Wilhelm Gurlitt an Hugo Schuchardt (25-04243)

von Wilhelm Gurlitt

an Hugo Schuchardt

Graz

06. 05. 1894

language Deutsch

Schlagwörter: Nationalismus Universitätspolitik Sprachpolitik Universität Graz Universität Czernowitz Universität Innsbrucklanguage Italienischlanguage Slowenisch Campi, Alois von Ive, Antonio

Zitiervorschlag: Wilhelm Gurlitt an Hugo Schuchardt (25-04243). Graz, 06. 05. 1894. Hrsg. von Lilly Olet (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2756, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2756.


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Graz, d. 6. Mai 1894
Schubertstraße 7B

Lieber Schuchardt.

Ich danke Dir für Deine beiden Briefe und um so mehr, weil ich an den Schleifen, die die Worte verbinden, ansehe, daß Du sie inter tormenta geschrieben hast. Ich habe lange gezögert, ob ich Dir Erwidern soll, da wir doch beide immer nur Monologe schreiben. Doch möchte ich ganz kurz, an eine Bemerkung von Dir anknüpfend, meinen Standpunct darlegen. Du sagst in Deinem ersten Briefe: „wir Deutschen in Oesterreich haben vielleicht Manches nicht, was uns gebührt.“ In Oesterreich sind rund gerechnet 20 Millionen Deutsche: sie |2| haben 5 Universitäten von denen Czernowitz ein totgeborenes Kind u. lebensunfähig ist, weil es fern von Deutschen mitten in fremdsprachigem Lande liegt. Aber auch wenn wir diese Universität mitzählen obgleich dort schwerlich ein Deutscher studiert, so kommt auf 4 Millionen eine Universität. Das ist wenig, wenn Du Deutschland u. die deutsche Schweiz vergleichst. Also sage ich, uns, den Deutschen, gebührt die Grazer Universität, die noch dazu ganz von Deutschen umgeben ist. - Zur Erhaltung dieser Universität zahlt die deutsche Stadt Graz jährlich 8000 Fl, also die die Zinsen eines Capitals von 200000 Fl. Der Bau des neuen Universitätsgebäudes ist nur dadurch möglich gewesen, daß das  Land Steiermark 800000 Fl hergegeben hat |3| u. dafür vom Staate viel weniger Zinsen erhält, als es selbst an seine Gläubiger zahlen muß. Steiermark ist aber seiner Majorität nach ein deutsches Land. Folglich hat das Land u. die Stadt das Recht, den deutschen Charakter der Universität zu wahren, u. wir die Pflicht, ihn zu erhalten.

Wie viele Italiener in Oesterreich leben, weiß ich nicht genau: ich schätze sie auf etwa eine Million. Ich habe gar nichts dagegen, daß sie eine eigene Universität erhalten, wie mein Freund Campi1 das jedes Jahr im Parlamente verlangt. Ebenso habe ich gar nichts dagegen, daß eine slowenische Universität, etwa in Laibach, errichtet werde. Du bleibst zu meinem Bedauern, trotz unseres früheren Briefwechsels dabei, zu glauben, daß ein nationaler Standpunct dazu führe, daß ich den andren nicht gönne oder ge- |4| währe, was ich für mein Volk beanspruche. Ich behaupte dagegen, gerecht gegen sich u. gegen die anderen ist man nur vom nationalen Standpunct aus. Die Magyaren sind nach meiner Ansicht nicht national, sondern chauvinistisch: sie nützen eine für sie günstige Lage in einer Weise aus, die unsittlich, empörend u. gemein ist, die vor dem Richtstuhl der Geschichte nicht bestehen u. die zum Zusammenbruch der magyarischen Herrlichkeit, die ich zu erleben hoffe, führen wird. An unserer Universität studieren so viel Deutsche, daß, wenn auch alle Italiener u. Slowenen wegblieben, wir an Hörerzahl über dem Durchschnitt der Universitäten in Deutschland und der deutschen Schweiz blieben.

Das ist die Basis, von der ich ausgehe. Ich kann also Niemandem zugestehen, daß er als sein Recht beanspruche, an unserer Universität öffentliche für alle Hörer bestimmte Vorträge in einer anderen, als der deutschen Sprache zu halten. Am wenigsten aber |5| kann ich das Ive2 zugestehen, der durchaus nicht eine wißenschaftliche Größe ist, vor der auch ich gern vom Princip abgehen würde, der in der Tagespost für seine Vorlesungen Reclame machen läßt und der nach meiner Ansicht nicht von den edlen Motiven geleitet ist, die Du mit hinreißender Beredsamkeit u. warmen Herzens in Deinen Briefen vertrittst. Dagegen bin ich, wie ich Dir gesagt u. geschrieben habe, nicht dagegen, daß gegebenenfalls ein Colleg einmal italienisch gelesen werde, u. ich finde daher, daß Deine Argumentationen sich mit meinem Standpunct durchaus vertragen. Eine leise Verschiebung deßen, was ich gesagt habe, finde ich darin, daß Du in beiden Briefen auf einen deutschen Studenten, der die italienischen Vorlesungen hindern werde, exemplificierst. Ich glaube nicht, daß ich gesagt habe, es werde das gerade ein Deutscher sein, sondern ein „anderssprachiger“ also ebensogut ein slowenischer Student, die bekanntermaßen mit den Italienern viel mehr verfeindet sind, als die deutschen. Ich erwähne dies nur, weil durchaus nicht nothwendiger Weise |6| ein deutscher der Störenfried sein muß, wie Du annimmst: das ist den Profeßoren gegenüber gar nicht ihre Art. Also jedem das Seine: den Italienern u. Slowenen ihre Universität, und, da Czernowitz thatsächlich nicht mitzählt, mindestens 4 Universitäten, wo Deutsch vorgetragen wird. - Die Italiener können sich übrigens über die Behandlung, die sie bei uns genießen, wahrlich nicht beklagen. In allen Fächern werden sie in ihrer Muttersprache geprüft, aber freilich ist das nur ein Zugeständniß, welches von dem Übereinkommen zwischen Prüfer u. zu Prüfendem abhängig ist. In Innsbruck haben sie das Recht, italienisch geprüft zu werden u. dort werden auch eine Reihe Gegenstände italienisch vorgetragen. Freilich kann das nicht eine italienische Universität ersetzen: aber ich habe das Vertrauen auf die nationale Kraft der Italiener, daß sie auch diese erreichen werden. Nur ist nicht einzusehen, warum die gerade aus unserem Fleische herausgeschnitten werden soll. Soweit die deutsche Sprache reicht, ist wißenschaftliche Arbeit nur an den Universitäten möglich. Es ist das eine Thatsache, wenn sie auch zu beklagen ist. Für die wißenschaftliche Productivität der Deutschen in Oesterreich sind so wie so 5 Universitäten sehr wenig: wir können keine mißen.

Mit den besten Grüßen

Dein

W. Gurlitt.


1 Alois Edler von Campi, Abgeordneter des Kronlandes Tirol in der 8. Legislaturperiode des Reichsrates (1891-1897). ( ÖNB 1897 : 1000). In den Jahren … stellt er Anfragen bezüglich der Hochschulen und des Unterrichtsbudgets. Ein Auszug aus der Anfrage des Jahres 1894: „Und bei dieser Gelegenheit muss ich gestehen, dass die Art und Weise, wie die frühere Regierung mit Schweigen und die gegenwärtige mit Redewendungen die gerechten Forderungen der Italiener zu umgehen trachtet, mir den Eindruck macht, wie wenn sie einer Frage ausweichen wollte, die eben nur deswegen lästig ist, weil sie das Recht auf volle Würdigung für sich zu beanspruchen berufen ist.“ ( Campi 1894 : 13459).

2 Antonio Ive (1851-1937), Romanist, studierte unter anderem bei Mussafia, Ascoli und Gaston Paris. Er lehrte ab 1894 an der Universität Graz (vgl. Dizionario Biografico degli Italiani 2004 , s.v. Ive, Antonio).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 04243)