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Weißbuch

Textkritik in Digitalen Editionen TEI Download PDF Download

Schwentner, Isabella; isabella.schwentner@univie.ac.at

Zentrale Aufgaben der Textkritik sind das Suchen und Sichten von Überlieferungsträgern, die editorische Überprüfung von Texten auf ihre Authentizität sowie deren Bereitstellung in zuverlässiger Gestalt. Ziel ist die Erarbeitung einer wissenschaftlichen, meist einer historisch-kritischen Edition. (Bohnenkamp 1996, S. 179–203; Plachta 2006, S. 139)

Je nach Entstehungszeit und Überlieferungsbedingungen des Textes werden dafür unterschiedliche Methoden (Heuristik, Kollation, Recensio, Examinatio, Emendatio) eingesetzt. Während die Textkritik bei antiken und mittelalterlichen Texten einen Archetyp zu rekonstruieren versuchte, konzentriert sich die moderne Textkritik auf die Analyse und kritische Sichtung der vorliegenden originalen Überlieferungsträger (wie etwa Manuskripte, Typoskripte, autorisierte Drucke, aber auch Vorarbeiten, Vorstufen u. Entwürfe) und späterer Drucke in Hinblick auf Textfehler und -verderbnisse (Schreibversehen oder Irrtümer der Autorin oder des Autors, fehlerhafte Abschriften, Druckfehler, Herausgebereingriffe, Zensur). (Bohnenkamp 1996, S. 185f.)

Gedruckte wie auch Digitale Editionen sollen zunächst den durch textkritische Methoden geprüften und edierten Text präsentieren, wobei z. B. für die Kollation auf bestimmte Software-Tools wie CollateX, Juxta-Commons, TUSTEP oder Versioning Machine etc. zurückgegriffen werden kann. In der Digitalen Edition kann der edierte Text mit unterschiedlichen Anzeigemodi und Visualisierungen präsentiert werden.

Als eine der wichtigsten editorischen Aufgaben gilt es, die Genese eines Textes über mehrere Bearbeitungsstufen hinweg in einem kritischen Apparat nachvollziehbar zu machen. (Plachta 2006, S. 99) Die französische critique génétique propagierte früh, dass sich Textgenese in Digitalen Editionen einfacher und besser veranschaulichen lasse. (Grésillon 1999, S. 244ff.) Das auf diese Theorie zurückgehende Konzeptpapier der TEI An Encoding Model for Genetic Editions enthält Elemente zur Beschreibung von textgenetischen – vornehmlich mikrogenetischen – Phänomenen wie Textmodifikationen (Hinzufügungen, Streichungen, Sofortkorrekturen etc.), Umstellungen, Verweise etc. Weitere Spezifizierungen finden sich in drei Kapiteln der TEI -Guidelines:

  • Kapitel 10: Manuscript Description ist relevant für die Beschreibung von Textzeugen, vornehmlich Handschriften [Handschriftenbeschreibung].
  • Kapitel 11: Representation of Primary Sources bietet Kodierungsvorschläge für Transkriptionen von Handschriften, um Textmodifikationen auszeichnen zu können, wie etwa: Streichungen <del>, Hinzufügungen <add>, Umstellungen <transpose>, Einfügezeichen <metamark> etc.; ebenso ist es möglich, fehlerhafte Stellen mit <sic> und Korrekturvorschläge mit <corr> zu markieren.
  • Kapitel 12: Critical Apparatus zeigt Strategien und Mittel zur Auszeichnung von Textvarianz – z. B. in verschiedenen Drucken – im textkritischen Apparat (<app>).

XML-TEI hat sich als Markup-Instrument in der digitalen Editionspraxis etabliert, wobei es nicht für alle Phänomene befriedigende Lösungen gibt – so werden etwa die unzureichenden Auszeichnungsmöglichkeiten von makrogenetischen Beziehungen problematisiert. (Bosse/Fanta 2019, IX)

Literatur:

  • An Encoding Model for Genetic Editions. URL: http://www.tei-c.org/Activities/Council/Working/tcw19.html
  • Bohnenkamp, Anne. 1996. Textkritik und Textedition. In: Grundzüge der Literaturwissenschaft. Hg. von Heinz Ludwig Arnold und Heinrich Detering, S. 179–203.
  • Bosse, Anke; Fanta, Walter (Hrsg.). 2019. Textgenese in der digitalen Edition. Berlin.
  • Grésillon, Almuth. 1999. Literarische Handschriften: Einführung in die "critique génétique" Literarische Handschriften. Bern.
  • Krüger, Katharina; Mengaldo, Elisabetta; Schumacher, Eckhard (Hrsg.). 2016. Textgenese und digitales Edieren. Wolfgang Koeppens "Jugend" im Kontext der Editionsphilologie. Berlin, Boston.
  • Martens, Gunter; Zeller, Hans. 1998. Textgenetische Edition. Tübingen.
  • Plachta, Bodo. 1997. Editionswissenschaft. Eine Einführung in Methode und Praxis der Edition neuerer Texte Editionswissenschaft.
  • TEI: P5 Guidelines. URL: http://www.tei-c.org/Guidelines/P5/

Zitiervorschlag:

Schwentner, Isabella. 2021. Textkritik in Digitalen Editionen. In: KONDE Weißbuch. Hrsg. v. Helmut W. Klug unter Mitarbeit von Selina Galka und Elisabeth Steiner im HRSM Projekt "Kompetenznetzwerk Digitale Edition". Aufgerufen am: . Handle: hdl.handle.net/11471/562.50.192. PID: o:konde.192