Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

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Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, 1807

Friedrich W. J. Schelling

Quelle

Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: "Ueber das Verhältniss der bildenden Künste zu der Natur. Eine Rede zur Feier des 12ten Oktobers als des allerhöchsten Namensfestes Seiner Königlichen Majestät von Baiern gehalten in der öffentlichen Versammlung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München", in: Walter Jaeschke (Hrsg.): Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795-1805). Mit Texten von Humboldt, Jacobi, Novalis, Schelling, Schlegel u.a. und Kommentar. Philosophisch-literarische Streitsachen. Bd. 1. Hamburg: Felix Meiner Verlag 1999, S. 342-366. ISBN: 3-7873-1390-7.

Erstausgabe

Ueber das Verhältniß der bildenden Künste zu der Natur. Eine Rede zur Feier des 12ten Oktobers als des allerhöchsten Namensfestes Seiner Königlichen Majestät von Baiern gehalten in der öffentlichen Versammlung der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München. Akademierede vom Oktober 1807. München: Philipp Krüll – Universitätsbuchhändler zu Landshut 1807, S. 341-396.

Genre

Rede

Medium

Literatur

[342] […] Denn es soll die bildende Kunst, nach dem ältesten Ausdruck, eine stumme Dichtkunst seyn. Der Erfinder dieser Erklärung wollte damit ohne Zweifel dieses sagen: sie soll, gleich jener, geistige Gedanken, Begriffe, deren Ursprung die Seele ist, aber nicht durch die Sprache, sondern wie die schweigende Natur durch Gestalt, durch Form, durch sinnliche, von ihr unabhängige Werke ausdrücken. Die bildende Kunst steht also offenbar als ein thätiges Band zwischen der Seele und der Natur, und kann nur in der lebendigen Mitte zwischen beyden erfaßt werden. Ja, da sie das Verhältniß zu der Seele mit jeder andern Kunst und namentlich der Poesie gemein hat, so bleibt die, wodurch sie mit der Natur verbunden und eine dieser [343] ähnliche hervorbringende Kraft seyn soll, als die ihr allein eigenthümliche zurück: nur auf diese kann also auch eine Theorie sich beziehen, die für den Verstand befriedigend, für die Kunst selbst fördernd und ersprießlich seyn soll.

Wir hoffen daher, indem wir die bildende Kunst im Verhältniß zu ihrem wahrhaften Vorbild und Urquell, der Natur, betrachten, einiges noch nicht Erkannte zu ihrer Theorie beytragen zu können, einige genauere Bestimmungen oder Aufhellungen von Begriffen zu geben; vornämlich aber den Zusammenhang des ganzen Gebäudes der Kunst in dem Licht einer höheren Nothwendigkeit erscheinen zu lassen.

Aber hat denn die Wissenschaft dieses Verhältniß nicht von jeher erkannt? ist nicht sogar alle Theorie neuerer Zeit von dem bestimmten Grundsatz ausgegangen, daß die Kunst die Nachahmerin der Natur seyn solle? Wohl war dem so: aber was sollte dieser weite allgemeine Grundsatz dem Künstler frommen bey der Vieldeutigkeit des Begriffs der Natur und da es von dieser fast so viele Vorstellungen als verschiedene Lebensweisen giebt. Ist sie doch dem einen nichts mehr, als das todte Aggregat einer unbestimmbaren Menge von Gegenständen, oder der Raum, in den er sich die Dinge wie in ein Behältniß gestellt denkt; dem andern nur der Boden, von dem er seine Nahrung und Unterhalt zieht: dem begeisterten Forscher allein die heilige, ewig schaffende Urkraft der Welt, die alle Dinge aus sich selbst erzeugt und werkthätig hervorbringt. Eine hohe Bedeutung hatte jener Grundsatz wohl, wenn er die Kunst dieser schaffenden Kraft nacheifern lehrte: aber in welchem Sinne er gemeint war, kann kaum zweifelhaft seyn, wenn man den allgemeinen Zustand der Wissenschaft in der Zeit seiner ersten Entstehung kennt. Sonderbar genug, wenn eben die, welche alles Leben der Natur verläugnet, es in der Kunst zur Nachahmung aufstellen! Ihnen konnten die Worte des tiefsinnigen Mannes gelten: Eure lügnerische Philosophie hat die Natur aus dem Wege geräumt, und warum fodert ihr, daß wir sie nachahmen? damit ihr das Vergnügen erneuern könnt, an den Schülern der Natur dieselbe Gewaltthat auszuüben?1

Nicht bloß ein stummes, ein völlig todtes Bild war ihnen die Natur, dem auch innerlich kein lebendiges Wort eingebohren war: ein hohles Gerüste von Formen, von dem ein eben so hohles Bild auf die Leinwand übergetragen oder in Stein ausgehauen werden sollte. Dieß war die rechte Lehre jener älteren roheren Völker, die, da sie in der Natur nichts Göttliches sahen, Götzen aus ihr hervorholten; indeß den sinnbegabten Hellenen, welche überall die Spur lebendig wirkenden Wesens fühlten, aus der Natur wahrhafte Götter entstanden.

Und sollte denn der Schüler der Natur alles in ihr ohne Unterschied und von jedem jedes nachahmen? Nur schöne Gegenstände und auch von diesen nur das Schöne und Vollkommne soll er wiedergeben. So wurde der Grundsatz näher bestimmt, aber ebendamit behauptet: in der Natur sey das Vollkommne mit Unvollkommnem gemischt, das Schöne mit Unschönem. Wie sollte nun der, dem zu der Natur kein andres Verhältniß als das dienstbarer Nachahmung zukam, das eine von dem andern unterscheiden? Die Art der Nachahmer ist, daß sie die Fehler ihres Urbildes eher und leichter als seine Vorzüge sich aneignen, weil jene faßlichere Handhaben und Merkzeichen darbieten; und so sehen wir auch, daß von Nachahmern der Natur in diesem Sinn das Häßliche öfter und selbst mit mehr Liebe nachgeahmt worden ist, als das Schöne. Wenn wir die Dinge nicht auf das Wesen in ih[344]nen ansehen, sondern auf die leere, abgezogne Form, so sagen sie auch unserm Innern nichts; unser eignes Gemüth, unsern eignen Geist müssen wir daransetzen, daß sie uns antworten. Was ist aber die Vollkommenheit jedes Dings? Nichts anders, denn das schaffende Leben in ihm, seine Kraft dazuseyn. Nie also wird dem, welchem die Natur überhaupt als Todtes vorschwebt, jener tiefe dem chemischen ähnliche Proceß gelingen, wodurch, wie im Feuer geläutert, das reine Gold der Schönheit und Wahrheit hervorgeht.

Nichts geändert in der Hauptansicht dieses Verhältnisses würde auch da, als man anfieng, das Ungenügende jenes Grundsatzes allgemeiner zu empfinden. Nichts selbst durch die herrliche Stiftung neuer Lehre und Erkenntniß durch Johann Winkelmann [sic]. Zwar er setzte die Seele in der Kunst in ihre ganze Wirksamkeit wieder ein, und erhob sie von der unwürdigen Abhängigkeit in das Reich geistiger Freiheit. Lebhaft bewegt durch die Schönheit der Formen in den Bildungen des Alterthums lehrte er, daß Hervorbringung idealischer und über die Wirklichkeit erhabner Natur sammt dem Ausdruck geistiger Begriffe die höchste Absicht der Kunst sey.

Untersuchen wir aber, in welchem Sinne von dem größten Theil jenes Uebertreffen der Wirklichkeit durch die Kunst verstanden worden: so findet sich, daß auch mit dieser Lehre die Ansicht der Natur als bloßen Produkts, der Dinge als eines leblosen Vorhandenen fortbestand, und die Idee einer lebendigen, schaffenden Natur dadurch keineswegs geweckt wurde. So konnten denn auch jene idealischen Formen durch keine positive Erkenntniß ihres Wesens belebt seyn; und waren die der Wirklichkeit todt für den todten Betrachter, so waren es jene nicht minder; war von den letzten keine selbstthätige Hervorbringung möglich, so auch nicht von den ersten. Der Gegenstand der Nachahmung wurde verändert, die Nachahmung blieb. An die Stelle der Natur traten die hohen Werke des Alterthums, von denen die Schüler die äussere Form abzunehmen sich befleissigten, doch ohne den Geist, der sie erfüllet. Jene sind aber eben so unnahbar, ja sie sind unnahbarer als die Werke der Natur, sie lassen dich kälter noch als jene, wenn du nicht das geistige Auge hinzubringst, die Hülle zu durchdringen, und die wirkende Kraft in ihnen zu empfinden.

Von der andern Seite erhielten zwar die Künstler seit dieser Zeit einen gewissen idealischen Schwung und Vorstellungen einer über die Materie erhabnen Schönheit, aber diese Vorstellungen waren wie schöne Worte, denen die Thaten nicht entsprechen. Hatte früherer Kunstgebrauch Körper ohne Seele erzeugt, so lehrte diese Ansicht nur das Geheimniß der Seele, aber nicht das des Körpers. Die Theorie war, wie es zu geschehen pflegt, mit einem raschen Schritte auf die entgegengesetzte Seite hinübergetreten, aber die lebendige Mitte hatte sie noch nicht gefunden.

Wer kann sagen, daß Winkelmann die höchste Schönheit nicht erkannt? Aber sie erschien bey ihm nur in ihren getrennten Elementen, auf der einen Seite als Schönheit, die im Begriff ist und aus der Seele fließt, auf der andern als die Schönheit der Formen. Welches thätig wirksame Band bindet nun aber beyde zusammen, oder durch welche Kraft wird die Seele sammt dem Leib, zumal und wie mit Einem Hauche geschaffen? Liegt dieses nicht im Vermögen der Kunst, wie der Natur, so vermag sie überhaupt nichts zu schaffen. Dieses lebendige Mittelglied [345] bestimmte Winkelmann nicht; er lehrte nicht, wie die Formen von dem Begriff aus erzeugt werden können. So gieng die Kunst zu jener Methode über, die wir die rückschreitende nennen möchten, weil sie von der Form zu dem Wesen strebt. Aber so wird das Unbedingte nicht erreicht: durch bloße Steigerung des Bedingten wird es nicht gefunden. Darum zeigen solche Werke, die ihren Anfang von der Form genommen haben, bey aller Bildung von Seiten der letzten als Merkmal ihres Ursprungs eine unausfüllbare Leere an eben der Stelle, wo wir das Vollendende, Wesentliche, Letzte erwarten. Das Wunder, wodurch das Bedingte zum Unbedingten gehoben, das Menschliche ein Göttliches werden sollte, bleibt aus; der magische Kreis ist gezogen, aber der Geist, der sich in ihm fassen sollte, erscheint nicht, unfolgsam dem Rufe dessen, der eine Schöpfung durch die bloße Form für möglich hielt.

Ferne sey es von uns, hiemit den Geist des vollendeten Mannes selbst tadeln zu wollen, dessen ewige Lehre und Offenbarung des Schönen mehr die veranlassende als die bewirkende Ursache dieser Richtung der Kunst wurde! Heilig wie das Gedächtniß allgemeiner Wohlthäter bleibe uns sein Andenken! Er stand in erhabener Einsamkeit, wie ein Gebirg, durch seine ganze Zeit: kein antwortender Laut, keine Lebensregung, kein Pulsschlag im ganzen weiten Reiche der Wissenschaft, der seinem Streben entgegenkam.2 Als seine wahren Genossen kamen, da eben wurde der Treffliche dahingerafft. Und dennoch hat er so Großes gewirkt! Er gehört durch Sinn und Geist nicht seiner Zeit, sondern entweder dem Alterthum an, oder der Zeit, deren Schöpfer er wurde, der gegenwärtigen. Er gab durch seine Lehre die erste Grundlage jenem allgemeinen Gebäude der Erkenntniß und Wissenschaft des Alterthums, das spätere Zeiten aufzuführen begonnen haben. Ihm zuerst ward der Gedanke, die Werke der Kunst nach der Weise und den Gesetzen ewiger Naturwerke zu betrachten, da vor und nach ihm alles andere Menschliche als Werk gesetzloser Willkühr angesehen und dem gemäß behandelt wurde. Sein Geist war unter uns wie eine von sanften Himmelsstrichen herwehende Luft, die den Kunsthimmel der Vorzeit uns entwölkte, und die Ursache ist, daß wir jetzt mit klarem Aug und durch keine Umnebelung verhindert die Sterne desselben erblicken. Wie hat er die Leere seiner Zeit empfunden! Ja, hätten wir keinen andern Grund, als sein ewiges Gefühl der Freundschaft und die unauslöschliche Sehnsucht ihres Genusses, so wäre diese Rechtfertigung genug für das Wort der Bekräftigung geistiger Liebe gegen den Vollendeten, den Mann klassischen Lebens und klassischen Wirkens. Und hat er außer jener noch eine andere Sehnsucht empfunden, die ihm nicht gestillt wurde, so ist es die nach innigerer Erkenntniß der Natur. Er selbst äussert in den letzten Lebensjahren wiederholt vertrauten Freunden, seine letzten Betrachtungen würden von der Kunst auf die Natur gehen;3 gleichsam vorempfindend den Mangel und daß ihm fehlte, die höchste Schönheit, die er in Gott fand, auch in der Harmonie des Weltalls zu erblicken.

Die Natur tritt uns überall zuerst in mehr oder weniger harter Form und Verschlossenheit entgegen. Sie ist wie die ernsthafte und stille Schönheit, die nicht durch schreyende Zeichen die Aufmerksamkeit reitzt, nicht das gemeine Auge anzieht. Wie können wir jene scheinbar harte Form geistig gleichsam schmelzen, daß die lautre Kraft der Dinge mit der Kraft unseres Geistes zusammenfließt, und aus beiden nur Ein Guß wird? Wir müssen über die Form hinausgehen, um sie selbst [346] verständlich, lebendig und als wahrhaft empfundene wiederzugewinnen. Betrachtet die schönsten Formen, was bleibt übrig, wenn ihr das wirkende Princip aus ihnen hinweggedacht habt? Nichts als lauter unwesentliche Eigenschaften, dergleichen Ausdehnung und räumliches Verhältniß sind. Daß ein Theil der Materie neben und ausser dem andern ist, trägt dieß irgend etwas zu seiner innern Wesenheit bey, oder trägt es vielmehr gar nichts bey? Offenbar das letzte. Nicht das Nebeneinanderseyn macht die Form, sondern die Art desselben: diese aber kann nur durch eine positive, dem Außereinander vielmehr entgegenwirkende, Kraft bestimmt seyn, welche die Mannichfaltigkeit der Theile der Einheit eines Begriffs unterwirft, von der Kraft an, die im Krystall wirkt, bis zu der, welche wie ein sanfter magnetischer Strom in menschlichen Bildungen den Theilen der Materie eine solche Stellung und Lage unter einander giebt, durch welche der Begriff, die wesentliche Einheit und Schönheit sichtbar werden kann.

Aber nicht bloß als thätiges Princip überhaupt, als Geist und werkthätige Wissenschaft muß uns das Wesen in der Form erscheinen, damit wir es lebendig fassen. Kann doch alle Einheit nur geistiger Art und Abkunft seyn, und wohin trachtet alle Erforschung der Natur, wenn nicht dahin, selbst Wissenschaft in ihr zu finden? Denn das, worin kein Verstand wäre, könnte auch nicht Vorwurf des Verstandes seyn, das Erkenntnißlose selbst nicht erkannt werden. Die Wissenschaft, durch welche die Natur wirkt, ist freylich keine der menschlichen gleiche, die mit der Reflexion ihrer selbst verknüpft wäre: in ihr ist der Begriff nicht von der That, noch der Entwurf von der Ausführung verschieden. Darum trachtet die rohe Materie gleichsam blind nach regelmäßiger Gestalt, und nimmt unwissend rein stereometrische Formen an, die doch wohl dem Reich der Begriffe angehören, und etwas Geistiges sind im Materiellen. Den Gestirnen ist die erhabenste Zahl und Meßkunst lebendig eingebohren, die sie, ohne einen Begriff derselben, in ihren Bewegungen ausüben. Deutlicher, obwohl ihnen selbst unfaßlich, erscheint die lebendige Erkenntniß in den Thieren, welche wir darum, wandeln sie gleich besinnungslos dahin, unzählige Wirkungen vollbringen sehen, die viel herrlicher sind, als sie selbst: den Vogel, der von Musik berauscht in seelenvollen Tönen sich selbst übertrifft, das kleine Kunstbegabte Geschöpf, das ohne Uebung und Unterricht leichte Werke der Architektur vollbringt, alle aber geleitet von einem übermächtigen Geist, der schon in einzelnen Blitzen von Erkenntniß leuchtet, aber noch nirgends als die volle Sonne, wie im Menschen, hervortritt.

Diese werkthätige Wissenschaft ist in Natur und Kunst das Band zwischen Begriff und Form, zwischen Leib und Seele. Jedem Ding stehet ein ewiger Begriff vor, der in dem unendlichen Verstande entworfen ist: aber wodurch gehet dieser Begriff in die Wirklichkeit und die Verkörperung über? Allein durch die schaffende Wissenschaft, welche mit dem unendlichen Verstande eben so nothwendig verbunden ist, wie in dem Künstler das Wesen, welches die Idee unsinnlicher Schönheit faßt, mit dem, welches sie versinnlicht darstellt. Ist derjenige Künstler glücklich zu nennen und vor allen lobenswerth, dem die Götter diesen schaffenden Geist verliehen haben, so wird das Kunstwerk in dem Maße trefflich erscheinen, in welchem es uns diese unverfälschte Kraft der Schöpfung und Wirksamkeit der Natur wie in einem Umrisse zeigt.

[347] Schon längst ist eingesehen worden, daß in der Kunst nicht alles mit dem Bewußtseyn ausgerichtet wird, daß mit der bewußten Thätigkeit eine bewußtlose Kraft sich verbinden muß, und daß die vollkommne Einigkeit und gegenseitige Durchdringung dieser beyden das Höchste der Kunst erzeugt. Werke, denen dieß Sigel bewußtloser Wissenschaft fehlt, werden durch den fühlbaren Mangel an selbstständigem von dem Hervorbringenden unabhängigem Leben erkannt, da im Gegentheil, wo diese wirkt, die Kunst ihrem Werk mit der höchsten Klarheit des Verstandes zugleich jene unergründliche Realität ertheilt, durch die es einem Naturwerk ähnlich erscheint.

Die Lage des Künstlers gegen die Natur sollte oft durch den Ausspruch klar gemacht werden, daß die Kunst um dieses zu seyn sich erst von der Natur entfernen müsse, und nur in der letzten Vollendung zu ihr zurückkehre. Der wahre Sinn desselben scheint uns kein anderer seyn zu können, als folgender. In allen Naturwesen zeigt sich der lebendige Begriff nur blind wirksam: wäre er es auf dieselbe Weise im Künstler, so würde er sich von der Natur überhaupt nicht unterscheiden. Wollte er sich aber mit Bewußtseyn dem Wirklichen ganz unterordnen, und das Vorhandene mit knechtischer Treue wiedergeben: so würde er wohl Larven hervorbringen, aber keine Kunstwerke. Er muß sich also vom Produkt oder vom Geschöpf entfernen, aber nur um sich zu der schaffenden Kraft zu erheben, und diese geistig zu ergreifen. Hiedurch schwingt er sich in das Reich reiner Begriffe; er verläßt das Geschöpf; um es mit tausendfältigem Wucher wiederzugewinnen, und in diesem Sinn allerdings zur Natur zurückzukehren. Jenem im Innern der Dinge wirksamen durch Form und Gestalt nur wie durch Sinnbilder redenden Naturgeist soll der Künstler allerdings nacheifern, und nur insofern er diesen lebendig nachahmend ergreift, hat er selbst etwas Wahrhaftes erschaffen. Denn Werke, die aus einer Zusammensetzung auch übrigens schöner Formen entstünden, wären doch ohne alle Schönheit, indem das, wodurch nun eigentlich das Werk oder das Ganze schön ist, nicht mehr Form seyn kann. Es ist über die Form, ist Wesen, Allgemeines, ist Blick und Ausdruck des inwohnenden Naturgeistes.

Kaum zweifelhaft kann es nun seyn, was von dem so durchgängig gefoderten und so genannten Idealisiren der Natur in der Kunst zu halten sey. Diese Foderung scheint aus einer Denkart zu entspringen, nach welcher nicht die Wahrheit, Schönheit, Güte, sondern das Gegentheil von dem allem das Wirkliche ist. Wäre das Wirkliche der Wahrheit und Schönheit in der That entgegengesetzt: so müßte es der Künstler nicht erheben oder idealisiren, er müßte es aufheben und vernichten, um etwas Wahres und Schönes zu erschaffen. Wie sollte aber irgend etwas ausser dem Wahren wirklich seyn können, und was ist Schönheit, wenn sie nicht das volle mangellose Seyn ist? Welche höhere Absicht könnte demnach auch die Kunst haben, als das in der Natur in der That Seyende darzustellen? oder wie sich vornehmen, die sogenannte wirkliche Natur zu übertreffen, da sie doch stets unter dieser zurückbleiben müßte? Denn giebt sie etwa ihren Werken das sinnlich-wirkliche Leben? Diese Bildsäule athmet nicht, wird von keinem Pulsschlag bewegt, von keinem Blute erwärmt. Beides aber, jenes angebliche Uebertreffen und dieses scheinbare Zurückbleiben, zeigt sich als Folge Eines und desselben Princips, sobald wir nur die Absicht der Kunst in die Darstellung des wahrhaft Seyenden setzen. Nur [348] auf der Oberfläche sind ihre Werke scheinbar belebt: in der Natur scheint das Leben tiefer zu dringen, und sich ganz mit dem Stoff zu vermahlen. Belehrt uns aber nicht von der Unwesentlichkeit dieser Verbindung und daß sie keine innige Verschmelzung sey, der beständige Wechsel der Materie und das allgemeine Loos endlicher Auflösung? Die Kunst stellt also in der bloß oberflächlichen Belebung ihrer Werke in der That nur das Nichtseyende, als Nichtseyend dar. Wie kommt es, daß jedem einigermaßen gebildeten Sinn die bis zur Täuschung getriebenen Nachahmungen des sogenannt Wirklichen als im höchsten Grade unwahr erscheinen, ja den Eindruck von Gespenstern machen, indeß ein Werk, in dem der Begriff herrschend ist, ihn mit der vollen Kraft der Wahrheit ergreift, ja ihn erst in die ächt wirkliche Welt versetzt? woher kommt es, wenn nicht aus dem mehr oder weniger dunkeln Gefühl, welches ihm sagt, daß der Begriff das allein Lebendige in den Dingen ist, alles andere aber wesenlos und eitler Schatten? Aus demselben Grundsatz erklären sich alle entgegengesetzte [sic] Fälle, welche als Beyspiele der Uebertreffung der Natur durch die Kunst angeführt werden. Wenn sie den schnellen Lauf menschlicher Jahre anhält, wenn sie die Kraft entwickelter Männlichkeit mit dem sanften Reitz früher Jugend verbindet, oder eine Mutter erwachsener Söhne und Töchter in dem vollen Bestand kräftiger Schönheit zeigt: was thut sie anders, als daß sie aufhebt, was unwesentlich ist, die Zeit? Hat nach der Bemerkung des trefflichen Kenners ein jedes Gewächs der Natur nur einen Augenblick der wahren vollendeten Schönheit: so dürfen wir sagen, daß es auch nur Einen Augenblick des vollen Daseyns habe. In diesem Augenblick ist es, was es in der ganzen Ewigkeit ist: ausser diesem kommt ihm nur ein Werden und ein Vergehen zu. Die Kunst, indem sie das Wesen in jenem Augenblick darstellt, hebt es aus der Zeit heraus; sie läßt es in seinem reinen Seyn, in der Ewigkeit seines Lebens erscheinen.

Nachdem einmal aus der Form alles Positive und Wesentliche hinweggedacht war, so mußte sie als beschränkend und gleichsam feindselig gegen das Wesen erscheinen, und dieselbe Theorie, welche das falsch und unkräftig Idealische hervorgerufen hatte, nothwendig zugleich auf das Formlose in der Kunst hinwirken. Allerdings müßte die Form beschränkend für das Wesen seyn, wäre sie unabhängig von ihm vorhanden. Ist sie aber mit und durch das Wesen, wie könnte sich dieses beschränkt fühlen durch das, was es selbst erschafft? Wohl möchte ihm Gewalt geschehen, durch die Form, die ihm aufgedrungen würde, nimmer aber durch die, welche aus ihm selbst fließt. Vielmehr muß es in dieser befriedigt ruhen, und sein Daseyn als ein selbstständiges in sich abgeschloßnes empfinden. Die Bestimmtheit der Form ist in der Natur nie eine Vereinigung, sondern stets eine Bejahung. Gemeinhin denkst du freilich die Gestalt eines Körpers als eine Einschränkung, welche er leidet; sähest du aber die schaffende Kraft an, so würde sie dir einleuchten als ein Maß, das diese sich selbst auferlegt, und in dem sie als eine wahrhaft sinnige Kraft erscheint. Denn überall wird das Vermögen eigener Maßgebung als eine Trefflichkeit, ja als eine der höchsten angesehen. Auf ähnliche Weise betrachten die Meisten das Einzelne verneinend, nämlich als das, was nicht das Ganze oder Alles ist: es bestehet aber kein Einzelnes durch seine Begränzung, sondern durch die ihm einwohnende Kraft, mit der es sich als ein eignes Ganzes dem Ganzen gegenüber behauptet.

[349] Da diese Kraft der Einzelheit und also auch der Individualität sich als lebendiger Charakter darstellt, so hat der verneinende Begriff derselben nothwendig die ungenügende und falsche Ansicht des Charakteristischen in der Kunst zur Folge. Todt und von unträglicher Härte wäre die Kunst, welche die leere Schale oder Begränzung des Individuellen darstellen wollte. Wir verlangen allerdings nicht das Individuum, wir verlangen mehr zu sehen, den lebendigen Begriff desselben. Wenn aber der Künstler Blick und Wesen der in ihm schaffenden Idea erkannt, und diese heraushebt, bildet er das Individuum zu einer Welt für sich, einer Gattung, einem ewigen Urbild; und wer das Wesen ergriffen, darf auch die Härte und Strenge nicht fürchten, denn sie ist die Bedingung des Lebens. Die Natur, welche in ihrer Vollendung als die höchste Milde erscheint, sehen wir in allem Einzelnen auf Bestimmtheit, ja zuerst und vor allem andern auf Härte, auf Verschlossenheit des Lebens hinwirken. Wie die ganze Schöpfung ein Werk der höchsten Entäusserung ist, so muß der Künstler zuerst sich selbst verläugnen, und in‘s Einzelne hinabsteigen, die Abgeschiedenheit nicht scheuend, noch den Schmerz ja die Pein der Form. Von ihren ersten Werken an ist die Natur durchaus charakteristisch; die Kraft des Feuers, den Blitz des Lichtes verschließt sie in harten Stein, die holde Seele des Klangs in strenges Metall; selbst an der Schwelle des Lebens und schon auf organische Gestalt sinnend, sinkt sie von der Kraft der Form überwältiget in Versteinerung zurück. Das Leben der Pflanze bestehet in stiller Empfänglichkeit, aber in welchen genauen und strengen Umriß ist dieß duldende Leben eingeschlossen? Im Thierreich scheint erst der Streit zwischen Leben und Form recht zu beginnen: ihre ersten Werke birgt sie in harte Schalen, und wo diese abgelegt werden, schließt sich die belebte Welt durch den Kunsttrieb wieder an das Reich der Krystallisation an. Endlich tritt sie kecker und freyer hervor, und es zeigen sich thätige lebendige Charaktere, die ganze Gattungen hindurch dieselben sind. Die Kunst kann zwar nicht so tief anfangen, wie die Natur. Ist Schönheit gleich überall verbreitet, so giebt es doch verschiedene Grade der Erscheinung und Entfaltung des Wesens und damit der Schönheit; die Kunst aber verlangt eine gewisse Fülle derselben, und möchte nicht den einzelnen Klang oder Ton, noch selbst den abgesonderten Akkord, sondern die vollstimmige Melodie der Schönheit zugleich anschlagen. Sie greift darum am liebsten unmittelbar nach dem Höchsten und Entfaltetsten, der menschlichen Gestalt. Denn da ihr das unermeßliche Ganze zu umfassen nicht vergönnt ist, und in allen anderen Geschöpfen nur einzelne Fulgurationen, im Menschen allein das ganze volle Seyn ohne Abbruch erscheinet: so ist ihr nicht nur verstattet, sondern sie ist aufgefodert, die gesammte Natur nur im Menschen zu sehen. Gerade darum aber, weil diese hier alles in Einem Punkte versammelt, wiederholt sie auch ihre ganze Mannichfaltigkeit, und legt denselben Weg, den sie in ihrem weiten Umfange durchlaufen hatte, zum zweytenmal in einem engeren zurück. Hier also entsteht die Foderung an den Künstler, erst im Begränzten treu und wahr zu seyn, um im Ganzen vollendet und schön zu erscheinen. Hier gilt es mit dem schaffenden Naturgeist, der auch in der Menschenwelt Charakter und Gepräge in unergründlicher Mannichfaltigkeit austheilt, zu ringen, nicht im schlaffen und weichlichem, sondern in starkem und muthigem Kampf. Anhaltende Uebung der Erkenntniß deßjenigen, wodurch das Eigenthümliche der Dinge ein Positives ist, muß ihn vor Leerheit, Weichheit, innerer Nichtigkeit bewahren, [350] eh‘ er es wagen darf, durch immer höhere Verbindung und endliche Verschmelzung mannichfaltiger Formen die äusserste Schönheit in Bildungen von höchster Einfalt bey unendlichem Inhalt erreichen zu wollen.

Nur durch die Vollendung der Form kann die Form vernichtet werden, und dieses ist allerdings im Charakteristischen das letzte Ziel der Kunst. Wie aber die scheinbare Uebereinstimmung, zu der gehaltlose Seelen leichter als andere gelangen, innerlich dennoch nichtig ist: so verhält es sich in der Kunst mit der schnell erlangten äussern Harmonie ohne die Fülle des Inhaltes, und hat Lehre und Unterricht der geistlosen Nachahmung schöner Formen entgegenzuwirken, so vornehmlich auch der Neigung zu einer verzärtelten charakterlosen Kunst, die sich zwar höhere Namen giebt, aber damit nur ihr Unvermögen, die Grundbedingungen zu erfüllen, bedeckt.

Jene erhabene Schönheit, wo die Fülle der Form die Form selbst aufhebt, wurde von der neueren Kunstlehre nach Winkelmann nicht nur als höchstes, sondern als einziges Maß angenommen. Weil man aber den tiefen Grund, auf dem sie ruht, übersehen: so geschah es, daß sogar von dem Inbegriff alles Bejahenden ein verneinender Begriff gefaßt wurde. Winkelmann vergleichet die Schönheit mit dem Wasser, das, aus dem Schooß der Quelle geschöpft, je weniger Geschmack es hat, desto gesunder geachtet wird. Es ist wahr, daß die höchste Schönheit charakterlos ist; aber sie ist es, wie wir auch sagen, daß das Weltall keine bestimmte Abmessung, weder Länge, noch Breite, noch Tiefe habe, weil es alle in gleicher Unendlichkeit enthält, oder daß die Kunst der schöpferischen Natur formlos sey, weil sie selbst keiner Form unterworfen ist. In diesem und keinem andern Verstande können wir sagen, daß die Hellenische Kunst in ihrer höchsten Bildung sich zum Charakterlosen erhebe. Aber nicht unmittelbar strebte sie nach diesem. Aus den Banden der Natur wand sie sich erst zu göttlicher Freyheit empor. Kein leicht hingesätes Korn, nur ein tiefverschloßner Kern konnte es seyn, aus dem dieß Heldengewächs entsproß. Nur mächtige Bewegungen des Gefühls, nur tiefe Erschütterung der Phantasie durch den Eindruck allbelebender, allwaltender Naturkräfte konnten der Kunst die unbezwingliche Kraft einprägen, mit der sie von dem starren, verschloßnen Ernst der Bildungen früher Zeiten bis zu den Werken überfließender sinnlicher Anmuth stets der Wahrheit getreu blieb, und die höchste Realität geistig erzeugte, welche Sterblichen zu schauen vergönnt ist. Wie ihre Tragödie mit dem größten Charakter im Sittlichen beginnt, so war der Anfang ihrer Plastik der Ernst der Natur, und die strenge Göttin Athens die erste und einzige Muse bildender Kunst. Diese Epoche wird bezeichnet durch denjenigen Styl, welchen Winkelmann als den noch herben und strengen schildert, aus dem sich der nächste oder hohe Styl nur durch die Steigerung des Charakteristischen zum Erhabnen und zur Einfalt entwickeln konnte. In den Bildern der vollkommensten oder göttlichen Naturen mußte nämlich nicht nur die Fülle von Formen, deren die menschliche Natur überhaupt fähig ist, vereinigt werden: die Vereinigung mußte auch von der Art seyn, wie wir sie uns im Weltall selbst gedenken können, daß nämlich die niedrigem oder die auf geringere Eigenschaften sich beziehenden unter höhere, alle zuletzt unter Eine höchste aufgenommen wurden, in der sie sich zwar als besondre gegenseitig auslöschten, dem Wesen und der Kraft nach aber bestanden. Wenn wir daher diese hohe und selbstgenügsame Schönheit nicht charakteristisch nennen [351] können, inwiefern dabey an Beschränkung oder Bedingtheit der Erscheinung gedacht wird; so wirkte in ihr das Charakteristische dennoch auch ununterscheidbar fort, wie im Krystall, ist er gleich durchsichtig, die Textur nichtsdestoweniger besteht: jedes charakteristische Element wiegt, wenn auch noch so sanft mit, und hilft die erhabne Gleichgültigkeit der Schönheit bewirken.

Die äussere Seite oder Basis aller Schönheit ist die Schönheit der Form. Da aber Form ohne Wesen nicht seyn kann: so ist, wo nur immer Form ist, in sichtbarer oder nur empfindbarer Gegenwart auch Charakter. Charakteristische Schönheit ist daher die Schönheit in ihrer Wurzel, aus welcher dann erst die Schönheit als Frucht sich erheben kann; das Wesen überwächst wohl die Form, aber auch dann bleibt das Charakteristische die noch immer wirksame Grundlage des Schönen.

Der würdigste Kenner, dem die Götter die Natur sammt der Kunst zum Königreich gegeben, vergleicht das Charakteristische in seinem Verhältniß zur Schönheit mit dem Skelett in seinem Verhältniß zur lebendigen Gestalt. Sollten wir das treffende Gleichniß in unserm Sinne deuten: so würden wir sagen, daß das Skelett in der Natur nicht wie in unsern Gedanken von dem lebendigen Ganzen getrennt ist; daß Festes und Weiches, Bestimmendes und Bestimmtes sich gegenseitig voraussetzen und nur miteinander seyn können, daß eben darum das lebendig Charakteristische schon die ganze aus der Wechselwirkung von Knochen und Fleisch, von Thätigem und Leidendem entstandene Gestalt sey. Drängt auch die Kunst, wie die Natur, auf ihren höheren Stufen das erst sichtbare Knochengerüste nach innen zurück, so kann es der Gestalt und Schönheit nie entgegengesetzt werden, da es nicht aufhört, sowohl zu dieser, als jener bestimmend mitzuwirken.

Ob aber jene hohe und gleichgültige Schönheit auch als einziges Maß in der Kunst gelten solle, wie sie als das höchste gilt: dieses scheint von dem Grade der Ausbreitung und Fülle abhängen zu müssen, mit welcher die bestimmte Kunst wirken kann. Stellt doch die Natur in ihrem weiten Kreise das Höhere immer mit seinem Niederem zugleich dar: Göttliches schaffend im Menschen, wirkt sie in allen übrigen Produkten den bloßen Stoff und Grund desselben, welcher seyn muß, damit im Gegensatz mit ihm das Wesen als solches erscheine. Wird ja doch in der höhern Welt des Menschen selbst die große Masse wieder zur Basis, an der sich das in Wenigeren rein enthaltene Göttliche durch Gesetzgebung, Herrschaft, Glaubensstiftung manifestirt. Wo daher die Kunst mehr mit der Mannichfaltigkeit der Natur wirkt, da darf und muß sie neben dem höchsten Maß der Schönheit auch wieder ihre Grundlage und gleichsam den Stoff derselben in eigenen Bildungen zeigen. Bedeutend entfaltet sich hier zuerst die verschiedene Natur der Kunstformen. Die Plastik im genaueren Sinne des Worts verschmähet ihrem Gegenstand den Raum äußerlich zu geben; er trägt ihn in sich. Aber eben dieses verbietet ihr größere Ausbreitung, ja sie ist genöthigt, die Schönheit des Weltalls fast auf einem Punkte zu zeigen. Sie muß also unmittelbar zum Höchsten streben, und kann Mannichfaltigkeit nur getrennt und durch die strengste Ausscheidung des gegenseitig Widerstrebenden erreichen. Durch die Absonderung des rein thierischen in der menschlichen Natur gelingt es ihr auch, niedere Schöpfungen übereinstimmend und sogar schön zu bilden, wovon uns die Schönheit vieler aus dem Alterthum erhaltner Faune belehrt, ja sie kann, wie der heitere Naturgeist sich selbst parodirend, ihr eignes Ideal umkehren und z.B. in dem Uebermaß der Silenenbildungen durch [352] die spielende und scherzende Behandlung selbst von dem Druck der Materie wieder befreit erscheinen. Immer aber ist sie genöthigt, ihr Werk ganz abzusondern, um es mit sich übereinstimmend und zu einer Welt für sich zu machen, indem es für sie keine höhere Einheit giebt, in der sich die Dissonanz des Einzelnen auflösen könnte. Dagegen kann die Mahlerey im Umfang schon mehr mit der Welt sich messen und in epischer Ausbreitung dichten. In einer Ilias hat auch ein Thersites Raum, und was findet nicht alles in dem großen Heldengedicht der Natur und der Geschichte Platz! Hier zählt der Einzelne kaum für [sich] selbst; das Ganze tritt an seine Stelle, und was für sich nicht schön wäre, wird es durch die Harmonie des Ganzen. Würde in einem ausgebreiteten Werk der Mahlerey, welche ihre Gestalten durch den beygegebnen Raum, durch Licht, durch Schatten, durch Widerschein verbindet, das höchste Maß der Schönheit überall angewendet: so entstünde hieraus die Naturwidrigste Eintönigkeit, da, wie Winkelmann sagt, der höchste Begriff der Schönheit überall nur Einer und derselbe ist und wenig Abweichungen verstatte. Das Einzelne wäre dann dem Ganzen vorgezogen, anstatt daß überall, wo das Ganze aus einer Vielheit entsteht, das Einzelne ihm unterworfen seyn soll. Es müssen daher in einem solchen Werk Abstufungen der Schönheit beobachtet werden, wodurch erst die im Mittelpunkte konzentrirte volle Schönheit sichtbar wird, und aus einem Uebergewicht im Einzelnen ein Gleichgewicht im Ganzen hervorgeht. Hier findet denn auch das beschränkt Charakteristische seine Stelle und die Theorie wenigstens sollte den Mahler nicht sowohl auf jenen engen Raum hinweisen, der alles Schöne konzentrisch versammelt, als an die charakteristische Mannichfaltigkeit der Natur, durch welche allein er einem größern Werk das Vollgewicht lebendigen Inhalts ertheilen kann. So dachte unter den Stiftern der neuen Kunst der herrliche Leonardo, so der Meister hoher Schönheit Raphael, der sich nicht scheute, lieber auch das geringere Maß derselben darzustellen, als eintönig, unlebendig und unwirklich zu erscheinen, verstand er gleich nicht nur jene hervorzubringen, sondern sogar ihre Gleichmäßigkeit durch die Verschiedenheit des Ausdrucks wieder zu brechen.

Kann sich nämlich der Charakter zwar auch in Ruhe und im Gleichgewicht der Form ausdrücken: so ist er doch in seiner Thätigkeit erst eigentlich lebendig. Wir denken uns unter Charakter eine Einheit mehrerer Kräfte, welche beständig auf ein gewisses Gleichgewicht und bestimmtes Maß derselben hin wirkt, welchem dann, wenn es ungestört ist, ein ähnliches Gleichgewicht im Ebenmaß der Formen entspricht. Soll sich aber jene lebendige Einheit in Handlung und Thätigkeit zeigen, so ist dieß nicht anders möglich, als wenn die Kräfte durch irgend eine Ursache zur Empörung gereitzt, aus ihrem Gleichgewicht treten. Jedermann erkennt an, daß dieß der Fall in Leidenschaften sey.

Hier stellt sich uns nun jene bekannte Vorschrift der Theorie dar, welche verlangt, die Leidenschaft in dem wirklichen Ausbruch so viel möglich zu mäßigen, damit die Schönheit der Form nicht verletzt werde. Wir glauben aber diese Vorschrift vielmehr umkehren und so ausdrücken zu müssen, daß die Leidenschaft eben durch die Schönheit selbst gemäßigt werden solle. Denn es ist sehr zu befürchten, daß auch jene verlangte Mäßigung verneinend verstanden werde, da die wahre Foderung vielmehr ist, der Leidenschaft eine positive Kraft entgegenzusetzen. Denn wie die Tugend nicht in der Anwesenheit der Leidenschaften, sondern in [353] der Gewalt des Geistes über sie besteht: so wird Schönheit nicht bewährt durch Entfernung oder Verminderung derselben, sondern durch die Gewalt der Schönheit über sie. Die Kräfte der Leidenschaften müssen sich also wirklich zeigen, es muß sichtbar seyn, daß sie sich gänzlich empören könnten, aber durch die Gewalt des Charakters niedergehalten werden, und an den Formen festgegründeter Schönheit wie Wellen eines Stroms sich brechen, der seine Ufer eben anfüllt, aber nicht überschwellen kann. Sonst möchte jenes Unternehmen der Mäßigung nur den seichten Moralisten gleichen, welche, um mit dem Menschen fertig zu werden, lieber die Natur in ihm verstümmeln und alles Positive aus den Handlungen so rein hinweggenommen haben, daß das Volk sich an dem Schauspiel großer Verbrechen weidet, um sich noch durch den Anblick von irgend etwas Positivem zu erquicken.

In der Natur und Kunst strebt das Wesen zuerst nach der Verwirklichung, oder Darstellung seiner selbst im Einzelnen. Darum zeigt sich die größte Strenge der Form in den Anfängen beyder: denn ohne Begränzung könnte das Gränzenlose nicht erscheinen, wäre nicht Härte, so könnte die Milde nicht seyn, und soll die Einheit fühlbar werden, so kann dieß nur durch Eigenheit, Absonderung und Widerstreit geschehen. Im Beginn daher erscheint der schaffende Geist ganz verloren in die Form, unzugänglich, verschlossen und selbst im Großen noch herb. Je mehr es ihm aber gelingt, seine ganze Fülle in Einem Geschöpf zu vereinigen: desto mehr läßt er allmälig von seiner Strenge nach, und wo er die Form völlig ausgebildet, so daß er in ihr befriedigt ruht, und sich selbst faßt, erheitert er sich gleichsam, und fängt an in sanften Linien sich zu bewegen. Dieses ist der Zustand der schönsten Reife und Blüthe, wo das reine Gefäß vollendet da steht, der Naturgeist frey wird von seinen Banden, und seine Verwandtschaft mit der Seele empfindet. Wie durch eine linde Morgenröthe, die über der ganzen Gestalt aufsteigt, kündigt sich die kommende Seele an: noch ist sie nicht da, aber alles bereitet sich durch das leise Spiel zarter Bewegungen zu ihrem Empfang: die starren Umrisse schmelzen, und mildern sich in sanfte; ein liebliches Wesen, das weder sinnlich noch geistig, sondern unfaßlich ist, verbreitet sich über die Gestalt, und schmiegt sich allen Umrissen, jeder Schwingung der Gliedmaßen an. Dieses, wie gesagt, nicht greifliche und doch allen empfindbare Wesen ist, was die Sprache der Griechen mit dem Namen der Charis, die unsrige als Anmuth bezeichnet.

Wo in völlig ausgewirkter Form Anmuth erscheint, da ist das Werk von Seiten der Natur vollendet, es gebricht ihm nichts mehr, alle Foderungen sind befriedigt. Auch hier schon ist Seele und Leib in vollkommnem Einklang; Leib ist die Form, Anmuth ist die Seele, obgleich nicht Seele an sich, sondern die Seele der Form, oder die Naturseele.

Die Kunst kann auf diesem Punkt verweilen und stehen bleiben; denn schon ist von Einer Seite wenigstens ihre ganze Aufgabe erfüllt. Das reine Bild der auf dieser Stufe angehaltenen Schönheit ist die Göttin der Liebe. Die Schönheit aber der Seele an sich, mit sinnlicher Anmuth verschmolzen: diese ist die höchste Vergöttlichung der Natur.

Der Geist der Natur ist nur scheinbar der Seele entgegengesetzt; an sich aber das Werkzeug ihrer Offenbarung: er wirkt zwar den Gegensatz der Dinge, aber nur damit das einige Wesen, als die höchste Milde und Versöhnung aller Kräfte, hervorgehen könne. Alle andern Geschöpfe sind von dem bloßen Naturgeist getrieben, [354] und behaupten durch ihn ihre Individualität; im Menschen allein als im Mittelpunkt geht die Seele auf, ohne welche die Welt wie die Natur ohne die Sonne wäre.

Die Seele ist also im Menschen nicht das Prinzip der Individualität, sondern das, wodurch er sich über alle Selbstheit erhebt, wodurch er der Aufopferung seiner selbst, uneigennütziger Liebe, und, was das Höchste ist, der Betrachtung und Erkenntniß des Wesens der Dinge, eben damit der Kunst, fähig wird. Sie ist nicht mehr mit der Materie beschäftigt, noch verkehrt sie unmittelbar mit ihr, sondern nur mit dem Geist, als dem Leben der Dinge. Auch im Körper erscheinend, ist sie dennoch frey von dem Körper, dessen Bewußtseyn in ihr, in den schönsten Bildungen, nur wie ein leichter Traum schwebt, von dem sie nicht gestört wird. Sie ist keine Eigenschaft, kein Vermögen, oder irgend etwas der Art insbesondere; sie weiß nicht, sondern sie ist die Wissenschaft, sie ist nicht gut, sondern sie ist die Güte, sie ist nicht schön, wie es auch der Körper seyn kann, sondern sie ist die Schönheit selber.

Zuerst oder zunächst zeigt sich freylich in dem Kunstwerk die Seele des Künstlers, durch die Erfindung im Einzelnen; und im Ganzen, wenn sie als Einheit über ihm in ruhiger Stille schwebt. Aber sie soll im Dargestellten sichtbar werden; als Urkraft des Gedankens, wenn menschliche Wesen, ganz erfüllt von einem Begriff, einer würdigen Betrachtung vorgestellt werden; oder als einwohnende, wesentliche Güte. Beydes findet auch im ruhigsten Stande seinen deutlichen Ausdruck, lebendigeren jedoch, wenn die Seele sich thätig und im Gegensatz offenbaren kann; und weil es hauptsächlich die Leidenschaften sind, welche den Frieden des Lebens unterbrechen, so ist allgemein angenommen, daß sich die Schönheit der Seele vornämlich durch die ruhige Gewalt im Sturme der Leidenschaften zeige.

Allein es ist hier eine bedeutende Unterscheidung zu machen. Denn um diejenigen Leidenschaften zu mäßigen, welche nur eine Empörung niederer Naturgeister sind, muß die Seele nicht herbeygerufen werden; noch kann sie im Gegensatz mit denselben gezeigt werden, denn wo die Besonnenheit noch mit diesen ringt, ist die Seele überhaupt noch nicht aufgegangen; diese müssen schon durch die Natur des Menschen, durch die Macht des Geistes gemäßigt seyn. Allein es giebt höhere Fälle, in denen nicht nur eine einzelne Kraft, in denen der besonnene Geist selbst alle Dämme durchbricht; ja Fälle, wo auch die Seele durch das Band, das sie mit dem sinnlichen Daseyn verknüpft, dem Schmerz, der ihrer göttlichen Natur fremd seyn sollte, unterworfen wird, wo der Mensch sich nicht durch bloße Naturkräfte, sondern durch sittliche Mächte bekämpft und in der Wurzel seines Lebens angegriffen fühlt, wo unverschuldeter Irrthum ihn in Verbrechen und damit in Unglück reißt, tiefgefühltes Unrecht die heiligsten Gefühle der Menschlichkeit zur Empörung aufruft. Es ist dieß der Fall aller wahrhaft und im erhabnen Sinn tragischen Zustände, wie sie uns das Trauerspiel des Alterthums vor Augen stellt. Wenn blind leidenschaftliche Kräfte aufgeregt sind, so ist der besonnene Geist als Hüter der Schönheit gegenwärtig; wenn aber der Geist selbst wie durch eine unwiderstehliche Gewalt fortgerissen wird, welche Macht schützt da, wachend über sie, die heilige Schönheit? Oder wenn auch die Seele mitleidet, wie rettet sie sich von Schmerz und vor Entweihung?

Willkührlich die Kraft des Schmerzens, des empörten Gefühls zurückhalten, wäre gegen Sinn und Zweck der Kunst gesündigt, und verriethe Mangel an Emp[355]findung und Seele in dem Künstler selbst. Schon dadurch, daß die Schönheit auf große und feste Formen gegründet zum Charakter geworden ist, hat sich die Kunst das Mittel bereitet, ohne Verletzung des Ebenmaßes die ganze Größe der Empfindung zu zeigen. Denn wo die Schönheit auf mächtigen Formen wie auf unverrückbaren Säulen ruht, läßt uns schon eine geringe, und jene kaum berührende Veränderung ihrer Verhältnisse auf die große Gewalt schließen, welche nöthig war, sie zu bewirken. Noch mehr heiligt Anmuth den Schmerz. Ihr Wesen beruhet darauf, daß sie sich selbst nicht kennet; wie sie aber nicht willkührlich erworben wird, so kann sie auch nicht durch Willkühr verloren gehen: wenn ein unerträglicher Schmerz, ja wenn Wahnsinn, von strafenden Göttern verhängt, Bewußtseyn und Besinnung raubt, steht sie noch als schützender Dämon bey der leidenden Gestalt, und macht, daß sie nichts ungeschicktes, nichts der Menschheit widerstrebendes vollbringe, sondern, wenn sie fällt, wenigstens als ein reines und unbeflecktes Opfer falle. Noch nicht die Seele selbst, aber die Ahndung derselben, bringt sie schon durch natürliche Wirkung hervor, was jene durch eine göttliche Kraft, indem sie Schmerz, Erstarrung, ja den Tod selbst in Schönheit verwandelt.

Dennoch wäre diese in der äußersten Widerwärtigkeit bewährte Anmuth todt ohne ihre Verklärung durch die Seele. Welcher Ausdruck aber kann ihr in dieser Lage zukommen? Sie rettet sich vom Schmerz, und tritt siegreich, nicht besiegt, hervor, indem sie ihr Band mit dem sinnlichen Daseyn aufgiebt. Der Naturgeist mag für dessen Erhaltung seine Kräfte aufbieten, die Seele geht nicht ein in diesen Kampf; aber ihre Gegenwart besänftigt selbst die Stürme des Schmerzhaft ringenden Lebens. Jede äussere Gewalt kann auch nur äussere Güter rauben, die Seele nicht erreichen; ein zeitliches Band zerreißen, das ewige einer wahrhaft göttlichen Liebe nicht auflösen. Nicht hart und empfindungslos, oder die Liebe selbst aufgebend, zeigt sie vielmehr diese allein im Schmerz, als die das sinnliche Daseyn überdauernde Empfindung, und erhebt sich so über den Trümmern des äussern Lebens oder Glücks in göttlicher Glorie.

Dieses ist der Ausdruck der Seele, den uns der Schöpfer der Niobe im Bilde gezeigt hat. Alle Mittel der Kunst, wodurch auch das Schreckliche gemäßigt wird, sind hier in Wirkung gesetzt. Mächtigkeit der Formen, sinnliche Anmuth, ja die Natur des Gegenstandes selbst lindert den Ausdruck dadurch, daß der Schmerz, allen Ausdruck übertreffend, ihn selbst wieder aufhebt, und die Schönheit, welche lebendig zu retten unmöglich schien, durch die eintretende Erstarrung vor Verletzung bewahrt wird. Was wäre dennoch alles ohne die Seele, und wie offenbaret sich diese? Wir sehen auf dem Anlitz der Mutter, nicht den Schmerz allein über die schon hingestreckte Blüthe der Kinder, nicht die Todesangst allein um die Rettung der noch übrigen und der jüngsten in ihren Schooß sich flüchtenden Tochter, nicht Unwillen gegen die grausamen Gottheiten, am wenigsten, wie vorgegeben wird, kalten Trotz; wir sehen jenes alles, aber nicht für sich, sondern durch Schmerz, Angst und Unwillen strahlt wie ein göttliches Licht die ewige Liebe als das allein Bleibende, und in dieser bewähret sich die Mutter, als eine solche, die es nicht war, die es ist, die durch ein ewiges Band mit den Geliebten verknüpft bleibt.

Jedermann bekennt, daß Größe, Reinheit und Güte der Seele auch ihren sinnlichen Ausdruck haben. Wie ließe sich dieses gedenken, wäre nicht auch das in der Materie thätige Prinzip schon ein seelenverwandtes und seelenähnliches Wesen? Es [356] giebt nun in der Darstellung der Seele wiederum Stufen der Kunst, je nachdem sie entweder mit dem bloß Charakteristischen verbunden ist, oder mit Huld und Anmuth sichtbar zusammenfließt. Wer sieht nicht ein, daß schon in der Tragödie des Aeschylos jene hohe Sittlichkeit waltet, die in den Werken des Sophokles einheimisch wohnt? Aber sie ist dort noch in eine herbe Hülle verschlossen, und theilt sich weniger dem Ganzen mit, weil es noch an dem Bande sinnlicher Anmuth fehlt. Aus diesem Ernst und den noch furchtbaren Grazien der ersten Kunst konnte jedoch die Sophokleische Anmuth hervorgehen, und mit dieser jene vollkommne Verschmelzung beyder Elemente, die uns zweifelhaft läßt, ob es mehr die sittliche Grazie oder die sinnliche Anmuth ist, die uns in den Werken dieses Dichters entzückt. Eben dieses gilt von den plastischen Erzeugnissen des noch strengen Styls, in Vergleich mit denen der späteren Milde.

Wenn Anmuth ausserdem, daß sie die Verklärung des Naturgeistes ist, auch noch das bindende Mittel von sittlicher Güte und sinnlicher Erscheinung wird: so leuchtet von selbst ein, wie die Kunst von allen Richtungen her gegen sie als ihren Mittelpunkt wirken müsse. Diese Schönheit, welche aus der vollkommnen Durchdringung sittlicher Güte mit sinnlicher Anmuth hervorgeht, ergreift und entzückt uns, wo wir sie finden, mit der Macht eines Wunders. Denn weil sich der Naturgeist sonst überall als von der Seele unabhängig ja gewissermassen ihr widerstrebend zeigt, so scheint er hier wie durch eine freywillige Uebereinstimmung und wie durch das innere Feuer göttlicher Liebe mit der Seele zu verschmelzen; den Beschauenden überfällt mit plötzlicher Klarheit die Erinnerung von der ursprünglichen Einheit des Wesens der Natur mit dem Wesen der Seele: die Gewißheit, daß aller Gegensatz nur scheinbar, die Liebe das Band aller Wesen, und reine Güte Grund und Inhalt der ganzen Schöpfung ist.

Hier geht die Kunst gleichsam über sich hinaus, und macht sich selber wieder zum Mittel. Auf diesem Gipfel wird auch die sinnliche Anmuth wieder nur Hülle und Leib eines höhern Lebens, was zuvor Ganzes war, wird als Theil behandelt, und das höchste Verhältniß der Kunst zur Natur ist dadurch erreicht, daß sie diese zum Medium macht, die Seele in ihr zu versichtbaren.

Wenn aber in dieser Blüthe der Kunst, wie in der Blüthe des Pflanzenreichs, alle frühern Stufen sich wiederholen: so läßt sich auch im Gegentheil einsehen, nach welchen verschiedenen Richtungen die Kunst aus jenem Mittelpunkt heraustreten kann. Besonders zeigt sich die natürliche Verschiedenheit der beyden Formen bildender Kunst hier in ihrer größten Wirksamkeit. Denn für die Plastik, da sie ihre Ideen durch körperliche Dinge darstellt, scheint das Höchste eben in dem vollkommnen Gleichgewicht zwischen Seele und Materie bestehen zu müssen; giebt sie der letzten ein Uebergewicht, so sinkt sie unter ihre eigne Idee herab; ganz unmöglich aber scheint, daß sie die Seele auf Kosten der Materie erhebe, indem sie dadurch sich selbst übersteigen müßte. Der vollkommne plastische Bildner wird zwar, wie Winkelmann bey Gelegenheit des Belvederischen Apollo sagt, zu seinem Werk nicht mehr Materie nehmen, als er zu Erreichung seiner geistigen Absicht bedarf, aber auch umgekehrt in die Seele nicht mehr Kraft legen, als zugleich in der Materie ausgedrückt ist: denn eben darauf beruhet seine Kunst, das Geistige ganz körperlich auszudrücken. Die Plastik kann darum ihren wahren Gipfel nur in solchen Naturen erreichen, deren Begriff es mit sich bringt, alles, was [357] sie der Idee oder der Seele nach sind, jederzeit auch in der Wirklichkeit zu seyn, also in göttlichen Naturen. Sie würde daher, wenn auch keine Mythologie vorangegangen, durch sich selbst auf Götter gekommen seyn und Götter erfunden haben, wenn sie keine fand. Da ferner der Geist auf der tieferen Stufe wieder dasselbe Verhältniß zur Materie hat, das wir der Seele gegeben haben, indem er das Prinzip der Thätigkeit und der Bewegung wie die Materie das der Ruhe und Unthätigkeit ist; so wird das Gesetz der Mäßigung des Ausdruckes und der Leidenschaft ein aus ihrer Natur herfließendes Grundgesetz seyn: aber dieses Gesetz wird nicht bloß für die niederen, sondern eben so für jene, wenn es erlaubt ist so zu sagen, höhere und göttliche Leidenschaften gelten, deren die Seele im Entzücken, in der Andacht, in der Anbethung fähig ist: daher sie, weil auch dieser Leidenschaften nur die Götter entbunden sind, auch von dieser Seite zu der Bildung göttlicher Naturen hingezogen wird.

Ganz anders aber scheint es mit der Mahlerey, als mit der Skulptur beschaffen. Denn jene stellt nicht wie diese durch körperliche Dinge, sondern durch Licht und Farbe, also selbst durch ein unkörperliches und gewissermassen geistiges Mittel dar: auch giebt sie ihre Bilder keineswegs für die Gegenstände selbst, sondern will sie ausdrücklich als Bilder angesehen wissen. Sie legt darum schon an und für sich auf die Materie nicht jenes Gewicht der Plastik, und scheint aus diesem Grunde, zwar den Stoff über den Geist erhebend, tiefer als in gleichem Falle die Plastik unter sich selbst zu sinken, dagegen mit desto größerer Befugniß in die Seele ein deutliches Uebergewicht legen zu dürfen. Wo sie dem Höchsten nachstrebt, wird sie allerdings die Leidenschaften durch Charakter veredeln und durch Anmuth mäßigen, oder die Macht der Seele in ihnen zeigen; dagegen aber sind eben jene höheren Leidenschaften, die auf der Verwandtschaft der Seele mit einem obersten Wesen beruhen, ihrer Natur vollkommen angemessen. Ja, wenn die Plastik die Kraft, wodurch ein Wesen nach aussen besteht, und in der Natur wirkt, mit der, wodurch es nach innen, und als Seele lebt, vollkommen gleich abwägt, und das bloße Leiden selbst von der Materie ausschließt, so mag dagegen die Mahlerey in dieser zum Vortheil der Seele den Charakter der Kraft und Thätigkeit mindern, und in den der Hingebung und Duldsamkeit verwandeln, wodurch es scheint, daß der Mensch für Eingebungen der Seele und höhere Einflüsse überhaupt empfänglicher werde.

Aus diesem Gegensatz allein schon erklärt sich nicht nur das nothwendige Vorherrschen der Plastik im Alterthum, der Mahlerey in der neueren Welt, indem jenes auch durchaus plastisch gesinnt war, dieses aber sogar die Seele zum leidenden Organ höherer Offenbarungen macht; auch dieses zeigt sich, daß nach dem Plastischen in Form und Darstellung streben, nicht hinreicht, daß vor allem erfordert würde, auch plastisch, d.h. antik zu denken und zu empfinden. Ist aber die Ausschweifung der Plastik in das Mahlerische ein Verderb der Kunst, so ist die Zusammenziehung der Mahlerei auf plastische Bedingung und Form eine derselben willkührlich auferlegte Beschränkung. Denn wenn jene, gleich der Schwere, auf einen Punkt hinwirket, so darf die Mahlerei wie das Licht den ganzen Weltraum, schaffend, erfüllen.

Beweis dieser unbeschränkten Universalität der Mahlerei ist die Geschichte selbst und das Beyspiel der größten Meister, welche ohne das Wesen ihrer Kunst [358] zu verletzen jede besondre Stufe derselben für sich zur Vollendung ausbildeten, so daß wir dieselbe Folge, die in dem Gegenstande nachgewiesen werden konnte, auch in der Historie der Kunst wiederfinden können.

Zwar nicht genau der Zeit, aber doch der That nach.4 Denn so stellt sich durch Michel Angelo die älteste und mächtigste Epoche der freygewordenen Kunst dar, jene, wo sie in ungeheuren Geburten ihre noch ungebändigte Kraft zeigt: wie nach den Dichtungen sinnbildlicher Vorwelt die Erde nach den Umarmungen des Uranos erst Titanen und himmelstürmende Giganten hervorbrachte, bevor das sanfte Reich stiller Götter hervorgieng. So scheinet uns das Werk des jüngsten Gerichtes, womit als dem Inbegriff seiner Kunst jener Riesengeist die Sixtinische Halle erfüllte, mehr an die ersten Zeiten der Erde und ihrer Geburten, als an ihre letzten zu erinnern. Nach den verborgensten Gründen organischer, besonders menschlicher Gestalt hingezogen vermeidet er das Schreckliche nicht; ja er sucht es absichtlich, und stört es in den dunkeln Werkstätten der Natur aus seiner Ruhe auf. Mangel der Zartheit, Anmuth, Gefälligkeit wiegt er durch das Aeusserste der Kraft auf, und erregt er durch seine Darstellungen Entsetzen, so ist es der Schrecken, welchen der Fabel zu Folge der alte Gott Pan verbreitet, wenn er plözlich in den Versammlungen der Menschen erscheint. Die Natur bringt in der Regel durch Sonderung und Ausschließung entgegengesetzter Eigenschaften das Ausserordentliche hervor: so mußte in Michel Angelo Ernst und tiefsinnige Naturkraft mehr denn Sinn für Anmuth und Empfindung der Seele walten, um das Höchste rein plastischer Kraft in der Mahlerei neuerer Zeiten zu zeigen.

Nach der Besänftigung der ersten Gewalt und des heftigen Triebs der Geburt verklärt sich in Seele der Naturgeist, und die Grazie wird geboren. Zu dieser Stufe gelangte, nach Leonardo da Vinci, die Kunst durch Correggio, in dessen Werken die sinnliche Seele der wirkende Grund der Schönheit ist. Nicht nur in den weichen Umrissen seiner Gestalten ist dieß sichtbar; auch in den Formen, welche denen der rein sinnlichen Naturen in den Werken des Alterthums am meisten ähnlich sind. In ihm blühet das wahre goldne Zeitalter der Kunst, welches der Erde die sanfte Herrschaft des Kronos verlieh: hier lächelt spielende Unschuld, heitre Begier und kindliche Lust aus offnen und fröhlichen Gesichtern, und hier werden die Saturnalien der Kunst gefeiert. Der Gesammtausdruck jener sinnlichen Seele ist das Helldunkel, welches Correggio mehr als irgend ein anderer ausgebildet. Denn das, was dem Mahler die Stelle der Materie vertritt, ist das Dunkel; und dieses ist der Stoff, an den er die flüchtige Erscheinung des Lichtes und der Seele heften muß. Jemehr also das Dunkel mit dem Hellen verschmilzt, so daß aus beyden nur Ein Wesen und gleichsam Ein Leib und Eine Seele wird, desto mehr erscheint das Geistige körperlich, das Körperliche auf die Stufe des Geistes gehoben.

Nachdem die Schranken der Natur überwunden, das Ungeheure, die Frucht der ersten Freyheit, verdrungen ist, Form und Gestalt durch das Vorgefühl der Seele verschönt sind: klärt sich der Himmel auf, das gemilderte Irdische kann sich mit dem Himmlischen, dieses hinwiederum mit dem sanft Menschlichen verbinden. Raphael nimmt Besitz vom heitern Olymp, und führt uns mit sich von der Erde hinweg in die Versammlung der Götter, der bleibenden, seligen Wesen. Die Blüthe des gebildetsten Lebens, der Duft der Phantasie, sammt der Würze des Geistes hauchen vereint aus seinen Werken. Er ist nicht mehr Maler, er ist Philosoph, er [359] ist Dichter zugleich. Der Macht seines Geistes stehet die Weisheit zur Seite, und wie er die Dinge darstellt, so sind sie in der ewigen Nothwendigkeit geordnet. In ihm hat die Kunst ihr Ziel erreicht, und weil das reine Gleichgewicht von Göttlichem und Menschlichem fast nur in einem Punkte seyn kann, so ist seinen Werken das Sigel der Einzigkeit aufgedrückt.

Von hier aus konnte die Mahlerei, um jede in ihr gegründete Möglichkeit zu erfüllen, nur nach Einer Seite noch sich weiter bewegen, und was auch bey der späteren Wiedererneuerung der Kunst unternommen und nach welchen verschiedenen Richtungen hin sie sich versucht hat, so scheint es doch nur Einem gelungen, den Kreis der großen Meister mit einer Art von Nothwendigkeit zu schließen. Wie den Kreis der alten Göttergeschichten die neue Fabel der Psyche schließt: so konnte die Mahlerei durch das Vorgewicht, das sie der Seele gab, noch eine neue, wenn gleich nicht höhere Kunststufe gewinnen. Zu dieser trachtete Guido Reni und wurde der eigentliche Mahler der Seele. Dahin scheint uns sein ganzes, oft Ungewisses und in manchem Werke in‘s Unbestimmte sich verlierendes Streben gedeutet werden zu müssen, dessen Aufschluß neben vielleicht wenigen andern das Meisterbild seiner Kunst geben möchte, das in der großen Sammlung unsres Königes zur allgemeinen Bewunderung aufgestellt ist. In der Gestalt der gen Himmel erhobenen Jungfrau ist alles plastisch Herbe und Strenge bis auf die letzte Spur getilgt; ja scheint nicht in ihr die Mahlerei selbst, wie die freygelaßne der harten Formen entbundene Psyche auf eignen Fittigen sich zur Verklärung emporzuschwingen? Hier ist kein Wesen, das mit entschiedner Naturkraft nach außen besteht: Empfänglichkeit und stille Duldsamkeit drückt alles an ihr aus, bis auf jenes leichtvergängliche Fleisch, dessen Eigenschaft die welsche Sprache mit dem Namen der morbidezza bezeichnet, ganz verschieden von dem, mit welchem Raphael die herabkommende Himmelskönigin bekleidet, wie sie dem anbetenden Pabst und einer Heiligen erscheint. Ist freylich die Bemerkung gegründet, daß das Vorbild der weiblichen Köpfe des Guido die Niobe des Alterthums ist, so liegt der Grund dieser Aehnlichkeit doch gewiß nicht in einer bloß willkührlichen Nachahmung; vielleicht daß ein gleiches Streben auf gleiche Mittel führte. Wenn die florentinische Niobe ein Aeußerstes für die Plastik und die Darstellung der Seele in ihr ist: so das uns bekannte Bild ein Aeußerstes für die Mahlerei, welche hier sogar das Bedürfniß von Schatten und Dunkel abzulegen und beynahe mit reinem Lichte zu wirken wagt.

Konnte der Mahlerei ihrer besondern Beschaffenheit wegen zugestanden werden, ein deutliches Uebergewicht in die Seele zu legen: so werden doch Lehre und Unterricht am besten thun, stets nach jener ursprünglichen Mitte hinzuwirken, aus der die Kunst allein immer neu erzeugt werden kann, da sie dagegen auf der zuletzt angegebenen Stufe nothwendig stille stehen oder in beschränkte Manier ausarten muß. Denn auch jenes höhere Leiden streitet mit der Idee eines vollendet kräftigen Wesens, dessen Bild und Abglanz zu zeigen die Kunst berufen ist. Der rechte Sinn wird sich stets erfreuen, ein Wesen auch von seiner individuellen Seite würdig und so viel möglich selbstständig gebildet zu erblicken; ja die Gottheit würde mit Lust auf ein Geschöpf herabsehen, das mit reiner Seele begabt die Hoheit seiner Natur auch kräftig nach aussen und durch sein sinnlich wirksames Daseyn behauptete.

[360] Wir haben gesehen, wie aus der Tiefe der Natur5 das Kunstwerk emporwachsend mit Bestimmtheit und Begränzung anhebt, innere Unendlichkeit und Fülle entfaltet, endlich zur Anmuth sich verklärt, zuletzt zur Seele gelanget: aber getrennt mußte vorgestellt werden, was in dem Schöpfungsakt der zur Reife gediehenen Kunst nur Eine That ist. Diese geistige Zeugungskraft kann keine Lehre oder Anweisung erschaffen. Sie ist das reine Geschenk der Natur, welche hier zum zweytenmale sich schließt, indem sie, ganz sich verwirklichend, ihre Schöpfungskraft in das Geschöpf legt. Aber wie im großen Gange der Kunst, jene Stufen nach einander erschienen, bis sie auf der höchsten alle zu Einer wurden, eben so kann auch im Einzelnen gediegne Bildung nur da entspringen, wo sie vom Keim und von der Wurzel an gesetzmäßig bis zur Blüthe sich gesteigert hat.

Die Foderung, daß die Kunst wie alles andre Lebendige von den ersten Anfängen ausgehen und, um lebendig sich zu verjüngen, immer neu auf diese zurückgehen müsse, mag eine harte Lehre dünken in einem Zeitalter, dem so vielfältig gesagt worden, wie es die gebildetste Schönheit, schon fertig, von vorhandnen Kunstwerken abnehmen, und so wie mit Einem Schritt zum letzten Ziel gelangen könne. Haben wir nicht schon das Vortrefliche, Vollendete, und wie sollten wir zu dem Anfänglichen, Ungebildeten zurückkehren? Hätten die großen Stifter neuerer Kunst eben so gedacht, wir hätten wohl niemals ihre Wunder gesehen. Auch vor ihnen standen Schöpfungen der Alten, runde Bildwerke und flach erhabne Arbeiten, welche sie unmittelbar in Gemählde hätten übertragen können.6 Aber diese Aneignung eines nicht selbst erworbenen, und darum auch unverständlichen Schönen befriedigte einen Kunsttrieb nicht, der durchaus auf das Ursprüngliche gieng, und aus dem das Schöne frey und urkräftig sich wieder erzeugen sollte. Sie scheuten sich darum nicht, einfältig, kunstlos, trocken gegen jene erhabnen Alten zu erscheinen, und die Kunst lange in unscheinbarer Knospe zu hegen, bis die Zeit der Anmuth gekommen war. Woher kommt es, daß wir diese Werke älterer Meister, von Giotto an bis auf den Lehrer Raphaels, noch jetzt mit einer Art von Andacht, ja einer gewissen Vorliebe betrachten, als weil uns die Treue ihres Bestrebens, und der große Ernst ihrer stillen freywilligen Beschränktheit, Hochachtung und Bewunderung abdringt? Wie diese sich zu den Alten verhielten, so verhält sich zu ihnen das jetzige Geschlecht. Ihre Zeit und die unsrige knüpft keine lebendige Ueberlieferung, kein Band organisch fortgewachsner Bildung zusammen: wir müssen die Kunst auf ihrem Wege, aber mit eigenthümlicher Kraft wiedererschaffen, um ihnen gleich zu werden. Konnte doch selbst jener Nachsommer der Kunst am Ende des sechszehnten und Anfang des siebzehnten Jahrhunderts zwar einige neue Blüthen auf dem alten Stamme, aber keine fruchtbaren Keime hervorrufen, noch weniger selbst einen neuen Stamm der Kunst pflanzen. Die vollendeten Kunstwerke aber zurücksetzen, und die noch einfältigen schlichten Anfänge derselben aufsuchen, um sie nachzuahmen, wie einige gewollt, dieses wäre nur ein neuer und vielleicht größerer Misverstand; nicht sie selber wären auf das Ursprüngliche zurückgegangen, auch die Einfalt wäre Ziererey, und würde heuchlerischer Schein.

Welche Aussicht aber böte die jetzige Zeit für eine aus frischem Kern und von der Wurzel aufwachsende Kunst? Ist diese doch einem großen Theile nach abhängig von dem Sinn ihrer Zeit, und wer möchte solchen ernsten Anfängen den Beyfall der gegenwärtigen versprechen, wo jene auf der einen Seite kaum die [361] Gleichschätzung mit andern Werkzeugen verschwenderischer Ueppigkeit erlangt, auf der andern Künstler und Liebhaber, mit völligem Unvermögen die Natur zu fassen, das Ideal loben und fodern?

Die Kunst entspringet nur aus der lebhaften Bewegung der innersten Gemüths- und Geisteskräfte, die wir Begeisterung nennen. Alles, was von schweren oder kleinen Anfängen zu großer Macht und Höhe herangewachsen, ist durch Begeisterung groß geworden. So Reiche und Staaten, Künste und Wissenschaften. Aber nicht die Kraft des Einzelnen richtet es aus; nur der Geist, der sich im Ganzen verbreitet. Denn die Kunst insbesondere ist, wie die zarteren Pflanzen von Luft und Witterung, so von öffentlicher Stimmung abhängig, sie bedarf eines allgemeinen Enthusiasmus für Erhabenheit und Schönheit, wie jener, der in dem Medicäischen Zeitalter gleich einem warmen Frühlingshauch alle die großen Geister zumal und auf der Stelle hervorrief, einer Verfassung, wie sie uns Perikles im Lob Athens schildert, und die uns die milde Herrschaft eines väterlichen Regenten sicherer und dauernder als Volksregierung gewährt; wo jede Kraft freywillig sich regt, jedes Talent mit Lust sich zeigt, weil jedes nur nach seiner Würdigkeit geschätzt wird; wo Unthätigkeit Schande ist, Gemeinheit nicht Lob bringt; sondern nach einem hochgesteckten, ausserordentlichen Ziel gestrebt wird. Nur dann, wenn das öffentliche Leben durch die nämlichen Kräfte in Bewegung gesetzt wird, durch welche die Kunst sich erhebet, nur dann kann diese von ihm Vortheil ziehen; denn sie kann sich, ohne den Adel ihrer Natur aufzugeben, nach nichts Aeusserem richten. Kunst und Wissenschaft können beyde sich nur um ihre eigne Axe bewegen; der Künstler wie jeder geistig Wirkende nur dem Gesetz folgen, das ihm Gott und Natur in‘s Herz geschrieben, keinem andern. Ihm kann niemand helfen, er selbst muß sich helfen; so kann ihm auch nicht äusserlich gelohnt werden, da, was er nicht um seiner selbst willen hervorbrächte, alsobald nichtig wäre; eben darum kann ihm auch niemand befehlen, oder den Weg vorschreiben, welchen er wandeln solle. Ist er beklagenswerth, wenn er mit seiner Zeit zu kämpfen hat; so verdient er Verachtung, wenn er ihr fröhnt. Und wie vermöchte er auch nur dieses? Ohne großen allgemeinen Enthusiasmus giebt es nur Sekten, keine öffentliche Meinung. Nicht ein befestigter Geschmak, nicht die großen Begriffe eines ganzen Volkes, sondern die Stimmen einzelner willkührlich aufgeworfener Richter entscheiden über Verdienst, und die Kunst, die an ihrer Hoheit selbstgenügsam ist, buhlt um Beyfall, und wird dienstbar, da sie herrschen sollte.

Verschiednen Zeitaltern wird eine verschiedene Begeisterung zu Theil. Dürfen wir keine für diese Zeit erwarten, da die neue jetzt sich bildende Welt, wie sie theils schon äusserlich, theils innerlich und im Gemüth vorhanden ist, mit allen Maßstäben bisheriger Meinung nicht mehr gemessen werden kann, alles vielmehr laut größere fodert, und eine gänzliche Erneuung verkündet? Sollte nicht jener Sinn, dem sich Natur und Geschichte lebendiger wieder aufgeschlossen, auch der Kunst ihre großen Gegenstände zurückgeben? Aus der Asche des Dahingesunknen Funken ziehen, und aus ihnen ein allgemeines Feuer wieder anfachen wollen, ist eitle Bemühung. Aber auch nur eine Veränderung, welche in den Ideen selbst vorgeht, ist fähig, die Kunst aus ihrer Ermattung zu erheben; nur ein neues Wissen, ein neuer Glaube vermögend, sie zu der Arbeit zu begeistern, wodurch sie in einem verjüngten Leben eine der vorigen ähnliche Herrlichkeit offenbarte. Zwar [362] eine Kunst, die nach allen Bestimmungen dieselbe wäre, wie die der früheren Jahrhunderte, wird nie wieder kommen; denn nie wiederholt sich die Natur. Ein solcher Raphael wird nicht wieder seyn, aber ein anderer, der auf eine gleich eigenthümliche Weise zum Höchsten der Kunst gelangt ist. Lasset nur jene Grundbedingung nicht fehlen, und die wiederauflebende Kunst wird wie die frühere in ihren ersten Werken das Ziel ihrer Bestimmung zeigen: in der Bildung des bestimmt Charakteristischen schon, geht sie anders aus einer frischen Urkraft hervor, ist, wenn auch verhüllt, die Anmuth gegenwärtig, in beyden schon die Seele vorherbestimmt. Werke, die auf solche Art entspringen, sind auch in anfänglicher Unvollendung schon nothwendige, ewige Werke.

Wir dürfen es bekennen, wir haben bey jener Hoffnung eines neuen Auflebens einer durchaus eigenthümlichen Kunst hauptsächlich das Vaterland im Auge. War doch schon zu der nämlichen Zeit, welche die Kunst in Italien wieder erweckte, aus einheimischem Boden das vollkräftige Gewächs der Kunst unseres großen Albrecht Dürer hervorgegangen; wie eigenthümlich deutsch, und doch wie verwandt jenem, dessen süße Früchte die mildere Sonne Italiens zur höchsten Reife brachte. Dieses Volk, von welchem die Revolution der Denkart in dem neueren Europa ausgegangen, dessen Geisteskraft die größten Erfindungen bezeugen, das dem Himmel Gesetze gegeben, und am tiefsten von allen die Erde durchforscht hat, dem die Natur einen unverrückten Sinn für das Rechte und die Neigung zur Erkenntniß der ersten Ursachen tiefer als irgend einem anderen eingepflanzt, dieses Volk muß in einer eigenthümlichen Kunst endigen.

Wenn die Schicksale der Kunst abhängig sind von den allgemeinen Schicksalen des menschlichen Geistes, mit welchen Hoffnungen dürfen wir das nächste Vaterland betrachten, wo ein erhabener Regent dem menschlichen Verstande Freyheit, dem Geiste Flügel, menschenfreundlichen Ideen Wirksamkeit gegeben hat, indeß gediegene Völker die lebendigen Keime alter Kunstanlage noch bewahren, und die berühmten Sitze altdeutscher Kunst mit ihm vereiniget worden. Ja die Künste und Wissenschaften selbst, wären sie sonst überall verbannt, würden eine Freystatt unter dem Schutz des Thrones suchen, auf dem milde Weisheit das Scepter führt, den Huld als Königin verschönert, angestammte Kunstliebe verherrlichet, durch welche auch der junge Fürst, den in diesen Tagen der laute Jubel des dankbaren Vaterlandes empfangen, die Bewunderung fremder Nationen geworden ist. Hier würden sie die Samen eines künftigen kräftigen Daseyns überall ausgestreut, hier schon erprobten Gemeinsinn und befestigt unter dem Wechsel der Zeiten wenigstens das Band Einer Liebe und Eines allgemeinen Enthusiasmus finden, des für das Vaterland und für den König, um Dessen Heil und Erhaltung bis zum äussersten Ziel menschlicher Jahre heißere Wünsche in keinem Tempel aufsteigen können, als in diesem, den Er den Wissenschaften erbauet.

1 Worte J.G. Hamann‘s in dem Kleeblatt hellenistischer Briefe II. S. 189., gemildert nach dem Zusammenhang gegenwärtiger Rede, denn so lauten sie in des Mannes eignem Ausdruck: „Eure mordlügnerische Philosophie hat die Natur aus dem Wege geräumt, und warum fodert ihr, daß wir selbige nachahmen sollen? Damit ihr das Vergnügen erneuern könnt, an den Schülern der Natur auch Mörder zu werden?“ – Möchte Derjenige, dem der Verfasser die erste genauere Bekanntschaft mit den Schriften jenes urkräftigen Geistes verdankt, F.H. Jacobi, die längst gehoffte Ausgabe der Werke Hamann‘s entweder noch selbst übernehmen, oder durch Sein Wort beschleunigen!

2 Einzig ist Winkelmann in seinem Zeitalter durch die Objektivität nicht allein seines Styls, sondern seiner ganzen Betrachtungsweise. Es giebt eine Geistesart, welche über die Dinge denken, eine andre, die sie an sich selbst, nach ihrer lautern Nothwendigkeit erkennen will. Von dieser Art gab Winkelmann‘s Geschichte der Kunst das erste Beyspiel; später erst zeigte sich dieser Geist auch in andern Wissenschaften, wenn gleich mit großem Widerstreben der anders Gewöhnten. Gemächlicher ist die erste Art. – Meister kannte Winkelmann‘s eigentliches Zeitalter nur in dieser, man müßte denn den eben genannten Hamann ausnehmen wollen. Aber ist dieser für sein Zeitalter zu rechnen, in welchem er unverstanden und ohne Wirkung blieb. Lessing, der einzige neben Winkelmann zu nennende Mann jener Zeit, ist dadurch groß, daß er in der gänzlichen Subjektivität derselben und obwohl er eben in dem Denken über die Dinge die höchste Meisterhaftigkeit entwickelte, doch nach der andern Sinnesart wenn auch unbewußt sehnend sich geneigt hat, nicht allein in seiner Erkennung des Spinozismus, sondern in so mancher andern Anregung, hauptsächlich durch die Erziehung des Menschengeschlechtes. Für ein Vorurtheil aber hat der Verfasser immer die Meynung ansehen müssen, als wäre Lessing mit Winkelmann ganz Eines und desselben Sinnes und Meynens in Absicht der höchsten Absicht der Kunst. – Man höre folgende Fragmente Lessing‘s: „Die eigentliche Bestimmung einer schönen Kunst kann nur dasjenige seyn, was sie ohne Beyhülfe einer andern hervorzubringen im Stande ist. Dieses ist bey der Mahlerey die körperliche Schönheit. – Um körperliche Schönheiten von mehr als einer Art zusammenbringen zu können, fiel man auf das Historienmahlen. – Der Ausdruck, die Vorstellung der Historie war nicht die letzte Absicht des Mahlers. Die Historie war bloß ein Mittel, seine letzte Absicht, mannichfaltige Schönheit, zu erreichen. – Die neuen Mahler machen offenbar das Mittel zur Absicht. Sie mahlen Historien, um Historien zu mahlen und bedenken nicht, daß sie dadurch ihre Kunst nur zu einer Hülfe andrer Künste und Wissenschaften machen, oder wenigstens sich die Hülfe der andern Künste und Wissenschaften so unentbehrlich machen, daß ihre Kunst den Werth einer primitiven Kunst gänzlich dadurch verliert. – Der Ausdruck körperlicher Schönheit ist die Bestimmung der Mahlerey. – Die höchste körperliche Schönheit also ihre höchste Bestimmung u.s.w.“ (Aus Lessing‘s Gedanken und Meynungen, zusammengestellt von Friedrich Schlegel. Th. I. S 292) – Wie sich der scharfscheidende Lessing den Begriff einer rein – körperlichen Schönheit denken und auf diesem bestehen konnte, begreift sich wohl; zur Noth auch, wie er sich überreden konnte, daß nach Wegdenkung jenes Zwecks, der Darstellung mannichfaltiger körperlicher Schönheit, für die Historienmahlerey kein andrer übrig bleibe, als eben – Vorstellung der Historie. Wenn aber Winkelmann‘s Lehre, wie sie besonders in der Geschichte der Kunst enthalten ist (die Monumenti inediti sind für Italiäner geschrieben und haben nicht gleichen urkundlichen Werth, wie die erste), mit jenen Lessingischen Behauptungen in Einklang zu bringen steht; wenn es sich insbesondre als Meynung Winkelmann‘s erweisen läßt, daß Darstellung von Handlungen und Leidenschaften, kurz, die höchste Gattung in der Mahlerey nur erfunden worden, um eine Abwechslung körperlicher Schönheit in ihr zu zeigen, so bekennet der Verfasser, von Winkelmann nichts, überall nichts verstanden zu haben. Interessant wird immer die Vergleichung des Laokoon, als des Geistreichsten, was über Kunst in obigem Sinne gedacht [364] worden, mit den Werken Winkelmann‘s in Bezug auf äussern und innern Styl beider bleiben; die totale Verschiedenheit der beyden geistigen Behandlungsarten eines Gegenstandes muß dabey jedem einleuchtend werden.

3 Man sehe z.B. die Dasdorfische Briefsammlung. II Th. S. 235.

4 Doch auch als Folge der Zeit nach war die hier aufgestellte zu rechtfertigen, wenn zu näherer Nachweisung Raum war. Denn leicht konnte diesem oder jenem erinnerlich seyn, daß das Werk des jüngsten Gerichtes erst nach Raphaels Tode angefangen worden. Aber Michel Angelo‘s Styl war mit ihm geboren, und demnach auch der Zeit nach früher denn Raphael. Ohne eben den gewöhnlichen Erzählungen von der Wirkung des Anblicks der ersten römischen Werke des Michel Angelo auf den Jüngling Raphael mehr Glauben beyzumessen, als sie verdienen, oder es von diesem Zufall herzuleiten, daß der Letzte von anfänglich noch zaghafteren Styl zur Kühnheit und Großheit vollendeter Kunst gediehen, ist dennoch unläugbar, nicht nur daß Michel Angelo‘s Styl eine Basis der Kunst des Raphael gewesen, sondern daß sich durch ihn die Kunst überhaupt erst zu völliger Freyheit erschwungen. – Von Correggio sollte vielleicht weniger zweideutig gesagt seyn: „Durch ihn blühet das wahre goldne Zeitalter in der Kunst“ obschon niemand leicht das Gesagte mißverstehen, oder verkennen wird, was der Verfasser für das eigentlich Höchste neuerer Mahlerey gehalten.

5 Diese ganze Abhandlung weißt die Basis der Kunst und also auch der Schönheit in der Lebendigkeit der Natur nach: was indeß Lehre der heutigen Philosophie sey, ist den öffentlichen Beurtheilern bekanntlich immer besser bewußt, als den Urhebern derselben. So erfuhren wir durch das Mittel einer sonst mit Recht geschäzten Zeitschrift von einem solchen Kenner vor Kurzem: daß es zufolge der neuesten Ästhetik und Philosophie – (ein weitschichtiger Begriff, worin von namhaften Halbkennern aus dem Haufen alles Mißfällige zusammengeworfen wird, vermuthlich um es desto besser über den Haufen zu werfen) – nur eine Kunstschönheit, aber keine Naturschönheit gebe. Wir möchten nun gern fragen, wo die neueste Philosophie, desgleichen Ästhetik, eine solche Behauptung aufgestellt; erinnerten wir uns nicht in diesem Augenblick, welchen Begriff Richter dieser Art mit dem Wort Natur, besonders in der Kunst zu verbinden pflegen. Der angeführte Beurtheiler meynt es übrigens mit jener Meynung selbst nicht übel; vielmehr sucht er ihr durch einen strengen Beweis, in den Redensarten und Formen der neuesten Philosophie, selbst zu Hülfe zu kommen. Vernehmen wir den trefflichen Beweis! „Das Schöne sey die Erscheinung des Göttlichen im Irdischen, des Unendlichen im Endlichen. Die Natur sey nun zwar auch Erscheinung des Göttlichen, aber diese – seit dem Anfang der Zeit gewesene und bis an‘s Ende der Tage dauernde Natur, wie sich der Wohlunterrichtete näher ausdrückt – erscheine nicht des Menschen Geiste, und nur in ihrer Unendlichkeit sey sie schön.“ – Wir mögen diese Unendlichkeit nehmen, wie wir wollen, so ist hier der Widerspruch, daß die Schönheit Erscheinung des Unendlichen im Endlichen, dennoch aber die Natur nur in ihrer Unendlichkeit schön seyn solle. Doch sich selbst bezweifelnd wendet der Kenner ein, daß jeder Theil eines schönen Werkes doch auch noch schön sey, z.B. die Hand oder der Fuß einer schönen Bildsäule. Aber (so löst er den Zweifel) wo haben wir denn die Hand oder den Fuß von einem solchen Koloß (der Natur nämlich)? Der philosophische Kenner giebt hiemit den Werth und die Erhabenheit seines Begrifs von Unendlichkeit der Natur zu erkennen. Er findet sie in der unermeßlichen Ausdehnung. Daß eine wahre wesentliche Unendlichkeit in jedem Theil der Materie ist, ist eine Übertreibung, zu der sich der billige Mann gewiß nicht versteigt, spricht er gleich die Sprache der neuesten Philosophie. Und daß der Mensch z.B. noch wohl etwas mehr, denn nur Hand und Fuß der Natur seyn könnte – wohl eher das Auge – Hand und Fuß aber ausserdem auch wohl noch zu finden wären – könnte nicht ohne Ausschweifung auch nur gedacht werden. Demnach mag ihm die Frage selbst nicht vernichtend genug geschienen zu haben, und die rechte philosophische Anstrengung beginnt erst. Es sey allerdings wahr, meynt der Treffliche, daß jedes [365] Einzelne in der Natur eine Erscheinung des Ewigen und Göttlichen – doch wohl in diesem Einzelnen? – sey; aber das Göttliche erscheint nicht als göttlich, sondern als irdisch und vergänglich. – Das ist philosophische Kunst zu nennen! Wie auf das Gebot Apparais und Disparais die Schatten im Schattenspiel kommen und gehen, so erscheint das Göttliche im Irdischen, und erscheint auch minder nicht, wie der Künstler es will. Doch dieses ist nur Vorspiel zu einer nachfolgenden Schlußkette, deren Glieder besondrer Auszeichnung werth sind. 1) „Das Einzelne, als solches, stellt nichts dar, als ein Bild des Werdens und Vergehens – und zwar nicht die Idee des Werdens und Vergehens, sondern ein Beyspiel davon, dadurch, daß es wird und vergeht.“ (So könnte man auch von einem schönen Gemählde sagen, es stellt ein Beyspiel des Werdens und Vergehens dar, denn auch dieses fängt erst allmälig an, seine Farbenstimmung zu erhalten, dann verdunkelt es und wird vom Rauch, Staub, Würmern oder Motten angegriffen.) 2) „Nun aber erscheint in der Natur nichts, als Einzelnes“ (vorhin aber war alles Einzelne eine Erscheinung des Göttlichen in dem Einzelnen). 3) Also kann nichts in der Natur schön seyn, weil das Göttliche, welches doch wohl dauernd und bleibend (in der Zeit versteht sich!) erscheinen muß, dauernd und bleibend im Irdischen erscheinen müßte, damit Schönheit wäre, in der Natur aber nichts als Einzelnes, demnach Vergängliches ist. Herrlicher Beweis! Nur an einigen Gebrechen leidet er, von denen nur zwei erwähnt werden sollen. Die Behauptung Nro. 2., daß in der Natur nichts als Einzelnes erscheine; zuvor aber waren da, wo jetzt nichts als Einzelnes ist, drei Dinge: A) das Göttliche, B) das Einzelne, in dem es erscheint, C) das in dieser Verbindung Gewordne, zugleich Göttliche und Irdische. Nun vergißt aber der Bescheidne, der kurz zuvor sein Antlitz im Spiegel der neuesten Philosophie beschaut, ganz wie es gestaltet war. Er sieht jetzt von A, B und C nur noch B, von dem freilich leicht zu beweisen steht, daß es nicht das Schöne ist, da es nach seiner eignen Erklärung nur das C seyn sollte. Er wird nun nicht im Gegentheil sagen wollen, daß das C nicht erscheine; denn auch das hatte er schon anders gemeint. Denn A (das Göttliche) erscheint nicht für sich, sondern nur durch das Einzelne, B; also in C. B aber ist überhaupt nur, inwiefern A in ihm erscheint also auch nur in C; gerade C also ist das einzige wirklich Erscheinende. – Das zweite Gebrechen liegt in dem dem Schlußsatz, obwohl nur mit halber Sicherheit, fast nur als Anfrage eingeschobnen Nebensatz: das Göttliche, als solches, müßte doch wohl bleibend und dauernd erscheinen! Offenbar hat der wohl orientirte Mann die Idee des An-sich, ohne alle Zeit, Ewigen mit dem Begriff des in der Zeit bleibenden und endlos dauernden verwechselt, und verlangt das letzte, wenn er das erste sehen soll. Nun, wenn das Göttliche nur im endlos fortdauernden erscheinen kann, so mag er zusehen, woher er eine Erscheinung desselben in der Kunst, also ein Kunstschönes, erweisen kann. – Es kann nicht fehlen, daß dieser gründlich belehrte Mann zu andrer Zeit hingeht und wieder andern den Mißbrauch der neuesten Philosophie vielleicht nicht ohne Grund verweißt, durch welche Potenzenfolge immer besseren Verstehens das Verständniß, wie man leicht sieht, immer weiter gedeihen muß.

6 Es kann dieß, nämlich daß vor den Stiftern der neuesten Mahlerei Denkmäler alter Kunst gestanden, nicht einmal von den ersten oder ältesten derselben behauptet werden. Denn wie der würdige Fiorillo in seiner Geschichte der zeichnenden Künste Th. I. S. 69. ausdrücklich bemerkt, so waren zu den Zeiten des Cimabue und Giotto noch keine alten Gemählde und Statuen wieder entdeckt; sie lagen vernachlässigt unter der Erde. „Niemand konnte daher daran denken, sich nach den Mustern, die uns die Alten hinterlassen, zu bilden, und der einzige Gegenstand des Studiums für die Maler war die Natur. An den Werken des Giotto, Schülers von Cimabue, bemerkt man, daß er sie schon fleißig zu Rathe gezogen. Auf diesem Pfade, der auf die Antike vorbereiten und näher dazu hinleiten konnte, ging man nach seinem Beyspiele fort, bis, wie derselbe Geschichtschreiber S. 286. bemerkt, das Medicäische Haus (namentlich mit Cosmus) anfing, Denkmäler der alten Kunst aufzusuchen. „Vorher mußten sich die Künstler mit den Schönheiten [366] begnügen, welche ihnen die Natur darbot, doch hatte diese fleißige Beobachtung den Vortheil, daß dadurch eine mehr wissenschaftliche Bearbeitung der Kunst vorbereitet wurde, und die folgenden philosophischen Künstler, ein da Vinci und Michel Angelo, die den Erscheinungen der Natur zum Grunde liegenden beharrlichen Gesetze zu erforschen anfingen.“ – Aber auch die Wiederauffindung der alten Kunstwerke in dem Zeitalter dieser Meister und dem des Raphael hatte keineswegs die Nachahmung derselben in dem erst späterhin aufgekommnen Sinne zur Folge. Die Kunst blieb dem einmal eingeschlagnen Wege getreu und vollendete sich ganz aus sich selbst; nichts von aussen in sich aufnehmend, sondern auf eigenthümliche Weise nach dem Ziel jener Vorbilder strebend, und nur im letzten Punkt der Vollendung mit ihnen zusammentreffend. Erst mit den Zeiten der Carraccis wurde Nachahmung der Antike, welche ganz etwas anders sagen will, als Bildung des eignen Sinnes nach dem Geiste derselben, förmliches Prinzip, und ging besonders durch Poussin in die Kunsttheorie der Franzosen über, welche fast von allen höheren Dingen einen bloß buchstäblichen Verstand haben. Hierauf wurde durch Mengs und durch Misverstand der Ideen Winkelmanns dasselbe auch bei uns einheimisch, und brachte der deutschen Kunst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts eine solche Mattheit und Geistlosigkeit, mit solcher Vergessenheit des ursprünglichen Sinnes, bei, daß selbst einzelne Auflehnungen dagegen meist wieder nur misverstandnes Gefühl waren, das aus einer Nachahmungssucht in die andre noch schlimmere führte. Wer kann läugnen, daß in den letzten Zeiten sich wieder ein weit freierer und eigenthümlicherer Sinn in deutscher Kunst gezeigt hat, der, wenn alles zusammenstimmte, große Hoffnungen gewährte, und vielleicht den Geist erwarten ließe, der in der Kunst denselben höhern und freiem Weg eröffnete, der in der Dichtkunst und den Wissenschaften betreten worden ist, und auf dem allein eine Kunst werden könnte, die wir wahrhaft unser, d.h. eine Kunst des Geistes und der Kräfte unsres Volkes und unsres Zeitalters nennen könnten.

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Friedrich W. J. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, 1807

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