Die junge Generation: Twilight Zones Edition Kurtz Rudolf TEI encoding von Roedern, Gero data modeling Scholger, Martina text compilation, text analysis Knaller, Susanne text compilation, text analysis Moebius, Stephan text editing, text correction Huber, Mario text editing, text correction Pachner, Marie-Therese digital implementation Stüger, Marie Twilight Zones Knaller, Susanne Moebius, Stephan Scholger, Martina Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System 2020 Graz o:liminal.kurtz.1911 context:liminal.texts Die junge Generation Die Aktion. Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur Kurtz Rudolf 1911 1 8/9 Kurtz, Rudolf. “Die junge Generation.” Die Aktion. Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur 1, no. 8/9 (1911): 237-242, 267-271. Domains everyday culture contemporary culture literature Frame literature and art scene Genre pamphlet Mode proclamatory montage Transgression literature/essay German Initial TEI encoding TEI encoding Terms Genre drama Frame and Location city big city public spaces café Movement metaphors of movement Fields epochs Techniques Styles emphatic antagonistic polemic Intertextual Patterns names Concepts Author Roles generational voice flaneur Emotions excitation emotion and art Body and Psyche
I. Der Angriff

Der metaphysische Tick erregt die Seelen. Man hat sich mit der Literaturströmung von heute abgefunden, indem man sie als »Neuromantik« popularisiert hat. Und da nun dieses Wort einmal in einer Atmosphäre von Jugend und Leichtsinn schwimmt, fühlt sich der besonnene Zeitgenosse verpflichtet, sich aus diesem Chaos zu einer ernsten Lebensgestaltung durchzuringen. Man naht sich der Kunst mit einer michelangelesken Gebärde: Wir haben Verpflichtungen. Wir stehen vor der Epoche des »ernsten [238] Menschen«. Um den Namen ist man nicht verlegen: Neuklassizismus.

Im Schatten dieses heroischen Wortes brüten die Fanatiker der Regel. Die Entdecker seltsamer Gesetzlichkeiten, die alle Räusche und Erregungen mit Rezeptnamen belegen. Die ästhetische Schöpfung so von Regeln abhängig machen, daß alle zufällige Heiterkeit wie mürber Staub abfällt. Bebrillte Piraten, die alles nehmen, was an Überschwang und Reichtum erinnert. Nur das Notwendige ist durch das Gesetz gerechtfertigt. Natürlich: der große Zug. Der ernste Mensch hat immer das Bedürfnis nach Großzügigkeit. Transpirierend sollst du schaffen. Wie gesagt: die klassische Tragödie. Voll Strenge und Unerbittlichkeit; mit einem Wort: Hebbel.

Die Tragödie auf ihr logisches Schema zu bringen, es in sehr bedeutungsvollen, konzentrierten Versen auszudrücken, die kein Feuer der Seele geschmolzen, kein heiterer Sonnenstrahl berührt hat: Das ist das Ideal des neuen Weimar. Wer hier die neue Generation sieht, beweist sein Ruhebedürfnis. Wir aber, die wir uns unsere Freude an der Erscheinungen wechselndem Spiel, unsere Heiterkeit nicht rauben lassen wollen, uns froh den Einflüsterungen unseres Dämons ergeben und heiter gestaltend leben: an uns ist’s, Protest zu erheben gegen ein Dogma, das uns alle mit seinem Medusenhaupt ängstet: mit qualvollster Langeweile. Feierlich soll erklärt werden: Man stirbt bei diesen im Frost erstarrten Versen. Mir schauert vor dem Tiefsinn, den ich aus der künstlerischen Gestaltung herauslesen muß, um als anständiger Mensch fortan zu vegetieren. Dann lockt schon reicher eine andere Stimme: Gestalten im Anblick der erhabenen Wirklichkeit, bewegt vom Wellenschlag eines heiteren Herzens, aufschäumend in den Stürzen eines hingegebenen Enthusiasmus. Der Alte aus Weimar, der so die Kunst sah, scheint mir ein besserer Führer zu sein als Hebbel, der nur in Posen Rodins in meinen Träumen erscheint. Gewiß: es gibt eine junge Generation; es ist höchste Zeit, das zu betonen. Es wühlt dumpf wie Sturm und Aufruhr, die sich durch die fette Breite der Zeitgenossen keine Kanäle schaffen kann. Es gibt noch unbekümmerte Menschen, die angstvoll die Zumutung abweisen, ihre Kunst mit tiefsinnigen Ideen zu laden. Unsere Zeit, verfettet in träger Selbstachtung, abgestumpft durch militärisch geregelte Belustigungen, bedarf anderer Antriebe, um epileptische Zuckungen zu verspüren. Man lasse die Hände von klassischer Bearbeitung urzeitlicher Tragödien und gebe sich atmend dem Leben hin, wie es Goethe nur je gewünscht hat. Es ist die Anmaßlichkeit kühn gewordener Pedanterie, dem Künstler seine Form vorzuschreiben. Revenons à la nature.

Die junge Generation. Sich äußern, darstellen, die Welt seines Innern in einem Sturm von Begeisterung hinausschreien, sich ergießen in die trübdunkle Fülle der Gestalten, strahlend voll siegreicher Empörung: so läuten sich junge Generationen ein. Darstellen im Feuer des Enthusiasmus, der die Last einer trägen Zeit mit lachender Revolte von sich schleudert; sich darstellen, das Spiel seiner Seele wiederfinden im leuchtenden Strom des Geschehens: Das dünkt mich eher eine Begeisterung schauenstiefer Menschen zu sein als die chemischen Bemühungen aus Neuweimar, deren Verse dem Schauspieler im Mund erfrieren.

II. Die Erwiderung

Selbstverständlich war es Karl Scheffler, der auf meine Anmerkungen zu der Weimarer Monumentalkunst reagierte. Er richtete einen Warnungsruf an Maximilian Harden. Meine Arbeit, schrieb er, scheine ihm so sehr der Korrektur bedürftig, daß er ihn für einen Appell an seine Leser um Raum bitte. Scheffler appellierte:

»Ein besserer Kämpfer, Herben Eulenberg, hat sich in der <Zukunft> schon früher mit Hebbel auseinandergesetzt. Ihm hörte man aufmerksamer zu, denn als Dramatiker sprach er für sich selbst; und er stand kavaliermäßiger da, grüßte mit bescheidener Ehrfurcht seinen Gegner. Glauben nun aber auch die aus dem Café Größenwahn sich berufen, vor der stillen Erziehertätigkeit der Hebbel-Naturen zu warnen, so beweisen sie nur, daß sie selbst dringend des Erziehers noch bedürfen, daß sie nicht fähig sind, wirre Jugendinstinkte strenger Zucht zu unterwerfen und daß sie mit all ihren Talenten und Reizsamkeiten nur Reflexgeschöpfe sind. Ihnen ist es zu wünschen, daß die Not des Lebens sie irgendwo in Reihe und Glied stellt. Denn jetzt sind sie nicht jung und können auch nicht lebendig altern, weil ihnen die Fähigkeit der natürlichen Hingabe an alles Große und Edle fehlt. Sie haben nicht das Recht, verantwortlich für die <junge Generation> zu zeichnen; weil sie nicht genug Liebe haben.«

Karl Scheffler

III. Duplik

Diese väterlichen Worte erschienen bei 30° R. im Schatten: um Pfingsten herum. Ich stand vor einer großen Reise. Der Tod Swinburnes hatte mich in eine feierlich-erregte Stimmung hineingerissen. So konnte ich es mir gestatten, auf einen bürgerlichen Verweis mit einer Symphonie zu erwidern.

Swinburne ist tot. (Nun bleiben noch Zwei, deren Namen eine Strahlenglorie zeitloser Einsamkeit umfließt: Stefan George und André Gide). Er war ein Mensch von hohem Alter, sein Tod glich dem abebbenden Verlöschen der Fackel. Aber über seine Verse gebeugt lösten sich endlose Erschütterungen doch in dem Gefühl: vielleicht kommst du einmal hinüber, vielleicht lernst du ihn kennen ... Er war ein Mensch von legendärer Größe. Danteske Formverlorenheit unter der Kühle anglomanischer Haltung. Ich wohne in einem nördlichen Vorort: weit vor der Stadt. Wenn ich im Café (niederträchtige Erdentrücktheit verwöhnter Gehirne- und ich bin ein Caféhausliterat) über die Furcht des Aufstehens, die Furcht des körperlichen Zusammenraffens, des Ineinanderschließens der Muskeln (Faulheit, Faulheit) die Zeit der letzten Bahn versäume, gehe ich zu Fuß, vier Stunden lang. Gefühle eines natürlichen Parks im Tiergarten, schlenderndes Wechseln lebhafter Gruppen in der Friedrichstadt, und dann immer abebbender, zuckender, verstohlener. Hinter dem unbestimmten Lärm der Großstadt, emporgeschossenen Steinwällen plötzlich zwei sparsame Reihen weißer Laternen. Mein Weg führt an endlosen Drahtzäunen vorbei, verbogenen Schutzgeflechten: dahinter rohe Wellen aufgerissner Erde, weißliche Fetzen von Schutt. Am Horizont verfließen hilflose Silhouetten weit entfernter Häuser, verblassende Lichter verwischen sich im tiefen Blau der Nacht. Jeder Schritt pflanzt sich durch tausend Nervenbündel ins Gehirn, steigert sich, verfeinert sich, seine schwere Fülle zerstrahlt plötzlich in eine ausbrechende Feuergarbe: elektrisches Flammenspiel endloser Träumereien. Unabsehbare Schienenstränge atlantischer Bahnen, erhitzte Steinberge mit stählernen Gerippen. Das Gehirn siedet. Jede Empfindung spitzt sich zitternd vor nervöser Feinheit. Und mit gesenktem Kopf, wirren Armen durch das Dunkel, hastig und aufschreckend. Wie ein metallener Hammer schlägt es an die Schädeldecke: Unsteter als du ist der Wind nicht einmal. Das ist Swinburne. Der Klang, der wie Schlaf in den Wipfeln ist, Puppenspiele byzantinischer Gestalten, zu denen die Königinnen treten mit karmingefärbten Lippen und lastenden Flechten schwarzen Haares, die Nacht, die feengleich mit Sternen und Seewind im Kleide auf die See sinkt, das ganz in weiche Sonne gebettete Herz, das aufschreckt unter dem Dorn eines Gedankens - Wald, See und Wind und das tragische Mysterienspiel von Gott und Welt: das ist Swinburne. Jeder Schritt wirft eine schwere Welle Erinnerungen in das Gehirn. Alle Reime und Bilder lösen sich, ein empörtes Meer von Farbe siedet zischend wie Gischt und mit zusammengebissenen Lippen, in übermäßig verstärktem Tempo an banalen Drahtgeflechten vorbei, zitternd vor Fülle des Kraftgefühls: unsteter als du ist der Wind nicht einmal. Strahlend und kühn feiert der Traum. Uber den traurigen Weg jagt wie elektrisches Knistern die Sehnsucht. Wünsche, Wünsche. (Zweifellos, ich bin ein ernster Mensch.) Unendliche Fülle der Möglichkeiten: aber das Bannen, das Halten, das Begrenzen! Ausbreiten, die Arme auseinanderschlagen, in einem grenzenlosen Offnen der Arme die Fülle der Landschaften berühren! Endlose Drahtzäune, die ein scheuer, irritierter Blick erhascht, eine feuchte Einsamkeit: ein Bahnviadukt zerschneidet ihre dornige Armseligkeit. Kein Mensch; kein Tor öffnet sich. Singen des Windes und Geräusche der Nacht. Einsame Wagen klappern vorbei - träge schattenhafte Massen. Abebbendes Trappen eines Pferdes - unsteter als du ist der Wind nicht einmal. Ausbreiten, ausbreiten - in einem Augenaufschlag alles Lebendige bis in seine infernalischsten Sehnsüchte festhalten. (Zweifellos, meine Wünsche sind berechtigt.) Sinn und Zeit wissen - der Traum stockt: strahlend bunte Landschaften sinken in einer Aschenfontaine zusammen. (Trostlose Helligkeit eines Konferenzzimmers.) Wie lautet diese Grimasse einer Erkenntnis? »Ethische Rhythmisierung der inneren Unendlichkeit.« Welch perverses Formelbedürfnis hat hier gearbeitet, welche Gestaltungsunfähigkeit das Ohr mit dieser exotischen Pedanterie betäubt? Diese Weltanschauung hat Karl Scheffler, der Ankläger, gestartet. (Vision eines gigantesken Tribunals: der Epilogist in monumentaler Pose: vis-à-vis du monde.) »Wie können Sie, Herr Karl Scheffler, es wagen, mit dem beschwörenden Ernst eines Exorzisten Ihr Anathema über mich zu rufen? Was legitimiert Ihre würdige Entrüstung? Die Tatsache, daß Sie den Lesern der Zukunft als Mann von Haltung bekannt sind, verbürgt den Wert jeder Meinung, die Sie zu haben belieben? (Wir sind Bürger des zwanzigsten Jahrhunderts, mein Herr.) Nicht ein Wort Ihres Aufsatzes besagt, daß Sie den meinen auch nur ganz von fern aufgenommen haben. Sie haben sich mit dem Bannstrahl begnügt, böswilliger und prüfungsunfähiger als je ein deutscher Hauptpastor (zitiere ich jetzt Lessing, ruft die Gilde: seht seine Selbstliebe, mit wem vergleicht er sich!). Sie haben so wenig Achtung vor Ihrem Beruf bewiesen, daß Sie einen Aufsatz in einer europäischen Zeitschrift mit dem jämmerlichen Hinweis auf das »Café Größenwahn« erledigen zu können geglaubt haben. Zeigen Sie mir den Mann, der nicht mit bedauerndem Achselzucken von Ihrer Replik spricht!«