Daß die Jugendwerke Góngoras – insbesondere die Sonettdichtung der
Jahre 1582 bis 1586 – durch einen starken italienischen Einfluß geprägt sind,
ist seit langem bekannt. Bereits die Kommentatoren des 17. Jahrhunderts –
Salcedo Coronel und der anonyme Kommentator von Espinosas
Flores de poetas
ilustres– führten zu zahlreichen Sonetten dieser Periode
petrarkistische Quellen an.
[1]
Ihre wertvollen Hinweise sind seitdem von der modernen Literaturgeschichte
wiederholt bestätigt worden.
[2]
Während der ersten fünf Jahre seines poetischen Schaffens – so stellen
Forscher wie Wickersham Crawford und Fucilla übereinstimmend fest – hat sich der
junge Góngora mehrfach von bestimmten Vorlagen Sannazaros, Ariosts, Minturnos,
Bernardo und Torquato Tassos zu eigenen Gedichten anregen lassen.
[3]
Erscheint das Was der Gongoraschen Imitatio in wichtigen Punkten
geklärt, so ist das Wie jedoch noch weitgehend unerforscht geblieben. Nach
welchen Kriterien der ehrgeizige Debütant auf dem Gebiet vornehm
italianisierender Sonettdichtung seine Vorlagen auswählte, mit welchen
stilistischen Mitteln er sie adaptierte und modifizierte, wie sich in seinen
Bearbeitungen überhaupt Nachahmung und Abwandlung zueinander verhalten – das
sind Fragen, die bislang nur selten und zumeist unbefriedigend vage beantwortet
wurden.
[4]
Dabei bietet sich einer experimentellen, d.h. vergleichenden Literaturwissenschaft gerade hier die schönste Möglichkeit, den
lyrischen Stil des frühen Góngora im literarhistorischen Kontext der
europäischen Renaissance- und Barocklyrik genauer zu analysieren. Wenn es
gelänge, durch einen Vergleich mit den petrarkistischen Vorlagen seine
wesentlichen Prinzipien bei Übernahme und Veränderung deutlich zu machen, so
hätten wir den stilgeschichtlichen Ausgangspunkt für eine der erstaunlichsten
Dichterentwicklungen bezeichnet, welche die europäische Literatur kennt.
I Góngora und Tasso
Im Gegensatz etwa zu Joachim du Bellay, der bei seinem Debüt als
Sonettist neben Modellgedichten prominenter auch solche eher obskurer Autoren
benutzt, neben Petrarca und Ariost Francesco Coccio oder Bartolomeo Gottifredi
paraphrasiert, verhält sich Góngora dem italienischen Petrarkismus gegenüber aus
einer gewissen historischen Distanz sehr wählerisch: er bearbeitet nur Werke
ausgesprochen berühmter Dichter, welche dem späten 16. Jahrhundert als
beispielhafte Vertreter der italienischen Literatur galten.
[5]
Schon in dieser hochstrebenden Auswahl zeigt sich das Selbstbewußtsein des
jungen Spaniers, der sich getragen weiß von einer umfangreichen und gehaltvollen
Tradition eigensprachlicher Sonettdichtung und dem offensichtlich seine
italienischen Vorlagen weniger Mittel des „aprendizaje“ als Anlaß zur Aemulatio
bedeuten. Auffällig ist vor allem Góngoras lyrischer Wettstreit mit Torquato
Tasso. Fucillas Tabelle weist den Verfasser der
Gerusalemme
liberata fünfmal als Quelle für Góngora-Sonette nach,
[6]
wobei allerdings nur drei Sonettpaare so eng verwandt sind, daß man ohne
Bedenken von integraler Bearbeitung eines Tasso-Sonetts sprechen kann. Es
handelt sich um die folgenden Gedichte:
Tasso (Rime, Bologna 1898, Bd. II, S. 37):
Pensiero che mentre di formarmi tenti.
Góngora (Obras completas, Madrid 1961, S. 453):
Varia imaginación, que en mil intentos.
Tasso (Rime,Bd. II,
S. 209)
Ben veggio avvinta al lido ornata nave.
Góngora (Obras, S. 456f.)
Aunque a rocas de fe ligada vea.
Tasso (Rime, Bd. III, S. 65):
Quel labro che le rose han colorito.
Góngora (Obras, S. 452):
La dulce boca que a gustar convida.
Entschieden am dichtesten folgt Góngora Tasso im dritten der
aufgeführten Sonette, das wir mitsamt seiner Vorlage noch einmal zur genaueren
Vergleichung vorstellen:
Tasso:
| Quel labro che le rose han colorito |
| | molle si sporge e tumidetto in fuore |
| | spinto per arte, mi cred’io d’Amore, |
| | a fare ai baci insidioso invito. |
| | | ch’osi appressarsi ove tra fiore e
fiore |
| | si sta qual angue ad attoscarvi il core |
| | quel fiero intento: io ‘l veggio e ve ‘l addito. |
| | | insidie còlto, or ben le riconosco, |
| | e le discopro, o giovinetti a voi: |
| | | fansi a l’incontro e s’allontanan poi; |
| | sol resta Amor che spira fiamma e tosco. |
|
|
Góngora:
| La dulce boca que a gustar convida |
| | un humor entre perlas distilado |
| | y a no invidiar aquel licor sagrado |
| | que a Júpiter ministra et garzón de Ida. |
| | | porque entre un labio y otro colorado |
| | Amor está de su veneno armado |
| | cual entre flor y flor sierpe escondida. |
| | | diréis que, aljofaradas y
olorosas, |
| | se le cayeron del purpúreo seno; |
| | | que después huyen de el que incitan
ahora |
| | y sólo de el Amor queda el veneno. |
|
|
Soweit wir wissen, sind diese beiden Sonette bislang zweimal Gegenstand
ausführlicherer Interpretation geworden. Giuseppe Carlo Rossi
[7]
befaßt sich mit dem Gedichtpaar vor allem unter Aspekten der
Literaturkritik. Wie schon Ernst Brockhaus
[8]
weist er auf den unpersönlichen Charakter des Góngora-Sonetts hin (vgl.
S. 432), dem er als Positivum die „presenza affermata e reale del
poeta“ (S. 428) im Sonett Tassos entgegenstellt. In vorsichtigem Widerspruch zu
Salcedo Coronel, der das Sonett seines Landsmannes als „traducción [...]
verdaderamente superior a su modelo“ einstuft, insinuiert er eine poetische
Überlegenheit Tassos, die zurückzuführen sei „al più lungo magistero d’arte,
oltre che alla più sofferta esperienza umana“ (S. 433).
Nathan Gross
[9]
, der Rossis kurz zuvor erschienenen Aufsatz offenbar noch nicht
verarbeiten konnte, berührt das Sonett Tassos nur äußerst flüchtig. Ziel seiner
Interpretation, die sich einer sehr gewagten Symbol-Kombinatorik bedient, ist
die Exegese des Góngora-Sonetts unter religiös-moralischen Gesichtspunkten. Die
komplizierte Kette von allegorischen Anspielungen, in die das Gedicht dabei
zergliedert wird, geht aus von der Erwähnung des Jupiter in Vers 4. Der mit
diesem Vers in enge Verbindung gebrachte Vers 12 evoziert den Tantalos-Mythos,
so daß durch die Kombination der beiden Anspielungen für Gross das Bild eines
„Jupiter, as the tormentor of Tantalus“ (S. 185) entstehen kann.
Invidiar in Vers 3 und die
sierpe
escondida in Vers 8 erinnern den Interpreten an Sündenfall und
Vertreibung aus dem Paradies, vor allem aber an Eva, welche den „lover who bases
his relationship on sexuality and erotic sensations“ (S. 185) repräsentiert.
Jupiter, der Tantalos in den Tartaros wirft, ist – so schließt Gross – folglich
gleichzeitig Jaweh, der Eva aus dem Paradies verbannt. Neben diese Darstellung
eines Gottes, welcher menschliche Sünde – insbesondere die trüber
Geschlechtlichkeit – verfolgt, tritt aber Jupiter als Liebhaber des Ganymed: der
Gott im Genuß reiner, geheiligter Liebe. Seine platonische Beziehung zum
garzón de Ida erscheint als läuterndes Gegenbild, das
Tantalos und Eva, den Urhebern der „original sin“, wie ein Exemplum vorgehalten
wird. Die moralische Botschaft, für deren Verkündigung Gross solches
Symbolgeflecht webt, ist schließlich die folgende (S. 186 f.): „Therefore,
Amantes, no toquéis si queréis vida: if you would enjoy spiritual life through
the salvation of your soul and physical life through good health and a normal
human existence, do not allow your pure love, that represented by the communion
of Jupiter and Ganymedes, which by virtue of one of its exponents must be
divine, to become contaminated by mere sexual delights.“
Beide Interpretationen vermögen uns nicht recht zu überzeugen – die von
Gross noch weniger als die Rossis. Grundsätzliche Einwände sind gegen Gross’
Methode symbolischer Auslegung zu erheben, welche disparate Einzelelemente
ungeachtet ihres jeweiligen Kontextes zu einer im Grunde völlig willkürlich
konstruierten Allegorie zusammenfügt. So läßt der Text z.B. keinerlei
Symbolbeziehung zwischen „Júpiter“ (V. 4) und „Tántalo“ (V. 12) erkennen, und
auch des Zeus päderastische Liebe zu Ganymed gilt wohl zumindest seit den
Kirchenvätern nicht mehr gerade als Inbegriff einer „pure love partnership“
(S. 185). Letztlich beschränkt sich das „entirely new system of imagery“
(S. 183), das Gross dem Góngora-Sonett gegenüber seiner
italienischen Quelle zuspricht, überhaupt auf die Verse 3 und 4. Sie bieten die
Erwähnung des Jupiter, der sich für Gross sogleich in den Liebhaber des Ganymed
und in den Verfolger des Tantalos aufspaltet, und sie suggerieren durch das invidiar die Erscheinung Evas, welche den griechischen
Zeus wiederum in den jüdischen Jaweh verwandelt. In Wahrheit aber stellen die
beiden Verse nichts anderes dar als einen aus barocker Lyrik sehr vertrauten
erhöhenden Vergleich, durch den der humor entre perlas
distilado in den poetisch geweihten Bereich der Mythologie versetzt
wird. Erhöhende Vergleiche dieser Art sind gerade beim frühen Góngora nicht
selten, und sie werden außerdem mit Vorliebe durch ein invidiar eingeleitet. Ein Sonett von 1584 beginnt etwa:
| Gallardas plantas, que con voz doliente |
| | al osado Faetón llorasteis vivas, |
| |
y ya sin invidiar palmas ni
olivas, |
| | muertas podéis ceñir cualquiera frente,
[10]
|
|
|
ein anderes aus dem Jahr 1583:
| Culto Jurado, si mi bella dama |
| | | tu Musa inspira, vivirá tu fama |
| |
sin invidiar tu noble patria a Manto
[11]
|
|
|
Die beiden Verse – besonders das weder Eva noch Jaweh noch den
Sündenfall evozierende invidiar – werden also von Gross
semantisch und symbolisch überbelastet und dadurch aufs gröbste mißverstanden.
So ingeniös die aus diesem Mißverständnis abgeleitete Symbolkette in sich auch
wirken mag, vor dem eindeutigen Zeugnis des Textes erweist sie sich als abstruse
Spekulation.
Der Gedichtvergleich Rossis verlangt dagegen weniger nach
Richtigstellung als nach Ergänzung. Es kann nicht genügen, Sonette zweier so
eigentümlicher Lyriker wie Tasso und Góngora gleichsam auf einer poetischen
Rangliste abzuwägen und dann nach überdies zweifelhaften kritischen Kategorien
unvermittelt das „Bessere“ zu bestimmen. Wesentlicher, auf jeden Fall aber
vorrangig erscheint die Aufgabe einer detaillierteren strukturellen Analyse,
welche zunächst nichts anderes bestrebt, als möglichst objektiv die
Verschiedenartigkeit der Sonette in literarischer Intention und poetischem
Resultat evident werden zu lassen.
Gewisse inhaltliche Unterschiede sind es, die dem Betrachter bei der
vergleichenden Lektüre wohl als erstes auffallen. Tasso spricht zu Beginn seines
Sonetts von einer Lippe, genauer und mit den Worten des Titels gesagt: vom labro di sotto
de la signora Leonora Sanvitale il quale è alquanto ritondetto
e si sporge fuori con mirabil grazia. Góngora braucht keine
hochgestellte Dame mit vorspringender Unterlippe zu bedichten und rühmt daher zunächst – plausibler und in größerer erotischer Freizügigkeit –
einen schönen Mund und die Freuden des Küssens.
Bezeichnender als dieser eher okkasionelle Unterschied scheint uns, daß
Góngora ihn zur Einführung eines großen mythologischen Vergleichs benutzt, den
Tassos Sonett nicht enthält. Während das erste Quartett bei Tasso arm an
metaphorischen Elementen bleibt, wird es bei Góngora von einem ausladenden Bild
erfüllt, welches dem an sich schon preziös genug umschriebenen Speichel die
Würde der erudición poética mitteilt. Die beiden
Periphrasen – die preziöse des humor entre perlas distilado
und die gelehrte des garzón de Ida – tun ein
übriges, um dem Gedicht gleich am Anfang jene kultistische Atmosphäre zu geben,
die schon die Jugendwerke des Spaniers auszeichnet.
Noch an einer zweiten Stelle flicht Góngora kultistisch Metaphorisches
ein, das seiner Vorlage fehlt: im ersten Terzett, wo das primäre Bild der Rosen
des Mundes um ein sekundäres Bild – den Schoß der Aurora – erweitert wird. Wenig
bedeutet es, daß dies Bild auf einen anderen Italiener – auf Torquato Tassos
Vater Bernardo – zurückgeht,
[12]
wichtiger ist, daß Góngora es durch dreifach reichere Adjektivierung
verändert. Das Epitheton
purpúreo tritt von seinem
konventionellen Platz vor
rose zu einem neuen und
ungewohnten Nomen; die Verbindung
purpuree rose wird
dagegen durch ein prunkvolles
rosas [...]
al jofaradas y olorosas ersetzt, dessen weite Sperrung
die Adjektive stärker hervorhebt und sie in gewisser Weise zum sinnlichen
Mittelpunkt des Terzetts macht.
Bemerkenswert erscheint uns aber vor allem, daß Góngora diese zweite
metaphorische Ausschmückung eben dort anbringt, wo sich bei seiner Vorlage am
nachdrücklichsten die „presenza affermata e reale del poeta“ zeigt. Wo Tasso die
Warnung an die giovinetti durch leidvolle persönliche
Erfahrung beglaubigt, entzieht sich Góngora seinem Modell und setzt an die
Stelle von subjektivem Bekenntnis das objektive Element von Ermahnung und
metaphorischer Beschreibung. Ein solcher Zug der „Ichferne“ (Walter Pabst)
charakterisiert gleichmäßig das ganze Sonett des Spaniers in striktem Gegensatz
zum Sonett des Italieners, der außer dem ersten Terzett auch den Abschluß des
zweiten Quartetts durch pathetische Betonung eigenen Erlebens, Handelns und
Erleidens prägt und selbst in das enkomiastische erste Quartett ein
unscheinbares, aber bezeichnendes parenthetisches mi cred’io
einfügt. Tasso, der „Schüler“ des Sonettdichters Giovanni della Casa,
bewahrt damit kunstvoll die autobiographische Fiktion des Petrarkismus, welche
in Italien als ästhetische Konvention mitunter selbst noch in höfische
Gelegenheitsdichtung hineinwirkt. Petrarkistische Simulation von Autobiographie
ist dem jungen Stilisten Góngora, dem das fremdsprachliche Vorbild Petrarcas
ferner steht, jedoch offenbar bereits gleichgültig geworden. Wenn sich bei Tasso
Ermahnung und Bekenntnis im Ton des Gedichts vermengen, so scheidet
Góngora alles Bekenntnishafte aus, um es zu ersetzen durch sinnliche und
geistige Demonstratio. Als unpersönlich demonstrative Dichtung, geprägt von
prunkendem metaphorischen Schmuck, steht sein Sonett der subjektiv elegischen
Dichtung Tassos gegenüber.
Diese Differenz von demonstrativ und von elegisch getöntem Dichten
bestätigt sich an einer Reihe weiterer stilistischer Unterschiede. Eng verbunden
mit der Unpersönlichkeit des Góngoraschen Sonetts ist seine Bevorzugung
nominaler Elemente, die sich scharf gegen Tassos Tendenz zu verbalen Elementen
abhebt.
[13]
Besonders im zweiten Quartett und im ersten Terzett erreicht Tasso eine
außerordentliche innere Bewegtheit und Leidenschaftlichkeit der Sprache durch
hohe Frequenz finiter und infiniter Verbformen. Pathetische Höhepunkte solcher
Intensivierung sind die Verbfolgen
io ‘l veggio
e ve’l addito und
or ben le
riconosco,/
e le discopro, in denen sich
exemplarisch der Zusammenhang von Bekenntnis und Ermahnung ausdrückt. Góngora,
dem an der Tassoschen Rhetorik persönlicher Ergriffenheit nichts gelegen ist,
streicht beide Verbfolgen aus seiner Adaptation und versucht ansonsten noch im
kleinsten Detail, dynamisch Verbales in statisch Nominales umzuformen: aus
Tassos
ad attoscarvi il core [...] intento etwa wird
Góngoras
de su veneno armado.
Ein anderes stilistisches Mittel, durch welches Tasso den Eindruck
leidenschaftlicher Bewegung erzielt, ist die sorgfältige Vermeidung allzu
konzinner Symmetrien und Parallelismen. Sie gehört einer Ästhetik
petrarkistischer
gravità an, die vor allem von Giovanni
della Casa entwickelt wurde und die in Tasso während des späten Cinquecento
ihren letzten Vertreter hat.
[14]
Am deutlichsten offenbart sie sich in der ausgesprochen asymmetrischen
Gestaltung des zweiten Quartetts. Es besteht aus einer längeren Periode, welche
durch zweifaches Enjambement über die Einschnitte des Versendes hinweggetragen
wird, und aus einem lakonischen Ausruf, der am Schluß des Quartetts die Periode
unvermittelt und spannungsvoll abbricht.
[15]
Góngora dagegen beseitigt nicht nur die grundlegende Asymmetrie der
Satzfigur, sondern tilgt auch die Enjambements als asymmetrisches Element. In schärfstem Kontrast zu Tassos Kunst der Konturenverschleierung
liebt er es bei seinen frühen Sonetten, den einzelnen Versen feste Umrisse zu
geben, d.h. die Zäsur des Versendes häufig auch mit einer Zäsur in Syntax oder
Rhythmus zusammenfallen zu lassen. Ein Enjambement wie Tassos
Io, che altre volte fui ne le amorose/ insidie còlto [...] wäre zu
dieser Zeit in Góngoras Sonetten jedenfalls noch nicht vorstellbar.
Diese entschiedene Zurückweisung der von Tasso so bewußt gepflegten
asymmetrischen Satz- und Verskomposition ist vielleicht der stilgeschichtlich
bedeutsamste Aspekt des frühen gongorinischen Sonetts, das am
subjektiv-elegischen Pathos des späten Petrarkismus, an seiner kunstvoll
emotionalisierten Sprache, nicht mehr interessiert ist. Die auffällige Tendenz
des jungen Góngora zu fast „geometrisch“ parallelen und symmetrischen Fügungen –
insbesondere zur von Dámaso Alonso sorgfältig analysierten
simetría bilateral des
endecasílabo
[16]
– läßt erkennen, daß eine Rhetorik intellektueller
Verblüffung die verschmähte Rhetorik emotionaler Bewegung ersetzen soll. Das
Sonett, das bei Tassos asymmetrischen Wendungen ohne
argutia
oder Pointe bleiben mußte, wird von Góngora nach Art eines Epigramms
konzeptistisch zugespitzt.
Die Epigrammnähe des gongorinischen Sonetts zeigt sich zunächst bereits
in der distinkten Zweiteiligkeit des Gedichtaufbaus, im epigrammatischen
Dualismus von Protasis und Apodosis. Schon Rossi weist auf die zweiteilige
Struktur des Góngora-Sonetts hin, dem bei Tasso eine vierteilige Gliederung
gegenübersteht, in der „alle quattro strofe (sic!) del sonetto corrispondono
[... ] quattro momenti dell’esposizione“.
[17]
Die entscheidenden Mittel epigrammatischer Pointierung setzt Góngora jedoch im Schlußterzett ein, dessen
Antithesen begünstigender symmetrischer Bau sich in jedem Vers vom absichtlich
unpointierten, weichen Verfließen des Tasso-Sonetts distanziert.
In Vers 12 wird das Bild der Äpfel des Tantalos von Tasso nuancierend
als eingeschränkte Metapher dargeboten; von Góngora wird es emphatisch als
Correctio präsentiert, dergestalt daß die beiden Glieder der Correctio am Anfang
und am Ende des Verses in antithetischer Symmetrie stehen. Vers 13 stellt bei
Tasso zwar
fansi a l’incontro und
s’allontanan gegenüber, läßt dann aber das asymmetrische
poi ohne Gegensatz: auf solche Weise wird mit
erstaunlicher sinnlicher Evidenz die Bewegung eines sanften, doch schmerzlichen
Entgleitens suggeriert. Góngora dagegen kontrastiert nicht nur
huyen und
incitan (allein als Glieder einer
Antithese gewinnen die Verba finita in diesem Gedicht einmal größeres Gewicht),
sondern auch
después und
ahora: es
ergibt sich eine Antithese, welche durch den Chiasmus der Wortstellung
schneidende intellektuelle Schärfe gewinnt. Das gleiche Verhältnis zeigt zum
Schluß natürlich auch Vers 14. Die Tassosche Asymmetrie wird von Góngora hier
ausgeglichen, indem er bezeichnenderweise das verbale Element des
spira streicht und
Amor statt der
beider Nomina
fiamma und
tosco nur
mehr ein Nomen (
veneno
= tosco) zuordnet. Durch diese Gegenüberstellung zweier
Nomina, die parallel jeweils am Ende einer Vershälfte stehen, gelangt die
bittere Reduktion von
Amor auf
veneno zu sentenziöser Pointen-Wirkung; sie wird jene echt epigrammatische
Conclusio, welcher Tassos elegisches Dichten sich immer wieder aufs kunstvollste
zu entziehen versteht.
[18]
In solcher Pointierung des Sonettendes findet Góngoras Arbeit
stilistischer Verwandlung einen Abschluß und Höhepunkt, der die übrigen
Tendenzen der Transformation – die Anreicherung an metaphorischen Elementen, die
Objektivierung, die Neigung zum Nominalstil – stimmig ergänzt und ihre
gemeinsame Ausdrucksfunktion noch einmal sehr deutlich macht. Gerade die
Pointierung belegt als letztes und wichtigstes Glied der Vergleichskette, daß an
die Stelle einer elegischen Rhetorik der Emotion beim jungen Góngora eine
demonstrative Rhetorik des Intellekts getreten ist, in welcher auch das
Sinnliche unpersönlich objektiv – und überdies häufig nur als Ausgangspunkt für
die dunkle Mahnung des desengaño
[19]
– dargestellt wird. Literarhistorisch ausgedrückt: aus dem
petrarkistischen Sonett ist ein kultistisch-konzeptistisches Epigramm
geworden.
II Góngora und die Tradition der Eifersucht-Invektiven
An dem Gedichtpaar, das wir zum Vergleich auswählten, ließ sich
Góngoras „Epigrammatisierung“ des petrarkistischen Sonetts mit besonderer
Deutlichkeit nachweisen. Das ist um so bemerkenswerter, als La
dulce boca que a gustar
convida unter allen Imitationen des frühen Góngora seiner
Vorlage insgesamt am nächsten folgt und am ehesten – wie schon Salcedo Coronel
bemerkt – als „traducción“ anzusprechen wäre. Wenn gerade bei einer solchen
„traducción“ die stilistische Umwandlung auffällig konsequent – man möchte
beinahe sagen: programmatisch – durchgeführt wird, dann bestätigt sich die
Hypothese der Aemulatio, die wir zu Beginn unserer Untersuchung aufstellten:
Góngora überträgt das Sonett Tassos nicht wie ein Schüler, der sich und seiner
Sprache neue literarische Möglichkeiten erst erschließen muß, sondern wie ein
Rivale, der selbstbewußt das Gedicht des berühmten Italieners umformt und –
unter der Perspektive einer verwandelten Ästhetik – sozusagen „korrigiert“.
Daß sich bereits der junge Góngora zu solch vermessener „Korrektur“
legitimiert fühlt, wird verständlich, sobald man bedenkt, wie genau die
Tendenzen seiner Sonett-“Epigrammatisierung“ einer umfassenderen
gemeinromanischen Stilentwicklung entsprechen: sie fügen sich ein in die
Ausbildung jenes barocken Konzeptismus, dessen italienische
Entstehungsgeschichte wir in unserer Madrigalstudie ausführlicher zu beschreiben
versuchten. Seine Entwicklung mit ihren nationalen Verschiedenheiten und
Phasenverschiebungen in den europäischen Hauptliteraturen synoptisch
darzustellen, müßte einmal Ziel einer größeren komparatistischen Untersuchung
werden. Wir werden uns an dieser Stelle auf die Anführung eines zweiten Exempels
beschränken, durch das die Ergebnisse der ersten Vergleichung in einem weiteren
literarhistorischen Zusammenhang kurz überprüft werden können.
Góngora und Sannazaro
Auf Sannazaro geht – wie allgemein bekannt – das folgende Góngorasche
Eifersuchtsonett zurück.
[20]
| ¡Oh niebla del estado más sereno, |
| | furia infernal, serpiente mal nacida! |
| | ¡Oh ponzoñosa víbora escondida |
| | de verde prado en oloroso seno! |
| | | que en vaso de cristal quitas la
vida! |
| | ¡Oh espada sobre mí de un pelo asida, |
| | de la amorosa espuela duro freno! |
| | | vuélvete al lugar triste donde
estabas, |
| | o al reino (si allá cabes) del espanto; |
| | | que comes de ti mesmo y no te
acabas, |
| | mayor debes de ser que el mismo infierno.
[21]
|
|
|
Das Sonett Sannazaros, das Góngora im übrigen nicht unbedingt als
direkte Vorlage gedient haben muß,
[22]
lautet:
| O gelosia, d’amanti orribil freno, |
| | che in un punto mi volgi e tien sì forte, |
| | o sorella de l’empia amara morte, |
| | che con tua vista turbi il ciel sereno; |
| | | di lieti fior, che mie speranze hai
morte, |
| | tra prosperi successi avversa sòrte, |
| | tra soavi vivande aspro veneno; |
| | | o crudel mostro, o pèste de’
mortali, |
| | che fai li giorni miei si oscuri e tristi? |
| | | Infelice paura, a che venisti? |
| | Or non bastava Amor con li suoi strali?
[23]
|
|
|
Eine Gegenüberstellung dieser beiden Sonette offenbart beim frühen
Góngora Punkt für Punkt die gleichen Stiltendenzen, welche der Vergleich mit
Tasso kenntlich gemacht hat. So wird von Góngora das „Ich“ des Autors nur einmal
völlig unakzentuiert an leicht zu übersehender Stelle und eher aus sprachlicher
Verlegenheit ins Spiel gebracht (V. 7:
Oh espada sobre mí de
un pelo asida), während Sannazaro auf petrarkistische Weise die
Schrecken der Eifersucht viermal (V. 2, 6, 11, 12) als persönlich erlittenes
Geschick beklagt.
[24]
Der subjektiv-,,autobiographische“ Zug des Sannazaro-Sonetts zeigt sich
jeweils in den kurzen Relativsätzen, welche als verbale Elemente die nominale
Aufreihung von Metaphern unterbrechen: V. 2:
che in un punto
mi volgi e tien si forte“; V. 6: [...]
che mie
speranze hai morte; V. 11:
che fai li
giorni miei sì
oscuri e tristi. Góngora tilgt diese verbalen Elemente
wieder weitgehend und macht aus der Sonett-Expositio eine fast ununterbrochene
Bildkette, deren nominale Struktur nur durch einen einzigen Relativsatz variiert
wird, welcher überdies nicht zum Ausdruck emotionaler Bewegung dient, sondern
lediglich die Allegorie aus Vers 5 vollendet. Statt der Nebensätze, die bei
Sannazaro den an sich eher demonstrativen Charakter der Eifersucht-Invektive mit
elegisch-bekenntnishaften Zügen vermischen, setzt Góngora neue Glieder zur
Allegorienfolge der Sonett-Expositio. Er übernimmt aus seiner Vorlage das
d’amanti orribil freno, das
serpente
nascosto in dolce seno/ di lieti fior und das,
tra
soavi
vivande aspro veneno – Bilder, die er zum Teil erheblich
amplifiziert
[25]
– und fügt seinerseits die selteneren „kultistischen“ Schwert- und
Henker-Metaphern, (V. 7 u. 9) ein.
Am deutlichsten zeigt sich Góngoras „Epigrammatisierung“ des
Sannazaro-Sonetts, das im übrigen selbst dem Formideal des Epigramms
beträchtlich näher steht als das ausgesprochen anti-epigrammatisch gebaute
Sonett Tassos, an der strukturellen Zweiteilung und an der Pointierung. Die
ausgeprägte Untergliederung des Sonetts in eine Protasis, welche von den beiden
Quartetten und dem ersten Terzett gebildet wird, und in eine Apodosis – die
Pointe des zweiten Terzetts – erreicht Góngora, indem er die drei
Teile der Protasis über ihre natürlichen metrischen Einschnitte hinweg
vereinheitlichend zusammenfaßt. Zu diesem Zweck verbindet er Quartette und
Terzett durch das emphatische
Oh, das er als
anaphorisches Element regelmäßiger, d.h. „symmetrischer“ einsetzt als Sannazaro.
Außerdem gibt er das thematische Wort
celos, das
Sannazaro gleich am Gedichtanfang verwendet, erst im 9. Vers – dem ersten
Terzettvers – preis: ein Kunstgriff, auf den bereits Brockhaus aufmerksam
gemacht hat. „Seine Wirkung ist Geheimnis, Rätselhaftigkeit“
[26]
, vor allem aber dient er als Mittel der Integration von Quartetten und
Terzett. Der Leser sieht sich durch die Aufsparung des erklärenden Begriffs
gezwungen, das Sonett sozusagen in einem Atemzug bis Vers 11 zu lesen, um auf
diese Weise die scharfe Zäsur zum in Vers 12 folgenden „mas“ unfehlbar als
entscheidenden Einschnitt zwischen Expositio und Acumen zu empfinden.
Damit Acumen und Expositio epigrammatisch gegenübergestellt werden,
streicht Góngora natürlich auch die drei elegischen Fragen, die neben den beiden
emphatischen Aufforderungen von Vers 12 (Tòrnati giù, non
raddoppiar miei mali!)dem Sonettabschluß bei
Sannazaro den Charakter kompositorischer Vielheit gaben, in der sich der
Eindruck emotionaler Bewegung mitteilen mochte. Góngora behält nur eine
Aufforderung (V. 10: vuélvete [...]) bei, welche ihm zur
Vorbereitung der intellektuellen Pointe vollauf genügt. Allein im Rahmen dieser
Pointe gelangen wieder verbale Elemente (V. 13: que comes de
ti mesmo y no te
acabas)zu größerer Bedeutung –
nicht als Wiedergabe subjektiven seelischen Geschehens, sondern als Mittel
spielerisch zugespitzter Argumentation. Solch unpersönlich allgemein gehaltene
Argumentation bildet Höhepunkt und Schluß des Gedichts, um die Invektive mit
einer rhetorisch effektvollen Überbietungspointe (Eifersucht ist ein größeres
Übel als die Hölle) affirmativ zu beenden, während Sannazaro sein Gedicht mit
der Häufung banger Fragen noch in persönlich getönter Liebesklage ausklingen
ließ. Die „Korrektur“ petrarkistisch-elegischen Dichtens durch eine
kultistisch-konzeptistische Ästhetik des genus demonstrativum
erweist sich also auch hier als eigentlicher Beweggrund und Stilprinzip der
Góngoraschen Imitatio.
Italienische Parallel- und Gegenbeispiele: Tansillo, Della Casa,
Marino.
Den Anstoß zu einer entschlossenen „Epigrammatisierung“ des
petrarkistischen Sonetts kann der junge Góngora einerseits aus Spanien, etwa von
Fernando de Herrera
[27]
, andererseits aus der italienischen Lyrik selbst erhalten
haben. Es ist in der Tat verblüffend zu sehen, wie die gleichen Formtendenzen,
welche an den frühen Sonetten Góngoras sichtbar werden, auch in Italien seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts den subjektiv-elegischen Charakter der hohen
petrarkistischen Lyrik allmählich verwandeln und auflösen. Einer der ersten
Lyriker des Cinquecento, die in ihre insgesamt noch petrarkistisch orientierte
Sonettdichtung deutliche epigrammatische Strukturelemente einführen, ist Luigi
Tansillo (1510?–1568). Von ihm existiert eine Eifersucht-Invektive, deren
stilistische Durchführung sich zu Sannazaros berühmten Sonett schon ähnlich
verhält wie die Bearbeitung Góngoras:
| O di buon genitore, e di rea madre |
| | Fera mal nata, infame orribil figlia; |
| | Che volgi col terror de le tue ciglia |
| | Di chiari, e lieti in notti triste, ed adre; |
| | | Di sospetti, e d’orror, tua vil
famiglia, |
| | Onde il bel Regno tutto si scompiglia, |
| | E si turba ogni pace al miser padre; |
| | | Al fier capo mille occhi, e mille
orecchi |
| | A nuocer sempre aperti, a giovar chiusi; |
| | | E perche in stato allegro uom non
invecchi, |
| | Ecco che al giogo tuo di novo io torno.
[28]
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Gleich dem Góngora-Sonett ist das Sonett Tansillos epigrammatisch
zweigeteilt, und auch die Zäsur von Protasis und Apodosis befindet sich in
beiden Gedichten an der gleichen Stelle. Tansillo verwendet auffälligerweise
sogar bereits das wesentliche kompositorische Mittel, durch das Góngora die
Quartette und das erste Terzett zur Einheit der Expositio zusammenfügt: er gibt
wie der Spanier den thematischen Begriff Gelosia erst im
neunten Vers preis. Der Nennung des Schlüsselworts geht voran die Apostrophe
einer allegorischen Gestalt, die zunächst unerklärt und rätselhaft bleibt. Die
Bildkette, welche diese im Gegensatz zu Sannazaro und Góngora in sich
konsistente allegorische Figur aufbaut, schließt zwar häufiger als bei Góngora
das verbale Element von Nebensätzen ein; doch dienendie Nebensätze im wesentlichen zur Amplifikation und Erläuterung der
Bilder und enthalten keinen Hinweis auf das „Ich“ des Dichters. Nur im letzten
Terzett wird die unpersönlich demonstrative Invektive nach petrarkistischer
Konvention auf das schmerzliche Liebeserleben des Autors bezogen. Statt mit
einer distanziert-geistreichen Pointe beendet Tansillo sein Gedicht noch mit
elegischer Klage. Solch unpointierter Sonettschluß, der ganz in der Tradition
des orthodoxen Petrarkismus steht, kann jedoch nicht verhüllen, daß das Sonett
insgesamt schon wie ein konzeptistisches Sonett-Epigramm angelegt ist, dessen
Stilkonzeption auch durch Tansillos fast gongorinische Neigung zu komplizierteren antithetischen versos bimembres bestätigt
wird (V. 4: Dì chiari, e lieti in notti triste,
ed adre; V. 11: A nuocer sempre aperti,
a giovar chiusi).
Ungefähr auf der gleichen Linie liegt ein zweites Eifersucht-Sonett
Tansillos, das vor allem durch die Imitatio Du Bellays bekannt geworden ist.
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| O d’invidia, e d’amor figlia sì ria, |
| | Che le gioje del padre volgi in pene, |
| | Cauto Argo al male, e cieca talpa al bene, |
| | Ministra di tormento, Gelosia; |
| | | Che l’altrui dolce rapi, ed avvelene, |
| | Austro crudel, per cui languir conviene |
| | Il più bel fior de la speranza mia; |
| | | Augel di duol, non d’altro mai presago, |
| | Tema, ch’entri in un cor per mille porte; |
| | | Tanto il regno d’Amor sana più vago, |
| | Quanto il mondo senza odio, e senza morte.
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Das Sonett läßt ebenfalls epigrammatische Zweiteiligkeit erkennen, wenn
auch die aufgeschobene Nennung des Schlüsselworts Gelosia
diesmal bereits am Ende des vierten Verses erfolgt. In anderen Punkten
steht es der Manier des frühen Góngora sogar näher als O di
buon genitore, e di rea madre. Die Bildkette der Expositio, die sich
nicht zu einer distinkten allegorischen Figur vereinigt, ist hier ausgedehnter
und besonders in den drei mythologischen Personifikationen (Cauto Argo; Tesifone infernal; fetida Arpia)schon ausgesprochen „kultistisch“ geprägt. Auch bleibt die Conclusio des
zweiten Terzetts in Übereinstimmung mit der Exposìtio unpersönlich demonstrativ:
sie wird zwar noch nicht als eigentliche Pointe zugespitzt, doch immerhin zu
einer sentenzartigen Tanto-quanto-Formulierung gestrafft.
Der Lyrik Tansillos in ihrer stilistischen Konzeption diametral
entgegengesetzt ist die Dichtung Giovanni della Casas (1503–1556), der sich
gleich seinem „Schüler“ Torquato Tasso den Tendenzen der „Epigrammatìsierung“
streng verschließt und das subjektiv-elegische Moment des Petrarkismus im
Gegenteil noch pathetisch zu steigern versucht. Das Verhältnis seines
Eifersucht-Sonetts zu den Gedichten Tansillos ähnelt daher auffällig der
Beziehung zwischen Tasso und Góngora, welche auf diese Weise schon innerhalb der
italienischen Literatur als grundlegende Antinomie von epigrammferner und
epigrammnaher Lyrik vorgeprägt erscheint:
| Cura, che di timor ti nutri e cresci, |
| | e più temendo maggior forza acquisti, |
| | e mentre con la fiamma il gielo mesci, |
| | tutto ‘l regno d’Amor turbi e contristi; |
| | | tutti gli amari tuoi, del
mio cor esci: |
| | torna a Cocito, a i lagrimosi e tristi |
| | campi d’inferno: ivi a te stessa incresci. |
| | | senza sonno le notti, ivi ti duoli |
| | non men di dubbia che di certa pena. |
| | | se ‘l tuo venen m’è corso in ogni
vena, |
| | con nove larve a me ritorni e voli?
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Weit dichter noch als bei Sannazaro verknüpft sich in diesem Sonett,
dessen „struttura sintattico-ritmica“ eindeutig auf Bembos
Speme che gli occhi nostri veli e fasci zurückgeht
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, unpersönliche Invektive mit persönlicher Klage: an entscheidenden Stellen
des Gedichts, zu Beginn des zweiten Quartetts und am Sonettschluß, wird das
„Ich“ des Autors als Subjekt petrarkistischen Liebesleidens jeweils mit
insistenter Wiederholung (V. 5, 6 und V. 13, 14) genannt. Die nominale
Metaphern- und Allegorienkette, die in allen Eifersucht-Sonetten bislang den
ersten Gedichtteil bildete, fehlt nun völlig. Statt den Nomina vertraut Della
Casa die Schärfe der Invektive in ungleich bewegterem Stil den Verba an. Sie
beherrschen mit prädikativen Dopplungen
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das erste Quartett (V. 1:
ti nutri e cresci; V. 4:
turbi e con
tristi) und das
zweite Terzett (V. 14:
ritorni e voli). Seinen
pathetischen Höhepunkt erreicht Della Casas Stil verbaler Energie aber im
Mittelteil des Gedichts, im intensiven Crescendo der Imperative, das sich von
esci (V. 6) über
torna (V.
7),
incresci (V. 8),
mena (V. 9),
ti duoli (V. 10) bis zu
Vattene (V. 12) steigert. Dieser Mittelteil mit seiner sechsfachen
Aufforderung – man vergleiche dazu das einfache
vuélvete
bei Góngora – bildet das strukturelle Zentrum des Sonetts, das von der
thematischen Apostrophe des ersten Quartetts und von der elegischen Frage des
zweiten Terzetts in einer für Della Casas Sonettechnik sehr typischen
dreiteiligen Komposition umschlossen wird. Dabei sind die drei Teile der
Komposition sehr viel weniger deutlich voneinander abgegrenzt als Protasis und
Apodosis in der zweiteiligen Sonettstruktur Tansillos und Góngoras. Der erste
Teil greift durch den kausalen Nebensatz
Poi che ‘n brev’ora
entr’ al mio dolce hai misti/ tutti gli amari tuoi [...] in den zweiten
über, der zweite durch das
Vattene, die letzte Steigerung
der Imperativ-Kette, wiederum in den dritten. Die Rhetorik
dramatisch-pathetischer Asymmetrie, die wir in Tassos
Quel
labro che le rose
han colorito
nachgewiesen haben und die hier besonders im zweiten Quartett mit seinen
Enjambements (vor allem V. 7 f.:
a i lagrimosi e tristi/ campi
d’inferno) und seinen harten Brüchen sichtbar wird, prägt neben den
kleineren Vers- und Satzeinheiten also auch die Gestalt des Gedichts im
Ganzen.
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Die Linie der Entwicklung Sannazaro – Tansillo wird dagegen konsequent
von Giambattista Marino fortgesetzt. Seine Eifersucht-Invektive – das
metaphernreichste unter unseren Vergleichssonetten – lautet:
| Tarlo e lima d’amor, cura mordace |
| | che mi rodi a tutt’ore il cor dolente, |
| | stimolo di sospetto a l’altrui mente, |
| | sferza de l’alme, ond’io non ho mai pace, |
| | | nel più tranquillo mar scoglio
pungente, |
| | nel più sereno ciel nembo stridente, |
| | tósco tra’ fior, tra’ cibi arpia rapace, |
| | | agli occhi di ragion, peste d’Averno, |
| | che la terra avveneni e turbi il cielo, |
| | | vanne a l’ombre d’abisso, ombra di
gelo! |
| | Ma temo non t’aborra anco l’inferno.
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Wie häufig bei Marino hat man hier den Eindruck, daß alle Gestaltungen
des Themas, die dem virtuos-eklektischen Neapolitaner vorlagen, in irgendeiner Einzelheit von ihm ausgenutzt wurden. Auf
Sannazaro (V. 7 f.: tra prosperi successi avversa sòrte,/
tra soavi vivande aspro veneno) können z.B. die
Parallelverse 6 und 7 zurückzuführen sein; gleichfalls von Sannazaro (V. 5 f.:
O serpente nascosto in dolce seno/ di lieti fior [...]; V. 4: che con tua vista turbi
il ciel sereno)kann die Anregung
zu Vers 8 und Vers 11 stammen, die bei Marino bezeichnenderweise
chiastisch-symmetrisch gestaltet werden. Auf Tansillos zweites Eifersucht-Sonett
(V. 5: Tesifone infernal,
fetida Arpia) kann die arpia rapace
aus Vers 8 zurückgehen, und selbst Giovanni della Casas stilistisch ganz
anders geartete Fassung (V. 1: Cura, che di timor ti nutri e
cresci; V. 12: Vattene; a che più fera che non
suoli) scheint in einzelnen lexikalischen Elementen, ìn der cura mordace von Vers 1 und im vanne von Vers 13, präsent zu sein.
Was aber die Formung seines Gedichts im Ganzen betrifft, so geht Marino
durchaus nicht synkretistisch vor. Von der elegischen spätpetrarkistischen
Ästhetik eines Della Casa oder eines Tasso ist bei ihm nichts zu spüren, und
stattdessen hält er sich ausschließlich an die demonstrativ-epigrammatischen
Elemente, die Tansillo und Sannazaro in mehr oder weniger stark ausgeprägten
Ansätzen darbieten. Nur das erste Quartett nennt zweimal das „Ich“ des Dichters:
eine Nennung, die jedoch kaum auf eine „presenza affermata e reale del poeta“
nach petrarkistischer Tradition schließen läßt, sondern eher als ein Mittel
typisch Marinoscher Auftaktemphase erscheint, da sie sich im weiteren Verlauf
des Sonetts nicht wiederholt und über dem stilbestimmenden Interesse an der
konzeptistischen Zuspitzung offensichtlich gleichgültig wird. Konzeptistische
Zuspitzung als vorrangiges Stilinteresse prägt dies Sonett nämlich so intensiv
wie keine andere italienische Eifersucht-Invektive zuvor. Sie ist verantwortlich
für die Reihung von vierzehn Gelosia-Metaphern, die mit
Tarlo e lima d’amor in Vers 1 beginnt und erst mit
ombra di
gelo in Vers 13 endet. Die metaphorischen Figuren Marinos
fallen dabei vor allem durch den Umstand auf, daß sie in sich häufig
antithetisch gebaut sind: wohl nach dem Muster Sannazaros (V. 7 f.) werden die
Parallelverse
| nel più tranquillo mar scoglio pungente, |
| | nel più sereno ciel nembo stridente |
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gebildet, und ähnlich konzeptistisch zusammengesetzt sind die Bilder
| sogno vano d’uom desto, oscuro velo |
| | agli occhi di ragion [...].
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Besonders epigrammhaft wird von Marino die Zweiteiligkeit des Sonetts
akzentuiert. Durch die Ausweitung der Metaphernkette dehnt sich die Expositio
bis zum vorletzten Vers, und erst im letzten Vers, der solcherart
außerordentliches Gewicht bekommt, erfolgt der Umschlag des Acumen. Die finale
Struktur des Epigramms, in welcher der letzte Vers als Pointe Sinn und Ziel
eines Gedichts wird, hat sich hier am wirkungsvollsten der Form des Sonetts
bemächtigt.
Es kann nun keinem Zweifel unterliegen, daß von allen italienischen
Eifersucht-Invektiven, die wir vorgestellt haben, die Marinosche dem Sonett
Góngoras am nächsten steht. Eine verblüffende strukturelle Übereinstimmung zeigt
sich: 1. in Fülle und Umfang der Metapher-Reihungen, die in beiden Gedichten die
Protasis bilden; 2. in der prononcierten Zweiteilung der Sonett-Komposition,
welche jeweils durch eine scharfe Zäsur zwischen Protasis und Apodosis betont
wird; 3. in der Zuspitzung und Pointierung der Apodosis. Sowohl Góngora als auch
Marino bereiten die Pointe des Sonettschlusses jeweils nur durch einen Imperativ
(vuélvete – vanne) vor, und
sogar die Figur der Pointe selbst ist im Grunde bei beiden Sonetten die gleiche.
Góngora erklärt seine Überbietungspointe lediglich noch durch einen erklärenden
Nebensatz, während Marino, dem mehr an der Schnelligkeit des Sonettrhythmus
gelegen ist, auf diese zusätzliche „agudeza“ verzichtet.
Solch überraschende typologische Gemeinsamkeit zwischen der
Stilkonzeption Marinos und der des jungen Góngora kann wohl nicht auf direkter
Beeinflussung des einen Dichters durch den anderen beruhen. Chronologische
Gründe schließen für unser Gedichtpaar eine Abhängigkeit Góngoras von Marino
aus, und Marino wiederum läßt in einigen Detailübernahmen so deutlich das
Gedicht seines Neapolitaner Landsmannes Sannazaro als hauptsächliche Vorlage
erkennen, daß man nicht recht an eine Kenntnis des Góngora-Sonetts glauben mag.
Offenkundig haben wir in der Auflösung des elegischen Petrarkismus durch die
demonstrative Ästhetik des Epigramms eine stilgeschichtliche Tendenz bezeichnet,
die verschiedene humanistisch geprägte, europäische Literaturen parallel erfaßte
und die in Marino wie in Góngora zwei strukturell eng verwandte, doch nicht
unmittelbar voneinander abhängige Exponenten fand.
Während von Marino diese konzeptistische Ästhetik des Epigramms aber
nur in Ansätzen verändert und weiterentwickelt wurde – solche Ansätze sind z.B.
seine
Idilli favolosi und
Idilli
pastorali,die in der Gattungsstruktur Góngoras
Polifemo und
Soledades
entsprechen –, blieb sie bei Góngora nicht mehr als ein Ausgangspunkt für
beständige stilistische wie gedankliche Umformung und Komplikation. So vertieft
der Spanier in späteren Gedichten noch entschieden seine frühe Neigung zum
Nominalstil
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, um sich gleichzeitig von der frühen Vorliebe für symmetrische
versos bimembres zunehmend abzuwenden.
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Diese statistisch abgesicherten Beobachtungen lassen als erste Schritte zu
einer umfassenderen Analyse der Góngoraschen Stilentwicklung deren Richtung in
Grundzügen bereits erkennen: sie führt zu einer immer stärkeren Konzentration
kultistisch-konzeptistischer Elemente (Nominalstil), die jedoch nicht mehr wie
bei Marino ausschließlich der Rhetorik des Epigramms, seiner abgeschliffenen
Konzinnität und seiner behenden Pointierung, gehorchen (
versos
bimembres).
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Marinos leichtem epigrammatischen Konzeptismus tritt beim späteren
Góngora ein dunkler Konzeptismus gegenüber, der in der literarischen Stillage
höher und weitaus schwieriger, in seinem poetischen Resultat aber ungleich
faszinierender erscheint.