Carolina Michaëlis de Vasconcelos an Hugo Schuchardt (7-7316)

von Carolina Michaëlis de Vasconcelos

an Hugo Schuchardt

Porto

13. 05. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Reisen Einladung Biographisches Sprachkontakt (allgemein) Morphologie Verb Flexion / Wortformenbildung Spracherwerb Editionsphilologielanguage Spanischlanguage Portugiesischlanguage Katalanisch Spanien Portugal Porto Michaëlis de Vasconcellos, Caroline (Hrsg.) (1904) Michaëlis de Vasconcellos, Caroline (1885)

Zitiervorschlag: Carolina Michaëlis de Vasconcelos an Hugo Schuchardt (7-7316). Porto, 13. 05. 1879. Hrsg. von Bernhard Hurch (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.222, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.222.

Printedition: Hurch, Bernhard (2009): "In der Phäakenluft von Graz bin ich erst recht faul geworden." Der Briefwechsel von Caroline Michaëlis de Vasconcellos und Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 72., S. 19-111.


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Porto 13/5 79

Sehr geehrter Herr Professor,

ich freue mich Sie in Spanien zu wissen – und hoffe Sie bald in Portugal zu begrüßen. Im eigenen und in meines Mannes Namen biete ich Ihnen unser Haus an in dem jeder Gast, besonders jeder Deutsche - und ganz besonders einer der Spanien und Portugal als romanischen Landen Interesse entgegenbringt, hoch willkommen ist. Von Lissabon bis Porto ist ja nur eine 12 stündige Tagereise: für Sie, sehr geehrter Herr, ist das eine Kleinigkeit; für mich jetzt schwieriger, da unser kleiner Sohn ein verwöhntes Prinzchen ist das sich von seiner Mutter durchaus nicht trennen will und das ich dem heißeren Süden nicht zuführen möchte. Sein wie mein kühles nordisches Blut können sich mit dem Sonnenbrand des Südens, der in Lisboa dann doch noch etwas heißer brennt als hier, nicht recht befreunden. – Hat man Ihnen auch das Klima Lisboa's noch so sehr gerühmt – ich kann aufrichtig in dieses Lob nicht einstimmen. Mein Mann kommt eben von dort zurück – und der Südländer klagt über die unterträgliche Hitze und den irritierenden Kalkstaub. – Ich selbst habe – als ich 1877 |2| von Mai bis August in Ajuda d.F. auf hohem Berg am Rande wohnte meine Wohnung d.h. die Bibliothek nur früh Morgens (von 5–8) und spät Abends (nach 8) verlassen – den Tag über blieb ich in den kühlen Sälen der Bibliotheca; so grauenhaft fand ich die Hitze. Freilich, Sie mögen dagegen gefeit sein – und wenn Sie Sevilla, Granada, Malaga und Cadiz ausgekostet, mag Lisboa Ihnen kühl erscheinen, kühler ist jedoch jedenfalls unser Porto. Ich rate Ihnen, kommen Sie zuerst direct von Badajoz hierher – ruhen Sie in unserem Hause solange es Ihnen gefällt und ziehen Sie zuletzt, wenn es Herbst geworden, nach Lisboa – von wo aus Sie doch gewiß zu Schiff nach Deutschland zurückkehren wollen! Coelho, Rua de San Felipe Nery – wird gern zur gleichen Zeit zu uns kommen – so Sie ihn kennen zu lernen wünschen. Um das Portugiesische sorgen Sie nicht – binnen ganz kurzer Zeit werden Sie sich hineinleben und denken – es auf spanischem Boden zu treiben würde ich auch nicht wagen; sind Sie erst hier, so sind Sie schnell ganz portuguezirt. Und mischt sich auch dann und wann ein Kastellanismus hinein, so trösten Sie sich mit Gil Vicente, Sá de Miranda etc. kurz mit allen Lusitanen die kastellanisch geschrieben – denn keiner von ihnen ist von diesen Sünden frei geblieben. |3| Ich selbst bin nicht mehr im Stande Spanisch zu sprechen seit ich in Portugal lebe.

Eine Gelegenheit das Mischmasch, das die spanisch schreibenden Portugiesen für echtes Kastilianisch verkaufen, lassen Sie mich fragen ob sie bei der Herausgabe eines solchen Dichters wenn Sie ein Original-Manuskript oder doch nur eine Kopie davon vor sich hätten – all und jeden Fehler wie quem für quien, houvera für hubiera, pode für puede einerseits und promieto nuerte firmamiento aposiento etc. andererseits stehen lassen oder in die entsprechende einer Form umwandeln würden? Gewisse Fehler wie die Verwendung des persönlichen Infinitivs in spanischer Rede müssen ja doch überall stehen bleiben; warum also nicht der ganze Vorrat? Auch im Cancioneiro da Ajuda1 finden sich, wenn auch sehr vereinzelt, einzelne fehlerhafte Formen, conosciesse für conhecesse etc. die man wohl als Werk der Autoren, und nicht des Schreibers betrachten muß. Wären Sie das letztere, wäre der Schreiber, wie ich anfangs mutmaßte, und wie auch die gemalten Vignetten und der Charakter der Handschrift vermuten lassen darf, Spanier gewesen, so müßten wir wohl zahlreiche Irrtümer voraussetzen.

|4| Schreiben Sie mir doch freundlichst ein Wort der Antwort auf diese Frage. Ich arbeite unter anderem an einer Ausgabe der Poesias des Sá de Miranda2 und sooft ich ein Gedicht kopiere nehme ich Anstoß an den falschen Lauten.

Mit freundlichem Gruß von mir und den besten Empfehlungen von Seiten meines Mannes in der Hoffnung Sie bald hier in der ciudade muito nobre e muito leal zu begrüßen,

hochachtungsvollst

Carolina Michaëlis de Vasconcellos


1 CMdV erwähnt in ihren Briefen regelmäßig den Cancioneiro da Ajuda, von dem sie schließlich 1904 eine neue kritische Standardedition herausbringen wird (2 Bde., Halle: Niemeyer).

2 Die hier angekündigte Edition erscheint als CMdV (1885).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 7316)