Hugo Schuchardt an Julio de Urquijo Ybarra (163-s.n.)

von Hugo Schuchardt

an Julio de Urquijo Ybarra

Graz

10. 09. 1911

language Deutsch

Schlagwörter: language Georgischlanguage Baskischlanguage Deutschlanguage Französisch Fita y Colomer, Fidel Graz Bladé, Jean-François (1869) Eleizalde Breñosa, Luis de (1911) Schuchardt, Hugo (1898)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Julio de Urquijo Ybarra (163-s.n.). Graz, 10. 09. 1911. Hrsg. von Bernhard Hurch und Maria José Kerejeta (2007). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.987, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.987.


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Graz, 10. Sept. '11

Sehr geehrter Freund.

Ich habe die Schrift Eleizaldes erhalten und danke Ihnen bestens dafür. Obwohl ich sie erst flüchtig angesehen habe und bei meinem nun schon seit Wochen andauernden Kopfdruck ihr eine gründliche Prüfung — die sie übrigens kaum nötig hat — nicht widmen kann, will ich Ihnen doch meine Eindrücke nicht verschweigen.

Para comenzar, tengo que decir á Vd. que me parece haber entendido su carta anterior precisamente en el sentido que acaba de explicarme. Le confesé mi completa incompetencia en cuanto al asunto de las traducciones. Ahora me atrevo a desaconsejarle|2| un examen extenso del trabajo en cuestión para el cual tuviera menester de consultar los autores clásicos. Me pareceria empeño inoportuno y superfluo, y en el mismo tiempo difícil, aún imposible. Hé aquí porqué.

Eine Auseinandersetzung (Diskussion) ist nur einer solchen Arbeit gegenüber tunlich welche einen wirklich wissenschaftlichen oder doch logischen Charakter zeigt. Das tut die Broschüre L.s nicht.

1. Muß das, was bisher über den betreffenden Gegenstand gesagt worden ist, kritisch gewürdigt werden. Ich höre El. ausrufen: "Ja, da wäre meine Arbeit so umfangreich geworden wie die Études von Bladé!1" Nein, man kann auf einer Seite mehr sagen als El. auf zehn. Man kann |3|einen ganz gedrängten Überblick über die frühen Untersuchungen geben, man kann den heutigen Stand der Forschung in nuce beschreiben. Aber El. gibt uns ein rein journalistisches Gewebe, auf welchem allerlei wissenschaftlicher Flitter aufgestickt ist. Ich spreche nicht von dem was bei ihm fehlt, beschwere mich nicht darüber, daß er auch das in seiner Sprache veröffentlichte Bruchstück meiner Iberischen Deklination nicht berücksichtigt — kommt doch auch, soviel ich sehe, Philipon2 nicht vor bei ihm. Er hat keine Ahnung davon was von den Deutschen inbezug auf die iberische Frage geschrieben worden ist. Der Hauptfehler El.’s liegt nicht in dem was er mit Stillschweigen übergeht, sondern in dem was er vorbringt. Das Unkritischste und Überflüßigste! Ich bin Iberist wie der P. Fita;|4| aber ich fühle mich durch das lange Zitat auf S. 4 nicht im Entferntesten berührt3. Es wird eine Jugendsünde des P. Fita (in der sich allerdings auch eine völlige Unkenntnis des Georgischen kundgibt) aufgewärmt, die er wohl selbst längst bereut hat und an die niemand mehr denkt ... Doch das führt mich auf den

2. Punkt, das Fehlen einer streng logischen Methode. El. findet die Dinge in einem verwirrten und dunkeln Zustand vor, und statt sie zu entwirren, und aufzuhellen, verschlimmert er diesen Zustand. Das Wort des Anonymus: Nadie sabe nada de ibero, ni de Iberia (S. 23) ist ihm aus der Seele gesprochen, hatte er doch schon S. 3 gesagt: Nadie sabe nada. Aus dem Umstand, daß eine Meinung in verschiedenen Variationen auftritt, läßt sich durchaus nicht schließen, daß sie im allgemeinen nicht richtig ist. Dazu nun die Vermischung von Sache und Namen. Für mich ist der letztere |5|unwesentlich. Ich erkläre einfach: für mich ist es erwiesen, daß ein dem heutigen Baskisch nahe verwandtes Idiom in verschiedenen Mundarten über einen großen (oder den größten) Teil der Pyrenäenhalbinsel ausgebreitet war; ich bezeichne dieses Idiom, dessen Überbleibsel wir in Inschriften, Münzlegenden und Ortsnamen besitzen als iberisch, und wäre diese Bennenung auch [was sie aber nicht ist] unbegründet und unpassend, so würde das an der Sache selbst gar nichts ändern. — Auf das Sprachliche bei El. gehe ich jetzt nicht ein (er nimmt S. 54 den von mir stark hervorgehobenen Unterschied zwischen den beiden Charenceyschen Etymologieen von bei und senar nicht wahr); aber in das Gebiet der Logik gehört S. 12: pero lo que falta probar es que Iliberri no puede explicarse más que por el Euzkera. Mientras se prueba esto — y no se probará .... Nein, nicht das Negative ist zu beweisen, sondern das Positive; El. bringe irgend eine andere Etymologie von Iliberri vor, dann will ich ihm zeigen daß sie gegen die seit |6|lange angenommene ("Neustadt") nicht Stand hält. Wenn mir sein tratado elemental de la conj. euzk. de síntesis4 zur Hand kommen sollte, so werde ich mich wohl darüber äußern. Was das sprachliche renacimiento anlangt, so interessiere ich mich für diese Frage in ihrem ganzen Umfang schon seit Jahrzehnten; einmal habe ich in meinen Veröffentlichungen auch das Politische berührt (von dem ich mich sonst ganz fernhalte): ich schicke Ihnen die betreffende Broschüre: Tchèques et Allemands5 — wenn Herr de Eleizalde oder sonst jemand sie wünschen sollte, so stehe ich zu Diensten, ich habe eine Menge Exemplare übrig behalten (es ist mein deutsches Original ins Franz. übersetzt).

Die Inschrift in dem Drucke von Pamplona habe ich noch nicht enträtseln können (mejor hubiera sido estarcirla) auch einige Leute nicht, denen sie auf dem deutschen Historiker- und Archivistentag, der jetzt gerade in Graz stattgefunden hat — freilich hatten sie in diesem Wirrwarr nicht die Zeit sie gehörig zu prüfen, vielleicht waren es auch nicht die geeigneten Persönlichkeiten.

Mit besten Grüßen

Ihr

HSch.


1 J. F. Bladé, Études sur l'origine des Basques. Paris 1869.

2 Philipon (1906) .

3 En L. de Eleizalde (1911: 4) hay una larga cita de F. Fita (1879) de dudoso valor científico, acompañada de comentarios irónicos de Eleizalde.

4 L. de Eleizalde (1910-1912) .

5 H. S. (1898).

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Koldo Mitxelena Kulturunea - Liburutegia (Fondo Urquijo). (Sig. s.n.)