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Quelle: Romanistisches Jahrbuch 19 (1968), S. 90–96.

Antipetrarkismus und barocke Lyrik

Bemerkungen zu einer Studie Jörg-Ulrich Fechners

In einem materialreichen Aufsatz hat gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts der italienische Literarhistoriker und Dichter Arturo Graf verschiedene Texte des Cinquecento zusammengestellt, die in erklärter Opposition zur geläufigen Petrarca-Imitatio der volkssprachlichen Liebeslyrik stehen. Es sind Parodien und Travestien petrarkistischer Dichtung oder auch Äußerungen direkter Kritik und offenen Hohns, als deren Autoren zumeist die literarischen Bohémiens („scapigliati“) der Spätrenaissance erscheinen: Pietro Aretino, Niccolò Franco, Francesco Berni, Anton Francesco Grazzini (genannt „Il Lasca“). Um diese Zeugnisse einer vielstimmigen Opposition gegen den Petrarkismus mit einem allgemeinen Begriff in die Geschichte der italienischen Literatur einzuordnen, bediente sich Graf des Terminus „Antipetrarchismo“ [1] .
Wesentliche Motive des antipetrarkistischen Protests waren nach Grafs Übersicht zunächst die unirdisch spiritualisierende Auffassung von der Liebe, wie sie sich in den platonisch beeinflußten Canzonieri des frühen 16. Jahrhunderts darstellte; die Attitüde der sterbensnahen Verzweiflung, welche der tragisch entflammte Liebhaber mit konventioneller Regelmäßigkeit vor der eisigen Sprödheit der Geliebten einzunehmen pflegte; die Idealisierung der Geliebten zur erbarmungslosen Herrin und Feindin des Liebenden. Fast mehr noch aber entzündete sich der Unwille an gewissen stilistischen Eigentümlichkeiten petrarkistischer Lyrik, vor allem an den auffälligen lexikalischen Archaismen (dem „uopo“ und „unquanco“ der Petrarca-Imitatoren) [2] und an der stilisierenden Einschränkung des dichtungswürdigen Vokabulars auf wenige erlesene Wörter und Wortverbindungen. [3]
Bemerkenswert ist nun, daß die meisten der von Graf zitierten Antipetrarkisten Autoren prononciert antihumanistischer Haltung oder Burleskdichter sind. Bis auf wenige Ausnahmen entstammen die Belege der Petrarca-Kritik nicht der „großen“, offiziellen Literatur, der Lyrik des „genus medium“ oder dem seriösen poetologischen Traktat, sondern den niederen, eher unernsten Gattungen: der „lettera familiare“, der Komödie, dem bernesken Capitolo. Offensichtlich entsteht der antipetrarkistische Protest in enger Bindung an ein bestimmtes literarisches Genus: das der „poesia burlesca“, die im 16. Jahrhundert so durchgehend antipetrarkistisch akzentuiert ist wie sie einst bei Cecco Angiolieri antistilnovistisch geprägt war. Pointiert antipetrarkistische Dichtungen sind etwa die witzig-obszönen Madrigale, die Pietro Aretino in seine Ragionamenti eingefügt hat; die Priapea-Sonette Niccolò Francos mit ihren zahllosen parodistischen Petrarca-Zitaten; vor allem aber gewisse Capitoli Francesco Bernis und der sogenannten „Berneschi“, die sich durch mancherlei Anspielungen als Verspottung petrarkistischer Schemata zu erkennen geben. Besonders erwähnenswert unter ihnen erscheinen Giovanni Mauros einst außerordentlich berühmte Priapeen In lode della Fava und In lode del Priapo; Francesco Maria Molzas Capitolo In lode delle Fiche, dem Annibal Caro unter dem Akademiker-Pseudonym „Ser Agresto da Ficaruolo“ einen umfangreichen Kommentar voller Petrarca-Laura-Blasphemien widmete; Lodovico Dolces Capitolo In lode dello Sputo, in dem der Urheber des orthodoxen Petrarkismus, Pietro Bembo, verspottet wird:
Al Bembo puossi dir, felice vui,
che s’impicca l’invidia: e in dubbio è spesso,
s’egli e ‘l Petrarca, o se ‘l Petrarca è lui [4] ;
schließlich Luigi Tansillos Capriccio partito in due satire, nel quale si prova che non si debba amar donna accorta, ein Capitolo, welches das einfache, ungebildete und erotisch gefügige Mädchen gegen die elegante, doch spröde Petrarca-Leserin ausspielt, die „in der Hand den ,Trionfo di Petrarca‘ trägt“,
quel dove santa Laura, pria che parta
dal prete, al qual già venne in visione,
mostra come i favor donna comparta [5] .
Von Anton Francesco Grazzini, der 1548 eine große Anthologie bernesker Lyrik herausgab, wird dieser Dichtungsart überhaupt ein antipetrarkistischer Sinn gegeben. Sie erscheint in seinen Augen als Rettung vor den monotonen Reimereien im Stile Petrarcas und Bembos, als „stil burlesco, giocondo, lieto, amorevole, e [...] buon compagno, [...] avuto in tanta stima, e tenuto in tanta riputazione, e non mica da plebei, ma da uomini Nobili, e da Signori, avendo le Petrarcherie, le squisitezze, e le Bemberie, anzi che nò, mezzo ristucco, e infastidito il mondo, perciocchè ogni cosa è quasi ripieno di fiori, frondi, erbe, ombre, antri, onde, aure soavi“ [6] . Und in der Tat behandelt die burleske Lyrik des Cinquecento in zäher Ausschließlichkeit fast nur das, was man – nach einer hübschen Formulierung Dolces – „auf petrarkistische Art nicht sagen kann“ („che non può dirsi Petrarchevolmente“). Sie entwickelt sich – bei den Nachahmern Bernis noch deutlicher als bei dem Meister selbst – als komische Umkehrung der Dichtung des Petrarkismus, deren Konventionen beharrlich auf den Kopf gestellt werden, deren erlesenes Vokabular idyllischer oder psychologischer Allgemeinheit von einem nicht weniger erlesenen Vokabular niedrig-konkreter Dinglichkeit und deren vergeistigte platonische Liebe von derber Obszönität kontrapunktiert wird. Als Gegenstück zum petrarkesken Manierismus des hohen Stils bildet die italienische Literatur in fast vollkommener Synchronie den bernesken Manierismus des niederen Stils aus: ein Phänomen, das verständlich macht, wie Autoren von der Art Giovanni della Casas, Benedetto Varchis oder Luigi Tansillos sich beliebig bald der „maniera“ des Petrarkismus, bald der „maniera“ des Antipetrarkismus bedienen können
Für die moderne Literaturwissenschaft ist die antipetrarkistische „maniera“ des burlesken Genus trotz der Hinweise Arturo Grafs insgesamt eine unerforschte Region geblieben. Wir wissen zum Beispiel noch nicht genau, in welchem Ausmaß sich diese Manier gleich dem Petrarkismus in den Literaturen Westeuropas ausgebreitet hat. Das heißt: Sind von den Werken Bernis, Mauros und Francos in Deutschland, Frankreich oder Spanien ähnlich intensive Wirkungen ausgegangen wie von denen Bembos und Navageros? Desgleichen bleibt nachzuprüfen, ob der burleske Antipetrarkismus etwa direkt oder indirekt die seriöse petrarkistische Lyrik des „genus medium“ beeinflußt hat, ob seine Neigung zu Wortspielen und rauhem Witz vielleicht die „acutezze“ barocker Dichtung mitzuprägen vermochte.
Die letztere Frage erscheint uns besonders wichtig, da erst 1966 eine Schrift mit dem verheißungsvollen Titel Der Antipetrarkismus – Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik [7] veröffentlicht wurde, welche ihre Zentralbegriffe „barocke Lyrik“ und „Antipetrarkismus“ nur auf Grund eines bemerkenswerten Mißverständnisses zusammenführt. Es ist in dieser Arbeit zwar viel von der Dichtung des deutschen Barock die Rede, kaum jedoch von „Antipetrarchismo“ im Sinne Grafs [8] . Den „Antipetrarkismus“ im Fechnerschen Sinne machen hauptsächlich eine Reihe von Epigrammen und Epithalamien aus: so werden zum Beispiel zahlreiche Übersetzungen Opitzens aus Martial und Ausonius oder ein langes Hochzeitslied des Schlesiers Wenzel Scherffer von Scherfferstein präsentiert. Diese Texte stehen zweifellos außerhalb der petrarkistischen Tradition, die sie im Grunde aber auch gar nicht mehr berühren, weder als petrarkistische Imitatio noch als antipetrarkistische Opposition. Sowohl das Epigramm als auch das Epithalamion besitzt nämlich seine eigene, antik-humanistische Überlieferung, welche die petrarkistische Tradition der volkssprachlichen Lyrik nicht bekämpft, sondern auf einem anderen Gebiet – dem des lateinischen Dichtens – in einer stilistisch und motivlich allerdings ganz verschiedenen Haltung ergänzt. Es ist eine Überlieferung, die auf die griechische Anthologie mit ihren zahllosen erotischen und satirischen Epigrammen, auf Catull und Martial zurückgeht und die ihre dichterischen Höhepunkte etwa bei Pontanus, Marullus oder Johannes Secundus findet. Innerhalb dieser humanistischen Tradition schreibt ein Sannazaro mit natürlicher Selbstverständlichkeit Catull-inspirierte lateinische Basia [9] , die nur sehr wenig seinen eigenen volkssprachlichen Versen nach Art des Petrarca gleichen, wohl aber bereits der berühmten barocken Canzone de’ baci des Cavalier Marino. Ohne leichtfertig zu vereinfachen, kann man sogar sagen, daß dem italienischen Lyriker während des frühen Cinquecento drei verschiedene Manieren des Dichtens zur Verfügung stehen: in der Volkssprache verfaßt er auf der einen Seite petrarkistische Sonette und Kanzonen, auf der anderen Seite antipetrarkistische Capitoli und Sonetti caudati, im Latein dagegen feilt er an Epigrammen, Elegien oder Epithalamien, die weder pro- noch antipetrarkistisch, sondern allenfalls „a-petrarkistisch“ genannt werden dürfen [10] .
Wie die Nähe von Marinos Kußkanzone und Sannazaros lateinischen Basiationes schon andeutete, ereignet sich nun die Auflösung des petrarkistischen Systems zur geistreich-erotischen Barocklyrik hin vor allem aus den Kräften der lateinischen Dichtung des späten Humanismus. Marinos ingeniös pointierte Madrigale und Sonette oder seine Epitalami mit ihren wollüstig detaillierten, doch alles Burlesk-Obszöne meidenden Liebesanweisungen sind dem rüden Antipetrarkismus eines Berni so fern wie dem blassen Petrarkismus eines Bembo. Deutlich jedoch weisen sie auf „a-petrarkistische“ Dichtung zurück, auf die „brevitas“ und „argutia“ der Epigrammatik von Martial bis Julius Cäsar Scaliger oder auf das „lepos“ der „carmina nuptialia“ aus Pontanos De amore coniugali. Die traditionellen volkssprachlichen Formen des Sonetts, der Kanzone und des Madrigals werden schon im Laufe des 16. Jahrhunderts immer mehr zu inneren Wandlungen gezwungen, um sich dem Vorbild antik-humanistischer Formen anzupassen: der Ode zum Beispiel und vor allem dem Epigramm, das einen außerordentlichen Einfluß auf die kleineren lyrischen Genera ausübt. Fechner stellt diesen Prozeß der Epigrammatisierung, der mit dem Begriff des „Antipetrarkismus“ überhaupt nichts mehr zu tun hat, in einem erstaunlich fehlerhaften Kapitel [11] als eine „Vermischung der Formen“ zwischen „Sonett-Epigramm-Madrigal“ dar, ja sogar als eine „Durchbrechung der normativen Gattungsgrenzen“, wie sie für den barocken „Antipetrarkismus“ typisch sei. Voraussetzung für eine solche „Mischung“ der Gattungen wäre, daß Epigramm, Sonett und Madrigal in den Volkssprachen als alternative metrische Formen nebeneinander stünden, die auf gleicher Ebene getrennt oder gemischt werden könnten. In Wahrheit sieht das Verhältnis dieser Formen untereinander aber ganz anders aus. Das Epigramm auf der einen Seite ist eine metrisch nicht festgelegte Form [12] antiker Herkunft, die in den Volkssprachen durch verschiedene metrisch festgelegte Formen wiedergegeben werden kann. Sonett und Madrigal auf der anderen Seite sind metrisch mehr oder weniger festgelegte Formen volkssprachlicher Herkunft, die sich wegen ihrer Kürze zur Aufnahme des Epigramms in die volkssprachliche Lyrik besonders gut eignen. Wenn Madrigal und Sonett als italienische oder französische Epigramme aufgefaßt werden, so bedeutet das folglich nicht Formen- oder Gattungsmischung. Es handelt sich vielmehr um die neuartige Ausrichtung volkssprachlicher Formen an einem antik-humanistischen Gattungsmodell, das durch seinen „Argutia“-Charakter auf die präbarocke und barocke Lyrik außerordentlich attraktiv wirken mußte.
So läßt sich die Auflösung des Petrarkismus und die Ausbildung des Marinismus in Italien durchaus darstellen als die allmähliche Einschmelzung der lateinischen Dichtungstradition in die zuvor ganz von Petrarca und Bembo geprägte volkssprachliche Lyrik. Die lateinische Dichtung, a-petrarkistisch in ihrer bewußt agnostischen Haltung dem großen Trecentisten gegenüber, vermacht der volkssprachlichen Lyrik sowohl ihre Form als auch ihren Sinn; das epigrammatische Ideal der „acutezza“ und den erotischen Hedonismus. Von der antipetrarkistischen Literatur des burlesken Genus dagegen gehen – verglichen mit der lateinischen Lyrik – nur sehr wenig präbarocke Wirkungen auf die seriöse Dichtung des „genus medium“ aus. Die Kunst Francesco Bernis betrachtet Marino lediglich als eine verächtliche „Musa sudicia e buffona“ [13] . Ihre Bedeutung für die barocke Lyrik scheint allenfalls indirekter, nicht direkter Natur zu sein; sie ist schon zur Zeit der höchsten Geltung Pietro Bembos und seiner Schule ein erstes Symptom für Erschöpfung und Überdruß an den abstrakten Formeln des Petrarkismus, nicht aber selbst eine formende Kraft, die zur Genesis der neuen Liebesdichtung Wesentliches beitrüge.
1 Vgl. Arturo Graf, Petrarchismo e Antipetrarchismo, in: ders., Attraverso il Cinquecento, Torino 21926, S. 3–86.
2 In einem Brief vom 28. August 1537 warnt Aretino Giovanni Pollastra vor allzu serviler Petrarca-Nachahmung (Pietro Aretino, Il primo libro delle lettere, Bari 1913, S. 215): „Sterpate da le composizioni vostre i ternali del Petrarca; e, poiché non vi piace di caminare per sí fatte strade, non tenete in casa vostra i suoi ,unquanchi‘, i suoi ‚soventi‘ e il suo ‚ancide‘, stitiche superstizioni de la lingua nostra, e, nel replicare l’istorie e i nomi discritti da lui, alontanativigli più che potete, perché son cose troppo trite.“ Das archaische „unquanco“, „uopo“ und „ancide“ wird gleichfalls lächerlich gemacht in dem parodistischen Fatras, den der Prologo zu Aretinos Komödie Il Marescalco verlauten läßt (Pietro Aretino, Teatro, Bd. I, Lanciano 1914, S. 6): „Spettatori, snello ama unquanco, e per mezzo di scaltro a sé sottragge quinci e quindi uopo, in guisa che a le aurette estive gode de lo amore di invoglia, facendo restio sovente, che su le fresche erbette al suono de’liquidi cristalli cantava l’oro, le perle e l’ostro di colei che lo ancide.“ Auch in Bernis berühmtem Capitolo über Michelangelo wird die Kritik an den Petrarkisten mit einem parodistischen „unquanco“ eingeleitet (Francesco Berni, Poesie e prose, Genève–Firenze 1934, S. 168): „Tacete unquanco, pallide viole,/ E liquidi cristalli e fiere snelle;/ E’ dice cose, e voi dite parole.“
3 Besonders häufig fällt um die Mitte des 16. Jahrhunderts das idyllische Vokabular des Petrarkismus, „fiori, frondi, erbe, ombre, antri, onde, aure soavi“, der Lächerlichkeit anheim. So heißt es etwa in Niccolò Francos Risposta della Lucerna von 1538 (zitiert nach A. Sorrentino, Francesco Berni Poeta della Scapigliatura del Rinascimento, Firenze 1933, S. 7): „Me ne vo ai Librai, per sollazzarmi, perché sempre rido quando leggo le cose altrui [...] Veggo il Petrarca commentato [...] il Petrarca imbrodolato, il Petrarca tutto rubato. II Petrarca temporale, il Petrarca spirituale [...] Veggo, in un batter d’occhio, monti, colli, poggi, campagne, pianure, mari, fiumi, fonti, onde, rivi, gorghi, prati, fiori, fioretti, rose, erbe, frondi, sterpi, valli, piagge, aure, venti, liti, scogli, sponde, cristalli, fiere, augelli, pesci, serpi, greggi, armenti, spelunche, tronchi, uomini, dei, stelle, paradiso, cielo, luna, aurora, sole, angeli, ombre e nebbie.“ – Eine ganz ähnliche Aufzählung des preziösen Vokabulars der petrarkistischen Idylle bietet Anton Francesco Doni in einer Szene seiner Mondi. Vgl. A. Graf, a.a.O. S. 57f.
4 Il primo libro dell’opere burlesche, Usecht al Reno (appresso Jacopo Broedelet) 1771, S. 371.
5 Luigi Tansillo, Capitoli giocosi e satirici, Napoli 1870, S. 163.
6 Il primo libro, a.a.O. S. VIIf.
7 Jörg-Ulrich Fechner, Der Antipetrarkismus – Studien zur Liebessatire in barocker Lyrik (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Dritte Folge, Band 2), Heidelberg, 1966.
8 Der am Antipetrarkismus interessierte Leser beginnt bereits nach der Lektüre der ersten drei Seiten zu stutzen, auf denen Fechner, dem es erklärtermaßen um die „Westeuropäische Einheit des Antipetrarkismus“ zu tun ist, Opitzens berühmtes parodistisches Sonett Du schöne Tyndaris, wer findet deines gleichen vorstellt, ohne zu vermerken, daß es sich hierbei um eine Abwandlung von Bernis Sonetto alla sua Donna („Chiome d’argento fino, irte e attorte“)“ und dessen französischer Imitatio, Du Bellays beaux cheveux d’argent mignonnement retors! (Les Regrets 91), handelt. Francesco Berni, die Zentralfigur des italienischen Antipetrarkismus, wird in dem Buch rätselhafterweise sogar nicht ein einziges Mal erwähnt. Offenbar hat Fechner Berni erst nach Vollendung seiner Dissertation kennengelernt, denn in einem neueren Aufsatz (Von Petrarca zum Antipetrarkismus. Bemerkungen zu Opitz’ „An eine Jungfraw“, in Euphorion 62 [1968] S. 54–71) macht er sowohl auf Bernis burleskes Sonett als auch auf die französischen Nachbildungen von Mellin de Saint-Gelais und Joachim du Bellay aufmerksam (ebda. S. 70). Obwohl dieser Aufsatz – eine sehr exakte Quellenstudie zu Opitz’ tatsächlich antipetrarkistischem „carmen“ VMb alles Gut und Gelt in diesem gantzen Lande – unvergleichlich sorgfältiger dokumentiert ist als das Antipetrarkismus-Buch, bleiben auffällige literarhistorische Mißverständnisse auch hier bestehen. Vor allem scheint in Fechners Sicht das „gleichzeitige Nebeneinander petrarkistischer und antipetrarkistischer Inhalte“ als ein Phänomen aufgefaßt zu werden, das in besonderem Maße die deutschte Dichtung des 17. Jahrhunderts charakterisiert (vgl. ebda. S. 54), während es in Wahrheit doch schon viel ausgeprägter in der volkssprachlichen Lyrik des Cinquecento, in ihrer Dichotomie von „maniera petrarchesca“ und „maniera bernesca“, vorgeformt ist.
9 So z. B. die lesenswerten Hendecasyllabi Ad Ninam: „Sexcentas, Nina, da, precor roganti“. Vgl. Poeti latini del Quattrocento, a cura di Francesco Arnaldi, Lucia Gualdo Rosa, Liliana Monti Sabia, Milano–Napoli, o. J., S. 1150f.
10 Ein stilgewandter Autor wie Francesco Maria Molza schrieb auch wirklich in allen drei Manieren mit gleicher Glätte und Eleganz.
11 Ungenauigkeiten und Mißverständnisse häufen sich in fast kurioser Weise auf den Seiten 110–112. Da erfährt der verdutzte Leser, daß das Sonett im Italien des ausgehenden 15. Jahrhunderts „formalen Wandlungen“ unterworfen worden sei und bei Cariteo und Serafino eine „Strambotto-Form“ ausgebildet habe. In Wahrheit existieren in der Dichtung des späten Quattrocento Sonett und Strambotto selbstverständlich als zwei klar unterschiedene Formen nebeneinander, ohne sich zu einer „Strambotto-Form“ des Sonetts zu vermengen. Von Bembo sei dann die „Mode der Strambottisten“ – offenbar also das imaginäre Strambotto-Sonett – wieder rückgängig gemacht worden; geblieben sei dem Sonett aber – schon bei Bembo! – die pointierende Ausrichtung auf das Acumen des Schlusses, „eine Form, die es in die Nähe des Epigramms rückte“. In Wahrheit jedoch ereignet sich die strukturelle Epigrammatisierung des Sonetts gewiß noch nicht in der orthodoxen Petrarca-Imitation Bembos, sondern erst allmählich im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts, in Italien etwa bei den Neapolitanern Angelo di Costanzo und Luigi Tansillo oder später bei Luigi Groto und Battista Guarini, in Spanien bei Herrera und dem jungen Góngora. Unerfindlich bleibt, weshalb das dem epigrammatischen Formideal von „brevitas“ und „argutia“ (Scaliger) angeglichene Sonett europäische Bedeutung speziell „durch die Dichtung und Schule des Du Bellay“ erhalten haben soll. Ronsard könnte dies Verdienst ebensogut zugeschrieben werden wie manchen italienischen Lyrikern der Jahrhundertmitte. Ganz abwegig erscheint uns die Behauptung, daß das „Vordringen des Madrigals“ in die deutsche Dichtung und Dichtungslehre „dem Nachlassen des italienischen Einflusses entspricht“. Gerade in der spärlichen Madrigalistik des schlesischen Spätbarock zeigt sich deutlich und überdeutlich die ungeschmälerte Wirkung eines Guarini oder Marino, und es genügt, einmal flüchtig die alte Cysarzsche Anthologie zu durchblättern, um auf Madrigale zu stoßen, die peinlich genau italienischen Vorbildern nachgeschrieben sind. Man vergleiche zum Beispiel Gottlieb Stolles Madrigal Es satzte Flavia sich in das grüne gras (Hoch- und Spätbarock, hrsgg. v. Herbert Cysarz, Leipzig 1937, S. 269) mit Marinos Mentre Lidia premea (Marino e i Marinisti, a cura di G. G. Ferrero, Milano–Napoli 1954, S. 361). Nicht weniger verwunderlich mutet die Definition des Madrigals an, die Fechner ausgerechnet dem Art poétique français des P. de Laudun d’Aigaliers entnimmt: sie trifft auf keines der vielen tausend Cinquecentomadrigale von Bembo bis Marino, Sablière und Stolle zu, sondern gilt ausschließlich für das Sonett-Madrigal Pierre de Ronsards, eine sonderbare, in ihrer Genesis noch nicht geklärte metrische Form, deren literarhistorische Bedeutung im Vergleich zum normalen Cinquecentomadrigal verschwindend gering bleibt. Die vielfältigen Probleme, die Gestalt und Geschichte des Madrigals aufgeben, werden im übrigen in unserer Dissertation Das Madrigal Zur Stilgeschichte der italienischen Lyrik zwischen Renaissance und Barock behandelt, die 1969 im Verlag Gehlen, Bad Homburg v. d. H.–Berlin–Zürich, erscheinen wird.
12 Alle Dichtungstheoretiker des 16. und 17. Jahrhunderts erklären einmütig, daß die Wahl des Metrums im Epigramm frei bleibt. Vgl. z. B. J. C. Scaliger, Poetices libri septem, Lugduni 1561, S. 170: „tot versuum generibus [epigrammata] explicantur, quot sunt versuum genera.“ Oder T. Correa, De toto eo Poematis genere, Venetiis 1569, S. 29: „Nullum est versuum genus quo epigramma non constet.“
13 G. B. Marino, La Galeria, Venezia 31630, S. 245.
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