[Max Liebermann]
[image]Am Lehrter Bahnhof, am Kurfürstendamm, in der Tiergartenstraße 34 schlagen sich die Schulen. Die Gewesenen; die Gekommenen; und die Futuristen.
Nicht fern von ihnen, nicht gelöst von ihnen, nicht feindlich zu ihnen ... (sondern jenseits von ihnen) horstet am Brandenburger Tor der Meister: Liebermann.
Frei von abendlichem Glanz und Verschnaufen. Sprungfedernd. Atmend. In der Reife skeptisch. Jenseits von den Kämpfen, weil er den eignen Kampf hat. In diesem Kampfe jenseits vom Jenseits - auf der Erde. Ein großer Mensch der Zeit; ohne Toga. Zwischen ihm und Hauptmann sind mehr Verbindungen, als bloße Zeitgenossenschaft gibt. Auch Gerhart, der Dichter, hat ja was vom Wandel der Epochen und Schulen Losgelöstes.
*
Liebermann malt jetzt Kulissen zu »Gabriel Schillings Flucht«. Für Lauchstädt. Dort ein Kirchhof. Da die sommernde Ostsee. Die Soffitten will er nach der alten Art verwenden.
Unweit steht Nernst auf der Leinwand. Mit vorgebeugtem Knie. Ich kenne diesen norddeutschen Phosphoros nicht. Aber man glaubt ihn jetzt zu kennen.
*
[583]Man spreche mit Liebermann über Naturalismus. Er weiß, daß der Naturalismus zugleich höchst idealistisch; daß diese Benennung schwachsinnig ist. Er ahnt, daß eine noch so phantastische Kunst auch naturalistisch sein wird. Er lacht ... und sucht nach Worten. Das Prägen und Schreiben ist nicht einfach. Dennoch prägt er im Sprechen - wie oft! - Epigramme. »Gewöhnlich geht es so: erst ist einem das Malen leicht und das Verkaufen schwer; dann ist einem das Verkaufen leicht und das Malen schwer.« (Das hier anzugliedernde Wort von der Hühnerleiter bleibt ungesprochen; es liegt jedoch in der Luft.)
*
Liebermann wird die Unruhe des edlen Bluts bis zum letzten Seufzer haben.
Aristokratisch geboren: und sich zermürbend ein Leben lang für Häßliches, Mühseliges, Vergängliches, dem Weltgeschehen Abgestohlenes. Nichts als ein Sucher des Schmucklosen, des Erdhaften, des Wesentlichen - und der »Luft zwischen unseren Körpern«.
Hyazinthen durchtäuben den Raum. Sie lullen diesen Pürscher, diesen Lebensangler, diesen Leutefischer nicht ein.
Der ganze Mensch besitzt etwas Friderizianisches; aber von dunklen, vollen, alten Kontinenten her. Heimisch ist er doch hier: an diesem Spreefluß, an dem in der Welt er landete.
*
Er hat in der nicht großen Werkstatt einen Raum mit etwas tieferer Decke; da liegen die Zeichnungen.
Mir fällt ein Wort ein, das ich von Kalckreuth hörte. Liebermann sprach zu ihm: »Wat, Sie ham ’n Jummi?«
Entweder ein Hieb sitzt oder er sitzt nicht.
In dem schwergefüllten Nischenraum lag die hier veröffentlichte Federzeichnung. Ein Baumblatt in einem Wald.
--------------------------------------
Noch hier ein Stück von seiner Art, die Welt zu sehn.
[584]»Und fiel unter die Mörder ... Und ließen ihn halbtot liegen ... Es begab sich aber, daß ein Priester dieselbige Straße hinabzog, und da er ihn sähe, ging er vorbei ... Desselbigen gleichen auch ein Levit ... Ein Samariter jedoch, da er ihn sähe, so jammerte ihn sein ... Hob ihn auf sein Tier ... und führete ihn zur Herberge« ...
Kerr