Josef von Karabacek an Hugo Schuchardt (01-05270)

von Josef von Karabacek

an Hugo Schuchardt

Wien

19. 11. 1899

language Deutsch

Schlagwörter: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien) Internationaler Orientalistenkongresslanguage Italienischlanguage Lateinlanguage Sizilianische Dialektelanguage Wallonischlanguage Ungarischlanguage Venezianischlanguage Spanischlanguage Romanische Sprachenlanguage Deutsch Rom Schuchardt, Hugo (1899)

Zitiervorschlag: Josef von Karabacek an Hugo Schuchardt (01-05270). Wien, 19. 11. 1899. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.8424, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.8424.


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[Doppeladler] Kaiserliche Akademie Wien, den 19.XI.99
der
Wissenschaften
Wien, I., Universitätsplatz 2

Verehrter Herr College,

Die Regel ist: 50 SA.1 für den Buchhandel und 50 Ex.2 für den Verfasser. Sollte der letztere - in Voraussicht eines größeren Absatzes - eine größere für den Buchhandel bestimmte Auflage wünschen, so erwartet der Sekretär dieser wegen eine Anregung seitens des Autors. So viel ich weiß, sind die letzteren Fälle sehr selten.

Was nun Ihre Rom. Stud. II betrifft,3 deren letzte Corr. Ihnen eben zugegangen, so hoffe ich, daß es noch möglich ist, Ihren |2| Wünschen zu entsprechen. Ich gieng sogleich in die Akademie-Kanzlei, als ich heute Morgens Ihre Nachtragskarte empfieng, und telefonirte an Holzhausen,4 daß er mit dem Reindruck warten sollte, bis Ordre käme - allein da Sonntag ist, war kein competenter Mensch in der Druckerei. Ebenso kann ich augenblicklich nicht sagen, wann der Bd. Sitzungsberichte mit Ihrer Abhandlung erscheinen wird, da ich mutterseelen allein in der Kanzlei bin. - Für alle künftigen Fälle erlaube ich mir aber mitzutheilen, daß jedes w. M.,5 falls es über seine 50 |3| Ex. noch etwelche wünscht, dieselben mit 40% Nachlaß aus den dem Buchhandel überwiesenen 50 Exp. erhalten kann, doch soll das Ansuchen nicht an den Buchhändler, sondern direkt an die Kanzlei gerichtet werden.

Also: Morgen werde ich erfahren wann der Bd. Sitzungsberichte erscheinen wird, werde es Ihnen mittheilen u. dann bitte ich um Ordre, ob noch mehr als 50 S. A.6 für Sie gedruckt werden sollen. In diesem Falle bitte ich um kurzen schriftlichen Ausdruck des Wunsches, den ich der Classe in der Sitzung am 29. d. M. vorbringen werde, die selbstverständlich Ja sagen wird. Die Mehrexemplare würden zum Druckkostenpreise berechnet, |4| der in diesem Falle äusserst gering wäre. Die Berechnung des Gulden Öst mit 2 Mark ist üblich, hergebracht, ein Unfug, der in der That abgestellt werden sollte - aber wer kann den Buchhändlerring durchbrechen?

Wie schön wäre es gewesen, wenn Sie mit uns den Or. Congr. in Rom mitgemacht hätten!7 Freilich war dieser an u. für sich weniger schön, wegen der vollständig unwissenschaftlichen Leitung u. der politischen Ambitionen, die damit verquickt worden sind. Der Congress hatte den wissenschaftlichen Charakter vollständig eingebüßt. Nun wird es hoffentlich künftig anders werden; es muß anders werden u. darum haben wir mit Erfolg die Rückkehr des Or. Congr. in eine deutsche Stadt erreicht.8

Mit freundschaftlichem collegialem
Gruß

Ihr ergebenster
Karabacek


1 Sonderabdrucke.

2 Exemplare.

3 Schuchardt, „Romanische Etymologieen II“, Sitzungsberichte der philosophisch-historischen Classe der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften Wien 141, 1899, 1-122. Hierzu gibt es eine Kurzfassung aus der Feder Schuchardts [Anzeiger der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Kl. 34. Jg. 1897, Wien: in Commission bei Carl Gerold’s Sohn, 1898, 92-94]: „Die ältere Herleitung Die ältere Herleitung des ital.trovare u. s. w. von lat. turbare, welche neuerdings allgemein aufgegeben ist, wird vom Verfasser wieder zu Ehren gebracht. Die dagegen erhobenen lautgeschichtlichen Bedenken sind nicht stichhaltig , mögen sie sich nun auf die frühe Umstellung von -ur- zu -ru- beziehen, oder auf den offenen Laut des o (der sich ja aus der Nachbarschaft des Labials erklärt), oder auf die Unversehrtheit des b (das ja nicht schlechtweg ein intervocalisches ist) im prov. trobar; das contropare der Westgothengesetze gibt ein gesprochenes *controbare wieder. Die von Diez angenonmiene Begriffsentwicklung ,durcheinander rühren‘ { ,suchen‘ { ,finden, erfährt hier eine weitere Begründung. Auch werden die sonstigen romanischen Fortsetzungen von turbare,*turbulare,turbidare u. s. w. untersucht und dabei zwei besonders interessante Reihen gefunden, die eine mit -ł- für -bl- (z. B. ital. intrugliare, ,durcheinander rühren'), die andere mit -f- für -b- (z. B. ital. intrufolare, ,herumstöbern‘, vielleicht auch emil. trufar ,aufspüren‘). Für die Vertretung des b, beziehungsweise des v durch f werden im Lauf der Abhandlung noch zwei grosse Gruppenbelege beigebracht: ⁎cufare } cubare (z. B. südfranz. s’acoufa, s’acoufla } ital. accovarsi, accovolarsi) und ⁎cafare } cavare (z. B. siz. scafuliari, wallon. cafouiller } siz. scavuliari und siz.scafuniari,wallon.cafougni/ } neap. scavoniare). Es scheint, dass das lat. turbare in der Richtung auf trovare, ,finden‘ zunächst zu der besonderen Bedeutung gelangt ist: ,das Wasser trüben, aufstören, um die Fische in die Netze zu treiben‘, wofür unter Anderem der deutsche Ausdruck ,pulsen‘ vorliegt (auch das früh bezeugte turbiscum, ein Mittel zur Betäubung der Fische, ist dabei zu berücksichtigen). Da nun dieser Vorgang in weiteren Kreisen ziemlich unbekannt ist, so sieht sich der Verfasser veranlasst, aus romanischen und anderen Ländern eine reichhaltige Sammlung von Zeugnissen, grossentheils dem Wortlaut nach, vorzulegen. Es werden einerseits die verschiedenen Arten des Pulsens selbst besprochen (unter denen die mit einer besonderen Stange, der Fischtrampe, vorgenommene obenansteht), andererseits die verschiedenen Netze, bei denen es in Anwendung kommt. Auf diese sachlichen Auseinandersetzungen folgen die zugehörigen sprachlichen; es werden die romanischen, germanischen, slavischen und magyarischen Ausdrücke für ,Pulsen' und ,Trampe' zusammengestellt. Unter allen diesen haben für den vorliegenden Zweck die grösste Wichtigkeit südfranz. turbula, treboula u. s. w. und magy.turbokolni u. s. w. (im Anschluss an welche ven.turgar, bellun. turigar und piem. toirè erörtert werden). Den Beschluss macht ein Verzeichniss derjenigen Namen für Netze, welche sich auf das Pulsen beziehen; unter ihnen befindet sich firanz. trouble, truble, oberital. trübia,span.trullón. In die methodischen Darlegungen, welche die ganze Abhandlung einleiten, ist ein Ueberblick über die romanische Nachkommenschaft des lat. cochlea eingeschaltet, mit der sich wohl keine eines anderen lateinischen Wortes an Formen- und Bedeutungsmannichfaltigkeit messen kann. Es lassen sich im Romanischen nachweisen: ⁎cocla, ⁎cocula, ⁎coca, ⁎coclula, ⁎clocula, ⁎clocla, ⁎cloclula, ⁎clocia, ⁎coča, ⁎cočula, ⁎čocula, ⁎cločula mit den entsprechenden Ableitungen wie ⁎cocale, ⁎coculia, ⁎cocaropiola. In diesem genealogischen Zusammenhang finden nun viele bisher entweder anders oder gar nicht erklärte romanische und auch germanische Wörter ihren Platz, z. B. franz. caillou, caracol, cloche, cosse, ruche, escargot, port. caco, cágado,deutschGlocke, Kachel, Kreisel, Krug, Kugel. Eine ausführliche Untersachung wird den romanischen Wörtern für ,Kerbe' gewidmet , wie coca, oca, cosca, osca, mosca; es wird dabei von der Spindelkerbe aasgegangen, welche ⁎coca, ⁎cocola, ⁎cloca, ⁎clocla, ⁎cocariola u. s. w. heisst, weil sie in den romanischen Ländern grossentheils als Spirale auftritt“.

4 Adolf Holzhausen (1868-1931), k. k. Hof-und Universitätsbuchdrucker in Wien.

5 „wirkliche Mitglied“.

6 Sonderabdrucke.

7 XII Congresso Internazionale degli OrientalistiRoma 1899 (Actes du douzième Congrès international des Orientalistes Rome 1899), Floren: Société Typographique Florentine, 1901, 2 Bde.).

8 Er fand 1902 in Hamburg statt.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05270)