Dialect Cultures

Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Lyrik
Genre:
Autoren:
Zeitraum Entstehung: 1761
Hauptvariante (Text):
Musikvarianten:
Textvarianten:
Kommentar:

Auch dieses Lied ist als Gelegenheitsarbeit zu einem konkreten Anlass vergleichsweise genau zu datieren, nimmt es doch Bezug auf die Hochzeit Joseph Gotthard Lindemayrs (1725-1791) am 26. Jänner 1761 in Traunkirchen. Der um zwei Jahre jüngere Bruder Maurus Lindemayrs hatte die Beamtenlaufbahn gewählt, war zwei Jahrzehnte lang Traunkirchner Hofrichter, dann erster Rentmeister im Schloss Orth und Vater von sieben Kindern, von denen ihn vier überlebten. Seine erste Frau Maria Theresia Grezmüllner (1739-1761) entstammte einer angesehenen Welser Familie, die eng mit dem Stift Lambach verbunden war und u.a. auch einen Hofrichter gestellt hatte.

Gattungstheoretisch gesehen ist Losts auf alli Herrn, wanns innä wöllts wern eine interessante Kombination aus zwei traditionellen Liedsorten, dem Hochzeitslied und dem historisch-politischen Lied. Denn in der Aufführungsfiktion liest der bäuerliche Sprecher den Hochzeitsgästen aus einem Brief seines Sohnes vor, der im Jahr zuvor eingezogen worden war und nun aus dem Winterquartier vor Dresden von den Ereignissen seiner Soldatenzeit berichtet. Die Thematik mutet im Rahmen von Vermählungsfeierlichkeiten seltsam an, belegt aber, wie sehr zu dieser Zeit die Auswirkungen des Siebenjährigen Kriegs das alltägliche Leben bestimmten. Lindemayrs poetische Bearbeitung des aktuellen Stoffs ist freilich kein Einzelfall: Obwohl von sehr hohen Textverlusten auszugehen ist, haben sich – zumeist als Flugblätter, zuweilen auch handschriftlich – mehrere Dutzend historische Lieder auf die Kriegsereignisse erhalten, von verschiedenster Qualität, stets anonym und zumeist ohne Melodie. Was allerdings eine Zutat Lindemayrs sein dürfte, ist die Verschmelzung der Liedgenres, denn in keinem Fall sonst ist der zumeist agitatorische Bericht verbunden mit den Charakteristika des Hochzeitsgesangs. Das Ringen Österreichs mit Preußen um Schlesien und die Vorherrschaft in Mitteleuropa, das der bäuerlichen Bevölkerung aufgrund des Abgabendrucks, der Subsidialleistungen und Zwangsrekrutierungen besonders zusetzte, wird in mehreren Dichtungen Lindemayrs angesprochen. Bereits 1760 greift er dieses Thema, zunächst noch „[m]it Patriotischen Eyfer“ in seiner umfangreichen Treuherzigen Unterredung auf, einem unter seinem Monogramm veröffentlichten hochdeutschen Zwiegespräch zwischen einem Pfarrherrn und einem alten Bauern, der die kriegsbedingten Bedrängnisse der Zeit als Zeichen des bevorstehenden Weltuntergangs deutet. Der Pfarrer zeigt zwar Verständnis für die existenziellen Ängste, relativiert jedoch die Einzigartigkeit des Schreckens, wenn er zahlreiche weitere Beispiele für Unglückszeiten aus der Geschichte bringt. Wichtig sei es, auf Gott zu vertrauen und die staatsbürgerlichen Pflichten zu erfüllen. Zwar undatiert, lässt sich dieser mit Durchhalteparolen versehene Dialog aufgrund inhaltlicher Kriterien zeitlich gut einordnen; da General Leopold Josef von Daun (1705-1766) bereits dreimal gesiegt habe (gemeint sind wohl die Schlachten von Kolin, Hochkirch und Kunersdorf) und die österreichische Armee vor der Vereinigung mit der russischen unter General Pjotr Semjonowitsch Saltykow (1700-1772) stehe, muss das Werk 1760 wenig vor der österreichischen Niederlage bei Liegnitz (15. August) verfasst worden sein. Siegeshoffnung drückt auch das hochdeutsche Lobgedicht Theuerster Martissohn auf den österreichischen General Gideon Ernst von Laudon (1717-1790) aus, das kurz darauf, nach der Kapitulation von Glatz am 26. Juli entstanden sein muss.

Auch im vorliegenden Dialektgedicht lässt Maurus Lindemayr die Stationen des Kriegs Revue passieren, nun allerdings schon sichtlich ernüchtert. Zwar wird an die großen Erfolge der österreichischen Armee in den Schlachten von Maxen (20. November 1759), Landeshut (23. Juni 1760) und um Dresden (Juli 1760) erinnert, doch bereits auf die Gräuel der Kriegshandlungen verwiesen, die kaum noch zu ertragen seien. Mit der Schlacht bei Torgau (3. November 1760), der blutigsten des Kriegs (und des 18. Jahrhunderts), in der die Österreicher eine Niederlage hinnehmen mussten, aber auch die preußische Armee sehr hohe Verluste aufzuweisen hatte, war das Kriegsjahr zu Ende gegangen. Eine schnelle Entscheidung war nicht in Aussicht, da auf die Kriegspartner kein Verlass war, weitere Rekrutierungen standen bevor und das Leiden der Bevölkerung würde weitergehen. Ob der Verfasser des Briefs auf den väterlichen Hof zurückkehren wird, ist gänzlich ungewiss.

Von dieser pessimistischen Aussicht blendet das Lied wieder zurück zur Hochzeitsgesellschaft. Es wird an die ursprüngliche Bestimmung der Braut erinnert, Nonne zu werden, dem Bräutigam häuslicher Friede ans Herz gelegt, um schließlich mit den besten Wünschen für Leib und Leben des Hochzeitspaars zu schließen. Diese Wünsche sollten, soweit es die Braut betrifft, nicht in Erfüllung gehen, denn noch im selben Jahr 1761 stirbt Maria Theresia Lindemayr am 22. Dezember nach einer Totgeburt im Wochenbett.

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.322
Zuletzt geändert: am: 6.9.2016 um: 10:57:09 Uhr