Ferdinand Hestermann an Hugo Schuchardt (4-04699)

von Ferdinand Hestermann

an Hugo Schuchardt

Wien

17. 08. 1916

language Deutsch

Schlagwörter: Biographisches Privatbibliotheken Afrikanistik Kataloge Bibliotheken und Bibliothekswesen Bitte um Publikationszusendung Gründung von Zeitschriften Erster Weltkrieg Anthroposlanguage Georgischlanguage Baskischlanguage Lykisch Uhlenbeck, Christian Cornelius Kretschmer, Paul Reinisch, Leo Uppsala Schuchardt, Hugo (1916)

Zitiervorschlag: Ferdinand Hestermann an Hugo Schuchardt (4-04699). Wien, 17. 08. 1916. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2019). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.6645, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.6645.


|1|

Wien, am 17. August 1916.

Hochgeehrter Herr Hofrat!

Sowohl die Uebersendung der Liste Ihrer geschätzten Arbeiten1 als auch die darauf folgende werte Karte haben mich sehr erfreut. Für ersteres sehe ich es vorbildlich an, wie es alle machen sollten, damit die einen erdrückende Literatur doch leichter zugänglich gemacht werde. Für mich ist sie es hier um so mehr, als eben Herr Hofrat in Ihren Studien so viele mich interessierende praktische Themen angeschnitten haben. Ich habe absichtlich in meiner Bibliothek noch einmal gemustert, und so sehe ich mich im Besitze von Nummern 603, 624 und 625 u.a. Das ist der ganze Besitz aus Ihrer geschätzten Feder.

Wenn ich nun daran gehe, die Nummern aufzuzählen, so mag die Unmasse abschrecken, jedenfalls sehr unbescheiden vorkommen. Doch gibt sich ja gemäss der Mitteilung des Herrn Hofrates selber schon die leichte Möglichkeit, dass vieles als nicht vorhanden oder unmöglich nicht mehr erhältlich ist. Zweitens ist meine Lage eine derartige, dass ich mich gezwungen sah, verschiedene Herren der Fachkreise anzu gehen, da mit einem Male der Faden meiner bisherigen Bibliothek abriss, ich aber postenlos, ohne Verdienst, ohne Existenz, im Kriege, kaum in der Lage bin, auch nur das Geringste anzuschaffen. Trotzdem zieht mich mein Arbeitsdrang zu noch vielen Dingen. Ich habe nun auch viel Entgegenkommen gefunden und fange so allmählich wieder an, etwas aufzuleben.

Ich glaube, verehrter Herr Hofrat, dass diese meine Stellung meine Unbescheidenheit in etwa entschuldigen wird.

Am meisten würden mich nun Fragen der Nicht-Indogermanistik und |2| Nicht-Semitistik interessieren. Von den anderen Sprachen wird mich in nächster Zeit wohl das Kaukasische, besonders das Georgische besonders fesseln, da der Krieg meine Arbeit gegen die deutschen Gelehrten hat unterbrechen lassen. Ich habe die Afrikanistik sogleich positiv umgearbeitet, aber der Anthropos kann die Fortsetzung davon nicht nehmen. Aber wohin damit? Mehrere Arbeiten liegen schon ein Jahr in den Redaktionen. Das Kaukasische hat mich besonders in einer Handschrift beschäftigt, die neben der Ihren wohl die einzige des Balkans oder wenigstens OEsterreichs ist. Ich habe den Manuskriptkatalog des Georgischen fertig, daneben viele Teile zu einem Corpus inscriptionum. Aber auch hier bin ich nicht in der Lage, weiter zu arbeiten, da ich keine Bücher habe, und Bibliotheken gibt es für mich in Wien nicht, da ich die Gelder zu all den Bibliotheken nicht zahlen kann.

Daneben hat mich das Baskische stark gefesselt. Prof. Uhlenbeck2 hat mir seine Arbeiten geschickt, aber sonst besitze ich ausser dem alten Larmendi - - oder wie er genau heisst, ich schreibe nicht zu Hause!3 - - nichts.

Dann kämen exotische Sachen, wie Indonesien und Amerika, in beiden haben Herr Hofrat besonders die Kreolenfrage beantwortet. Des weiteren beschäftigt mich freilich auch allgemeine Sprachwissenschaft.

Ich werde nun in Aufzählung der Nummern die genannten Klassen unausgesondert belassen, gebe aber trotzdem die Nummern zur erleichterten Auffindung.

1882: 121 122 123 1244

1883: 136 137 138 139 140 141 142 146 147

1884: 155 158

1885: 168

|2|

1886: nichts

1887: 187 190 194 195 196 197 198 199 202 204

1889: 205 206 207 208 216

1890: 217 218

1891: 227 237

1892: 245

1893: 251 253 256 257 263

1894: 266 267 271 273

1895: 274 276 271 273

1896: 283 284 285 286 292 294 295

1897: 297 298 299 300 307

1898: 310 320 326 327 334

1900: 337 361

1901: 369 370

1902: 417 418 419 420

1903: 427 434 435

1904: 439 445 446 447 460 461

1905: 467 472 473 478 483 484

1906: 485 486 487 493

1907: 508 526 528

1908: 541 542 543 544 545

1909: 558 560

1910: 573 574

1911: 589 590 591 592 593 597

1912: 602 603 604 605 606 607 608 609 611 612 613 64 617 618 619 621

1913: 624 625 626 627 6305

1914: 633 634 636 637 638 639 640 641 642 644

1915: 656

1916: 664

|3| Ich geniere mich freilich, die lange Liste abzuschicken, am meisten freilich wegen der grossen Mühe, solche Schriften alle zusammenzubringen, aber ich denke, es wird schon manches davon ausfallen müssen.

Zu gleicher Zeit darf ich gewiss Herrn Hofrat versichern, dass es in arbeitsreiche Hände fallen soll. Darin soll mein schönster Dank für Ihre ausserordentliche Liebenswürdigkeit bestehen.

Auf Ihrer werten Karte haben dann Herr Hofrat besonders die Problemforschung betont im Anschluss an die genannte Zeitschrift. Gewiss, das ist auch meine Ansicht: Material liegt überall genug vor, aber die Arbeiter sind nicht zu wenige, sondern sie sind immer nur Indogermanisten oder Semitisten. Ich war darum sehr erstaunt, hier in Herrn Prof. Kretschmer6 einen Anwalt meiner Idee gefunden zu haben. Aber vorläufig wird schwer etwas zu erreichen sein.

Ich habe meine Gedanken auf mein verspätetes Doktorat so stark gerichtet, dass ich bis Ende Oktober kaum anderes denke. Es ist zuerst meine Hauptaufgabe. Erst nach dessen Erreichung kann ich an andere Dinge weiter denken: ob da das Georgische oder etwas anderes an die Reihe kommt. Vor acht Tagen habe ich meinen zweiten Aufsatz über die Entzifferung des Lykischen eingesandt, nach Uppsala. Ich habe so noch 25 Arbeiten daliegen, auch sehr umfangreiche, eine ist mir noch unlängst von Hofrat Reinisch7 wieder zurückgestellt. Der Krieg bindet uns nach allen Seiten.

Indem ich nun noch einmal Herrn Hofrat um Entschuldigung bitte wegen der Mühe, die ich verursache, danke ich zur gleichen Zeit für Ihr liebenswürdiges Entgegenkommen und zeichne

mit dem Ausdruck ergebenster Hochschätzung
Ferd. Hestermann
Wien XII, Graf Seilerng. 22/II.


1 Schuchardt, Verzeichnis der Druckschriften von Hugo Schuchardt, Graz: Leykam, 1916. [Archiv-/Breviernummer: 688].

2 Christian Cornelius Uhlenbeck (1867-1951), niederländischer Sprachwissenschaftler und Anthropologe.

3 Vermutlich ist gemeint: Diccionario Español y Vasco, Bilbao: Impr. de Garmendia, 1910 (unvollständig).

4 Die Nummernangabe folgt Schuchardt, Verzeichnis der Druckschriften, Graz: Selbstverlag, 1916. [Archiv-/Breviernummer: 688].

5 Alle fettgedruckten Zahlen sind im Original mit X durchgestrichen. Dazu steht handschriftlich der Hinweis „Alle X besitze ich noch!“

6 Paul Kretschmer (1866-1956), Sprachwissenschaftler, der von 1899 bis zu seiner Emeritierung 1937 in Wien vor allem Gräzistik lehrte.

7 Leo Reinisch (1832-1919), Begründer der österr. Ägyptologie und Afrikanistik, seit 1873 Wiener Ordinarius.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04699)