Gerhard Bähr an Hugo Schuchardt (2-401)

von Gerhard Bähr

an Hugo Schuchardt

Zumarraga

06. 07. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: Revue internationale des études basqueslanguage Baskischlanguage Deutschlanguage Spanischlanguage Romanische Sprachenlanguage Englischlanguage Iberisch Stimming, Albert Morsbach, Lorenz Azkue y Aberasturi, Resurrección María de Spanien Göttingen Graz Schuchardt, Hugo (1920)

Zitiervorschlag: Gerhard Bähr an Hugo Schuchardt (2-401). Zumarraga, 06. 07. 1920. Hrsg. von Oroitz Jauregi Nazabal (2007). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.120, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.120.

Printedition: Jauregi Nazabal, Oroitz (2005): Correspondencia de Gerhard Bähr con R. M. Azkue, H. Schuchardt y J. Urquijo (1920-1944). Donostia-San Sebastián: Gipuzkoako Foru Aldundia-Diputación Foral de Gipuzkoa.


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Zumárraga, d. 6. Juli 1920

Sehr geehrter Herr Professor,

Zunächst möchte ich Ihnen herzlich danken für Ihre baldige Antwort, die mich ausserordentlich erfreut hat. Entschuldigen Sie, bitt[e] die blasse Farbe meiner Tinte im letzten Brief, aber leider ist in so einem Lande wie Spanien keine andere erhältlich, und so muss ich mich mit blauer behelfen, bis wir gute, schwarze au[s] Deutschland erhalten. Ihrem Wunsche entsprechend teile ich I[h]nen einiges über unsere Verhältnisse mit. Ich bin vor 20 Jahren in dem 7 km. von Oñate und 5 von Legazpia entfernt liegenden Flecken “Udana” geboren; er liegt auf dem 500 m. hohen Pass der Str[asse] Legazpia-Oñate, dort wo die Karten “Alto de Inunciaga” verzeichne[n]. Diese Bezeichnung ist aber nicht gebräuchlich, wie viele die die jä[m]merlichen spanischen Karten bringen. Mein Vater war seit 1891 Direk[tor] einer Blei und Zinkgrube, die am Nordabhange des Aizgorri gerade Udana gegenüber liegt. Da wir sehr einsam wohnten und vom 6 J[ah]re ab stets deutsche Lehrerinnen u. Lehrer hatten, so lernten wir wohl g[anz] Deutsch, aber nur sehr schlecht Spanisch, und vom Baskischen nur einige Worte. Dieses habe ich mir erst im letzten Jahre angeeignet, leider; denn es ist sehr viel Wert eine Sprache von Kind auf zu besitzen. Ehe ich das 12. Jahr erreicht hatte, kam ich nach Deutschland und besuchte die Königl. Landesschule Pforta (b. Naumburg a. d. Saale), w[o] ich Ostern 1918 die Reifeprüfung bestand. Nach 2-3 monatlichem Stud[ium] der Roman. Sprachen u. des Englischen bei Prof. Stimming u. Gehe[im]rat Morsbach in Göttingen trat ich freiwillig in das Heer ein und studie[r]te nach Beendigung des Krieges, der mich bis nach Belgien gefüh[rt] hatte; weiter, bis ich im Juni 1919 Möglichkeit hatte nach hier zurückzukehren. Einige Monate vor der Rückkehr hatte ich angefangen […] 12|2| mich mit Hilfe von Larramendis Grammatik mit dem Euskera zu beschäftigen (leider ohne das Unmögliche möglich zu machen), ebenso wie ich seit 2 Jahren mit nicht geringer Mühe Spanisch ordentlich zu erlernen suchte, was ich alles in der Jugend bei etwas gutem Willen spielend hätte lernen können. - - Inzwischen war mein Vater nach 28jährigem Dienste von der deutsch-belgischen (aber überwiegend belgischen) Grubengesellschaft, der Real Compañia Asturiana entlassen worden, und zwar nach Beendigung des Krieges, angeblich(?) auf Befehl der belgischen Regierung (??) und unter Missachtung aller vor dem Kriege ständig hervorgehobenen Verdienste meines Vaters und unter Bruch der Kontrakte. Für uns ein erstes würdiges Beispiel der Völkerversöhnung! Zwar hat mein Vater gute Beziehungen zum königl. Hause, besonders zur Königin Mutter, aber da die Gesellschaft ausländisch ist, ist schwer etwas zu machen. Mein Vater ist gegenwärtig in Deutschland auf der Suche nach deutschen Vertretungen für Maschinen usw, und wird wohl vor Ende des Montats nicht zurückkehren. Gegenwärtig wohnen wir für einige Zeit in Olabeŕia, 1 km südlich von Legazpia, O von Zumaŕaga (nicht zu verwechseln mit dem Dorfe Olabeŕia bei Beasain). In der Beschreibung Gorosabels, die ich zwar nicht kenne, werden wohl diese kleinen Örtlichkeiten nicht genandt sein.

Nun möchte ich im Einzelnen auf den Inhalt Ihres Briefes eingehen. Was die Form zenakizu betrifft, so muss ich zugeben, dass ich sie falsch aufgefasst habe. Erstaunlich ist nicht das Vorhandensein des "-zu", sondern das Fehlen des n. Ich finde diese Form im XIV Jahrgang Band VI, No1 der Revue Internationale, die 2 Artikel von Ihnen enthält: Letagin u. Zu Vinsons Syntaxe basque Rev 10, 58 ff. Diese und die vorhergehende Nummer der Zeitschrift sind die einzigen wissenschaftlichen Abhandlung die ich je kennen gelernt habe,|3| da bei der allgemeinen Unkultur für das Baskische erstrecht kein Interesse vorhanden ist. Das wenige was gedruckt wurd, ist in Donostia meist nicht zu erhalten und aus Bilbao erhielt ich keine Antwort. Von den sogenannten Euskalzale kenne ich nur wenige persönlich, von den bekannteren habe ich vor kurzem Herrn Azkue zufällig kennengelernt konnte aber kaum mit ihm sprechen. Von ausländischen Sachen ist natürlich garnichts zu haben. Ich habe vergebens nach Werken von Bonaparte von Ihnen und von Uhlenbeck gefragt. Ich hoffe in Deutschland (wohin ich im Herbst zurückzukehren gedenke) habe ich es nicht so schwer einiges Wissenschaftliche zu finden. Neulich lernte ich einen Herrn Zulueta in Oñate kennen, der allerlei zu besitzen scheint und mir vielleicht manches bieten kann. Ich bedaure, dass ich jetzt wo ich mancherlei persönliche Bekanntschaften mache, meiner Rückreise ziemlich nahe bin. - Heute vor einem Jahre traf ich hier ein und begann mit großem Eifer die Erlernung des Euskera, unterstützt von einem Geistlichen, der leider bald versetzt wurde. Zunächst schien mir die Erlernung unmöglich, aber nach einigen Monaten merkte ich, dass das Gerede von der Schwierigkeit des B. eine Fabel ist. Schwer wurde das Studium nur durch den weiten Abstand der gesprochenen Sprache, die fürchterlich verrottet ist, von den Grammatiken. Jetzt kann ich mich fliessend mit jedem unterhalten, wenn er nicht zu rasch spricht und nicht allzuviel verschluckt. Der hiesige Dialekt ist guipuzkoanisch mit bizkayischen Anklängen, aber scharf geschieden von Oñate, das durchaus zu dem letzteren gehört. Als Beispiele füge ich auf einem getrennten Zettel einiges aus der Konjug. beider Orte auf, so wie ich sie selbst höre. Bergara's Dialekt ist fast gleich dem Oñatiaŕa, ebenso wie Legazpia u. Zumarraga kaum Unterschiede aufweisen.|4| Die Sprichwörter aus dem 16. Jh. die Sie in die Gegend Bergaras verlegen habe ich trotz aller Bemühungen noch nicht erhalten können, ich hoffe sie jedoch nun in Herrn Zuluetas Bibliothek zu finden. Was den Akzent anbetrifft, so ist er meiner Meinung nach in einigen Worten fest, in anderen schwankt er je nach der Gegend. Z. B. sagen alle ikusi dezú (und niemand dézu, dózu) egón, duté, esán, ezétz, dezué, emán, hingegen hört man hier edérki, in Tolosa éderkí, hier etxéa, anderswo étxeá, usw. Ich lege einen Text bei, Ihrem Wunsche entsprechend. Ich werde von jetzt ab besonders auf den Akzent achten. Manche Basken, die aus anderen Gegenden stammten sagten mir selbst, dass ihnen der hiesige Akzent sehr fremd vorkomme. Zumarraga wird auf der vorletzen Silbe etwas stärker betont als auf den übrigen, hat abe[r] fast schwebende Betonung. Ich weiss nicht aus welchem Grunde die Spanier alle derartige Namen zu Proparoxytona machen. Ebenso geht es Astigarraga, das ofiziell Astigárraga heisst. Mit Goyerri “Oberland” bezeichnet man das obere, südliche Tal von Gipuzkoa von Tolosa bis Zegama u. Legazpia. Manche rechnen auch Oñate u. Bergara dazu, obwohl diese in einem anderen Tale liegen. Der niedere Teil G.’ von Tolosa bis Donostia heisst Beterri und zeichnet sich durch seinen reichen Dialekt aus, während der hiesige sehr arm an Worten u. Verbalformen ist. Ein Wort endelgatu habe ich nie gehört, auch nicht durch Fragen erfahren. Vielleicht kann mir Azkue darüber Auskunft geben. Als Besonderheit von Legazpia kann man eine besondere Pluralisierung betrachten z. B. dakitzet, daramatzet, für dakizkit daramazkit, ferner den synthetischen Gebrauch von eragotzi hindern, z. B. nik daragozt. Ich weiss nicht, ob Bonaparte diese Formen bringt. In hiesigen Grammatiken habe ich trotz vieler anderer Kleinigkeiten diese nicht gefunden.|5|Über die Kindersprache kann man, wie Sie selbst sagen, nur sehr schwer Beobachtungen machen, die einen Begriff über die Entstehung des Verbums geben könnten. Erstens weil die Kinder alle unbequemen Formen einfach unterdrücken und nur mit Dativen u. Akkusativen arbeiten, oder auch alle einfachen Präsens und Impf. Formen auf alle anderen ausdehnen. Zweiten[s] auch, weil das Verb die höchste Stufe schon überschritten hat und hier schon gänzlich verfallen ist, z. B. kennt man kein zitzazkidaketenean; man würde hier sagen: zitzetan (im besten Falle) oder meist zitan. Entgleisungen kommen bei Kindern oft im Gebrauch der Wörter vor, wo es sehr verzwickte gibt, z. B. in den Familienbeziehungen. Neulich erzählte mir ein 5 jähriger Junge er hätte 4 Töchter, usw. Auch ( anaya, nebea) (arrebea, aizpea) führen zu dauernden Verwechslungen. Das heutige Kind lernt auch schon mit 5 Jahre[n] in der Schule Spanisch, zwar schlecht, aber immerhin besser als baskisch, was dazu beiträgt seine baskischen Begriffen vollend[s] zu verwirren. Für viele ist die Scheidewand die beide Sprachen tren[nt] schon vollständig verschwunden und sie drücken die einfachste[n] Begriffe u. Dinge im Baskischen Stil aber mit meist span. Vokabel[n] aus. Der Baskische Geist hält sich sogar bei Leuten die gar ke[in] Euskera mehr verstehen, z. B. hörte ich sagen: Grande grande que es dicen, entsprechend: andi andia dala diote. Man kan[n] ruhig behaupten, dass auch ältere Leute die Spanisch nicht verstehen, einen grösseren spanischen Wortschatz haben als eine[n] baskischen. Gingen die Dingen so weiter, so hätte das Euskera in 50 Jahren aufgehört zu bestehen, wenigstens in dieser Gege[nd]. Erfreulicherweise hat sich die nationalistische politische Reaktion der Sprache angenommen und beginnt sie wieder zu pflegen besonders in Bilbao. Leider haben manche durch et|6|was zu weit getriebenen Purismus viel Verwirrung angerichtet. Da der Nationalismus mächtig zunimmt, so kann man wohl hoffen, dass das Euskera erhalten bleiben wird, trotz seiner Zerrüttung in einigen Teilen. Bedauern kann man nur, dass jeder sich aufdrängen will mit seinem eigenen Dialekte und sogar Unterdiale[kten] statt ohne Rücksicht auf persönlichen Ehrgeiz den für alle am leichtesten verständlichen zu wählen, nämlich den Gipuzkoanischen. Die entstehende kleine Literatur sieht ziemlich bunt aus. Da die ganz[e] Bewegung von Bilbao ausgeht (wo auch die täglich baskische Artike[l] bringende national. Zeitung erscheint) so hat das Bizkayische ein ziemliches Übergewicht. Das Bedauerlichste jedoch ist, dass jeder Baskenfreund es für seine Pflicht hält “Etymologieen” im Stile Larramendis zu treiben. Man hat Euskera in Euzkera verwandelt, wen[n] es von eguzkia käme; denn die alten Basken beteten ja die Sonne an. Diese und ähnliche Fragen sind ganz u. gar zu politische[n] geworden.

Glauben Sie, dass das Baskische eine Kultursprache werden kann? Der span. Professor Unamuno, der den Tod des Euskera für unvermeidlich u. wünschenswert hält, leugnet es: Allen, die mir seine Meinung anführen entgegne ich, dass Spanien sich noch nie durch Wissenschaft geschweige durch Sprachwissenschaft ausgezeichnet hätte, dass es hingegen im Auslande Deutsche gäbe die das Euskera nicht für zu schlecht hielten sich mit ihm zu beschäftigen. Ist eigentlich eine Verwandtschaft des Euskera mit dem Iberischen fest nachgewiesen? Der Professor Luis de Eleizalde oder wie er sich als Nationalist nennt Eleizalde’tar Koldobika (Chlodowik, Ludwig) aus Vitoria bestreitet es, aber mehr aus politischen Gründen; denn er möchte nicht, dass die Basken mit den von den Iberern abstammenden Spaniern verwandt sind. Am sichersten ist doch wohl noch die Annahme, dass sie mit den Berbern verwandt sind?|7|[A]uf die Kindersprache will ich auch besonders Acht geben. Ausser einigen [b]esonderen Wörtern die die Kinder sagen, habe ich nichts Bemerkenswertes [f]estgestellt. Mit dem Artikel, den Sie mir zu schreiben empfehlen, will ich [n]och lieber etwas warten, bis ich noch tiefer in die Seele der Sprache eingedrun[g]en bin. Auch wüsste ich nicht, wo die Veröffentlichung geschehen sollte. [D]ie Zeitschrift Euskal-Esnalea bringt nichts Wissenschaftliches, sträubt [s]ich vielmehr dagegen, und ob die nationalistische Zeitung Euzkadi einen Artikel bringen würde, der sie selbst in manchen ihrer sprachlichen Läche[rli]chkeiten scharf treffen müsste, ist mir sehr zweifelhaft. Für sie ist alles was [i]hr Gründer Arana-Goiri festgestellt hat, unantastbares Gesetz. Dabei hat [d]ieser trotz aller Verdienste manche groben Schnitzer gemacht, so z. B. die Ableitung lat. Wörter aus dem euskera (z. B. largus), da er durch und [d]urch Laie war.

Sollten Sie irgendwelche Wünsche haben bezüglich |8|neu erschienener Grammatiken oder Volksschauspiele oder baskischer Zeitungen, so bin ich gern bereit, Ihnen dieses zu senden, solange ich noch hier weile. Wahrscheinlich werde ich mit meinen Geschwistern in 3 Monaten die Rückreise nach Deutschland antreten. Ich begebe mich wieder nach Göttingen, weiss aber noch nicht, ob ich das Studium der neuen Sprachen fortsetze oder mich der Chemie widme. Letzteres würde für hier praktischer sein, und in Deutschland könnte man wohl vorläufig keine Stellung suchen. Hoffentlich habe ich nach meiner Rückkehr einmal Gelegenheit nach Gratz zu kommen um Sie persönlich kennen zu lernen, was mein grösster Wunsch wäre. Gibt es sonst in Deutschland Baskenfreunde? Ich kenne nur dem Namen nach Dr. Karutz der vor 20 Jahren bei meinem Vater war und Altertümer suchte.

Hiermit schliesse ich und verbleibe in der Hoffnung, dass Sie uns noch recht lange erhalten bleiben mögen mit nochmaligem herzlichen Danke.
Ihr sehr ergebener

Gerhard Baer

stud. chem. et phil.

Zumarraga, Spanien


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2 Transkription der Seiten 2 und 3 nachträglich von Christina Schlemmer.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 401)