Dialect Cultures

Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Lyrik
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Komponisten:
Zeitraum Entstehung: 1775 +/- 5
Hauptvariante (Musik):
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Kommentar:

Noch ganz in der Tradition des Bauernspotts der Geistlichendichtung des 17. und frühen 18. Jahrhunderts steht das frühe Lied Auf eine Aderläß , das wohl für das Unterhaltungsprogramm anlässlich der jährlich begangenen Konventsaderlasstage entstanden ist. Die medizinische Behandlungsmethode selbst war freilich nicht Gegenstand des Lachens, war sie doch noch bis ins frühe 19. Jahrhundert durchaus gängige ärztliche Praxis. Als ausleitendes Verfahren der Humoraltherapie, die die Grundlagen der Gesundheit im Gleichgewicht der Körpersäfte sah, kam der Aderlass bei einem umfangreichen Krankheitsspektrum zum Einsatz, nicht nur bei akuten Leiden, sondern auch als Maßnahme zur Gesundheitsvorsorge. Je nach erwünschter Wirksamkeit wurden die Venen vom Bader mithilfe eines Schneppers an nach astrologischen Kriterien festgelegten Tagen geöffnet und etwa 100 bis 500 ml Blut entnommen. So genannte ‚Aderlass-Männchen’, in medizinischen Lehrbüchern, vor allem aber auch in den Kalendern der Zeit abgebildet, gaben an, welche Körperzonen unter welchen Tierkreiszeichen besonders gut behandelt werden konnten (für die Zeit vor dem Georgifest, also für den Übergang von Widder zu Stier, traf dies auf alle Bereiche des Kopfs zu).

Verlacht wurde also nicht die heute weitgehend obsolete Therapieform, sondern der ‚faule Bauer’, der als lächerliches Gegenbild zu den behandelten Konventualen fungiert. Denn nicht die gesundheitlichen Aspekte motivieren ihn zum Aderlass, sondern die daraus resultierenden Annehmlichkeiten: die verordnete Ruhe, das nahrhaftere Essen, die arbeitsfreie Zeit. Nur zu offensichtlich konnte es sich freilich – man vergleiche nur die Klagen in den späteren Bauernliedern Lindemayrs – kaum ein Bauer der damaligen Zeit leisten, die betriebsame Frühlingszeit nicht zu nutzen, wollte er wirtschaftlich überleben. Mit einer Ausnahme: Auch dem Verwalter des Stiftsmeierhofs in Neukirchen, Joseph Stainer, unterstellte Lindemayr in mehreren Liedern eine ähnliche Arbeitsmoral. Vielleicht ist ja auch er bereits Vorbild für das Ich des Lieds. Aufschlussreich sind die Hinweise auf den bäuerlichen Speiseplan. Fleisch war üblicherweise nur an Sonntagen vorgesehen, das ‚Brätl’ gar nur „an sonderen fest-tagen“ , wie die detaillierten Speiseordnungen für die Dienstboten der Lambacher Meierhöfe belegen. Ansonsten gab es zum Frühstück die ‚saure Suppe’, zu Mittag je nach Wochentag Kraut mit Knödel, Grießkoch, Germnudeln, Sterz, Grießkoch oder Suppe, des Abends vorwiegend Kraut- oder Rübensuppe. Davon allerdings will das genuss- und trunksüchtige Ich des Lieds, eine typische Lustige Figur der Lachliteratur, nichts wissen. Klimax der karnevalesken Komik im Bachtin’schen Sinn ist schließlich die Inversion des Vanitas-Motivs am Ende der sechsten Strophe: Denn die Erkenntnis der Vergänglichkeit aller weltlichen Freuden bedingt keinesfalls eine bewusste Abwendung von diesen und die Hinwendung zum Transzendentalen, sondern den Wunsch nach einer Prolongierung der Lust. Die letzte Strophe schließlich verknüpft die humorvollen Reflexionen mit dem aktuellen Geschehen, wenn den Herren Aderlasser Glück bei ihrer Arbeit gewünscht und zum Schluss noch (vermutlich) dem Abt artig Reverenz bezeigt wird.

Das Lied stammt mit Sicherheit aus einer sehr frühen Schaffensphase Maurus Lindemayrs, die noch stark geprägt war von den komischen Mundartspielen u.a. Ignaz Anton Weisers, die er (spätestens) in seiner Salzburger Studienzeit kennen gelernt haben wird. Es ist damit in einem Zusammenhang zu sehen mit anderen Liedern, in denen der Bauer noch ganz traditionell als Lachfigur für die höher stehende Zuhörerschaft agiert, wie etwa in 'Ferten in Hörist, hibsch spat um Martini' , 'So bhiet dich Gott du eitli Welt' oder 'Nu schauts ih bin halt doirtä gwöst' .

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.94
Zuletzt geändert: am: 2.9.2016 um: 12:17:50 Uhr