Als Arbeiterin in einer Zigarrenfabrik / Kleine Aufzeichnungen unterwegs: Twilight Zones Edition Leitner Maria TEI encoding Schöfberger, Riccardo data modeling Scholger, Martina text compilation, text analysis Knaller, Susanne text compilation, text analysis Moebius, Stephan text editing, text correction Huber, Mario text editing, text correction Pachner, Marie-Therese digital implementation Stüger, Marie Twilight Zones Knaller, Susanne Moebius, Stephan Scholger, Martina Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System 2020 Graz o:liminal.leitner.1988c context:liminal.texts <title type="main">Als Arbeiterin in einer Zigarrenfabrik Kleine Aufzeichnungen unterwegs Eine Frau reist durch die Welt Leitner Maria 1988 Berlin Dietz Leitner, Maria. Eine Frau reist durch die Welt. Berlin, Wien: Agis-Verlag, 1932. Domains contemporary history contemporary culture economy Frame work environment own and foreign Genre chronicle documentation Mode anecdotal narrative documentary autobiographical Transgression literature/essay German Initial TEI encoding TEI encoding Terms Frame and Location public spaces hotel factory Fields economy Techniques Styles factual ironic observative Concepts Author Roles observer of culture, politics and society Norms profit seeking racism and antisemitism Me/We-Relation gender Frame and Location work own and foreign
Als Arbeiterin in einer Zigarrenfabrik / Kleine Aufzeichnungen unterwegs
Tabakluft

Schon in einigen hundert Metern Entfernung spürt man sie. Sie ist bitter und ätzend. Je mehr man sich der Fabrik nähert, um so schärfer, dicker wird sie. Wenn man die Fabrik betritt, hat man das Gefühl: Hier kann man nicht atmen. Aber es ist doch angenehm zu wissen: Ich habe Arbeit gefunden.

Der Werkmeister führt mich in den unteren Arbeitssaal und erklärt mir, ich müsse erst Stripperin werden. Ich nicke verständnisvoll, um nicht zu verraten, daß ich keineswegs im Bilde bin. Doch scheint er das gar nicht von mir zu erwarten, denn er sagt: »Heute vormittag sollen Sie nur beobachten. Setzen Sie sich zu dieser Frau«, er zeigt auf eine umfangreiche und gutmütig dreinblik- kende Arbeiterin, »und passen Sie gut auf, wie die arbeitet.«

Ich setze mich auf eine Holzkiste, die als Sitzgelegenheit und gleichzeitig als Aufbewahrungsort für die aufzuarbeitenden Tabakblätter dient. Dann sehe ich mich um. Es ist ein langer, dunkler Raum mit niedrigem Balkengewölbe. Einige Fenster stehen offen, und die Natur, bestaubte Bäume, blickt zu uns herein, denn wir sind auf dem Lande.

Die Arbeiterinnen, man muß es gleich vorweg sagen, haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Statistinnenchor in »Carmen«. Es sind Frauen jeglichen Alters, alte Bäuerinnen, Slowakinnen, Ungarinnen, burgenländische Österreicherinnen in ihrer heimatlichen Tracht, mit Kopftüchern und weiten, langen Röcken, und junge Mädchen in tief ausgeschnittenen Kleidern, sorgfältig geschminkt.

Zum Teil sitzen sie vor Maschinen. Viele trennen mit der Hand den Stengel von den Tabakblättern, andere sortieren die schon zerschnittenen Blätter nach Größe, Farbe und Qualität.

Ich beginne nun vorschriftsmäßig die Frau neben mir zu beobachten. Sie arbeitet an einer Maschine. Sie faltet die Tabakblätter auseinander, hält den Stengel zwischen die Hauptschneidemesser, welche die Walze der Maschine zerteilen, und läßt die Blätter um die Walze laufen. Die Maschine verschlingt in rasender Schnelligkeit die Blätter. Wenn sie keine mehr fassen kann, werden die Blätter, die zerschnitten nun säuberlich Übereinanderliegen, aus der Maschine genommen. Die Sache sieht riesig einfach aus. Ich glaube, ich könnte es der Frau gleich nachmachen.

Während sich ihre Hände unaufhörlich bewegen, spricht sie auch ebenso ausdauernd. Sie ist »erst« seit zwei Jahren in der Fabrik und ist nicht wenig stolz, daß sie trotzdem eine der besten Arbeiterinnen ist und zu denen gehört, die am meisten verdienen. Aber viel ist es nicht. Die Zigarrenmacherinnen, das ist etwas anderes, spricht die Frau weiter, die können viel verdienen, aber das dauert jahrelang, bis man es in der schweren Kunst des Zigarrenmachens so weit gebracht hat. Dann beginnt sie ihr Leben vor mir auszubreiten von ihrer Geburt bis zu dem heutigen Tag. Manchmal unterbricht sie ihre Erzählung mit der teilnehmenden Frage: »Ist Ihnen noch nicht schlecht?« Sie erwartet nicht etwa, daß ihre Erinnerungen eine so starke Wirkung auf mich ausüben könnten, sondern sie denkt an die Luft. Sie fühlte sich am Anfang drei Tage lang so übel, daß sie zu sterben gedachte, aber dann hatte sie sich doch an sie gewöhnt.

Bald kam auch der Werkmeister wieder und sagte mir leise, wie man zu einer Kranken spricht: »Wenn Ihnen schlecht werden sollte, gehen Sie nur gleich an die frische Luft. Sie brauchen nicht zu erschrecken, das kommt nur anfangs vor, später werden Sie sich gewöhnen.«

Ich beginne mich ungemütlich zu fühlen, denn ich merke, wie die anderen zu mir herüberblinzeln und mit Spannung den Moment meiner Niederlage erwarten.

Ich versuchte mich abzulenken und ging der Frau Tabakblätter holen. Sie lagen da in großen Körben. Aber als ich mich über sie beugte, nun, es war kein angenehmes Gefühl. Denn diese zusammengebundenen Blätter sind feuchtwarm, sie liegen zwischen nassen Tüchern, und sie atmen einen Geruch aus, der nur wenig Ähnlichkeit mit dem sogenannten aromatischen Duft einer Havanna hat. Ich hielt den Atem an und ging zurück mit dem Tabak zu der Frau.

Eine Arbeiterin ruft mir zu: »Na, haben Sie sich noch nicht erbrochen?«

Sehe ich denn so elend aus? Aber ich fühle mich gar nicht schlecht. Im Gegenteil, ich verspürte Hunger. Und unter allgemeiner Bewunderung aß ich Sandwiches und trank Milch. Am unan- genehmsten aber empfindet man den Tabakgeruch, wenn man die Fabrik verläßt. Denn man nimmt ihn mit in den Kleidern und Haaren. Er dringt in die Poren ein. Man kann ihn nicht loswerden. Wir verbreiten Tabakgeruch. Die Menschen, die an uns Vorbeigehen, wissen: Das sind die Zigarrenmädchen, die von der Arbeit kommen. Man hat ungefähr das Gefühl, eine wandelnde Zigarre zu sein. Eine, die Aversion gegen Zigarrengeruch hat.

Die zwingende Maschine

Nachmittags sollte ich mich nun an meine Maschine setzen und selbst Versuche machen. Es stellte sich bald heraus, daß ich nicht gut beobachten konnte, denn ich hatte nicht gewußt, daß die eigentliche Arbeit nur von dem linken Fuß verrichtet wird. Ich habe allerdings bemerkt, daß die Frau die Maschine mit dem Fuß in Bewegung setzt, aber die wichtige Funktion des linken Fußes ist mir entgangen.

Der Werkmeister beginnt mir die Konstruktion der Maschine in sehr volkstümlicher Weise zu schildern. Daß es sich um eine elektrische Maschine handelt, habe ich wohl bemerkt, ich konnte sogar sehen, daß der elektrische Strom während der Mittagspause von dreiviertel Stunde nicht ausgeschaltet wurde und die Arbeiterinnen, die sich kaum fünf Minuten Essenszeit gönnen, weiter vor ihren Maschinen saßen. So außerordentlich ist hier die Macht der Maschinen, denn mit Ausnahme der Lernenden wird nur im Akkord gearbeitet.

Ich setze mich also auch vor die Maschine. Der rechte Fuß muß sie in Gang bringen, der linke reguliert die Schnelligkeit. Schwer ist das nun nicht, und ich bekomme endlich Material, allerdings schlechtes, ziemlich kleine und etwas angefaulte Blätter, die einen wenig angenehmen Geruch verbreiten und zum Husten reizen.

Die Arbeiterinnen legen mir ans Herz, auf meine Hände achtzugeben, denn die Maschine schnappt leicht nach den Fingern, die sich unvorsichtig in allzu große Nähe der Walze wagen. Der Werkmeister dagegen ist mehr um die Sicherheit des Tabaks besorgt und macht längere Ausführungen darüber, daß die Blätter nicht zerrissen werden dürfen.

Endlich soll die Maschine ernstlich arbeiten, und ich erlebe die große Enttäuschung, daß manches einfacher aussieht, als es in Wirklichkeit ist.

Die Maschine schnappt nach den Blättern nicht in regelmäßigen Abständen, wie dies bei der Frau der Fall war, sondern wild packt sie die Blätter, rollt sie zusammen und kümmert sich nicht im geringsten um den Stengel, den sie doch auszuschneiden die Pflicht hätte.

Der Werkmeister besieht sich meine Arbeit und schildert in so lebhaften Farben die Leiden des unglücklichen Zigarrenrauchers, der das Pech haben wird, eine Zigarre zu erwischen, bei deren Herstellung ich tätigen Anteil hatte, daß ich meine ganze Kraft zusammenzunehmen versuche, um die Sache richtig zu machen.

Aber es scheint nicht nur auf den guten Willen anzukommen. Und mein linker Fuß vergißt fortwährend seine Pflicht, besänftigend und regulierend auf die Maschine einzuwirken, der gesetzgebende Körper zu sein, der dem Chaos Halt zu gebieten hätte.

Ich begehe die größte Sünde, die man in einer Zigarrenfabrik überhaupt begehen kann.

Meine Hände versuchen die Sünden meines linken Fußes gutzumachen und das Tabakblatt vor der zermalmenden Maschine zu retten. Das gelingt mir, aber nur, indem die Blätter zerrissen in meiner Hand bleiben. Ich versuche nun, meine Missetat zu verbergen, und werfe die verdorbenen Blätter einfach auf die Erde. Obgleich mich dabei eine Tafel groß und vorwurfsvoll ansieht: Jede Unze Aufmerksamkeit rettet ein Pfund Tabak. Es stellte sich auch bald heraus, daß es überhaupt keine gute Methode war, zu versuchen, meine Sünden auf diese Weise zu verbergen, denn etwa eine halbe Stunde vor Schluß standen alle Arbeiterinnen auf und begannen den Boden durchzusuchen. Die Stengel sammelten sie zusammen und legten sie auf die Kisten, die auf die Erde gefallenen Tabakblätter aber wurden sorgfältig aufgehoben. Nur kleinste Tabakkrümel durften ausgefegt werden.

Meine Nachbarinnen hoben die zerrissenen Tabakblätter, die nun schon einen ansehnlichen Hügel bildeten, mit wahren Schreckensrufen auf. »Wenn das der Werkmeister gesehen hätte! Das wäre überhaupt nicht auszudenken gewesen! Wie konnten Sie das nur tun?!«

Ich sah dann, daß jede den Haufen Stengel aufhob und in langer Prozession den Werkmeister passierte, der die Stengel genau durchsah, worauf sie erst weggeworfen werden durften. Als er zwischen den Stengeln ein einziges Tabakblatt entdeckte, machte er der sündigen Arbeiterin einen gehörigen Krach.

»Sehen Sie, sehen Sie, wie es Ihnen ergangen wäre«, sagte eine meiner Nachbarinnen. Mich gruselte es ordentlich. Ich wußte nun, ich hätte keine größere Sünde in einer Zigarrenfabrik begehen können.

Schicksale

Neben mir sitzt eine Frau, die den ganzen Tag ohne aufzublicken arbeitet. Wenn der elektrische Strom ausgeschaltet wird, ist sie verzweifelt. Sie möchte noch weiterarbeiten. Sie muß für ihr Kind sorgen, das drüben geblieben ist. Sie kam nach Amerika, weil sie in ihrer Heimat mit ihrem Kind zusammen hätte verhungern müssen. Hier lebt sie fast ausschließlich von Brot, Milch und etwas Gemüse. Für eine Bettstelle, die tagsüber von einem Nachtarbeiter besetzt ist, zahlt sie im Monat zwei Dollar.

Früher hat sie im Haushalt gearbeitet und da besser gelebt und mehr verdient. »Aber ich konnte nicht bleiben, sehen Sie«, spricht sie. »Es waren da zwei Kinder, und das eine, ein Mädel, war genauso alt wie mein Kind. Und dieses Mädel habe ich nun so gehaßt, daß ich Angst hatte, mit ihm allein zu bleiben. Wenn ich daran dachte, daß ich zu diesem Kind gut sein muß, dieses Kind pflegen soll, während meines fern von mir, fremden Leuten überlassen, lebt, hätte ich es erwürgen mögen. Ich wußte ja, das Kind kann nichts dafür, es ist unschuldig an meinem Unglück, und doch konnte ich mir nicht helfen; wenn ich allein mit ihm blieb - und wie habe ich die Frau gebeten, mich nicht allein mit den Kindern zu lassen dann saß ich vor dem Mädchen und hielt meine Hände dicht an seinem Hals und jammerte. Dann bin ich endlich fort. Ich wäre sonst sicher zur Mörderin geworden.« Sie beugt sich über ihre Maschine und arbeitet weiter, ohne aufzublicken.

Meine andere Nachbarin ist ebenso fleißig, aber sie arbeitet nicht im Fieber, sondern in gemächlicher Zufriedenheit. Sie ist genau so breit wie lang und sitzt vor ihrer Maschine wie eine auseinandergegangene Teigmasse.

Ihr Mann arbeitet auch in der Zigarrenfabrik. Bei der Präparie- rung der Tabakblätter. Er verdient gut, und auch sie ist mit ihrem Verdienst zufrieden. Sie arbeitet seit zwanzig Jahren in Zigarrenfabriken, in dieser seit zwölf Jahren. Sie hat immer die Stengel aus den Tabakblättern gelöst, früher mit der Hand. »Aber«, sagt sie, »im vorigen Jahr hat mich diese Arbeit doch angefangen zu langweilen.« Sie erhielt auch die gewünschte Abwechslung, und man hat sie vor die Maschine gesetzt. Sie sieht heiter und zufrieden in die Zukunft. »Wir haben keine Sorgen, und wenn mein Mann sterben wird, bekomme ich tausend Dollar.« Sie sagt das sehr triumphierend und hoffnungsvoll. Sie breitet die tausend Dollar gleichsam vor sich aus und genießt die Möglichkeit eines so großen Reichtums. Sie hat es mit dem Schicksal ausgemacht, daß ihr Mann zuerst sterben muß.

Die amerikanische Carmen

Die amerikanische Carmen trägt keinen Seidenschal, sondern kleine amerikanische Matrosenhütchen aus dem Fünf- und Zehncent-Geschäft. Seidenkleider ersteht sie bei den Ausverkäufen, deshalb vertieft sie sich während der Arbeitspausen in den Anzeigenteil der Zeitungen. Sie pudert und schminkt sich und benutzt ein starkes Parfüm. Aber der Tabakgeruch triumphiert über alle Wohlgerüche. Auf der Straße wird doch jeder wissen: Sie ist eine Zigarrenarbeiterin.

Ihre Zwillingsschwester ist Zigarrenmacherin. Sie ist die andere Carmen. Beide sind sehr blond, die eine von glänzendem, die andere von mehr stumpfem Blond. Ihre vom Tabak gebleichte Haut ist von krankhafter Blässe. Die anderen Mädchen beneiden sie sehr, denn sie können in ihrer Toilette große Mannigfaltigkeit entfalten. Da sie von gleicher Figur sind, tragen sie ihre Kleider abwechselnd. Auch die Escamillos fehlen nicht, der eine ist Aufseher, der andere Beamter in einer nahen Fabrik, sie holen sie des öfteren im Auto ab. Es kam deshalb zu einem Auftritt zwischen ihnen und ihren ständigen »boys«, besser gesagt Don Josés, die Arbeiter in einer Zementfabrik sind.

Der Zwischenfall wurde in der Fabrik ziemlich ausführlich besprochen. Meine dicke Nachbarin meint, daß sich das schon geben wird. Sie werden die »boys« zweifellos heiraten. »In der Jugend macht man halt Dummheiten«, sagt sie, während sie mit der Arbeit etwas innehält und versonnen vor sich hin lächelt.

Wahrscheinlich wird es also zu keiner Operntragödie kommen. Escamillo wird bald den aufdringlichen Tabakgeruch lästig empfinden, und dann wird Carmen Don José heiraten. Sie wird breit werden. Nach zwanzig Jahren wird die Arbeit vielleicht anfangen, sie zu langweilen. Dann wird man sie an eine andere Maschine setzen. Manchmal wird sie, wenn sie sich über die Maschine beugen wird, auch träumen: von der Lebensversicherungspolice ihres Gatten.

Maschinenstürmer auch heute

Das Zigarrenmachen ist ein »trade«, ein Gewerbe. Es gehört viel Übung und eine gewisse Fingerfertigkeit dazu, um es darin zu etwas zu bringen.

Zwischen je zwei »Zigarrenmacherinnen« sitzt eine Arbeiterin, die die Einlage, das »bunch«, das »Bündel« der Zigarre herstellt. Die Zigarrenmacherin aber umwickelt die Einlage mit den Deckblättern.

Die Maschinen, die bei dieser Arbeit benutzt werden, sind ziemlich primitiv, aber man beginnt schon überall, neue elektrische Maschinen einzustellen.

Bei dieser neuen Maschine nun können vier Arbeiterinnen zu gleicher Zeit arbeiten, und schon eine Anfängerin kann nach einigen Wochen Übung tausend Zigarren den Tag hersteilen, während sie mit der alten Maschine nach so kurzer Lehrzeit nicht mehr als zweihundert Stück machen könnte.

Die alten Zigarrenmacherinnen, die nach jahrelanger Übung nicht mehr als sieben- bis achthundert Stück fertigstellen können, falls sie besonders geschickt sind, sehen mit Entsetzen die neue Maschine arbeiten. »Die Löhne werden gedrückt, man wird Arbeiterinnen entlassen, alles, was wir bisher mit vieler Mühe und Not erlernt haben, wird bald ganz überflüssig werden«, schwirrt es in der Luft.

Vorläufig arbeitet die Maschine noch nicht ganz tadellos. Sie verdirbt sehr viel Material, die Zigarren sehen nicht so sauber gearbeitet aus, sie hat einem Mädchen zwei Finger zerquetscht.

Aber später, wenn sie vervollkommnet wird? »Am besten wäre es«, sagte eine Frau, »alle neuen Maschinen zu zerschlagen.« Aber nach einer Weile fügt sie hinzu: „Aber auch das würde uns nicht viel helfen.«

Wie eine Zigarre den letzten Schliff erhält

Ich weiß nicht, ob die leidenschaftlichen Zigarrenraucher gerne hören werden, welchem Verfahren die Zigarren ihre tadellose, geschniegelte Erscheinung verdanken. Es kommt nämlich des öfteren vor, daß die Zigarren, besonders an den Enden, die Maschine in ziemlich zerzaustem Zustand verlassen. In solchen Fällen dreht die Zigarrenmacherin die Zigarrenspitzen im Munde herum, worauf sich die Blätter vorschriftsmäßig anschmiegen. Eine einfache, wenn auch vielleicht nicht ganz hygienische Methode.

Der Aufbau eines Zigarrenkonzerns

Die Zigarrenfabrik, in der ich arbeite, liegt in Northampton; sie ist eine Niederlassung der General Cigar Company. Dieser Konzern besitzt an die siebzig Fabriken, die über alle Teile der Vereinigten Staaten zerstreut sind: meist wurden sie in kleineren Städten oder Fabrikdörfern errichtet.

Diese Dezentralisationspolitik verschiedener großer Industriezweige hat in Amerika ihre besonderen, wohlüberlegten Gründe. Erstens könnte ein Streik gleichzeitig in 70 Fabriken nur mit der größten Schwierigkeit organisiert werden. Das ist schon verschiedene Male bewiesen worden.

Aber sie hat noch einen ebenso wichtigen Grund. Die Fabriken suchen die Arbeitskräfte auf. Nicht nur Wasserkräfte, wie dies auch in Europa geschieht, sondern menschliche Arbeitskräfte. Die Fabriken der General Cigar Company sind zum Beispiel ohne Ausnahme in Städten mit großen Stahl-, Zement- oder anderen Werken, die ausschließlich Männer beschäftigen, errichtet. Die Zigarrenfabrik zum Beispiel kann hier genau berechnen, und der Umfang der Fabrik wird sich auch danach richten, wie viele Arbeitskräfte ihr zur Verfügung stehen werden. Denn die Frauen und Töchter der Arbeiter werden arbeiten müssen, wenn sie et- was für schlechte Zeiten oder Krankheitsfälle beiseite legen wollen.

Man wird diese Frauen natürlich billiger und länger arbeiten lassen können als in einer Großstadt, wo ihnen mehr Arbeitsgelegenheiten zur Verfügung stehen. Sie brauchen nicht soviel Zeit zu verfahren, das macht täglich bei jeder Arbeiterin zwei Stunden Arbeitsgewinn für den Fabrikanten. In New York arbeiten die Frauen durchschnittlich acht Stunden, in der Provinz zehn und noch mehr.

Oft erweisen sich die Fabrikleitungen besonders wohltätig den Arbeiterinnen gegenüber und lassen die Maschinen auch über die gesetzmäßig festgesetzte Arbeitszeit laufen. In der Zigarrenfabrik beginnen die Frauen schon um sechs Uhr zu arbeiten, obgleich die Arbeit »erst« um halb sieben beginnen sollte.

Da die meisten Fabriken ihre eigene Stromleitung haben, brauchen sie sich auch von den Behörden nicht kontrollieren zu lassen.

Während der längeren Arbeitszeit aber verdienen die Arbeiterinnen in der Provinz weniger als in kürzerer Zeit in den großen Städten. Auch die billigere Lebenshaltung auf dem Lande bedeutet Gewinn für den Fabrikanten.

Lächle und sei glücklich

In den Arbeitssälen aber steht eine Aufschrift. Nicht etwa, wie man meinen sollte, die Dantes vor dem Eingang zur Hölle. Nein, hier steht geschrieben: »Smile and be happy, it radiates« (Lächle und sei glücklich, es strahlt).

Kleine Aufzeichnungen unterwegs

Wenn ich endlich einmal nicht unter fremden Leuten sein will, in ein Hotel gehe, ein ruhiges Zimmer verlange, finde ich mich in einem Schlafsaal, wo in einer Ecke eine Heilsarmistin laut religiöse Lieder singt, in der anderen zwei Flapper sich Abenteuer erzählen. Ich frage unten, ob man kein Einzelzimmer bekommen könnte. Nein, die hätte man überhaupt nicht. Sie seien zu unbeliebt.

Die billigen Hotels sind immer nur männlich oder weiblich. In New York gibt es ausgesprochen männliche und weibliche Straßen. Die Fifth Avenue zum Beispiel ist weiblich. Sixth Avenue männlich. Ich meine natürlich nicht, daß auf der Fifth Avenue keine Männer oder auf der Sixth Avenue keine Frauen gehen, aber sie haben ausgesprochen diesen Charakter. Es gibt viele Restaurants, wo nur Frauen, andere, wo nur Männer essen. In Restaurants, wo man die Aufschrift »Damen willkommen« lesen kann, sieht man nur selten eine Frau, ln manchen Tea Rooms am unteren Broadway erweckt das Erscheinen eines Mannes Sensation. In die 5-Uhr-Teeräume der eleganten Hotels darf ein Mann ohne Damenbegleitung überhaupt nicht eintreten.

Nirgends gibt es so viele Schaukelstühle wie in Amerika. In jeder guten Stube gibt es mindestens einen. Auf den Veranden natürlich mehrere. Auch Schaukeln sind dort oft angebracht. Abends, während die Fabrikschlote Feuer speien, schaukelt das ganze Dorf.

Eine Frau, die ein kleines Geschäft im Bronx hat und bei der ich als Dienstmädchen arbeite, sagt mir: »Sie sagen, in Europa gibt es keine Neger und keine Einwanderer, wie bekommen Sie denn da Dienstmädchen?«

Die Amerikaner leben mit Vorliebe bei offenen Türen. Die Küche grenzt unmittelbar an das Speisezimmer und wird nie geschlossen. Versuche, die Tür zuzumachen, sind immer vergeblich. Man macht sich sogar verdächtig. Nur während man serviert und ständig ein und aus muß, wird sie in »feinen Häusern« zugemacht. Auch die Schlafzimmer sind immer offen. In den Hotels muß man oft die Provinzler aufmerksam machen, daß sie, wenn sie sich aus- ziehen, die Tür zumachen sollen.

Arbeiter und Arbeiterinnen speisen in großen Betrieben fast nie im gleichen Raum. Dort, wo sie im gleichen Raum essen, stehen die Tische vollkommen getrennt. In einer Fabrik zum Beispiel wa- ren für die Frauen die Tische weiß gedeckt; an diese durfte sich kein Mann setzen. Es geschieht auch nur in Ausnahmefällen, daß sie in gleichen Räumen arbeiten. Überflüssige Ablenkungen sollen nach Möglichkeit vermieden werden.

Einmal ging ich allein in ein Dimekino (Zehncent-Vorstadtkino). Der Platzanweiser kam später zu mir und fragte mich, ob der neben mir sitzende Mann, der sich in keiner Weise bemerkbar gemacht, mich auch nicht etwa angeredet hatte, zu mir gehöre. Als ich es verneinte, mußte er sich sofort einen anderen Platz suchen. Da das Kino ziemlich besetzt war und neben mir zwei Plätze leer blieben, hatte der Platzanweiser beide Hände voll zu tun, keinem männlichen Wesen zu gestatten, sich auf diese Plätze zu setzen.

Ein kleiner »shop«, wo künstliche Blumen hergestellt werden. Eine Arbeiterin kommt zu spät. Der Boß sagt: »Hören Sie, wenn Sie schon zu spät kommen, hätten Sie sich noch ruhig Zeit nehmen können, sich zu schminken. Man kommt nicht so käsebleich ins Geschäft.«

Ich esse in einem Restaurant und vergesse zu bezahlen. In Amerika bezahlt man immer an der Kasse, die dicht am Ausgang steht, von wo aus man die Gäste am besten kontrollieren kann. Ich merke aber erst bei der Haltestelle, daß ich meine Rechnung nicht beglichen habe. Ich frage den Kassierer, warum er mich nicht aufmerksam gemacht hat, als ich hinausging. »Ich dachte, Sie haben Ihr Geld vergessen.« - »Und wenn ich nicht zurückgekommen wäre?« - »Dann hätte es uns auch gefreut, daß Sie unser Gast waren.«

In Amerika kennt man die Ehrfurcht vor der Facharbeit nicht. Man ist gewöhnt, ungelernte oder an ganz andere Methoden gewöhnte Arbeitskräfte abzurichten, und weil sie daran gewöhnt sind, wissen sie, wie man abrichten muß. Durch kurze Erklärungen, schwer erscheinende Handgriffe. Vorarbeiter, Haushälterinnen in den großen Hotels, Bürovorsteherinnen, die sich über die Dummheit der ihnen Unterstellten beklagen wollten, würde man - da sie unfähig sind, Leute anzuweisen - entlassen.

In den Fabriken wird sehr sachkundig gezeigt, wie man seine Arbeit verrichten muß. Aber es wird nur das gezeigt und erklärt, was man unbedingt wissen muß, um die Arbeit verrichten zu können. Fragen, die sich auf allgemeine Einrichtungen oder auf eine Erklärung des Mechanismus der zu bedienenden Maschine beziehen, werden überhaupt nicht beantwortet. »Kümmern Sie sich man nur um die Arbeit, die Sie etwas angeht.« Das ist die Antwort, die man zu hören bekommt.

Ich arbeite in einer der größten Schuhfabriken Amerikas. Der elektrische Strom versagt, und da demzufolge in verschiedenen Abteilungen die Arbeit eingestellt wird, entsteht das Gerücht, ein Streik sei ausgebrochen. Ich nähe Schnallen an die Schuhe. Neben mir arbeitet eine junge Armenierin. Ich frage sie, ob sie die Arbeit einstellen würde, proklamierte man einen Streik. Sie sagt nichts, deutet nur erschrocken mit ihren Augen auf den Vorarbeiter, der gerade vor uns steht. Abends werde ich in das Büro gerufen, und mein Lohn wird mir ausgezahlt mit den Worten: »Sie sprechen zuviel, wir können Sie nicht gebrauchen.« Wenn man »gefeuert« wird, bekommt man den Lohn sofort ausbezahlt. Will man aber selbst gehen, kann man ihn nur am fälligen Zahltag erheben. Die sofortige Auszahlung ist dann technisch unmöglich.

Man kann gerade in kleinen Ortschaften die neue Entwicklung in der Landwirtschaft Amerikas beobachten. Man sieht nicht nur, wie der kleine Farmer zugrunde geht, sein Land aufgeben muß und in die Fabrik zieht, sondern auch was mit dem verlassenen Land geschieht. Es wird für billigstes Geld von dem Industrieunternehmen aufgekauft und dann im großen bewirtschaftet. Das Industrieunternehmen hat nicht nur die nötigen Kapitalreserven zu einer intensiven Ausnutzung des Bodens, sondern es findet auch mit Ausschaltung des Zwischenhandels und der Eisenbahn-Transportgesellschaften Abnehmer. In den Verkaufsläden des Industrieunternehmens können so die Arbeiter Landwirtschaftsprodukte zu billigerem Preise erhalten, und das Fabrikunternehmen hat die Möglichkeit, Löhne zu drücken.

Der individuelle Einzelhandel kann sich auf dem Lande noch weniger halten als in den Großstädten. Man sieht hier, wie schnell kleine Kaufläden von Großkonzernen verschluckt oder zertreten werden. Kaum hat sich zum Beispiel in einem Dorfe eine kleine Gemischtwarenhandlung aufgetan, so erscheint schon eine Filiale zum Beispiel der A. P. (der Atlantic und Pacific Company), macht eine Filiale auf und gibt die Ware zu billigeren Preisen ab. Dieser Konkurrenz ist der kleine Händler nicht gewachsen.

Sport treibt nur eine kleine Oberschicht. Der gutsituierte Bürger spielt Golf, ist Mitglied eines Countryclubs, manchmal spielt auch seine Frau, aber seltener. Tennis wird nur sehr wenig gespielt. Aber in den großen Städten gibt es kaum Arbeitersportplätze; nur in der Provinz, wo mehr Platz zur Verfügung steht, wird die Jugend in den Fabriken sportlich organisiert. In New York ist die einzige sponliche Leistung des Durchschnittsmenschen das Ein- und Aussteigen in die Untergrundbahn.

Im Süden können die Neger das Kino nur bei besonderen Vorstellungen besuchen. Daß die Eisenbahn im Süden besondere Wagen für die Neger hat, ist bekannt. Man sieht auch Bänke, wo die eine Seite für Neger, die andere Seite für Weiße reserviert ist. Restaurants, wo ein Teil für die Weißen bestimmt ist, der andere, durch einen Vorhang abgeschlossen, für »Farbige«. Man sieht Lokale mit der Aufschrift: »Hier werden nur weiße Herrschaften bedient.« In der Elektrischen gibt es schwarze und weiße Abteile. Wenn man sich in das schwarze Abteil setzen will, und sei auch das weiße voll besetzt, gestattet der Schaffner das nicht. Man sieht zwei ländliche Toiletten, nicht WCs, mit den Aufschriften: »Für Weiße«, »Für Farbige«. In Columbia gibt es große Zigarettenfabriken, wo Neger und Weiße im selben Saal Zusammenarbeiten. Aber es gibt besondere Eingänge in der Fabrik für »Weiße« und für »Farbige«.

In Charleston (South Carolina) hatte ich mein Gepäck zur Aufbewahrung gelassen und wollte es abholen. Als ich meinen Schein dem Schalterbeamten gebe, sieht er mich erstaunt an: »Sie sind doch keine Farbige, Sie müssen sich auf der anderen Seite für die Weißen anstellen.« Nein, den Koffer könne er mir nicht herüberreichen. Ich muß erst zu den Weißen gehen.

In Atlanta (Georgia) geben mexikanische Sänger ein Konzert. »Nein, es sind keine Karten mehr vorhanden.« - »Ich denke, Sie haben noch billige Plätze.« - »Ja, wir haben noch fast alle billigen Billetts, aber die sind für die Neger. Wir bedauern, an Weiße können wir sie nicht abgeben.«

In Charleston ein palmenbesäumter Spielplatz vor einer alten gelben Zitadelle. Nur weiße Kinder dürfen hier spielen, keine schwarzen. Aber man sieht keine weiße Frau, nur Negerinnen. Alle Kinder sind Negerpflegerinnen anvertraut.

In Charleston (South Carolina) arbeite ich in der Küche eines großen Hotels. Ein kleiner Küchenjunge ist da, siebzehn Jahre alt, man nennt ihn Kiddy Brown. Da ich mich nach den Tanzveranstaltungen der Neger erkundigte, brachte er mich am nächsten Tage zu einem »Social event« (zu einem gesellschaftlichen Ereignis) der »Farbigen« Charlestons. Es gab eine außerordentliche Jazzkapelle, die »Syncopating Dandies«. Man tanzte nach Negerart, unvergleichlich. Es waren auch weiße Männer da, aber keine weiße Frau. Es ging im übrigen brav bürgerlich zu. Man trank Limonade. Ein weißer Angestellter des Hotels erblickte mich. »Oh, wenn man im Hotel wüßte, daß Sie hier sind, man würde Sie sofort entlassen.«

In Birkingham, in einem Frauenhotel, erzählt ein junges Mädchen, sie habe hier in der Stadt in einer anderen Pension gewohnt, aber ihre Eltern erfuhren etwas Schreckliches, sie durfte dann nicht einen Tag länger dort bleiben. Was war denn geschehen? Ihre Eltern haben erfahren, daß in der nächsten Nachbarschaft der Pension Neger wohnten.

Im Süden sieht man noch, wie Gefangene in Sträflingskleidern, mit Ketten aneinandergeschmiedet, von Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten zu ihren Arbeitsstätten geführt werden.