Dialect Cultures

Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Lyrik
Genre:
Autoren:
Komponisten:
Zeitraum Entstehung: 1755 +/- 5
Hauptvariante (Text):
Musikvarianten:
Textvarianten:
Kommentar:

Das Stempellied Lindemayrs zählt zu seinen bekanntesten Dichtungen und scheint schon früh volksläufig geworden zu sein. Unbekannt war jedoch bislang, dass von dieser Bauernklage zwei unterschiedliche originale Fassungen (mehrfach) überliefert sind. Pius Schmieder, der das Lied 1875 in seiner Gesamtausgabe erstmals vorstellte, kannte aus seiner Vorlage, dem Lambacher Codex Ccl 718, lediglich eine Version zu sieben Strophen (hier 1-6 und 13); darüber hinaus aber hat sich eine längere Fassung des Lieds zu 15 Strophen erhalten. Hammerschmidt, dem offensichtlich beide Fassungen vorlagen, entschied sich in seiner späteren handschriftlichen, für den Druck vorgesehenen Sammlung für die umfangreichere. Tatsächlich spricht nichts dagegen, dass auch die Erweiterung aus der Feder Lindemayrs stammt. Doch ist bei der derzeitigen Quellenlage nur schwer zu bestimmen, aus welchem Anlass das Stempellied noch einmal aufgegriffen wurde und wie viel Zeit zwischen den beiden Versionen liegt.

Die erste Fassung wird wohl spätestens in den ersten Jahren der Prioratszeit Lindemayrs (1754-59) entstanden sein, in der der Autor bei der Verwaltungsarbeit selbst verstärkt mit den staatlichen Gebührenverordnungen zu tun hatte und dadurch angeregt worden sein mag, seine Kritik an den behördlichen Eingriffen in erprobter Manier aus der Perspektive des Landmanns zu artikulieren. Ein Indiz für diese frühe zeitliche Einordnung ist die in Strophe 5 thematisierte Verpflichtung, für gerichtliche Unterlagen ausschließlich gestempeltes Papier zu verwenden. Eine entsprechende Verordnung, dass die „bey Gerichtsstellen producirten Documente [...] durch alle Bögen die gehörige Stämplung“ aufzuweisen haben, war am 2. April 1754 ergangen. Für diese Entstehungszeit spricht auch die Aufnahme einer dem Hochdeutschen angenäherten Fassung des Lieds in die Ebermannstädter Handschrift des oberfränkischen Schulrektors Frantz Melchior Freytag, die Brednich und Suppan (etwas ungenau) um 1750 datieren. Die übrigen Anspielungen, wie sehr sich die staatlichen Normierungsbemühungen auf alle Bereiche des täglichen Lebens auswirkten, sind zeitlich weniger präzise zu bestimmen und für die Datierung nicht zielführend.

Dies gilt grundsätzlich auch für die Zusätze der Überarbeitung. Ein Blick in die Gesetzessammlung Hempel-Kürsingers (1825-1827) allerdings zeigt, dass die Stempelverordnungen und -reskripte während der 1770er Jahre erheblich zunahmen. Damals suchte der absolutistische Staat unter Maria Theresia und ihrem Mitregenten Joseph zur Bestreitung seiner hohen Ausgaben ständig neue Wege, um Einnahmen zu lukrieren und belastete die Wirtschaft mit einer bedenklichen Zahl an Nebensteuern. So wurde wohl in dieser Zeit das alte Faschingslied (vgl. die beiden letzten Verse der Strophe 7 bzw. 13) überarbeitet und den neuen Zuständen angepasst. Schließlich schien die Gegenwart die Zukunftsbefürchtungen der 6. Strophe der ersten Fassung immer mehr zu bestätigen. Dort werden nach dem beinah toposhaften Lamento des Bauern, der aufgrund des Abgabendrucks bereits ans Aufgeben denkt, als konkrete Beispiele lediglich die Stadtmaut (für angelieferte Waren) sowie die Stempelpflicht auf Kalender und Dokumente genannt. Nun treten die (auf die Zeit nach 1770 verweisende) Punzierungspflicht (auf Silberobjekte) und die Gebühren auf alle möglichen Stoffe, Bänder, Leder sowie auf deren fachgerechte Verarbeitung hinzu, die die Produkte für den einfachen Mann unerschwinglich zu machen drohen (und den traditionellen Schwarz- bzw. Tauschhandel erschweren). Dem immer ausgefeilteren Kontrollsystem des Staats, der sich über die grundherrschaftlichen Abgaben hinaus seine Steuereinnahmen beim Erzeuger sichern wollte, konnte sich der Bauer kaum noch entziehen. Verständlich also, dass der abschließende Wunsch nach einem Ende der ‚Stempelwirtschaft’ – im Gegensatz zum ursprünglichen, sarkastischen Ende der ersten Fassung – einen deutlich resignativen Ton trägt.

Angeführt werden nur Varianten, die vor der ersten Drucklegung des Lieds 1822 entstanden.

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.93
Zuletzt geändert: am: 2.9.2016 um: 10:17:21 Uhr