Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "I.", in: Leipziger Spectateur, Vol.5\001 (1723), S. 193-197, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2555 [aufgerufen am: ].


Ebene 1►

Der
Leipziger
SPECTATEUR.
I.

Zitat/Motto► Quid muliercularum censetis quas etiam parva movent. ◀Zitat/Motto

Livius lib. 34. Cap. 7.

Zitat/Motto► Was will man doch der Weiber Thun beschreyn.
Wann Männer selbst so schwach und weibisch seyn? ◀Zitat/Motto

Ebene 2► Ebene 3► Exemplum► JEdwedes Alter derer Menschen, iedweder Stand, iedwedes Land, Volck, Geschlecht, ja iedweder Mensch hat seine besondere Fehler, dabey man einen sicher mercklichen Unterschied antreffen wird. Also haben die männliche und weibliche Geschlecht iedes seine besondern Mängel und Gebrechen, und es herschen bey denen Manns-Personen gewisse La-[194]ster, welche man bey Weibs-Personen nicht so leicht antrifft, hingegen sind bey denen Weibs-Personen wiederum gewisse Laster, die bey denen Manns-Leuten nicht sonderlich gemercket werden. Mehrentheils ändert auch das Alter die Laster ietzbenannter Geschlechter, und da trifft man bey alten Männern andere Laster an, als bey jungen Manns-Personen, und alte Weiber sind andern Lastern zugethan als junge Mädgens. Wann nun zuweilen die Unarten des einen Geschlechts bey dem andern wahrgenommen werden, und dabey zugleich das Alter versetzt ist, so erblickt man eine abscheuliche und lächerliche Figur von einem Menschen. Zum Exempel, die alten Weiber haben manchesmahl den Fehler an sich, daß sie immer greinen und lächeln, wenn nun eine junge Manns-Person nach Art einer solchen alten Frauen die immer lächelt, ebenfalls die Zähne welset und immer greinet, das muß gewiß wunderlich und abgeschmackt scheinen. Oder manche alte Weiber können bey ieder Gelegenheit, da es ihnen gefällt gantze Ströhme von Thränen vergiessen, wann nun ein junger Kerl von 20. Jahren ohngefähr, also fort anfängt zu gransen und zu heulen, wann ihn etwas nur im geringsten afficiret, da sieht er wahrhafftig einen Affen ähnlicher als einem Menschen, und an statt daß man mit ihm weinen solte, wird er billich ausgelacht. So lächerlich aber dieses ist, wann junge Manns-Personen, diese Fehler der alten Weiber an sich haben, so abgeschmackt ist es, wann sie auch in [195] denen andern Dingen denen alten Weibern nachahmen. Man beschuldiget die alten Frauen sonderlich dieser Fehler, daß sie gerne kuppelten, alles beredeten, meistens übels von andern Leuten gedächten und sprächen, zänckisch wären, alle Leute zusammen hetzten, von einen zum andern trügen, gerne tendelten, trödelten, sehr filtzig haußhielten, alles begaffeten, gerne quacksalberten und artzneyeten, und was dergleichen theils läppische theils gottlose Dinge mehr sind. Wenn nun junge Leute von 16 biß 20. und 30. Jahren, dergleichen Laster an sich haben, dadurch sie denen lasterhafften alten Weibern ähnlich werden, so sind sie nicht nur auslachens sondern auch straffens werth. Jnzwischen muß man sich doch billich verwundern daß die alte Weiber-Conduite unter unsern jungen Leuten so schrecklich einreist. Kommt man in ihre Gesellschafften, so ist nichts gemeiner als daß sie andere Leute durchhecheln, und derjenige wird unter ihnen für den geschicktesten und artigsten gehalten, welcher am boßhafftigsten und leichtfertigsten andere durchziehen kan. Nun solten zwar rechtschaffene Leute sich darum nicht bekümmern ob solche junge Anfänger in der Kunst zu dencken zu reden und zu leben ihrer auf eine so unanständige Art erwehnten oder nicht, und es sind auch die bonmots dieser Leute zuweilen sehr albere, gründen sich mehrentheils auf Kindereyen und vanitäten z. e. daß dieser oder jener sich zu schlecht oder zu vornehm kleide, einen solchen Gang habe, eine solche peruque trage, [196] daß dieses oder jenes Frauenzimmer mit diesem gute Freundschafft pflege, einen etwas erhabnen Rücken habe etc. Doch bekommen deswegen junge Leute niemahls das recht alles durch zuziehen, was sie sehen und hören, und würden sie weißlicher handeln wann sie an ihre eigne Fehler gedächten, und die Geschicklichkeit andere zu bereden denen alten Weibern überliessen. Wer von anderer Leute Thaten reden will muß erstlich ihren Endzweck und die mittel wissen, deren sie sich bedienen ihren Endzweck zu erhalten: Zum andern muß er theil nehmen an dem Thun der Leute davon er redet, denn was einem nichts angehet, da darff er sich nicht um bekümmern, und endlich muß er nach den Reguln der Klugheit und Gerechtigkeit urtheilen; ob es dennoch wohl gethan sey, wann beyde vorerwehnte Dinge ihre Richtigkeit haben, daß er von andern rede, und ob es nicht vielmehr billiger und klüger wann er schweiget, oder wenigstens nichts nachtheiliges redet. Gewiß man hat es als ein Kennzeichen eines malhonnetten Gemüths anzusehen, eine Zunge haben die von allen Böses von niemanden aber Gutes redet. Dahingegen honnette Leute lieber nichts reden als etwas Böses andern nachsagen. Sie wünschen daß sie was unrecht gethan ist so umkehren möchten als ob es nicht geschehen wäre, wann iemand etwas übels an sich hat so suchen sie es zu verbergen, zu bessern, zu entschuldigen, ehe sie zugeben daß es seiner Ehre und guten Nahmen oder zeitlichen Glück schaden möge, [197] oder ehe sie daher Gelegenheit nehmen solten ihn zu blamiren. Allein Jugend und Tugend also auch Jugend und honnettete stehn selten bey einander, und das rohe und wilde Wesen, welches bey den meisten herschet, lässet ihnen kaum eine vernünfftige Gedancke von honnettete einkommen, und wem sie lieb haben der macht alles recht, aber der dem sie gram sind, an dem ist auch der geringste und unschuldigste Umstand zu tadeln ihrer Meinung nach: Weiter was ist es nicht für ein unanständiges Wesen wann ein junger Mensch nach Art der alten Weiber von einem zum andern trägt, er sagt seinem Freunde den er vor sich hat im Vertrauen er habe von ihm sagen hören daß er von einem andern gesaget was er nicht hätte sagen sollen, und hernach wann er im Vertrauen dieses gesaget so saget jener etwas hefftiges vielleicht, und dieser verläst ihn kaum so sagt er einem andern den er findet wieder im Vertrauen was dieser gesaget, so kommt durch hören und sagen und wiedersagen, eine alte Weiber-Historie heraus, welche doch gleichwohl die besten Freunde uneinig die ehrlichsten Leute schwartz und zumahl wenn es niemahls unter ihnen zum eclaircissement kommt, die vernünfftigsten unruhig macht. Gewiß es eckelt mich für einer solchen alten Weiber conduite eines jungen Menschen also, daß ich auch nicht mehr davon gedencken und schreiben mag. ◀Exemplum ◀Ebene 3 ◀Ebene 2 ◀Ebene 1