Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (272-156)

von Hugo Schuchardt

an Georges Lacombe

Graz

20. 08. 1912

language Deutsch

Schlagwörter: Anthropos Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes Revue internationale des études basqueslanguage Baskischlanguage Kaukasische Sprachenlanguage Nubische Sprachenlanguage Spanischlanguage Französisch Uhlenbeck, Christian Cornelius Winkler, Heinrich Darricarrère, Jean Baptiste Goethe, Johann Wolfgang von Urquijo Ybarra, Julio de Reinisch, Leo Protat, L. Karras, Ehrhardt Schuchardt, Hugo (1912)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Georges Lacombe (272-156). Graz, 20. 08. 1912. Hrsg. von Katrin Purgay (2017). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.5673, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.5673.


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Graz 20. Aug. 1912

Sehr geehrter Herr und Freund;

Ich bitte tausend Mal um Entschuldigung daß ich Ihnen nicht sofort Uhlenbeck % Winkler zurückgeschickt habe. Es geschieht jetzt.

Bestens danke ich für Ihre letzten Mitteilungen. Leute wie Darricarrère, voll Interesse und Eifer, voll Sachkenntnis, aber ohne Methode, – man kann auf sie nicht Goethes Worte anwenden:

Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange

Ist sich des rechten Weges wohl bewußt –

flößen mir lebhaftes Bedauern ein (dies Wort nicht im verächtlichen Sinne gemeint).

|2| Ich habe eben an de Urquijo einen Aufsatz geschickt, von dem ich glaubte, er würde 2-3 meiner Ihnen bekannten Quartseiten ausfüllen; es sind 13 ½ daraus geworden. Übrigens hat nur die Kühle der letzten Zeit es mir ermöglicht ihn abzufassen, natürlich mit größter Verspätung. Ich bin wegen dieses Aufsatzes in einiger Verlegenheit und fürchte auch de U. einige Verlegenheit zu bereiten. Wie ich ihm die Dinge auseinandergesetzt, will ich sie auch Ihnen auseinandersetzen, ja noch ausführlicher.

Bei meinem Alter und bei meiner Unfähigkeit zu andauernder Arbeit ist es begreiflich daß ich mit dem vielen was ich gesammelt und skizziert habe, zum Abschluß kommen |3| möchte, wenigstens mit möglichst vielem davon. Nach meinem Tode könnten sich andere in meinen Papieren nicht zurechtfinden. Was das Baskische betrifft, so liegt mir hauptsächlich an zweierlei: 1) Etcheberrys Dialogen (mit Einleitung) 2) den baskisch-afrikanischen Parallelen. Auch für diese zweite Arbeit ist seit langen Jahren mein Material abgeschlossen; was noch an Neuem hinzukommt, ist verhältnismäßig wenig. Ich hatte eine weitschichtige Untersuchung über die Verwandtschaftsverhältnisse des Baskischen geplant; diesen Plan muß ich aufgeben, ich muß mich darauf beschränken meine Wortvergleichungen vorzulegen, in trockner nackter Darstellung. Das würde keine zu große Anstrengung und nicht viel Zeit erfordern. Der jetzt abgesandte Aufsatz soll eine Art Einleitung bilden, über die |4| Methodik bei Untersuchung der Sprachverwandtschaft, mit dem Nubischen als Probierstein. Der müßte also vor der andern Arbeit erscheinen; une enfournée après l’autre!

Zweitens wünschte ich Winkler zuvorzukommen; er plant wieder irgend etwas – ich möchte fast sagen: Unheilvolles. Eine Karte die ich in diesen Tagen von ihm erhielt, spricht in geheimnisvoller Weise von neuen Wegen zur kaukasischen Sprachenwelt. Ich bemerke ausdrücklich daß Übereinstimmungen zwischen Bask. und Kauk. auch für meine Augen bestehen und daß ich die Möglichkeit nicht leugne, die Wiege des Baskische[n] habe zwischen dem Hamitischen und dem Kaukasischen mitten inne gestanden. Aber vorderhand kommt es gar nicht auf die Beschaffenheit des sachlichen Ergebnisses an, sondern auf Feststellung des Verfahrens wie wir zu einem solchen gelangen können. |5| Ich sähe es gern daß mir Winkler Rede stünde über seine Art der Sprachauffassung, daß er mich kritisierte statt sich von mir kritisieren zu lassen. Denn ich sehe nicht daß meine romano-baskischen Berichtigungen ihn in seinen Anschauungen wirklich beeinflußt hätten; aber warum äußert er sich darüber nicht in einer oder der andern Weise?

Drittens. Am 26 Okt. d. J. feiert mein Freund L. Reinisch seinen 80. Geburtstag. Nun nehme ich zwar litterarisch an dieser Feier schon teil, aber in eigentümlicher Weise. Ich wurde von Reinisch selbst veranlaßt, meinen Aufsatz Bari und Dinka den Sie in Korrektur ja kennen, nicht wie ich beabsichtigt hatte, in den Anthropos, sondern in die Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes zu geben. Ich tat das ahnungslos, schickte einen Abzug auch an Reinisch und erhielt seine Bemerkungen dazu. Nun erfahre ich, daß der ganze Band dieser Zeitschrift als Festschrift für R. dienen soll, und man |6| hat das den Mitarbeitern ausdrücklich verheimlicht! So bin ich denn wieder Wissen und Wollen unter die Festgeber geraten, und das hat inso fern sein Unangenehmes als ich in einer Widmungsschrift für R. ihm nicht, wenn auch in bescheidenster Weise, wie ich das getan – widersprochen haben würde. Nun dachte ich, wie ich den jetzigen Aufsatz abfaßte, der wäre eigentlich bei der betreffenden Gelegenheit sehr gut zu verwenden, da sich R. zwar nicht mit dem Baskischen beschäftigt hat, aber sehr nachdrücklich und in entscheidender Weise mit dem Nubischen (und schon seit einem halben Jahrhundert).

Ich glaube aber daß die Drucklegung des Aufsatzes in der Revue sich nicht so rasch bewerkstelligen läßt. Zunächst |7| macht den Setzern das Lesen deutscher Handschrift Schwierigkeiten. Sie haben nicht bloß keine Kenntnis von der Sprache selbst, sondern auch von dem was in der Schrift möglich ist und nicht, keine Ahnung. Ich habe zwar in meinem Ms. mich möglichst bemüht deutlich zu schreiben und z.B. die l1 und t gut zu unterscheiden; nicht wie mir das oft genug geschieht l zu schreiben neben t oder t2 (auch unter meinen Landsleuten gibt es jetzt manche die immer l für t schreiben und l3 für den andern Konsonanten). Aber die Setzer der Protats werden trotzdem sehr viel Mühe mit meinem Ms. haben, auch wegen der diakritischen Zeichen, während die von Karras nicht nur ein deutsches, sondern |8| auch ein gleichartiges spanisches oder französisches mühelos bewältigen würden. Zeit würde ja der Abdruck haben bis Ende des Jahres, da man das eben als Jubeljahr im Ganzen genommen betrachtet. Auch ich bekomme noch gedruckte Widmungen und angekündigte stehen noch aus. Alle weiteren Beiträge von mir könnten im folgenden Jahrgang, bei Karras, gedruckt werden (wenn nur in bezug auf die Schönheit des Druckes keine Regrets laut werden – ich wasche meine Hände in Unschuld!)

Mit herzl. Gruß

Ihr

H. Schuchardt

Gelegentlich: an welchem Leiden ist Poincaré gestorben? Die Zeitungen die ich las, vermeldeten nichts darüber.


1 Mit einer Schlinge oben.

2 Mit einer Schlinge unten.

3 Mit einer Schlinge oben.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Fondo Lacombe (Euskaltzaindia). (Sig. 156)