582 bis 1586 – durch einen starken italienischen Einfluß geprägt sind, ist seit langem bekannt. Bereits die Kommentatoren des 17. Jahrhunderts – Salcedo Coronel und der anonyme Kommentator von Espinosas Flores de poetas ilustres– führten zu zahlreichen Sonetten dieser Periode petrarkistische Quellen an. [1] Ihre wertvollen Hinweise sind seitdem von der modernen Literaturgeschichte wiederholt bestätigt worden. [2] Während der ersten fünf Jahre seines poetischen Schaffens – so stellen Forscher wie Wickersham Crawford und Fucilla übereinstimmend fest – hat sich der junge Góngora mehrfach von bestimmten Vorlagen Sannazaros, Ariosts, Minturnos, Bernardo und Torquato Tassos zu eigenen Gedichten anregen lassen. [3]
Erscheint das Was der Gongoraschen Imitatio in wichtigen Punkten geklärt, so ist das Wie jedoch noch weitgehend unerforscht geblieben. Nach welchen Kriterien der ehrgeizige Debütant auf dem Gebiet vornehm italianisierender Sonettdichtung seine Vorlagen auswählte, mit welchen stilistischen Mitteln er sie adaptierte und modifizierte, wie sich in seinen Bearbeitungen überhaupt Nachahmung und Abwandlung zueinander verhalten – das sind Fragen, die bislang nur selten und zumeist unbefriedigend vage beantwortet wurden. [4] Dabei bietet sich einer experimentellen, d.h. vergleichenden Literaturwissenschaft gerade hier die schönste Möglichkeit, den lyrischen Stil des frühen Góngora im literarhistorischen Kontext der europäischen Renaissance- und Barocklyrik genauer zu analysieren. Wenn es gelänge, durch einen Vergleich mit den petrarkistischen Vorlagen seine wesentlichen Prinzipien bei Übernahme und Veränderung deutlich zu machen, so hätten wir den stilgeschichtlichen Ausgangspunkt für eine der erstaunlichsten Dichterentwicklungen bezeichnet, welche die europäische Literatur kennt.
Im Gegensatz etwa zu Joachim du Bellay, der bei seinem Debüt als Sonettist neben Modellgedichten prominenter auch solche eher obskurer Autoren benutzt, neben Petrarca und Ariost Francesco Coccio oder Bartolomeo Gottifredi paraphrasiert, verhält sich Góngora dem italienischen Petrarkismus gegenüber aus einer gewissen historischen Distanz sehr wählerisch: er bearbeitet nur Werke ausgesprochen berühmter Dichter, welche dem späten 16. Jahrhundert als beispielhafte Vertreter der italienischen Literatur galten. [5] Schon in dieser hochstrebenden Auswahl zeigt sich das Selbstbewußtsein des jungen Spaniers, der sich getragen weiß von einer umfangreichen und gehaltvollen Tradition eigensprachlicher Sonettdichtung und dem offensichtlich seine italienischen Vorlagen weniger Mittel des „aprendizaje“ als Anlaß zur Aemulatio bedeuten. Auffällig ist vor allem Góngoras lyrischer Wettstreit mit Torquato Tasso. Fucillas Tabelle weist den Verfasser der Gerusalemme liberata fünfmal als Quelle für Góngora-Sonette nach, [6] wobei allerdings nur drei Sonettpaare so eng verwandt sind, daß man ohne Bedenken von integraler Bearbeitung eines Tasso-Sonetts sprechen kann. Es handelt sich um die folgenden Gedichte:
Tasso (Rime, Bologna 1898, Bd. II, S. 37):
Pensiero che mentre di formarmi tenti.
Góngora (Obras completas, Madrid 1961, S. 453):
Varia imaginación, que en mil intentos.
Tasso (Rime,Bd. II, S. 209)
Ben veggio avvinta al lido ornata nave.
Góngora (Obras, S. 456f.)
Aunque a rocas de fe ligada vea.
Tasso (Rime, Bd. III, S. 65):
Quel labro che le rose han colorito.
Góngora (Obras, S. 452):
La dulce boca que a gustar convida.
Entschieden am dichtesten folgt Góngora Tasso im dritten der aufgeführten Sonette, das wir mitsamt seiner Vorlage noch einmal zur genaueren Vergleichung vorstellen:
Tasso:
Quel labro che le rose han colorito
molle si sporge e tumidetto in fuore
spinto per arte, mi cred’io d’Amore,
a fare ai baci insidioso invito.
ch’osi appressarsi ove tra fiore e fiore
si sta qual angue ad attoscarvi il core
quel fiero intento: io ‘l veggio e ve ‘l addito.
insidie còlto, or ben le riconosco,
e le discopro, o giovinetti a voi:
fansi a l’incontro e s’allontanan poi;
sol resta Amor che spira fiamma e tosco.
Góngora:
La dulce boca que a gustar convida
un humor entre perlas distilado
y a no invidiar aquel licor sagrado
que a Júpiter ministra et garzón de Ida.
porque entre un labio y otro colorado
Amor está de su veneno armado
cual entre flor y flor sierpe escondida.
diréis que, aljofaradas y olorosas,
se le cayeron del purpúreo seno;
que después huyen de el que incitan ahora
y sólo de el Amor queda el veneno.
Soweit wir wissen, sind diese beiden Sonette bislang zweimal Gegenstand ausführlicherer Interpretation geworden. Giuseppe Carlo Rossi [7] befaßt sich mit dem Gedichtpaar vor allem unter Aspekten der Literaturkritik. Wie schon Ernst Brockhaus [8] weist er auf den unpersönlichen Charakter des Góngora-Sonetts hin (vgl. S. 432), dem er als Positivum die „presenza affermata e reale del poeta“ (S. 428) im Sonett Tassos entgegenstellt. In vorsichtigem Widerspruch zu Salcedo Coronel, der das Sonett seines Landsmannes als „traducción [...] verdaderamente superior a su modelo“ einstuft, insinuiert er eine poetische Überlegenheit Tassos, die zurückzuführen sei „al più lungo magistero d’arte, oltre che alla più sofferta esperienza umana“ (S. 433).
Nathan Gross [9] , der Rossis kurz zuvor erschienenen Aufsatz offenbar noch nicht verarbeiten konnte, berührt das Sonett Tassos nur äußerst flüchtig. Ziel seiner Interpretation, die sich einer sehr gewagten Symbol-Kombinatorik bedient, ist die Exegese des Góngora-Sonetts unter religiös-moralischen Gesichtspunkten. Die komplizierte Kette von allegorischen Anspielungen, in die das Gedicht dabei zergliedert wird, geht aus von der Erwähnung des Jupiter in Vers 4. Der mit diesem Vers in enge Verbindung gebrachte Vers 12 evoziert den Tantalos-Mythos, so daß durch die Kombination der beiden Anspielungen für Gross das Bild eines „Jupiter, as the tormentor of Tantalus“ (S. 185) entstehen kann. Invidiar in Vers 3 und die sierpe escondida in Vers 8 erinnern den Interpreten an Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies, vor allem aber an Eva, welche den „lover who bases his relationship on sexuality and erotic sensations“ (S. 185) repräsentiert. Jupiter, der Tantalos in den Tartaros wirft, ist – so schließt Gross – folglich gleichzeitig Jaweh, der Eva aus dem Paradies verbannt. Neben diese Darstellung eines Gottes, welcher menschliche Sünde – insbesondere die trüber Geschlechtlichkeit – verfolgt, tritt aber Jupiter als Liebhaber des Ganymed: der Gott im Genuß reiner, geheiligter Liebe. Seine platonische Beziehung zum garzón de Ida erscheint als läuterndes Gegenbild, das Tantalos und Eva, den Urhebern der „original sin“, wie ein Exemplum vorgehalten wird. Die moralische Botschaft, für deren Verkündigung Gross solches Symbolgeflecht webt, ist schließlich die folgende (S. 186 f.): „Therefore, Amantes, no toquéis si queréis vida: if you would enjoy spiritual life through the salvation of your soul and physical life through good health and a normal human existence, do not allow your pure love, that represented by the communion of Jupiter and Ganymedes, which by virtue of one of its exponents must be divine, to become contaminated by mere sexual delights.“
Beide Interpretationen vermögen uns nicht recht zu überzeugen – die von Gross noch weniger als die Rossis. Grundsätzliche Einwände sind gegen Gross’ Methode symbolischer Auslegung zu erheben, welche disparate Einzelelemente ungeachtet ihres jeweiligen Kontextes zu einer im Grunde völlig willkürlich konstruierten Allegorie zusammenfügt. So läßt der Text z.B. keinerlei Symbolbeziehung zwischen „Júpiter“ (V. 4) und „Tántalo“ (V. 12) erkennen, und auch des Zeus päderastische Liebe zu Ganymed gilt wohl zumindest seit den Kirchenvätern nicht mehr gerade als Inbegriff einer „pure love partnership“ (S. 185). Letztlich beschränkt sich das „entirely new system of imagery“ (S. 183), das Gross dem Góngora-Sonett gegenüber seiner italienischen Quelle zuspricht, überhaupt auf die Verse 3 und 4. Sie bieten die Erwähnung des Jupiter, der sich für Gross sogleich in den Liebhaber des Ganymed und in den Verfolger des Tantalos aufspaltet, und sie suggerieren durch das invidiar die Erscheinung Evas, welche den griechischen Zeus wiederum in den jüdischen Jaweh verwandelt. In Wahrheit aber stellen die beiden Verse nichts anderes dar als einen aus barocker Lyrik sehr vertrauten erhöhenden Vergleich, durch den der humor entre perlas distilado in den poetisch geweihten Bereich der Mythologie versetzt wird. Erhöhende Vergleiche dieser Art sind gerade beim frühen Góngora nicht selten, und sie werden außerdem mit Vorliebe durch ein invidiar eingeleitet. Ein Sonett von 1584 beginnt etwa:
Gallardas plantas, que con voz doliente
al osado Faetón llorasteis vivas,
y ya sin invidiar palmas ni olivas,
muertas podéis ceñir cualquiera frente, [10]
ein anderes aus dem Jahr 1583:
Culto Jurado, si mi bella dama
[...]
tu Musa inspira, vivirá tu fama
sin invidiar tu noble patria a Manto [11]
Die beiden Verse – besonders das weder Eva noch Jaweh noch den Sündenfall evozierende invidiar – werden also von Gross semantisch und symbolisch überbelastet und dadurch aufs gröbste mißverstanden. So ingeniös die aus diesem Mißverständnis abgeleitete Symbolkette in sich auch wirken mag, vor dem eindeutigen Zeugnis des Textes erweist sie sich als abstruse Spekulation.
Der Gedichtvergleich Rossis verlangt dagegen weniger nach Richtigstellung als nach Ergänzung. Es kann nicht genügen, Sonette zweier so eigentümlicher Lyriker wie Tasso und Góngora gleichsam auf einer poetischen Rangliste abzuwägen und dann nach überdies zweifelhaften kritischen Kategorien unvermittelt das „Bessere“ zu bestimmen. Wesentlicher, auf jeden Fall aber vorrangig erscheint die Aufgabe einer detaillierteren strukturellen Analyse, welche zunächst nichts anderes bestrebt, als möglichst objektiv die Verschiedenartigkeit der Sonette in literarischer Intention und poetischem Resultat evident werden zu lassen.
Gewisse inhaltliche Unterschiede sind es, die dem Betrachter bei der vergleichenden Lektüre wohl als erstes auffallen. Tasso spricht zu Beginn seines Sonetts von einer Lippe, genauer und mit den Worten des Titels gesagt: vom labro di sotto de la signora Leonora Sanvitale il quale è alquanto ritondetto e si sporge fuori con mirabil grazia. Góngora braucht keine hochgestellte Dame mit vorspringender Unterlippe zu bedichten und rühmt daher zunächst – plausibler und in größerer erotischer Freizügigkeit – einen schönen Mund und die Freuden des Küssens.
Bezeichnender als dieser eher okkasionelle Unterschied scheint uns, daß Góngora ihn zur Einführung eines großen mythologischen Vergleichs benutzt, den Tassos Sonett nicht enthält. Während das erste Quartett bei Tasso arm an metaphorischen Elementen bleibt, wird es bei Góngora von einem ausladenden Bild erfüllt, welches dem an sich schon preziös genug umschriebenen Speichel die Würde der erudición poética mitteilt. Die beiden Periphrasen – die preziöse des humor entre perlas distilado und die gelehrte des garzón de Ida – tun ein übriges, um dem Gedicht gleich am Anfang jene kultistische Atmosphäre zu geben, die schon die Jugendwerke des Spaniers auszeichnet.
Noch an einer zweiten Stelle flicht Góngora kultistisch Metaphorisches ein, das seiner Vorlage fehlt: im ersten Terzett, wo das primäre Bild der Rosen des Mundes um ein sekundäres Bild – den Schoß der Aurora – erweitert wird. Wenig bedeutet es, daß dies Bild auf einen anderen Italiener – auf Torquato Tassos Vater Bernardo – zurückgeht, [12] wichtiger ist, daß Góngora es durch dreifach reichere Adjektivierung verändert. Das Epitheton purpúreo tritt von seinem konventionellen Platz vor rose zu einem neuen und ungewohnten Nomen; die Verbindung purpuree rose wird dagegen durch ein prunkvolles rosas [...] al jofaradas y olorosas ersetzt, dessen weite Sperrung die Adjektive stärker hervorhebt und sie in gewisser Weise zum sinnlichen Mittelpunkt des Terzetts macht.
Bemerkenswert erscheint uns aber vor allem, daß Góngora diese zweite metaphorische Ausschmückung eben dort anbringt, wo sich bei seiner Vorlage am nachdrücklichsten die „presenza affermata e reale del poeta“ zeigt. Wo Tasso die Warnung an die giovinetti durch leidvolle persönliche Erfahrung beglaubigt, entzieht sich Góngora seinem Modell und setzt an die Stelle von subjektivem Bekenntnis das objektive Element von Ermahnung und metaphorischer Beschreibung. Ein solcher Zug der „Ichferne“ (Walter Pabst) charakterisiert gleichmäßig das ganze Sonett des Spaniers in striktem Gegensatz zum Sonett des Italieners, der außer dem ersten Terzett auch den Abschluß des zweiten Quartetts durch pathetische Betonung eigenen Erlebens, Handelns und Erleidens prägt und selbst in das enkomiastische erste Quartett ein unscheinbares, aber bezeichnendes parenthetisches mi cred’io einfügt. Tasso, der „Schüler“ des Sonettdichters Giovanni della Casa, bewahrt damit kunstvoll die autobiographische Fiktion des Petrarkismus, welche in Italien als ästhetische Konvention mitunter selbst noch in höfische Gelegenheitsdichtung hineinwirkt. Petrarkistische Simulation von Autobiographie ist dem jungen Stilisten Góngora, dem das fremdsprachliche Vorbild Petrarcas ferner steht, jedoch offenbar bereits gleichgültig geworden. Wenn sich bei Tasso Ermahnung und Bekenntnis im Ton des Gedichts vermengen, so scheidet Góngora alles Bekenntnishafte aus, um es zu ersetzen durch sinnliche und geistige Demonstratio. Als unpersönlich demonstrative Dichtung, geprägt von prunkendem metaphorischen Schmuck, steht sein Sonett der subjektiv elegischen Dichtung Tassos gegenüber.
Diese Differenz von demonstrativ und von elegisch getöntem Dichten bestätigt sich an einer Reihe weiterer stilistischer Unterschiede. Eng verbunden mit der Unpersönlichkeit des Góngoraschen Sonetts ist seine Bevorzugung nominaler Elemente, die sich scharf gegen Tassos Tendenz zu verbalen Elementen abhebt. [13] Besonders im zweiten Quartett und im ersten Terzett erreicht Tasso eine außerordentliche innere Bewegtheit und Leidenschaftlichkeit der Sprache durch hohe Frequenz finiter und infiniter Verbformen. Pathetische Höhepunkte solcher Intensivierung sind die Verbfolgen io ‘l veggio e ve’l addito und or ben le riconosco,/ e le discopro, in denen sich exemplarisch der Zusammenhang von Bekenntnis und Ermahnung ausdrückt. Góngora, dem an der Tassoschen Rhetorik persönlicher Ergriffenheit nichts gelegen ist, streicht beide Verbfolgen aus seiner Adaptation und versucht ansonsten noch im kleinsten Detail, dynamisch Verbales in statisch Nominales umzuformen: aus Tassos ad attoscarvi il core [...] intento etwa wird Góngoras de su veneno armado.
Ein anderes stilistisches Mittel, durch welches Tasso den Eindruck leidenschaftlicher Bewegung erzielt, ist die sorgfältige Vermeidung allzu konzinner Symmetrien und Parallelismen. Sie gehört einer Ästhetik petrarkistischer gravità an, die vor allem von Giovanni della Casa entwickelt wurde und die in Tasso während des späten Cinquecento ihren letzten Vertreter hat. [14] Am deutlichsten offenbart sie sich in der ausgesprochen asymmetrischen Gestaltung des zweiten Quartetts. Es besteht aus einer längeren Periode, welche durch zweifaches Enjambement über die Einschnitte des Versendes hinweggetragen wird, und aus einem lakonischen Ausruf, der am Schluß des Quartetts die Periode unvermittelt und spannungsvoll abbricht. [15] Góngora dagegen beseitigt nicht nur die grundlegende Asymmetrie der Satzfigur, sondern tilgt auch die Enjambements als asymmetrisches Element. In schärfstem Kontrast zu Tassos Kunst der Konturenverschleierung liebt er es bei seinen frühen Sonetten, den einzelnen Versen feste Umrisse zu geben, d.h. die Zäsur des Versendes häufig auch mit einer Zäsur in Syntax oder Rhythmus zusammenfallen zu lassen. Ein Enjambement wie Tassos Io, che altre volte fui ne le amorose/ insidie còlto [...] wäre zu dieser Zeit in Góngoras Sonetten jedenfalls noch nicht vorstellbar.
Diese entschiedene Zurückweisung der von Tasso so bewußt gepflegten asymmetrischen Satz- und Verskomposition ist vielleicht der stilgeschichtlich bedeutsamste Aspekt des frühen gongorinischen Sonetts, das am subjektiv-elegischen Pathos des späten Petrarkismus, an seiner kunstvoll emotionalisierten Sprache, nicht mehr interessiert ist. Die auffällige Tendenz des jungen Góngora zu fast „geometrisch“ parallelen und symmetrischen Fügungen – insbesondere zur von Dámaso Alonso sorgfältig analysierten simetría bilateral des endecasílabo [16] läßt erkennen, daß eine Rhetorik intellektueller Verblüffung die verschmähte Rhetorik emotionaler Bewegung ersetzen soll. Das Sonett, das bei Tassos asymmetrischen Wendungen ohne argutia oder Pointe bleiben mußte, wird von Góngora nach Art eines Epigramms konzeptistisch zugespitzt.
Die Epigrammnähe des gongorinischen Sonetts zeigt sich zunächst bereits in der distinkten Zweiteiligkeit des Gedichtaufbaus, im epigrammatischen Dualismus von Protasis und Apodosis. Schon Rossi weist auf die zweiteilige Struktur des Góngora-Sonetts hin, dem bei Tasso eine vierteilige Gliederung gegenübersteht, in der „alle quattro strofe (sic!) del sonetto corrispondono [... ] quattro momenti dell’esposizione“. [17] Die entscheidenden Mittel epigrammatischer Pointierung setzt Góngora jedoch im Schlußterzett ein, dessen Antithesen begünstigender symmetrischer Bau sich in jedem Vers vom absichtlich unpointierten, weichen Verfließen des Tasso-Sonetts distanziert.
In Vers 12 wird das Bild der Äpfel des Tantalos von Tasso nuancierend als eingeschränkte Metapher dargeboten; von Góngora wird es emphatisch als Correctio präsentiert, dergestalt daß die beiden Glieder der Correctio am Anfang und am Ende des Verses in antithetischer Symmetrie stehen. Vers 13 stellt bei Tasso zwar fansi a l’incontro und s’allontanan gegenüber, läßt dann aber das asymmetrische poi ohne Gegensatz: auf solche Weise wird mit erstaunlicher sinnlicher Evidenz die Bewegung eines sanften, doch schmerzlichen Entgleitens suggeriert. Góngora dagegen kontrastiert nicht nur huyen und incitan (allein als Glieder einer Antithese gewinnen die Verba finita in diesem Gedicht einmal größeres Gewicht), sondern auch después und ahora: es ergibt sich eine Antithese, welche durch den Chiasmus der Wortstellung schneidende intellektuelle Schärfe gewinnt. Das gleiche Verhältnis zeigt zum Schluß natürlich auch Vers 14. Die Tassosche Asymmetrie wird von Góngora hier ausgeglichen, indem er bezeichnenderweise das verbale Element des spira streicht und Amor statt der beider Nomina fiamma und tosco nur mehr ein Nomen (veneno = tosco) zuordnet. Durch diese Gegenüberstellung zweier Nomina, die parallel jeweils am Ende einer Vershälfte stehen, gelangt die bittere Reduktion von Amor auf veneno zu sentenziöser Pointen-Wirkung; sie wird jene echt epigrammatische Conclusio, welcher Tassos elegisches Dichten sich immer wieder aufs kunstvollste zu entziehen versteht. [18]
In solcher Pointierung des Sonettendes findet Góngoras Arbeit stilistischer Verwandlung einen Abschluß und Höhepunkt, der die übrigen Tendenzen der Transformation – die Anreicherung an metaphorischen Elementen, die Objektivierung, die Neigung zum Nominalstil – stimmig ergänzt und ihre gemeinsame Ausdrucksfunktion noch einmal sehr deutlich macht. Gerade die Pointierung belegt als letztes und wichtigstes Glied der Vergleichskette, daß an die Stelle einer elegischen Rhetorik der Emotion beim jungen Góngora eine demonstrative Rhetorik des Intellekts getreten ist, in welcher auch das Sinnliche unpersönlich objektiv – und überdies häufig nur als Ausgangspunkt für die dunkle Mahnung des desengaño [19] – dargestellt wird. Literarhistorisch ausgedrückt: aus dem petrarkistischen Sonett ist ein kultistisch-konzeptistisches Epigramm geworden.
An dem Gedichtpaar, das wir zum Vergleich auswählten, ließ sich Góngoras „Epigrammatisierung“ des petrarkistischen Sonetts mit besonderer Deutlichkeit nachweisen. Das ist um so bemerkenswerter, als La dulce boca que a gustar convida unter allen Imitationen des frühen Góngora seiner Vorlage insgesamt am nächsten folgt und am ehesten – wie schon Salcedo Coronel bemerkt – als „traducción“ anzusprechen wäre. Wenn gerade bei einer solchen „traducción“ die stilistische Umwandlung auffällig konsequent – man möchte beinahe sagen: programmatisch – durchgeführt wird, dann bestätigt sich die Hypothese der Aemulatio, die wir zu Beginn unserer Untersuchung aufstellten: Góngora überträgt das Sonett Tassos nicht wie ein Schüler, der sich und seiner Sprache neue literarische Möglichkeiten erst erschließen muß, sondern wie ein Rivale, der selbstbewußt das Gedicht des berühmten Italieners umformt und – unter der Perspektive einer verwandelten Ästhetik – sozusagen „korrigiert“.
Daß sich bereits der junge Góngora zu solch vermessener „Korrektur“ legitimiert fühlt, wird verständlich, sobald man bedenkt, wie genau die Tendenzen seiner Sonett-“Epigrammatisierung“ einer umfassenderen gemeinromanischen Stilentwicklung entsprechen: sie fügen sich ein in die Ausbildung jenes barocken Konzeptismus, dessen italienische Entstehungsgeschichte wir in unserer Madrigalstudie ausführlicher zu beschreiben versuchten. Seine Entwicklung mit ihren nationalen Verschiedenheiten und Phasenverschiebungen in den europäischen Hauptliteraturen synoptisch darzustellen, müßte einmal Ziel einer größeren komparatistischen Untersuchung werden. Wir werden uns an dieser Stelle auf die Anführung eines zweiten Exempels beschränken, durch das die Ergebnisse der ersten Vergleichung in einem weiteren literarhistorischen Zusammenhang kurz überprüft werden können.
Auf Sannazaro geht – wie allgemein bekannt – das folgende Góngorasche Eifersuchtsonett zurück. [20]
¡Oh niebla del estado más sereno,
furia infernal, serpiente mal nacida!
¡Oh ponzoñosa víbora escondida
de verde prado en oloroso seno!
que en vaso de cristal quitas la vida!
¡Oh espada sobre mí de un pelo asida,
de la amorosa espuela duro freno!
vuélvete al lugar triste donde estabas,
o al reino (si allá cabes) del espanto;
que comes de ti mesmo y no te acabas,
mayor debes de ser que el mismo infierno. [21]
Das Sonett Sannazaros, das Góngora im übrigen nicht unbedingt als direkte Vorlage gedient haben muß, [22] lautet:
O gelosia, d’amanti orribil freno,
che in un punto mi volgi e tien sì forte,
o sorella de l’empia amara morte,
che con tua vista turbi il ciel sereno;
di lieti fior, che mie speranze hai morte,
tra prosperi successi avversa sòrte,
tra soavi vivande aspro veneno;
o crudel mostro, o pèste de’ mortali,
che fai li giorni miei si oscuri e tristi?
Infelice paura, a che venisti?
Or non bastava Amor con li suoi strali? [23]
Eine Gegenüberstellung dieser beiden Sonette offenbart beim frühen Góngora Punkt für Punkt die gleichen Stiltendenzen, welche der Vergleich mit Tasso kenntlich gemacht hat. So wird von Góngora das „Ich“ des Autors nur einmal völlig unakzentuiert an leicht zu übersehender Stelle und eher aus sprachlicher Verlegenheit ins Spiel gebracht (V. 7: Oh espada sobre mí de un pelo asida), während Sannazaro auf petrarkistische Weise die Schrecken der Eifersucht viermal (V. 2, 6, 11, 12) als persönlich erlittenes Geschick beklagt. [24] Der subjektiv-,,autobiographische“ Zug des Sannazaro-Sonetts zeigt sich jeweils in den kurzen Relativsätzen, welche als verbale Elemente die nominale Aufreihung von Metaphern unterbrechen: V. 2: che in un punto mi volgi e tien si forte“; V. 6: [...] che mie speranze hai morte; V. 11: che fai li giorni miei sì oscuri e tristi. Góngora tilgt diese verbalen Elemente wieder weitgehend und macht aus der Sonett-Expositio eine fast ununterbrochene Bildkette, deren nominale Struktur nur durch einen einzigen Relativsatz variiert wird, welcher überdies nicht zum Ausdruck emotionaler Bewegung dient, sondern lediglich die Allegorie aus Vers 5 vollendet. Statt der Nebensätze, die bei Sannazaro den an sich eher demonstrativen Charakter der Eifersucht-Invektive mit elegisch-bekenntnishaften Zügen vermischen, setzt Góngora neue Glieder zur Allegorienfolge der Sonett-Expositio. Er übernimmt aus seiner Vorlage das d’amanti orribil freno, das serpente nascosto in dolce seno/ di lieti fior und das, tra soavi vivande aspro veneno – Bilder, die er zum Teil erheblich amplifiziert [25] – und fügt seinerseits die selteneren „kultistischen“ Schwert- und Henker-Metaphern, (V. 7 u. 9) ein.
Am deutlichsten zeigt sich Góngoras „Epigrammatisierung“ des Sannazaro-Sonetts, das im übrigen selbst dem Formideal des Epigramms beträchtlich näher steht als das ausgesprochen anti-epigrammatisch gebaute Sonett Tassos, an der strukturellen Zweiteilung und an der Pointierung. Die ausgeprägte Untergliederung des Sonetts in eine Protasis, welche von den beiden Quartetten und dem ersten Terzett gebildet wird, und in eine Apodosis – die Pointe des zweiten Terzetts – erreicht Góngora, indem er die drei Teile der Protasis über ihre natürlichen metrischen Einschnitte hinweg vereinheitlichend zusammenfaßt. Zu diesem Zweck verbindet er Quartette und Terzett durch das emphatische Oh, das er als anaphorisches Element regelmäßiger, d.h. „symmetrischer“ einsetzt als Sannazaro. Außerdem gibt er das thematische Wort celos, das Sannazaro gleich am Gedichtanfang verwendet, erst im 9. Vers – dem ersten Terzettvers – preis: ein Kunstgriff, auf den bereits Brockhaus aufmerksam gemacht hat. „Seine Wirkung ist Geheimnis, Rätselhaftigkeit“ [26] , vor allem aber dient er als Mittel der Integration von Quartetten und Terzett. Der Leser sieht sich durch die Aufsparung des erklärenden Begriffs gezwungen, das Sonett sozusagen in einem Atemzug bis Vers 11 zu lesen, um auf diese Weise die scharfe Zäsur zum in Vers 12 folgenden „mas“ unfehlbar als entscheidenden Einschnitt zwischen Expositio und Acumen zu empfinden.
Damit Acumen und Expositio epigrammatisch gegenübergestellt werden, streicht Góngora natürlich auch die drei elegischen Fragen, die neben den beiden emphatischen Aufforderungen von Vers 12 (Tòrnati giù, non raddoppiar miei mali!)dem Sonettabschluß bei Sannazaro den Charakter kompositorischer Vielheit gaben, in der sich der Eindruck emotionaler Bewegung mitteilen mochte. Góngora behält nur eine Aufforderung (V. 10: vuélvete [...]) bei, welche ihm zur Vorbereitung der intellektuellen Pointe vollauf genügt. Allein im Rahmen dieser Pointe gelangen wieder verbale Elemente (V. 13: que comes de ti mesmo y no te acabas)zu größerer Bedeutung – nicht als Wiedergabe subjektiven seelischen Geschehens, sondern als Mittel spielerisch zugespitzter Argumentation. Solch unpersönlich allgemein gehaltene Argumentation bildet Höhepunkt und Schluß des Gedichts, um die Invektive mit einer rhetorisch effektvollen Überbietungspointe (Eifersucht ist ein größeres Übel als die Hölle) affirmativ zu beenden, während Sannazaro sein Gedicht mit der Häufung banger Fragen noch in persönlich getönter Liebesklage ausklingen ließ. Die „Korrektur“ petrarkistisch-elegischen Dichtens durch eine kultistisch-konzeptistische Ästhetik des genus demonstrativum erweist sich also auch hier als eigentlicher Beweggrund und Stilprinzip der Góngoraschen Imitatio.
Den Anstoß zu einer entschlossenen „Epigrammatisierung“ des petrarkistischen Sonetts kann der junge Góngora einerseits aus Spanien, etwa von Fernando de Herrera [27] , andererseits aus der italienischen Lyrik selbst erhalten haben. Es ist in der Tat verblüffend zu sehen, wie die gleichen Formtendenzen, welche an den frühen Sonetten Góngoras sichtbar werden, auch in Italien seit der Mitte des 16. Jahrhunderts den subjektiv-elegischen Charakter der hohen petrarkistischen Lyrik allmählich verwandeln und auflösen. Einer der ersten Lyriker des Cinquecento, die in ihre insgesamt noch petrarkistisch orientierte Sonettdichtung deutliche epigrammatische Strukturelemente einführen, ist Luigi Tansillo (1510?–1568). Von ihm existiert eine Eifersucht-Invektive, deren stilistische Durchführung sich zu Sannazaros berühmten Sonett schon ähnlich verhält wie die Bearbeitung Góngoras:
O di buon genitore, e di rea madre
Fera mal nata, infame orribil figlia;
Che volgi col terror de le tue ciglia
Di chiari, e lieti in notti triste, ed adre;
Di sospetti, e d’orror, tua vil famiglia,
Onde il bel Regno tutto si scompiglia,
E si turba ogni pace al miser padre;
Al fier capo mille occhi, e mille orecchi
A nuocer sempre aperti, a giovar chiusi;
E perche in stato allegro uom non invecchi,
Ecco che al giogo tuo di novo io torno. [28]
Gleich dem Góngora-Sonett ist das Sonett Tansillos epigrammatisch zweigeteilt, und auch die Zäsur von Protasis und Apodosis befindet sich in beiden Gedichten an der gleichen Stelle. Tansillo verwendet auffälligerweise sogar bereits das wesentliche kompositorische Mittel, durch das Góngora die Quartette und das erste Terzett zur Einheit der Expositio zusammenfügt: er gibt wie der Spanier den thematischen Begriff Gelosia erst im neunten Vers preis. Der Nennung des Schlüsselworts geht voran die Apostrophe einer allegorischen Gestalt, die zunächst unerklärt und rätselhaft bleibt. Die Bildkette, welche diese im Gegensatz zu Sannazaro und Góngora in sich konsistente allegorische Figur aufbaut, schließt zwar häufiger als bei Góngora das verbale Element von Nebensätzen ein; doch dienendie Nebensätze im wesentlichen zur Amplifikation und Erläuterung der Bilder und enthalten keinen Hinweis auf das „Ich“ des Dichters. Nur im letzten Terzett wird die unpersönlich demonstrative Invektive nach petrarkistischer Konvention auf das schmerzliche Liebeserleben des Autors bezogen. Statt mit einer distanziert-geistreichen Pointe beendet Tansillo sein Gedicht noch mit elegischer Klage. Solch unpointierter Sonettschluß, der ganz in der Tradition des orthodoxen Petrarkismus steht, kann jedoch nicht verhüllen, daß das Sonett insgesamt schon wie ein konzeptistisches Sonett-Epigramm angelegt ist, dessen Stilkonzeption auch durch Tansillos fast gongorinische Neigung zu komplizierteren antithetischen versos bimembres bestätigt wird (V. 4: Dì chiari, e lieti in notti triste, ed adre; V. 11: A nuocer sempre aperti, a giovar chiusi).
Ungefähr auf der gleichen Linie liegt ein zweites Eifersucht-Sonett Tansillos, das vor allem durch die Imitatio Du Bellays bekannt geworden ist. [29]
O d’invidia, e d’amor figlia sì ria,
Che le gioje del padre volgi in pene,
Cauto Argo al male, e cieca talpa al bene,
Ministra di tormento, Gelosia;
Che l’altrui dolce rapi, ed avvelene,
Austro crudel, per cui languir conviene
Il più bel fior de la speranza mia;
Augel di duol, non d’altro mai presago,
Tema, ch’entri in un cor per mille porte;
Tanto il regno d’Amor sana più vago,
Quanto il mondo senza odio, e senza morte. [30]
Das Sonett läßt ebenfalls epigrammatische Zweiteiligkeit erkennen, wenn auch die aufgeschobene Nennung des Schlüsselworts Gelosia diesmal bereits am Ende des vierten Verses erfolgt. In anderen Punkten steht es der Manier des frühen Góngora sogar näher als O di buon genitore, e di rea madre. Die Bildkette der Expositio, die sich nicht zu einer distinkten allegorischen Figur vereinigt, ist hier ausgedehnter und besonders in den drei mythologischen Personifikationen (Cauto Argo; Tesifone infernal; fetida Arpia)schon ausgesprochen „kultistisch“ geprägt. Auch bleibt die Conclusio des zweiten Terzetts in Übereinstimmung mit der Exposìtio unpersönlich demonstrativ: sie wird zwar noch nicht als eigentliche Pointe zugespitzt, doch immerhin zu einer sentenzartigen Tanto-quanto-Formulierung gestrafft.
Der Lyrik Tansillos in ihrer stilistischen Konzeption diametral entgegengesetzt ist die Dichtung Giovanni della Casas (1503–1556), der sich gleich seinem „Schüler“ Torquato Tasso den Tendenzen der „Epigrammatìsierung“ streng verschließt und das subjektiv-elegische Moment des Petrarkismus im Gegenteil noch pathetisch zu steigern versucht. Das Verhältnis seines Eifersucht-Sonetts zu den Gedichten Tansillos ähnelt daher auffällig der Beziehung zwischen Tasso und Góngora, welche auf diese Weise schon innerhalb der italienischen Literatur als grundlegende Antinomie von epigrammferner und epigrammnaher Lyrik vorgeprägt erscheint:
Cura, che di timor ti nutri e cresci,
e più temendo maggior forza acquisti,
e mentre con la fiamma il gielo mesci,
tutto ‘l regno d’Amor turbi e contristi;
tutti gli amari tuoi, del mio cor esci:
torna a Cocito, a i lagrimosi e tristi
campi d’inferno: ivi a te stessa incresci.
senza sonno le notti, ivi ti duoli
non men di dubbia che di certa pena.
se ‘l tuo venen m’è corso in ogni vena,
con nove larve a me ritorni e voli? [31]
Weit dichter noch als bei Sannazaro verknüpft sich in diesem Sonett, dessen „struttura sintattico-ritmica“ eindeutig auf Bembos Speme che gli occhi nostri veli e fasci zurückgeht [32] , unpersönliche Invektive mit persönlicher Klage: an entscheidenden Stellen des Gedichts, zu Beginn des zweiten Quartetts und am Sonettschluß, wird das „Ich“ des Autors als Subjekt petrarkistischen Liebesleidens jeweils mit insistenter Wiederholung (V. 5, 6 und V. 13, 14) genannt. Die nominale Metaphern- und Allegorienkette, die in allen Eifersucht-Sonetten bislang den ersten Gedichtteil bildete, fehlt nun völlig. Statt den Nomina vertraut Della Casa die Schärfe der Invektive in ungleich bewegterem Stil den Verba an. Sie beherrschen mit prädikativen Dopplungen [33] das erste Quartett (V. 1: ti nutri e cresci; V. 4: turbi e contristi) und das zweite Terzett (V. 14: ritorni e voli). Seinen pathetischen Höhepunkt erreicht Della Casas Stil verbaler Energie aber im Mittelteil des Gedichts, im intensiven Crescendo der Imperative, das sich von esci (V. 6) über torna (V.  7), incresci (V. 8), mena (V. 9), ti duoli (V. 10) bis zu Vattene (V. 12) steigert. Dieser Mittelteil mit seiner sechsfachen Aufforderung – man vergleiche dazu das einfache vuélvete bei Góngora – bildet das strukturelle Zentrum des Sonetts, das von der thematischen Apostrophe des ersten Quartetts und von der elegischen Frage des zweiten Terzetts in einer für Della Casas Sonettechnik sehr typischen dreiteiligen Komposition umschlossen wird. Dabei sind die drei Teile der Komposition sehr viel weniger deutlich voneinander abgegrenzt als Protasis und Apodosis in der zweiteiligen Sonettstruktur Tansillos und Góngoras. Der erste Teil greift durch den kausalen Nebensatz Poi che ‘n brev’ora entr’ al mio dolce hai misti/ tutti gli amari tuoi [...] in den zweiten über, der zweite durch das Vattene, die letzte Steigerung der Imperativ-Kette, wiederum in den dritten. Die Rhetorik dramatisch-pathetischer Asymmetrie, die wir in Tassos Quel labro che le rose han colorito nachgewiesen haben und die hier besonders im zweiten Quartett mit seinen Enjambements (vor allem V. 7 f.: a i lagrimosi e tristi/ campi d’inferno) und seinen harten Brüchen sichtbar wird, prägt neben den kleineren Vers- und Satzeinheiten also auch die Gestalt des Gedichts im Ganzen. [34]
Die Linie der Entwicklung Sannazaro – Tansillo wird dagegen konsequent von Giambattista Marino fortgesetzt. Seine Eifersucht-Invektive – das metaphernreichste unter unseren Vergleichssonetten – lautet:
Tarlo e lima d’amor, cura mordace
che mi rodi a tutt’ore il cor dolente,
stimolo di sospetto a l’altrui mente,
sferza de l’alme, ond’io non ho mai pace,
nel più tranquillo mar scoglio pungente,
nel più sereno ciel nembo stridente,
tósco tra’ fior, tra’ cibi arpia rapace,
agli occhi di ragion, peste d’Averno,
che la terra avveneni e turbi il cielo,
vanne a l’ombre d’abisso, ombra di gelo!
Ma temo non t’aborra anco l’inferno. [35]
Wie häufig bei Marino hat man hier den Eindruck, daß alle Gestaltungen des Themas, die dem virtuos-eklektischen Neapolitaner vorlagen, in irgendeiner Einzelheit von ihm ausgenutzt wurden. Auf Sannazaro (V. 7 f.: tra prosperi successi avversa sòrte,/ tra soavi vivande aspro veneno) können z.B. die Parallelverse 6 und 7 zurückzuführen sein; gleichfalls von Sannazaro (V. 5 f.: O serpente nascosto in dolce seno/ di lieti fior [...]; V. 4: che con tua vista turbi il ciel sereno)kann die Anregung zu Vers 8 und Vers 11 stammen, die bei Marino bezeichnenderweise chiastisch-symmetrisch gestaltet werden. Auf Tansillos zweites Eifersucht-Sonett (V. 5: Tesifone infernal, fetida Arpia) kann die arpia rapace aus Vers 8 zurückgehen, und selbst Giovanni della Casas stilistisch ganz anders geartete Fassung (V. 1: Cura, che di timor ti nutri e cresci; V. 12: Vattene; a che più fera che non suoli) scheint in einzelnen lexikalischen Elementen, ìn der cura mordace von Vers 1 und im vanne von Vers 13, präsent zu sein.
Was aber die Formung seines Gedichts im Ganzen betrifft, so geht Marino durchaus nicht synkretistisch vor. Von der elegischen spätpetrarkistischen Ästhetik eines Della Casa oder eines Tasso ist bei ihm nichts zu spüren, und stattdessen hält er sich ausschließlich an die demonstrativ-epigrammatischen Elemente, die Tansillo und Sannazaro in mehr oder weniger stark ausgeprägten Ansätzen darbieten. Nur das erste Quartett nennt zweimal das „Ich“ des Dichters: eine Nennung, die jedoch kaum auf eine „presenza affermata e reale del poeta“ nach petrarkistischer Tradition schließen läßt, sondern eher als ein Mittel typisch Marinoscher Auftaktemphase erscheint, da sie sich im weiteren Verlauf des Sonetts nicht wiederholt und über dem stilbestimmenden Interesse an der konzeptistischen Zuspitzung offensichtlich gleichgültig wird. Konzeptistische Zuspitzung als vorrangiges Stilinteresse prägt dies Sonett nämlich so intensiv wie keine andere italienische Eifersucht-Invektive zuvor. Sie ist verantwortlich für die Reihung von vierzehn Gelosia-Metaphern, die mit Tarlo e lima d’amor in Vers 1 beginnt und erst mit ombra di gelo in Vers 13 endet. Die metaphorischen Figuren Marinos fallen dabei vor allem durch den Umstand auf, daß sie in sich häufig antithetisch gebaut sind: wohl nach dem Muster Sannazaros (V. 7 f.) werden die Parallelverse
nel più tranquillo mar scoglio pungente,
nel più sereno ciel nembo stridente
gebildet, und ähnlich konzeptistisch zusammengesetzt sind die Bilder
sogno vano d’uom desto, oscuro velo
agli occhi di ragion [...].
Besonders epigrammhaft wird von Marino die Zweiteiligkeit des Sonetts akzentuiert. Durch die Ausweitung der Metaphernkette dehnt sich die Expositio bis zum vorletzten Vers, und erst im letzten Vers, der solcherart außerordentliches Gewicht bekommt, erfolgt der Umschlag des Acumen. Die finale Struktur des Epigramms, in welcher der letzte Vers als Pointe Sinn und Ziel eines Gedichts wird, hat sich hier am wirkungsvollsten der Form des Sonetts bemächtigt.
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß von allen italienischen Eifersucht-Invektiven, die wir vorgestellt haben, die Marinosche dem Sonett Góngoras am nächsten steht. Eine verblüffende strukturelle Übereinstimmung zeigt sich: 1. in Fülle und Umfang der Metapher-Reihungen, die in beiden Gedichten die Protasis bilden; 2. in der prononcierten Zweiteilung der Sonett-Komposition, welche jeweils durch eine scharfe Zäsur zwischen Protasis und Apodosis betont wird; 3. in der Zuspitzung und Pointierung der Apodosis. Sowohl Góngora als auch Marino bereiten die Pointe des Sonettschlusses jeweils nur durch einen Imperativ (vuélvetevanne) vor, und sogar die Figur der Pointe selbst ist im Grunde bei beiden Sonetten die gleiche. Góngora erklärt seine Überbietungspointe lediglich noch durch einen erklärenden Nebensatz, während Marino, dem mehr an der Schnelligkeit des Sonettrhythmus gelegen ist, auf diese zusätzliche „agudeza“ verzichtet.
Solch überraschende typologische Gemeinsamkeit zwischen der Stilkonzeption Marinos und der des jungen Góngora kann wohl nicht auf direkter Beeinflussung des einen Dichters durch den anderen beruhen. Chronologische Gründe schließen für unser Gedichtpaar eine Abhängigkeit Góngoras von Marino aus, und Marino wiederum läßt in einigen Detailübernahmen so deutlich das Gedicht seines Neapolitaner Landsmannes Sannazaro als hauptsächliche Vorlage erkennen, daß man nicht recht an eine Kenntnis des Góngora-Sonetts glauben mag. Offenkundig haben wir in der Auflösung des elegischen Petrarkismus durch die demonstrative Ästhetik des Epigramms eine stilgeschichtliche Tendenz bezeichnet, die verschiedene humanistisch geprägte, europäische Literaturen parallel erfaßte und die in Marino wie in Góngora zwei strukturell eng verwandte, doch nicht unmittelbar voneinander abhängige Exponenten fand.
Während von Marino diese konzeptistische Ästhetik des Epigramms aber nur in Ansätzen verändert und weiterentwickelt wurde – solche Ansätze sind z.B. seine Idilli favolosi und Idilli pastorali,die in der Gattungsstruktur Góngoras Polifemo und Soledades entsprechen –, blieb sie bei Góngora nicht mehr als ein Ausgangspunkt für beständige stilistische wie gedankliche Umformung und Komplikation. So vertieft der Spanier in späteren Gedichten noch entschieden seine frühe Neigung zum Nominalstil [36] , um sich gleichzeitig von der frühen Vorliebe für symmetrische versos bimembres zunehmend abzuwenden. [37] Diese statistisch abgesicherten Beobachtungen lassen als erste Schritte zu einer umfassenderen Analyse der Góngoraschen Stilentwicklung deren Richtung in Grundzügen bereits erkennen: sie führt zu einer immer stärkeren Konzentration kultistisch-konzeptistischer Elemente (Nominalstil), die jedoch nicht mehr wie bei Marino ausschließlich der Rhetorik des Epigramms, seiner abgeschliffenen Konzinnität und seiner behenden Pointierung, gehorchen (versos bimembres). [38] Marinos leichtem epigrammatischen Konzeptismus tritt beim späteren Góngora ein dunkler Konzeptismus gegenüber, der in der literarischen Stillage höher und weitaus schwieriger, in seinem poetischen Resultat aber ungleich faszinierender erscheint.
1 Vgl. J.P. Wickersham Crawford, Italian Sources of Góngora’s Poetry, RR 20 (1929), S. 122–130; sowie ds., The Notes ascribed to Gallardo on the Sources of Espinosa’s „Flores de poetas ilustres“, MLN 44 (1929), S. 101–103.
2 Die Quellenangaben der frühen Kommentatoren finden sich übersichtlich zusammmengestellt bei J.P. Wickersham Crawford, a.a.O.; Ernst Brockhaus, Góngoras Sonettendichtung, Bochum – Langendreer 1935; Joseph G. Fucilla, Estudios sobre el Petrarquismo en España, Madrid 1960, S. 252–257.
3 Sowohl Wickersham Crawford (Italian Sources, a.a.O. S. 130) als auch Fucilla (a.a.O. S. 252) heben hervor, daß Góngoras Imitation konkreter italienischer Modelle auf die „apprentice years bis etwa 1586 beschränkt sei.
4 Allzu ungenau und allgemein gehalten erscheinen uns z.B. Fucillas und Brockhaus’ Charakterisierungen der Gongoraschen Imitatio. Vgl. Fucilla, a.a.O. S. 252: „[...] puesto que sus imitaciones (las de Góngora), más que meras copias, son recreaciones artísticas“; oder Brockhaus, a.a.O. S. 195: „Kein Wunder, daß G. sich gerade den Italiener (Torquato Tasso) zum Vorbild ausersah, der in seiner herrlich tönenden Sprache unerreicht dasteht.“
5 Auch der heute fast unbekannte Luigi Groto (vgl. Fucilla, a.a.O. S. 201:„un escritor que casi ninguno conoce hoy dia”), auf dessen Sonett Non move, erge, apre, il corpo, i piedi, l’ale wahrscheinlich das Korrelationsschema von Ni en este monte, este aire, ni este río zurückgeht (vgl. Dámaso Alonso, Versos plurimembres y poemas correlativos, Madrid 1944, S. 132),war zu seiner Zeit ein „Poeta celeber“, der nach Meinung des spanischen Barockpolygraphen Juan Caramuel „ita [...] in Italorum numerorum compositione excelluit, ut cum Homero, Virgilio et aliis veteribus meritissime componeretur“. Vgl. zu dieser literarhistorisch recht bedeutsamen Gestalt, dem „poeta predilecto de Quevedo“, auch Fucilla, a.a.O. S. 201 ff.,und Ulrich Schulz-Buschhaus, Das Madrigal, Bad Homburg v.d.H. – Berlin – Zürich 1969, S. 170ff.
6 Vgl. Fucilla, a.a.O. S. 252f.
7 Vgl. Giuseppe Carlo Rossi, Rileggendo un Sonetto del Góngora (e uno del Tasso), RFE 44 (1961), S. 425–433.
8 Vgl. E. Brockhaus, a.a.O. S. 43.
9 Vgl. Nathan Gross, Invention in an Imitated Sonnet by Góngora, MLN 77 (1962), S. 182–187.
10 Góngora, a.a.O. S. 454.
11 Góngora, a.a.O. S. 450.
12 Vgl. Bernardo Tasso, Rime, Bergamo 1749, Bd. I, S. 39: „Queste purpuree rose,/ ch’all’Aurora/ all’apparir del dì cadder di seno.“
13 Zum ausgeprägten Nominalstil des späten Góngora vgl. die eindrucksvolle Darstellung bei Walter Pabst, Góngoras Schöpfung in seinen Gedichten Polifemo und Soledades, RH 80 (1930), S. 38 ff.Pabst stellt dort fest, daß die Bedeutung des Verbum finitum im Laufe der stilistischen Entwicklung Góngoras immer mehr zurückgeht (vgl. S. 40).
14 Vgl. dazu das Tasso-Kapitel in Ulrich Schulz-Buschhaus, Das Madrigal, a.a.O. S. 120–140.
15 Ähnliche hochpathetische Satzfiguren, die in asymmetrischer Fügung Periode und Lakonismus verbinden, sind bei Giovanni della Casa sehr häufig zu finden – z.B. im Sonett Gli occhi sereni e ‘l dolce sguardo onesto (Giovanni della Casa, Le Rime, Firenze 1944, S. 49): Chè qualor torno al mio conforto, e presto/ son, lasso, di nutrir l’alma digiuna;/ trovo chimi contrasta, e ‘l varco impruna/ con troppo acerbe spine; ond’io m’arresto. Oder noch eindrucksvoller in Sì cocente penser nel cor mi siede (ebda. S. 43): Come per dubbio calle uom move il piede/ con falso duce, e/ quegli a morte il mena;/ tal io l’ora ch’Amor libera e piena/ sovra i miei spirti signoria vi diede,/ il mio di voi penser fido e soave/ sperando, cieco, ov’ei mi scorse andai:/ or mi ritrovo da riposo lunge.
16 Vgl. Dámaso Alonso, La simetría en el endecasílabo de Góngora, RFE XIV (1927), S. 329–346.Wir zitieren den Aufsatz im folgenden nach der wesentlich erweiterten Fassung in: ds., Estudios y Ensayos Gongorinos, Madrid 1955, S. 117–173.
17 Vgl. Rossi, a.a.O. S. 428 und 431:„Góngora ci presenta un sonetto diviso in due parti: una costituita dalle quartine, l’altra dalle terzine.“ Ein noch viel auffälligeres Bemühen um epigrammatische Zweiteiligkeit zeigt Gongoras Aunque a rocas de fe ligada vea, in dem die beiden Quartette als Glieder ein- und desselben konzessiven Nebensatzes parallel gesetzt und von Hauptsatz und Schlußfolgerung der Terzette durch einen tiefen Einschnitt geschieden werden. Die Vorlage zu diesem Gedicht, das Sonett Ben veggio avvinta al lido ornata nave, ist ein Musterbeispiel für Tassos Stil dramatischer Asymmetrie und läßt sich allenfalls in vier Teile zerlegen, wobei eine syntaktische und gedankliche Zäsur nach dem fünften Vers das zweite Quartett noch zusätzlich in zwei ungleiche Teile untergliedert.
18 Ganz ähnliche stilistische Unterschiede weisen die Schlußterzette von Ben veggio avvinta al lido ornata nave und Aunque a rocas de fe ligada vea auf, die im übrigen auch inhaltlich verschieden sind. Góngora endet dort mit ausgeprägter simetría bilateral (¡oh dulce Arión, oh sabio Palinuro!):einer Fügung, die für die pointierten Konklusionen seiner frühen Sonette überhaupt typisch ist (vgl. Dámaso Alonso, a.a.O. S. 121, wo der verso bimembrado als „medio eficaz para terminar con recortado énfasis o con gracia“ bezeichnet wird). Durch symmetrische versos bimembrados werden in besonders auffälliger Weise z.B. die Sonette Sobre dos urnas de cristal labradas (en Géminis vosotras, yo en Acuario) und Suspiros tristes, lágrimas cansadas (Ilorar sin premio y suspirar en vano) pointiert. Das Prinzip symmetrischer oder paralleler Satz- und Verskonstruktion ist bei Góngoras Übernahmen aus Tasso im übrigen noch bis ins kleinste Detail zu verfolgen. So übersetzt Góngora in seinem Sonett Al tramontar del Sol, la ninfa mia etwa Tassos „ma non tanti la man cogliea di loro/ quanti fra l’erbe il bianco pié n’ apriva“ mit „cuantas troncaba la hermosa mano,/ tantas el blanco pie crecer hacía.“ Die radikale Parallelisierung der Verse, die sogar die Epitheton + Nomen-Gruppe (hermosa manoblanco pie) umfaßt, wird von Góngora nur durch einen Chiasmus der Subjekt-Prädikatstellung rhetorisch variiert.
19 So etwa im berühmten Mientras por competir con tu cabello von 1582. Vgl. Alfredo Carballo Picazo, EI soneto Mientras por competir con tu cabello, de Góngora, RFE 47 (1964), S. 379–398.
20 Vgl. die Forschungsübersicht zu diesem Sonett bei Ernst Brockhaus, a.a.O. S. 41 f.
21 Góngora, a.a.O. S. 446 f.
22 Wickersham Crawford hat noch verschiedene weitere spanische Bearbeitungen des Sannazaro-Sonetts von Gerónimo de Mora, Andrés Rey de Artieda, Hernando de Acuña sowie einem Anonymus des Cancionero General von 1554 ausfindig gemacht. Vgl. J.P. Wickersham Crawford, Notes on the poetry of Hernando de Acunia – Notes on the Sonnets in the Spanish „Cancionero General de 1554“,RR VII (1916), S. 314–-337.
23 Iacobo Sannazaro, Opere volgari, a cura di Alfredo Mauro, Bari 1961, S. 155.
24 Auch die Bearbeitung von Hernando de Acuña (1520–1580), die Sannazaro ansonsten besonders in den Quartetten enger folgt als die Góngoras, läßt bereits die „autobiographischen“ Elemente des Petrarkismus vermissen. Bei Hernando de Acuña fehlt sogar jeglicher Hinweis darauf, daß die vituperatio der Eifersucht als individuelle Liebeserfahrung des Dichters gelten kann. Vgl. Wickersham Crawford, a.a.O. S. 324 f.
25 Bei der Amplificatio dieser Allegorien ist aufs neue Góngoras Neigung zu symmetrischer und paralleler Fügung zu bemerken. So entsprechen sich in Vers 8 (de la amorosa espuela duro freno) zwei parallel aus Epitheton + Nomen gebildete Wortgruppen, und in Vers 3 tritt ein Epitheton (ponzoñosa) zu víbora, damit auch diese Wortgruppe parallel neben den Epitheton + Nomen-Gruppen verde prado und oloroso seno stehen kann. Ansonsten wird die Tendenz des jungen Góngora zu Symmetrie und Parallelismus hier längst nicht so deutlich wie in der Tasso-Bearbeitung, da seiner Vorlage Della Casas und Tassos Rhetorik dramatisch-pathetischer Asymmetrien noch fremd ist.
26 Vgl. Ernst Brockhaus, a.a.O. S. 42.
27 Ganz unter dem Blickwinkel der konzeptistischen Epigramm-Ästhetik tadelt bereits Herrera in seinem Garcilaso-Kommentar die „schwachen“, unpointierten Sonettschlüsse der Petrarkisten: „fue comun falta en aquella edad no solo de los nuestros, pero de los Toscanos, acabar el soneto no con la fuerça i espiritu de los cuarteles, si no floxa i desmayadamente“. Vgl. Obras de Garci Lasso dela Vega con anotaciones de Fernando de Herrera, Sevilla 1580, S. 175.
28 Luigi Tansillo, Opere, Venezia 1738, Sonetti e Canzoni, S. 11.
29 Vgl. Du Bellay, Œuvres poétiques, Bd. I, Paris 1908, S. 111: O faulse vieille! ô fille de l’Envie. Du Bellay lag das Sonett Tansillos in der Fassung der Giolito-Anthologie vor, die sich von unserem Text in verschiedenen Einzelheiten unterscheidet.
30 Luigi Tansillo, a.a.O. S. 8.
31 Giovanni della Casa, a.a.O. .S. 55.
32 Vgl. dazu Adriano Seronis stilistischen Kommentar, in: Giovanni della Casa, a.a.O. S. 56.
33 Vgl. ebda.
34 Bemerkenswert ist, daß die französischen Übertragungen dieses sehr berühmt gewordenen Della Casa-Sonetts – Du Bellays Vieille, qui prens de crainte nouriture und Desportes’ Soucy chaud et glacé, que la crainte a fait naistre – die Asymmetrien, Enjambements und Brüche des Originals auf ähnliche Weise glätten und epigrammatisch „korrigieren“, wie der junge Góngora Tassos Sonett umformt. Vgl. dazu die aufmerksamen Stilanalysen bei Mario Richter, Giovanni della Casa in Francia nel Secolo XVI, Roma 1966, S. 22 ff. und 36 f. Ebenfalls nach epigrammatischen Stilprinzipien modifiziert ist Gabriel Fiammas (1531?–1585) „Moralisierung“ des Della Casa-Sonetts (Lirici del Cinquecento, commentati da Luigi Baldacci, Firenze 1957, S. 194): „Cura, che d’oro ti nutrisci e vivi,/ e fra mille tormenti e mille danni,/ mentre per arricchir sudi ed affanni,/ de le ricchezze tue te stessa privi:// come fia mai che nel mio petto arrivi/ col tuo velen/ ch’in noi cresce con gli anni,/ se contra i fieri tuoi secreti inganni/ le genti armai di pensier gravi e schivi?// Dunque di povertà le pure e sante/ leggi di calpestar, profana, ardisci/ e movi entro al suo bel regno le piante?// Vattene, fera, ove i tuoi lacci ordisci/ fra spine e spene; ivi nel volgo errante/ il tesor troverai per cui languisci.” Der syntaktischen und kompositorischen Vereinfachung entspricht auch hier eine spürbare Neigung zu konzeptistischer Komplikation, die etwa in der barock „witzigen“ Paronomasie von Vers 13 oder im Paradoxon von Vers 3 und 4 Ausdruck findet.
35 Marino e i Marinisti, a cura di G.G. Ferrero, Milano – Napoli 1954, S. 340.
36 Vgl. Walter Pabst. a.a.O. S. 38.
37 Vgl. Dámaso Alonso, a.a.O. S. 138 ff.
38 Auch die ganz unepigrammatisch geschachtelte Hypotaxe der Soledades (vgl. Pabst, a.a.O. S. 47–53) weist auf solche Abkehr vom „niedrigen“ Formideal des Epigramms hin.
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