Friedrich Müller an Hugo Schuchardt (03-07573)

von Friedrich Müller

an Hugo Schuchardt

Wien

21. 01. 1885

language Deutsch

Schlagwörter: Bitte um wissenschaftliche Meinung Sprachen auf Sri Lanka/Ceylonlanguage Nordostkaukasische Sprachen (nacho-dagestanische Sprachen)language Finnisch-ugrische Sprachenlanguage Ungarischlanguage Türkischlanguage Sanskrit Budenz, Josef Hunfalvy, Pál Vámbéry, Hermann Schuchardt, Hugo (1884)

Zitiervorschlag: Friedrich Müller an Hugo Schuchardt (03-07573). Wien, 21. 01. 1885. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5752, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5752.


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Wien 21 Januar 1885.

Verehrter Herr College!

Zuerst meinen besten Dank für die Jubelschrift, die ich mit großem Vergnügen gelesen habe.1 Ich kann im Großen und Ganzen mich mit Ihnen einverstanden erklären, obwohl es manche Punkte gibt, über die ich mit Ihnen discutiren möchte, doch nur mündlich, da sonst mein Brief einige Bogen umfassen würde.

Ich möchte Ihnen Etwas nahe legen. Wie Sie wissen ist das Magyarische eine sehr gemischte Sprache. Budenz2 und Hunfalvy3 erklären das Magyarische für |2| ugrisch (ugro-finnisch), Vambery4 dagegen für TürkischWer hat Recht und warum?5 – Schreiben Sie doch einmal über diese concrete Frage; ich glaube Sie werden sich dann über gewisse Dinge kürzer und klarer aussprechen müssen als Sies in Ihrer [Text: ihrer] Schrift gethan haben.

Was halten Sie vom Singalesischen? Ist es sanskritisch, wie Childers behauptet hat6 oder ein Idiom für sich, wie ich glaube. Wer hat Recht und warum?

Ihre Kränkung wegen des Citats in meinem Grundrisse7 ist mir sehr unangenehm, obwohl es nicht meine Schuld ist sondern jene des Setzers und Correctors. |3| Ich hatte Adam8 und Sie citirt, die Note war oben um 3 Zeilen zu kurz geworden. Ich glaub [?] dem Corrector, dass der [?] Setzer der Auflage einen der Autoren weggelassen und da hat er das längere Citat geopfert, um die überschüssigen Zeilen anzubringen. Sie dürfen aber nicht glauben, daß ich Sie ignorieren will. Sie werden jedenfalls am Schlusse, wo von Mischsprachen u.s.w. die Rede sein wird (Band IV) daran kommen. Ich werde gerade Ihnen ein eigenes Capitel widmen müssen.9

Mit den besten Grüßen Ihr

treu ergebener

F. Müller
III. Marxergasse
24,a


1 Schuchardt, Dem Herrn Franz von Miklosich zum 20. November 1883. Slawo-deutsches und Slawo-italienisches, Graz 1884.

2 Joseph Budenz (1836-1892), deutscher Finno-Ugrist, Vf. von Ugrische Sprachstudien, Budapest 1869-70, 2 Bde.; Über die Verzweigung der ugrischen Sprachen, Göttingen 1878.

3 Pál (Paul) Hunfalvy, Die Ungarn oder Magyaren, Wien 1881.

4 Hermann Vambéry (1832-1913), ungar. Orientalist u. Turkologe, Vf. von Der Ursprung der Magyaren, Leipzig 1882.

5 Schuchardt hat mit allen Genannten korrespondiert.

6 Robert Caesar Childers (1838-1876), Notes on the Singhalese language , 2 Bde., s. l. 1873-75 (1. 2. On the formation of the plural of neuter nouns. Proofs of the Sanskritic origin of Sinhalese).

7 Friedrich Müller, Grundriss der Sprachwissenschaft, 4 Bde., Wien 1876-88 (1. Einleitung in die Sprachwissenschaften, 1876; 2. Die Sprache der schlichthaarigen Rassen, 1879; 3. Die Sprachen der lockenhaarigen Rassen, 1884; 4. Nachträge 1877–1887, 1888). An welcher Stelle das verstümmelte oder fehlende Zitat steht, konnte nicht geklärt werden.

8 Lucien Adam (1833-1918), Bibliothekar u. Sprachwissenschaftler.

9 Der IV. Bd. von der Grundriss der Sprachwissenschaft (Nachträge zum Grundriss aus den Jahren 1877-1887), Wien 1888 („Kleinere Nachträge und Verbesserungen“, 234f.) vermerkt keinen derartigen Nachtrag.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07573)