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Quelle: Projekte des Romans nach der Moderne, hgg. U. Schulz-Buschhaus/K. Stierle, München, Fink, 1997 (Romanistisches Kolloquium, 8), S. 331–368; außerdem in: Der Kriminalroman. Poetik – Theorie – Geschichte, hg. J. Vogt, München, Fink, 1998, S. 523–548 (gekürzte Version).
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Quelle: Projekte des Romans nach der Moderne, hgg. U. Schulz-Buschhaus/K. Stierle, München, Fink, 1997 (Romanistisches Kolloquium, 8), S. 331–368; außerdem in: Der Kriminalroman. Poetik – Theorie – Geschichte, hg. J. Vogt, München, Fink, 1998, S. 523–548 (gekürzte Version).
Funktionen des Kriminalromans in der post-avantgardistischen Erzählliteratur
Nach allgemeinem Empfinden hat der Epochenbegriff ,Postmoderne‘ so
erfolgreich wie bedenklich gewirkt. Beide Wirkungen gehören zusammen, und zwar
durchaus mit Notwendigkeit. Tatsächlich werden Epochenbegriffe meist in dem Maß
problematisch, in dem sie Karriere machen. Der Erfolg pflegt ihnen jeweils ein
Prestige zu verleihen, das enorme Anziehungskraft auf nahe und ferne Phänomene
ausübt, die von dem Glanz des erfolgreichen Konzepts gewissermaßen zu
profitieren hoffen: Im Fall der ,Postmoderne‘ wären dafür beispielhaft etwa
Symposien und Sammelbände, welche Titel tragen wie „Baltasar Gracián – Dal
Barocco al Postmoderno“ oder „Flaubert and Postmodernism“.
[1]
Wenn der Epochenbegriff, vom Wind des Erfolgs getrieben, solcherart
expandiert, läuft er indes Gefahr, seine – ursprünglich vielleicht erkennbaren –
definitorischen Umrisse zu verlieren. Je mehr er sich an Phänomenen einverleibt,
um so mehr löst er sich gleichzeitig auf: Wenn ein Begriff alles okkupiert hat,
ist er schließlich zu einem Nichts geworden.
Bei dem Epochenbegriff ,Postmoderne‘ gibt es außer den Paradoxien, die
mit konzeptuellen Erfolgsgeschichten grundsätzlich verbunden sind, freilich noch
andere Unbequemlichkeiten. Zu ihnen zählt vor allem die Schwierigkeit, halbwegs
zuverlässig das Ante festzulegen, von dem das Post der ,Postmoderne‘ sich
lossagen möchte (soll). Impliziert ist in dem Begriff ja das Bewußtsein, die
Epoche der Moderne sei alt geworden und bedürfe eines Gegenentwurfs oder
zumindest einer radikalen Erneuerung. Undeutlich bleibt dabei jedoch, wie dies
altgewordene, überwundene oder vergangene Ante der ,Postmoderne‘ zu definieren
wäre. Hier existieren tiefgehende Differenzen, die insbesondere den
Sprachgebrauch verschiedener Literaturen bzw. Kulturen betreffen. Wenn man im
Deutschen von ‚Moderne‘ spricht, denkt man an Jürgen Habermas und dessen
hochgradig moralisierten Begriff von einem „unvollendeten Projekt“, das aus der
Aufklärung hervorgeht, in eine Zukunft zunehmend herrschaftsfreier Verständigung
führt und des Beifalls wie der Partizipation aller Gutgesinnten
sicher sein kann.
[2]
Etwas ganz anderes ist dagegen der ,Modernism‘, auf den sich die englische
bzw. amerikanische Rede vom ,Postmodernism‘ bezieht. Dieser Begriff bezeichnet
ohne besondere moralische Implikationen eine in der Tat vergangene Kunstepoche,
welche in ihrem literarischen Sektor durch Autoren wie T S. Eliot, Virginia
Woolf, Ezra Pound, Aldous Huxley usw. repräsentiert wird.
[3]
Noch entschiedener vergangen erscheint die Kunstepoche, die in der
spanischen und lateinamerikanischen Literatur den Titel ,Modernismo‘ trägt. Dort
versteht man unter ,Modernismo‘ paradoxerweise ungefähr das Gleiche, was in
Italien ,Decadentismo‘ heißt
[4]
: also eine Tendenz der Fin-de-Siècle-Dichtung, für die im
spanischsprachigen Raum Rubén Darío oder der frühe Valle-Inclán der Sonatas,in Italien etwa
D’Annunzio einstehen.
Aus der Verschiedenartigkeit der Konzepte von ,Moderne‘ und
,Modernismus‘ folgt unvermeidlich, daß beispielsweise Deutsche, Spanier oder
Nordamerikaner jeweils auch etwas Verschiedenes intendieren, wenn sie von
,Postmoderne‘, ,Postmodernismo‘ oder ,Postmodernism‘ sprechen. Für den
spanischen Betrachter muß bereits die Dichtung der zwanziger und dreißiger Jahre
in die Kategorie des ,Postmodernismo‘ fallen.
[5]
Der nordamerikanische Betrachter ist geneigt, Symptome von ,Postmodernism‘
in aller Nachkriegsliteratur zu sehen, welche mehr oder weniger explizite
avantgardistische Züge erkennen läßt.
[6]
Der deutsche Betrachter, der sich an Habermas’ Begriff eines
aufklärerisch-emanzipatorischen „Projekts der Moderne“ orientiert, hält dagegen
,postmoderne‘ Autoren, die solch ein Projekt ad acta legen wollen, in der Regel
für böse Menschen oder mindestens für Zyniker.
[7]
Durch diesen Umstand, das heißt: einen besonders emphatischen Umgang mit
dem essentiell normativ verstandenen Begriff ,Moderne‘, erklärt sich wohl die
merkwürdige Aufgeregtheit, welche die – anderweitig recht entspannt geführte –
Debatte über eine Distinktion Moderne/Postmoderne in Deutschland zur Zeit ihrer
größten Animation geprägt hat.
[8]
Welche Mißverständnisse aus der Distinktion Moderne/Postmoderne
erwachsen können, zeigt sich nicht zuletzt an den Tafeln oppositionell entworfener Charakteristika, die zu diesem Thema immer wieder
erstellt worden sind. Eine solcher Tafeln, welche Brian Mc Hale nach Helmut
Lethen als Ausdruck der communis opinio präsentiert, ordnet die Gegensätze etwa
folgendermaßen:
„Hierarchy – Anarchy
Presence – Absence
Genital – Polymorphous
Narrative – Antinarrative
Metaphysics – Irony
Determinacy – Indeterminacy
Construction of a world-model – Deconstruction of a world-model
Ontological certainty – Ontological uncertainty“.
[9]
Wenn man diese Charakteristika mit den Poetiken der europäischen
Literaturgeschichte zu vermitteln sucht, ergibt sich, daß der Idealtyp des
,Postmodernism‘ sein realhistorisches Analogon erstaunlicherweise eben in der
klassischen Moderne findet. Züge wie „Anarchy“, „Polymorphous“, „Indeterminacy“,
„Deconstruction of a world-model“ verweisen unverkennbar auf die Programmatik
der ,historischen Avantgardebewegungen‘ Futurismo und Surréalisme. Als besonders
irritierend erweist sich das Charakteristikum „Antinarrative“. Bei ihm kommt man
nicht umhin zu erinnern, daß gerade der Kampf gegen die Erzählung ein Grundmotiv
aller Poetiken der Moderne gebildet hat: Man denke an Valérys Spott über die
„Marquise qui sortit à cinq heures“, aber auch an die Anstrengungen der modernen
Historiographie, eine – wie es hieß – ,vormoderne‘ „histoire événémentielle“ in
eine „histoire des structures“ oder eine „histoire des mentalités“ zu
verwandeln. Wenn Peter Szondi 1973 die „These“ äußert, „eine moderne Historik“
verlange, „daß narrative Geschichtsschreibung in Beschreibung überführt werden
muß“
[10]
, dann ist das ja alles andere als eine revolutionäre Forderung, sondern
Resümee einer damals längst Tradition gewordenen epistemologischen Entwicklung.
Identifiziert der ,Postmodernism‘ sich auf den üblichen Distinktions-
und Oppositionstafeln mit dem, was man in Deutschland gemeinhin klassische
,Moderne‘ nennt, so ereilt den ,Modernism‘ ein noch kurioseres Geschick. Als ein Komplex von „Hierarchy“, „Presence“, „Narrative“,
„Metaphysics“, „Determinacy“, „Construction of a world-model“, „Ontological
certainty“ hat er offenkundig nichts mit Marinetti und Breton, aber auch sehr
wenig mit Joyce, Proust oder Kafka zu tun. Was ein solcherart definierter
,Modernism‘ idealtypisch bezeichnet, ist vielmehr jener Gestaltungswille, der
Balzacs Comédie humaine zugrunde liegt, und selbst Homers
Ilias würde den Bedingungen dieser
,Modernismus‘-Definition ausgezeichnet entsprechen. So entsteht der Eindruck,
daß der ,Postmodernism‘ in der für Literatur, Kunst und Wissenschaft
konstitutiven Innovationskonkurrenz hier nur dadurch zu seiner Modernität
gelangt, daß er den ,Modernism‘ als sein Ante in einen Inbegriff von
Traditionalität zurückverwandelt.
II
Trotz der evidenten Verbreitung solcher Mißverständnisse und
Manipulationen ist die Emergenz der Moderne/Postmoderne-Distinktion meines
Erachtens jedoch keine Angelegenheit, die als schlechthin müßig, weil bloß
modisch, abgetan werden kann. Auf jeden Fall hat sie ihre Bedeutung als ein
Symptom. Symptomatisch zeigt die Karriere des Begriffs ,Postmoderne‘ zunächst
den Effekt gleichsam automatisierter Innovationszwänge in einer Situation, in
der entsprechende Innovationsressourcen nicht mehr verfügbar scheinen und
entsprechende Innovationsziele kaum in Sicht sind.
[11]
In solchen Lagen bildet die Addition des ,Post‘ das geeignetste (um nicht
zu sagen: bequemste) Mittel, erschöpfte Konzepte zu verabschieden, ohne dabei
schon wissen zu müssen, in welcher Richtung das Neue, das ihnen folgen soll,
denn genau zu suchen wäre.
Symptomatisch wirkt der Erfolg der Post-Konzepte aber noch in einer
anderen Hinsicht. Wenn man die Erzählliteratur etwa der letzten zwei Jahrzehnte
betrachtet, wird nämlich in der Tat offenbar, daß diese Erzählliteratur kaum
mehr in dem Sinn stolz auf ihre ,Modernität‘ ist, wie das einst der französische
,Nouveau Roman‘ auf eine ganz selbstverständliche Weise war, indem er sich mit
programmatischem Innovations- und Fortschrittsanspruch in die Tradition einer
kunstautonomen Avantgarde einreihte. Was die Post-Konzepte hier verraten, sind
die Krise und die Erschöpfung von ,Modernität‘ unter einem bestimmten
Gesichtspunkt: dem Aspekt jenes systematischen Progredierens, das
seit langem die ,raison d’être‘ aller Avantgarden ausmacht.
[12]
Mit dem Prinzip der Avantgarde scheint die rezente Literatur –
gleichgültig ob sie sich als ‚modern‘, ,postmodern‘ oder ,postmodernistisch‘
präsentiert – tatsächlich in die Krise geraten zu sein. Indizien dafür liegen in
großer Zahl vor. Auf einer sehr elementaren Ebene kann man sie bereits an der
eigentümlichen Gestalt mancher Werkbiographien beobachten. Dabei ist gerade das
Œuvre von Autoren, die mit guten Gründen als Theoretiker verschiedener
Avantgarde-Bewegungen gelten dürfen, besonders aufschlußreich. Ich denke etwa an
einen der gewitztesten und kenntnisreichsten Autoren des Novecento, der 1963 als
kluger Theoretiker der ,neo-avanguardia‘ berühmt und seit 1980als noch klügerer Praktiker einer romanesken Post-Avantgarde noch
berühmter wurde (meines Erachtens, nebenbei gesagt, ganz zurecht
[13]
). Nicht völlig anders sieht das Verhältnis zwischen Literaturtheorie und
narrativer Praxis bei Julia Kristeva aus. Jedenfalls hat sie mit Les Samouraïs 1990einen (überaus
lesenswerten) Roman publiziert, der keinerlei Verpflichtung zu einer ,Révolution
du langage poétique‘ anerkennt und statt dessen autobiographisch getönte
Geschichten erzählt, die einerseits wohl mit Simone de Beauvoirs Les Mandarins rivalisieren sollen und andererseits auf
noch ältere Verfahrensweisen eines ,roman à clef‘ zurückgreifen, wie er in den
Salons des Dix-Septième an der (preziösen) Tagesordnung war.
[14]
Am frappantesten erscheint in diesem Zusammenhang
vielleicht der Parcours, den das Werk von Philippe Sollers genommen hat: etwa
von Drame – dem Roman, der „als poetologisches Traktat“
strikt autorepräsentativ sich selbst zum Gegenstand nimmt
[15]
– über Femmes bis Le Secret
mit seinen karnevalesk inszenierten Anleihen bei verschiedenen
Erzählgattungen und Ideologien. Der Fall Sollers ist im übrigen auch deshalb
bezeichnend, weil der eminent gesprächige Autor sich zum Thema einer Krise der
Avantgarde gerne in Interviews äußert. So vertritt er schon 1980die Meinung, die Geschichte der europäischen Avantgarden
sei längst an ihr Ende gekommen, da sie im Grunde durch einen bestimmten
historischen Moment, die zwanziger Jahre, geprägt bliebe:
Mais, aujourd’hui, dire que cette expérience d’avant-garde se
poursuit, c’est fallacieux. C’est devenu académique, l’avant-garde, vous
comprenez. Le poète d’avant-garde est parfaitement prévu sur l’échiquier, il n’a
plus aucune fonction subversive, on lui demande de faire son petit truc et de ne
pas poser de questions, d’être un tout petit peu hermétique, érotique,
ésotérique, formaliste, mais de ne pas poser de questions gênantes. C’est pour
ça que je ne suis plus d’accord avec ce concept d’avant-garde. [...] L’art est
toujours contestataire; il l’était en 1920-25 sousla
forme de l’avant-garde; il ne l’est plus aujourd’hui sous cette forme.
[16]
Und wie der Interviewer Sollers darauf zu bedenken gibt: „Vous êtes
classé dans le Robert comme écrivain d’avant-garde[...]“,
antwortet der solcherart Klassifizierte prompt: „Justement, si le dictionnaire
le dit, c’est que c’est faux“, um anschließend ein neues und im Horizont der
Tel-Quel-Poetik überraschendes Selbstkonzept zu verkünden: „Je suis un romancier
à la Balzac!“
[17]
III
Selbstverständlich ist bei solchen Positionswechseln der Charme der
Boutade in Rechnung zu stellen. Indessen bedeutet der poetologische Progress von
Tel-Quel zu Balzac nicht nur eine halb spielerisch lancierte Provokation für das
Milieu der ,rive gauche‘, sondern läßt sich durchaus als
überlegte Replik auf Probleme und Aporien
avantgardistischer Ästhetiken begreifen. Derart hat Sollers zweifellos recht,
wenn er in dem Interview den Abstand unterstreicht, der seine (damalige)
Gegenwart von den Erfahrungsprämissen des Futurismus und des Surrealismus
trennt. In diesem Abstand ist nämlich eine Geschichte enthalten, welche den
einst transgressiven Postulaten der historischen Avantgarden im gleichen Maß
Fortüne wie Banalisierung beschert hat. Das heißt: In demselben Umfang, wie die
seinerzeit revolutionären Forderungen einer Konvergenz von Kunst und Leben –
teils erfolgreich – verwirklicht wurden, haben sich ihre Versprechen von Glück
und Befreiung trivialisiert, wenn nicht falsifiziert.
Auf besonders eklatante Weise gilt dieser Sachverhalt für die Slogans
des Futurismo. Was etwa Marinetti zu Beginn des Jahrhunderts erträumte und
agitatorisch betrieb, ist schließlich überwältigende Wirklichkeit geworden, um
damit allerdings jegliches ,bonheur‘ zu verlieren, das wohl allein in dessen
,promesse‘ bestand. Man denke an die bemerkenswert rasche Realisierung des
radikal modernisierten Kriegs, der zu den Zwecken von Extermination gleichsam
subjektlos und industriell geführt wird („la guerra sola igiene del mondo“), die
systematische Vernichtung von Natur („Ogni bosco di pini pazzamente innamorato
della luna ha una strada futurista che lo attraversa da parte a parte“), die
Omnipräsenz von Reklame („Cartelloni multicolori sul verde dei prati“), endlich
die Dramaturgie des „Teatro di Varietà“, die ihre Erfüllung und Perfektion in
der Fernseh-Ästhetik der Tagesschau bzw. des Telegiornale
findet („cumulo di avvenimenti sbrigati in fretta e di personaggi spinti da
destra a sinistra in due minuti“).
[18]
In ähnlicher Art realisierte sich der surrealistische Wunsch, die
Textproduktion aus den Fesseln der ‚Institution Literatur‘ zu befreien und in
alltägliche Lebenspraxis zu überführen.
[19]
Als eine Folge dieses Wunsches mag die vorher ungeahnte Zunahme mehr oder
weniger spontaner autobiographischer Erfahrungsberichte betrachtet werden.
Solche Berichte hatten in der deutschsprachigen Literatur während den siebziger
Jahren Konjunktur, führten in Italien ungefähr gleichzeitig zu einem Kult des
„vissuto“ und des „privato“, über den sich Alberto Arbasino mokierte
[20]
, und dauern in Frankreich an, gewissermaßen nobilitiert durch
Strömung und Begriff der ,Nouvelle Autobiographie‘.
[21]
Die Probleme, die solche – an sich begrüßenswerte – Zunahme der
Praktizierung des Schreibens zur Folge hat, sind jene, welche unvermeidlich mit
allen literarischen Partizipationsideen entstehen. In einer Welt, in der nach
dem Projekt der Avantgarden tendenziell jeder schreibt, wird tendenziell kaum
noch gelesen, da die universale Produktivität uns eben vor dem Laster der
Rezeptivität bewahrt. So mag sich Ludmilla, die Figur der idealen Leserin in
Calvinos Roman Se una notte d’inverno un viaggiatore, im
Kontext dieser Problematik geradezu als Projektion eines zunehmend frustrierten
auktorialen Begehrens erklären lassen. Zur Traumgestalt wird sie wohl deshalb,
weil sie – entgegen den avantgardistischen Poetiken der ,écriture‘ und des
,scriptible‘ – die immer seltener anzutreffende Entschlossenheit bekundet, sich
auf das Lesen zu beschränken und die – in gewisser Hinsicht –
prä-avantgardistische Grenzlinie, die sie von den Autoren trennt, nicht zu
überschreiten.
[22]
Daneben gibt es Aporien, welche speziell die neueren, kunstautonomen
Avantgarden betreffen. Wie sie sich unter dem Aspekt der Rezeption darbieten,
deutet Sollers an, wenn er bemerkt: „Le poète d’avantgarde est parfaitement
prévu sur l’échiquier, [...] on lui demande de faire son petit truc“. In der Tat
geht es hier um das Stigma der Vorhersehbarkeit, das der avantgardistische Autor
loszuwerden versucht, indem er bemüht ist, Findigkeit und Kraft für Innovationen
unter Beweis zu stellen. Falls ihm das gelingen sollte, hat er sich bei einem
für ihn zuständigen, spezialisierten Publikum von Kennern,
professionellen Kritikern und Interpreten jedoch keineswegs als unvorhersehbar
erwiesen, sondern regel- und funktionsgerecht dessen Erwartungen entsprochen.
Dies rezeptionsästhetische Paradox hängt damit zusammen, daß im modernen
Funktionssystem (in der „Institution“) Literatur eben die Durchbrechung des
Erwartungshorizonts, da ästhetisch gefordert, einen Erwartungshorizont sozusagen
zweiter Potenz bildet.
[23]
Als prekäre Folge der funktionsspezifischen Verdopplung oder zumindest
Flexibilisierung des Erwartungshorizonts ergibt sich dann eine merkliche
Schwächung avantgardistischer Anstößigkeit oder – mit anderen Worten –
Skandalisierungskompetenz. Tatsächlich könnte man in der
Skandalisierungskompetenz ja so etwas wie den Prüfstein für die Lebendigkeit und
die Wirkungschancen von Avantgarden erblicken. Das heißt: Wo sie zu
skandalisieren verstehen, wirken sie lebendig; wo provozierte Skandale
ausbleiben, laufen sie dagegen Gefahr, ihre Avantgarden-Identität aufzugeben.
Daß es mit der Lebendigkeit aktueller Avantgarden nach diesem Kriterium nicht
zum besten bestellt ist, zeigt beispielsweise die Tatsache, daß der einzige
nennenswerte Skandal, den die Literatur in der Bundesrepublik Deutschland
während der letzten Jahre hervorgebracht hat, von Botho Strauß’ Anschwellendem Bocksgesang ausgelöst wurde, also einem
Essay, der in mancher Hinsicht geradezu das Antonym eines Avantgarde-Textes
darstellt.
Den produktionsästhetischen Aspekt der avantgardistischen Aporien macht
demgegenüber ein Phänomen aus, das Theodor W. Adorno auf den Begriff gebracht
und als „Kanon des Verbotenen“ bezeichnet hat.
[24]
Was Adornos Formulierung meint, stimmt ungefähr mit Roland Barthes’
Konzept des nicht mehr ,Schreibbaren‘ überein:
[25]
ein Ensemble von Motiven und Verfahrensweisen, die in den „code culturel“
eingegangen sind, als konventionell erscheinen und sich daher – angesichts des
Innovationspostulats moderner Kunst und Literatur – für den anspruchsvollen
Schriftsteller verbieten. Ein solches Ensemble verbotener, weil formal
abgegoltener Möglichkeiten dehnt sich im Lauf der Geschichte unablässig aus und „saugt, mit anwachsendem kritischen Bewußtsein, immer mehr
in sich hinein“.
[26]
Je mehr an Traditionsbestand der „Kanon des Verbotenen“ indes absorbiert
und als aktuell verwendbare Möglichkeit ausschließt, desto geringer wird für den
Künstler oder Literaten das Material, das noch Originalität und Authentizität
verheißen kann. Wo jedes Wort oder jeder Klang authentisch und – wenn möglich –
unverbraucht artikuliert sein sollen, ist bald die Grenze zum Verstummen
erreicht. So läßt sich speziell an der neueren Musikgeschichte beobachten, wie
Adornos Maxime „Was in den Verfahrungsweisen das geschichtlich einmal Errungene
opfert, regrediert“
[27]
– gleichsam als das avantgardistische Grundgesetz – den Spielraum der
Innovation eben durch deren beständiges Postulat progressiv einschränkt: Dem
Beispiel Anton Weberns würde dabei in der Literatur etwa das Samuel Becketts
entsprechen.
IV
In diesem letztlich historistisch motivierten Dilemma, das den Künstler
bzw. Literaten mit dem Zwang zur Innovation konfrontiert und ihm zugleich das
Material zur Innovation entzieht, liegt nun – soweit ich sehe – der
entscheidende Grund für einen poetologischen Wandel, der zumal die narrative
Literatur der letzten Jahrzehnte tatsächlich einschneidend geprägt hat. Es ist
das ein Wandel, der in der Distinktion Moderne/Postmoderne – wie gesagt – nur
partiell aufgeht und statt dessen eine spezifischere Unterscheidung zwischen
Avantgarde und Post-Avantgarde reklamiert. Wenn die Radikalisierung des
Avantgarde-Prinzips den Autor mit Wirklichkeits- und Kommunikationsverlust
bedroht, muß eine Literatur nach und jenseits der Avantgarde darauf bedacht
sein, sowohl Referentialität wie Lesbarkeit (bezeichnenderweise die ,bêtes
noires‘ der Tel-Quel-Poetik)
[28]
zurückzugewinnen, ohne die Erfahrung der Avantgarden schlicht zu
ignorieren.
Erkennbar wird diese Bemühung post-avantgardistischer Literatur in
erster Linie an ihrem erneuerten Umgang mit den Gattungen. Eben die Überwindung
und Aufhebung der Gattungen hatte ja das Telos einer ,longue durée‘
moderner Literatur gebildet. Man könnte sie seit dem Ende des – auch
literarischen – ,Ancien Régime‘ in drei idealtypische Etappen gliedern, bei
denen es jeweils um eine bestimmte Art der Befreiung von klassischen
Gattungsordnungen wie schließlich vom Generischen überhaupt geht:
[29]
zunächst um eine Befreiung gattungsmischender Wirklichkeitsdarstellung,
wie sie Erich Auerbach nachgezeichnet hat; dann um eine Befreiung des zugleich
individuellen und (möglichst) universalen Ausdrucks, wie sie von Benedetto Croce
theoretisiert wurde; am Ende um eine Befreiung des Signifikanten, oder
allgemeiner: des sprachlichen (literarischen) Zeichens, von der Referenz, wie
sie sich im Kampf der zumal französischen Avantgarde gegen die ,illusion
référentielle‘ manifestiert. Unverkennbar ist, daß die hier skizzierte
Entwicklung den Weg zu einem immer radikaler konzipierten ästhetischen
Nominalismus öffnet: etwa vom ,Roman‘ über das ,Poème en prose‘ zum ,Livre‘ und
zum ,Texte‘.
[30]
Der Gewinn, den die nominalistische Auflösung des Generischen für die
moderne bzw. avantgardistische Literatur bedeutet, ist offenkundig die
Ermöglichung von Authentizität. Der Preis, der dafür zu zahlen war, bestand –
wie wir gesehen haben – in der Aphasie, welche von einem stetig wachsenden Kanon
der Verbote (Restriktionen) heraufbeschworen wurde. Sobald sich dieser Preis
nach der Einschätzung gerade auch avantgardistischer Autoren – etwa der
einleitend erwähnten Eco, Sollers, Kristeva – als zu hoch erweist, hat die
Stunde der Post-Avantgarde geschlagen und mit ihr die einer vielfältig
inszenierten Rückkehr zu den Genera. Nur durch die – wie auch immer distanzierte
– Anerkennung des Generischen scheint es nämlich möglich zu sein, aufs neue
Wirklichkeit zu erschließen und über sie mit einem lesenden (nicht allein dem
seinerseits schreibenden) Publikum zu kommunizieren.
Dabei ist zu berücksichtigen, daß es an Gattungen auch im Zeitraum
moderner Literatur durchaus nicht mangelt. Die Entwicklungslinien eines
gattungsauflösenden poetologischen Nominalismus, welche wir gerade skizziert
haben, betreffen ja lediglich einen bestimmten Sektor oder ein bestimmtes Niveau
literarischer Produktion, das heißt: jenen Bereich, den man früher ,hohe
Literatur‘ zu nennen pflegte und den Vittorio Spinazzola in einem
bedenkenswerten Versuch rezeptionstheoretischer Feldgliederung für die neueren
Verhältnisse als die „fascia“ einer „letteratura
avanguardistico-sperimentale“ klassifiziert hat.
[31]
Was die unter diesem höchsten oder – wie ich lieber sagen möchte –
außerhalb dieses speziellsten Bezirks situierten Felder der „letteratura
istituzionale“ oder der „letteratura d’intrattenimento“ angeht, läßt sich jedoch
keineswegs von einem Verschwinden, sondern eher von einer Proliferation der
Genera sprechen. So impliziert die Reprise des Generischen, die von
post-avantgardistischen Romanen vollzogen wird, zugleich notwendigermaßen auch
eine Kontaktaufnahme mit den vormals verschmähten Bereichen romanesker
Konvention zumal im Umkreis der Unterhaltungsliteratur.
In Italien sind solche Kontakte zwischen Romantexten von Kunstanspruch
und der Sphäre des literarisch Unterhaltenden nicht selten übel vermerkt worden.
Beispielsweise beklagt der Kritiker Gian Carlo Ferretti sich in einem Pamphlet
Il best seller all’italiana 1983 über eine Poetik
opportunistisch ,hybrider‘ Mischungen, welche er an drei so verschiedenartigen
Romanen wie Giuseppe Pontiggias Il giocatore invisibile
(1978), Italo Calvinos Se una notte d’inverno un
viaggiatore (1979) und Umberto Ecos Il nome della
rosa (1980) aufspürt und moniert.
[32]
Das gleiche Phänomen der Approximation anspruchsvoller und unterhaltender
Literatur spielt eine gewichtige Rolle in manchen amerikanischen Diskussionen
des ,Postmodernism‘. Allerdings wird die ,Hybridisierung‘ dort kaum getadelt,
sondern in der Regel – wie von Leslie Fiedler – als ein Zeichen kraftvoller (und
prononciert amerikanischer) Erfrischung gerühmt.
[33]
Kulturspezifisch attribuierbar ist dabei aber wohl nur die Verschiedenheit
der Wertungstendenzen; das Phänomen selber ergibt sich dagegen einigermaßen
unabhängig von nationalliterarischen Traditionen. Vor allem gilt es zu betonen,
daß die Konstitution der Post-Avantgarde durch die Aneignung von Schemata der
Unterhaltung sicher nicht allein als Angelegenheit eines kommerziellen Kalküls
gedeutet werden kann. Sie hat auch ihre historisch-strukturellen Gründe, bei
denen die Aporien des avantgardistischen Nominalismus und die aus ihnen
folgenden Rekurse auf Gattungsfiguren nicht weniger Gewicht besitzen als die –
am Ende ja gleichfalls legitime – Sorge um einen Publikumserfolg.
Bei der Reprise von Gattungsfiguren, welche die Identität des Komplexes
post-avantgardistischer Literatur ausmacht, fällt nun auf, daß durch sie ein
bestimmtes Genus in außerordentlichem Umfang privilegiert wird. Es handelt sich,
wie man heute kaum noch hervorzuheben braucht, um den Kriminalroman.
Offensichtlich ist der Kriminalroman mitsamt seinen Korollarformen (Spy-Novel,
Thriller usw.) nicht nur in der „letteratura d’intrattenimento“ des 20.
Jahrhunderts das Erfolgsgenus schlechthin: zum einen, was die Diffusion
unmittelbar gattungsgerechter Texte anbelangt, zum anderen aber auch (und mehr
noch) im Hinblick auf Kombination wie Integration im Rahmen anspruchsvollerer
und komplexerer Erzählprojekte.
[34]
Ein solcher Befund gilt – soweit ich sehe – für die verschiedenen
Sprachbereiche westlicher Kultur ohne wesentliche Unterschiede. So ist
symptomatisch, daß die drei italienischen Romane, denen Ferretti ihren
,hybriden‘ Kompromiß-Charakter zum Vorwurf macht, in der Tat den Rekurs auf
Schemata des Kriminalromans gemeinsam haben. Bei Ecos Il nome
della rosa und bei Giuseppe Pontiggia, der das Gattungsschema in Il giocatore invisibile mit ähnlichen Intentionen
verwendet wie Patrick Modiano oder Antonio Tabucchi in Il filo
dell’orizzonte,erscheint das evident, während
Calvino in einigen Fragmenten und im Marana-Plot der Rahmenhandlung von Se una notte eher auf Elemente des Agentenromans
zurückgreift.
[35]
In einem Überblick, den Pascal Bruckner den Lesern der FAZ am 29. April
1989 über Tendenzen der französischen Gegenwartsliteratur zu verschaffen sucht,
wird vermerkt: „Auffällig auch, wie beliebt die Bauform des Kriminalromans ist.
Prägt sie bereits das Werk des jungen Klassikers Patrick Modiano, dem sie zur
Darstellung von Gedächtnisschwund und Verrat dient, so verhelfen ihr Jean
Vautrin, René Belletto, Tony Duvert und Jean Echenoz zu neuer
Popularität“.
[36]
Des weiteren sieht Bruckner den „Thriller im eigentlichen Sinn“ als „das
letzte noch verbleibende Instrument ätzender Gesellschaftskritik“, wofür er
„Autoren wie Daniel Pennac, Jean-Pierre (recte: Jean-Patrick) Manchette, A. D.
G., Didier Daeninckx“ ins Feld führt.
[37]
Kaum anders präsentiert sich die Lage in Spanien und Lateinamerika. Das
Panorama spanischer Literatur seit 1975, das Dieter Ingenschay und Hans Jörg
Neuschäfer herausgegeben haben, widmet dem „Kriminalroman“ bezeichnenderweise
einen eigenen Abschnitt zwischen „Roman“ und „Lyrik“.
[38]
Dabei zeigt sich freilich, daß der Kriminalroman auch hier nicht auf die
orthodoxen Gattungsexemplare im engeren Sinn einzuschränken ist; denn unter den
Autoren, die im Abschnitt „Roman“ tout court vorgestellt werden, haben zumindest
Eduardo Mendoza (La verdad sobre Savolta, El misterio de la cripta embrujada)und Antonio Muñoz Molina (El invierno en
Lisboa, Beltenebros, Los misterios de Madrid)
ebenfalls wiederholt Elemente des populären Erzählmodells benutzt. Den gleichen
,Embarras de richesse‘ bietet Lateinamerika, wo man selbstverständlich zunächst
an Jorge Luis Borges denkt, der nicht nur in gewisser Weise der Ahnherr aller
post-avantgardistischen Literatur war, sondern – in eben diesem poetologischen
Kontext – auch ein unermüdlicher Kritiker, Theoretiker, Sammler und Autor von
Detektiverzählungen.
[39]
Ansonsten genügt es, exempli causa auf Carlos Fuentes’ Spy-Novel-Pastiche
La cabeza de la hidra oder auf den ausgezeichneten
Thriller Dos crímenes von Jorge Ibargüengoitia (1979)
hinzuweisen sowie die eminente Position hervorzuheben, welche als
Kriminalromanautor ersten und zweiten Grades Mario Vargas Llosa beanspruchen
darf: einmal als Verfasser von Kriminalromanen, die wie ¿Quién mató a Palomino Molero? oder Lituma en los Andes mehr oder weniger unmittelbar im Sinne des
Gattungsüblichen zu lesen sind, ein andermal als Verfasser von schwierigeren
Erzählwerken wie La ciudad y los perros oder Conversación en la Catedral,in
denen Kriminalromanelemente höchst raffiniert als Bestandteil breiter angelegter
narrativer Konstruktionen eingesetzt werden.
Eine Aufzählung wie die gerade umrissene birgt indessen ihre Gefahren.
Sie riskiert vor allem, einen falschen oder jedenfalls partiell täuschenden
Eindruck zu vermitteln: etwa den Verdacht, im Rekurs auf das Gattungsschema des
Kriminalromans läge ein romaneskes Verfahren vor, das Ergebnisse zeitigte,
welche dann auch ihrerseits Anzeichen von Schematismus trügen. Natürlich ist ein
solcher Verdacht nicht ganz unbegründet; denn von selbst versteht sich, daß die
Reprise bestimmter Genera immer auch einen Umgang mit bestimmten Schemata
impliziert, ja – in der Distanzierung vom nominalistischen Ideal der Avantgarden
– implizieren will. Trotzdem stößt man bei näherer Betrachtung des reichen
Inventars post-avantgardistischer Kriminalromane, die oft eher Meta- bzw.
Anti-Kriminalromane zu nennen wären, auf eine erstaunliche Vielfalt und
Verschiedenartigkeit der Effekte. Sie erklären sich dadurch, daß die Reprisen
aus dem Arsenal der Gattungstradition ja mit immer wieder anderen Absichten
durchgeführt werden: in der Intention des Pastiche, der Verfremdung, der
Parodie, der Kombinatorik, der Umkehrung, der Falsifikation usw.
Derart ist ein bemerkenswert reiches Repertoire von Typen der
Verwendung des Kriminalromans entstanden, und es wäre wohl der Mühe wert, dies
Repertoire einmal – wenigstens ansatzweise systematisierend – typologisch zu
gliedern. Dabei kann man vermuten, daß ein Typologisierungsversuch am Leitfaden
distinkter Funktionen sich wahrscheinlich produktiver erweisen wird als eine
Gliederung nach distinkten Formen. Das hängt damit zusammen, daß gerade die
interessantesten Romantexte, die hier zur Debatte stehen, von vornherein als
kombinatorisch-synkretistische Fügungen angelegt sind, bei denen stets mehrere
Formen zusammenspielen. Eben dieser Umstand setzt auch allen Ansprüchen auf eine
Systematik Grenzen, welche dem Ideal geschlossener Konsistenz genügen könnte.
Ohnehin ist mit den folgenden Hinweisen nicht mehr als eine noch reichlich grobe
Skizze beabsichtigt, die vor allem in die Richtung eingehender Einzelanalysen
detaillierter auszuarbeiten wäre.
VI
Die erste und in gewissem Sinn fundamentale Funktion, welche vom Genus
des Kriminalromans in der neuesten Literatur erwartet wird, besteht
offensichtlich in einer Steigerung des romanesken Interesses. Was
durch Reprisen von detektivischen bzw. kriminalistischen Erzählkomponenten
überwunden oder abgewehrt werden soll, läßt sich vielleicht am besten durch den
Titel des ,polemischen Essays‘ Against Dryness von Iris
Murdoch erfassen: Er wendet sich gegen die ,Trockenheit‘ jener experimentellen
Literatur, welche ihr Ziel einer Entlarvung der ,illusion référentielle‘
manchmal ja schon deshalb verfehlt, weil sie solche Illusionen nicht einmal
provisorisch – zum Zwecke überzeugender Falsifikation – zu schaffen versteht.
[40]
Daß der Kriminalroman in diesem Kontext vorrangig der Steigerung wie der
Vervielfältigung spezifisch romanesker (und anderweitig ausgedörrter)
Attraktivität dient, ist etwa an dem Umstand abzulesen, daß ihm
post-avantgardistische Autoren mehr als irgendetwas anderes das Moment der
Geheimnisspannung zu entlehnen pflegen, um es, dann sowohl in großräumigen wie
in kleinräumigen Bögen von Suspense einzusetzen. Dabei wirkt bezeichnend, daß
der Ansatzpunkt für die Reprisen keineswegs unbedingt bei den fortgeschrittenen
Phasen der kriminalistischen Gattungsevolution liegen muß; vielmehr scheinen
gelegentlich gerade ältere – und nicht zuletzt populäre – Formen willkommen,
falls sie im Gegenzug zur modernen „dryness“ nur einen hinlänglich
faszinierenden ,Mystery‘-Effekt versprechen.
So täuscht beispielsweise Umberto Eco in Il nome
della rosa moderne Erwartungen auch dadurch, daß er bei seinem Rekurs
auf das Genus des Kriminalromans mit charakteristischer Unbefangenheit sehr weit
zurückgeht. Il nome della rosa ist für die Tendenzen
post-avantgardistischer Narrativik ja schon insofern repräsentativ, als hier
durchaus verschiedenartige Gattungen und Themen kombiniert werden: der
historische Roman mit seiner Dokumentation einer vergangenen Kultur; die
politische Allegorie, welche den geschichtlichen Kräften einen geheimen
Aktualitätsbezug gibt; der ,Conte philosophique‘ über Erkenntnistheorie,
Semiotik und den ,richtigen‘ Gebrauch der Wissenschaft.
[41]
In der handlungsbestimmenden, das heißt: diegetisch
ausschlaggebenden, Komponente des Kriminalromans setzt Eco – dem wir unter
anderem „Studi sul romanzo popolare“, betitelt Il Superuomo di
massa,verdanken (Milano 1976) – indes
bemerkenswert massierte Spannungswirkungen ein. Teils sind sie dem Repertoire
des Gothic Novel entnommen und teils orientieren sie sich – zumal in der Technik
,suspendierender‘ Kapitelübergänge
[42]
– an Eugène Sue. Was das strikt Detektivische betrifft, ist der
intertextuelle Verweis auf Conan Doyles Erzählungen von Sherlock Holmes und
Doctor Watson unverkennbar, deren Struktur jedoch in die konzeptistische
Richtung des ,pointierten Rätselromans‘ fortentwickelt wird. Genauer gesagt: Als
Modell dient für Eco das wohl spannungsträchtigste Schema der ,klassischen‘
Detektiverzählung, die Geschichte einer Mordserie, die nach dem Plan einer
bestimmten, angekündigten Figur verläuft (oder zu verlaufen scheint). Für dies
Schema gibt es einerseits ein literarisch hochgradig kanonisiertes Beispiel,
Borges’ ,Ficción‘ La muerte y la brújula;doch hält Eco sich in der Praxis seiner weiträumigeren
Suspense-Konstruktion eher an andere und weniger kanonisierte Vorbilder, nämlich
Agatha Christies ingeniöse Versionen des Schemas in Ten Little
Niggers oder The A. B. C Murders.
[43]
Noch ausgeprägter erscheint das Interesse, gleichsam die gesamte
Geschichte des Kriminalromans im Sinne einer synkretistischen Massierung und
Steigerung von Spannungseffekten zu benutzen, bei dem – ansonsten kaum mit Eco
zu vergleichenden – jungen französischen Autor Daniel Pennac. Interessant ist
unter diesem Gesichtspunkt bereits Au bonheur des ogres
(1985), ein Roman, in dem es – wie bei Eco oder Agatha Christie – ebenfalls
um einen Serienmord geht, der sich in der Überraschungspointe des Romanendes
dann als ein besonders makaber (und konzeptistisch) inszenierter
Serienselbstmord herausstellt, bei dem die letzte detektivische Frage nicht die
Identität des eventuellen Mörders, sondern „l’identité de la
dernière victime“ betrifft.
[44]
Nach den Regeln der Gattungskonvention strebt Pennacs erster Kriminalroman
durchaus eine dem Üblichen entsprechende diegetische Konsistenz an; doch
entfernt er sich von früheren Usancen eben durch den Synkretismus seiner
Effekte, die jeweils auch intertextuell explizit gemacht werden. Das Netz von
Intertextualität, in das der Roman eingespannt ist, umfaßt etwa dank dem
Schauplatz der Ereignisse – einem Kaufhaus – Zolas Au Bonheur
des Dames,sodann die wiederholt angesprochene
Epilepsie Dostoevskijs und seines Fürsten Myschkin oder das Motiv von
Michelangelo Antonionis Film Blow-Up,„la photo qui cause“, und mit ihm Cortázars Erzählung Las babas del diablo.
[45]
In einem engeren kriminalistischen Sinn ist für den Roman vor allem der
Anschluß an die Traditionen des französischen Roman-feuilleton konstitutiv, wie
er einmal – mit opportunen Reminiszenzen von Sue oder Gaston Leroux – durch das
Resümee der Ereignisse als „feuilleton sanglant“ unterstrichen wird.
[46]
Daneben durchziehen den Roman leitmotivische Hinweise auf Carlo Emilio
Gaddas L’affreux pastis de la rue des merles (Quer pasticciaccio brutto de via Merulana),um offenbar programmatisch den Ehrgeiz anzudeuten, die
Elemente des Roman-feuilleton in einen Roman tout court zu integrieren.
[47]
Das gleiche Programm lassen Pennacs weitere Romane La
fée carabine (1987) und La petite marchande de prose
(1989) erkennen. Dabei wird das Resultat einer so fesselnden wie
narratologisch bedenkenlosen Apotheose des Erzählens
[48]
, auf der Pennac durch manche ,mise en abyme‘ insistiert, in
La fée carabine noch einmal gesteigert: zunächst
durch die erneute Multiplikation romanesker Modelle, welche nur andeutungsweise
umrissen ist, wenn man an Simenons polizeiliche Behördenidylle erinnert, an die
unglaublichen Metamorphosen von Gaboriaus Detektiv M. Lecoq, das Rachemotiv aus
Dumas’ Le Comte de Monte-Cristo oder die Koinzidenzen in
Sues Les Mystères de Paris. Der Aspekt narratologischer
Bedenkenlosigkeit erwächst aus dem Umstand, daß Pennac die Perspektive seines
Ich-Erzählers Benjamin Malaussène, der er in Au bonheur des
ogres orthodox folgt, in La fée carabine
einigermaßen inkonsistent mit einer Perspektive auktorialer Allwissenheit
vermengt. Die Funktion, welche durch solchen, nun auch perspektivischen
Synkretismus bedient wird, liegt auf der Hand: Allein die Perspektive
auktorialer Allwissenheit erlaubt es, den Ich-Erzähler in sensationelle
Koinzidenzen à la Sue zu verwickeln, die ihm selbst noch nicht bewußt sein
können, oder – wichtiger noch – Mordfälle zur Steigerung von deren Eklat jeweils
aus dem Blickwinkel des Opfers zu berichten. Im übrigen thematisiert der Autor
dies Verfahren, das beispielsweise für den tatsächlich virtuos arrangierten
Knalleffekt des Romanbeginns – die Ermordung eines robusten Polizeiinspektors
durch eine scheinbar hilflose alte Dame
[49]
– benötigt wird, am Ende in einer ‚mise en abyme‘, welche autoreflexiv zum
Anfang zurückkehrt. Durch sie wird die perspektivische Inkonsistenz des
Erzählens gleichzeitig der Kritik („Y a quèque chose qui cloche“)
[50]
ausgesetzt und mit einer Reihe übergeordneter Gründe gerechtfertigt. Dabei
sind die hier angeführten Gründe im Sinne einer Hierarchie geordnet, welche ihr
größtes Gewicht vor den Erwägungen psychologischer Ambivalenz und kreativer
Freiheit bezeichnenderweise den Interessen einer gleichsam reinen Narrativität
zuweist, die nichts anderes bezwecken möchte, als die Lust nach dem, was folgt,
zu wecken: „Raconte, oncle Thian, la suite, bordel, LA SUITE!“
[51]
VII
Demzufolge hat das Spannungsinteresse, das der post-avantgardistische
Roman aus dem Kriminalroman gewinnt, nicht weniger mit Aspekten des ,discours‘
als mit solchen der ,histoire‘ zu tun. Besonders deutlich erscheint
dieser Sachverhalt, wenn die Rätselhaftigkeit, welche den Ausgangspunkt des
Kriminalromans bildet, nicht so sehr auf dem Problem eines schwer zu lösenden
Falles beruht, sondern eher der labyrinthischen Anlage des Erzählens selbst zu
verdanken ist. Damit entsteht eine gewissermaßen generalisierte Art des
Suspense, bei der sich das Schwergewicht von den inhaltlichen Momenten zu den
formalen der narrativen Struktur verlagert.
Ein exzellentes Beispiel dafür liefert der meines Erachtens
originellste und wohl auch gelungenste Roman von Carlo Fruttero und Franco
Lucentini: A che punto è la notte (1979).
[52]
Wie schon der vorangegangene Roman La donna della
domenica (1972)gehört dieser Text in den
thematischen Zusammenhang der ,erzählten Stadt‘
[53]
, hier: der Stadt Turin, deren gesellschaftliche Komplexität – wenn man so
will – am Leitfaden einer Detektion erschlossen wird. Das geschieht in La donna della domenica noch verhältnismäßig linear:
Jedenfalls liegen am Beginn des zweiten Groß-Kapitels die entscheidenden Daten
des „delitto di via Mazzini“ vor,
[54]
und bereits im ersten Satz des ersten Kapitels wird dem Leser die Gestalt
des Mordopfers mit der Ankündigung eben dieser diegetischen Rolle präsentiert:
„Il martedì di giugno in cui fu assassinato, l’architetto Garrone guardò l’ora
molte volte“.
[55]
Dagegen bleibt in A che punto è la notte die Frage,
um was es eigentlich geht, ungewöhnlich lange offen; denn die panoramatische
Vervielfältigung der Handlungsstränge, die sich in La donna
della domenica im Gefolge des Mordfalls entwickelt, geht hier dem
zentralen Verbrechen – einem „Attentato al plastico, con probabilità di morti e
numerosi feriti“
[56]
– schon rätselhaft desorientierend voraus. So wird der Leser bis zum
Beginn des fünften Groß-Kapitels über fast zweihundert Seiten hinweg mit ganz
verschiedenartigen Ereignissen, Figuren und Milieus konfrontiert, ohne deren
Zusammenhang durchschauen zu können. Die Spannung erwächst demnach nicht erst
aus der in der Tat bestürzenden Frage, wer dem auf gnostische Abwege geratenen
Priester don Pezza nach dem Leben getrachtet haben mag, sondern aus der noch
irritierenderen Frage, welche Art von Geschehnissen die häretische
Gemeinde von Santa Liberata, die Leute vom Verlag „Edizioni Arte e Pensiero“,
die Sphären der „Torino bene“ um die Signora Guidi wie der „Torino male“ um die
Bande der „Biellesi“, die Leitung der FIAT und einen unscheinbaren „venditore di
matite“
[57]
überhaupt zu einer geschlossenen Romanhandlung vereinen wird.
Mit dieser Technik, welche die Vielfalt der ,Mystères de Turin‘
zunächst anscheinend beziehungslos koexistieren läßt, haben die beiden Autoren
(von denen der eine ja ein ausgezeichneter Borges-Kenner und -Übersetzer ist)
sich möglicherweise an den Romanen von Mario Vargas Llosa inspiriert, die mit
bemerkenswerter Konstanz von La ciudad y los perros bis
El hablador ähnliche Verfahren speziell narrativer
Verrätselung erproben. Da ich über den Sinn solcher Verfahren bei Vargas Llosa
an anderer Stelle schon ausführlich gehandelt habe
[58]
, kann ich mich hier auf ein paar resümierende Hinweise beschränken. Sie
beziehen sich auf die strukturell besonders elaborierten Romane La ciudad y los perros und Conversación
en la Catedral. Beide sind bereits vom Plot her Kriminalromane,
insofern als der erste Roman die Frage aufwirft, wer unter den Zöglingen der
Kadettenanstalt für den Tod des Esclavo verantwortlich ist, während in dem
anderen Roman die Frage gestellt wird, von wem und vor allem mit welchem Motiv
die Nachtklub-Sängerin „La Musa“ ermordet wurde. Momente mysteriöser
Rätselhaftigkeit prägen beide Romane indes auch schon, bevor ihr
kriminalistischer Plot – jeweils ungefähr in der Mitte der erzählzeitlichen
Ausdehnung – manifest wird. In solchen Momenten werden immer wieder die
Identitäten von Sprechern und mit ihnen die chronologische Kollokation ihrer
Sprechakte verborgen gehalten, ohne sich jedoch prinzipiell einer späteren
Rekonstruktion zu entziehen.
In La ciudad y los perros hat das zur Folge, daß
eine der Hauptgestalten des Romans, der „Jaguar“, für den Leser in einer
unentscheidbar ambivalenten Beleuchtung erscheinen muß. Zum einen zeigt sich der
,Caudillo‘ der Klasse in den Abschnitten, die ihn namentlich identifizieren, als
ein Ausbund böser und faschistoid wirkender Aggressivität, mit der keinerlei
Empathie möglich ist. Zum anderen wird dieselbe Gestalt vom dritten Kapitel an
aber auch sozusagen inkognito vorgestellt, und zwar als Subjekt der
Ich-Erzählung eines Jugendlichen niedrigster sozialer Herkunft, dessen
Geschichte eine sympathetische Einfühlung von seiten des Lesers nicht nur nicht
verhindert, sondern geradezu herausfordert. Damit entstehen Unsicherheiten,
welche die Erzählstruktur – wie gesagt – kriminalromanhaft
verrätseln und zugleich über die Rätselhaftigkeit der bloßen Erzählstruktur
hinausreichen, um progressiv die Selbstsicherheit und Selbstgerechtigkeit
psychologisch wie moralisch klassifizierender Urteile zu unterminieren.
Am kompliziertesten ist die Verrätselung der Erzählstruktur in Conversación en la Catedral gestaltet. In diesem Roman,
der wohl den Höhepunkt von Vargas Llosas Schaffen darstellt, betrifft der
kalkulierte Informationsentzug nicht nur die Identität eines Sprechers. Er wird
vielmehr beinahe durchgehend auf sehr viele verschiedene Sprecher ausgedehnt und
verdunkelt überdies nicht nur Identitätszuordnungen, sondern mehr noch die
Zeitebenen der kunstvoll ineinander geschobenen Äußerungen.
[59]
So werden Gesprächsfragmente, in denen es um die Motivation des Mords an
der „Musa“ geht, wiederum gleichsam inkognito im ersten Teil des Romans zu einem
Zeitpunkt mitgeteilt, an dem von dem Mord selbst, der erst später berichtet
wird, noch keineswegs die Rede gewesen ist. Derart erweist sich am Ende eben die
Erzählstruktur als ein detektivisches Problem, das der neugierige und analytisch
engagierte Leser nur dann – approximativ – zu lösen weiß, wenn er sich selber
gewissermaßen zum Detektiv und den Text zum Gegenstand einer Indizien sammelnden
doppelten oder mehrfachen Lektüre macht.
[60]
VIII
Eine zweite Funktion, die der Kriminalroman für post-avantgardistische
Erzähler erfüllen kann, verhält sich zu der gerade skizzierten in mancher
Hinsicht gegenläufig. Neben der Anlage labyrinthischer Geheimnis-Konstruktionen
kann das Kriminalroman-Schema gleichfalls die Interessen einer sozialen und/oder
politischen Enquête befördern. Unter diesem Gesichtspunkt habe ich vor Jahren
beschrieben, wie sich der Kriminalroman etwa seit Dorothy Sayers, Chandler oder
Simenon dem ‚realistischen‘ Roman anzugleichen und damit zu nobilitieren
suchte.
[61]
Heute könnte man die Perspektive bei der Wahrnehmung eines solchen
Befundes umkehren und andersherum behaupten, daß der traditionelle
,realistische‘ Roman, dessen mimetischen Ansprüchen ein weitverbreitetes
Mißtrauen begegnet, vorzugsweise in der Form detektivischer
Investigationserzählungen überlebt und allen realismusfeindlichen oder
-skeptischen Anfechtungen standgehalten hat.
In der Tat gibt es eine ausgeprägte Traditionslinie von
Kriminalromanen, die als ihre wesentliche Aufgabe weniger die virtuose Erzeugung
von Spannungseffekten als vielmehr die Erschließung signifikativer, doch nicht
unbedingt evidenter Realitätsverhältnisse begreifen. Dabei handelt es sich um
Romane, die insbesondere an zwei Archetypen orientiert sind: an der Schilderung
des Berufsalltags der Polizei, wie sie wenigstens in (gewiß idyllisierten)
Ansätzen Simenons Maigret-Serie bot, und am Bericht von den abenteuerlichen
Arbeiten eines professionellen Privatdetektivs, wie er – trotz mancher
extravagant konzeptistischen Sprach- und Handlungspointen – in Chandlers
Marlowe-Serie vorlag. Von beiden Modellen ist eine enorm produktive Wirkung
ausgegangen, deren Folgen an zahllosen Beispielen in verschiedenen Literaturen
zu belegen wären. So bewegen sich im Kontext dieser Überlieferung etwa Sciascias
frühe Mafia-Romane Il giorno della civetta und A ciascuno il suo,
[62]
aber auch seine realhistorischen Investigationen
nach Art von La scomparsa di Majorana oder L’affaire Moro.
[63]
Mit ähnlichen Absichten einer sozialen und
politischen Analyse, diesmal der Nach-Franco-Zeit, wird das Chandlersche
Kriminalroman-Schema in Spanien von Manuel Vázquez Montalbán benutzt, während
ein Autor wie Rubem Fonseca mit Hilfe des gleichen Schemas in A grande arte den Großstadtdschungel Rios erforscht.
Gemeinsam ist den Romanen, welche sich einer solchen Traditionslinie
verpflichtet fühlen, daß sie in der Regel keine übermäßigen Spannungseffekte
auslösen können (und wollen). Das war schon bei Simenon so, und zwar mit einer
gewissen Notwendigkeit.
[64]
Sie ergibt sich aus der
Intention der
auf gesellschaftliche und staatliche Verhältnisse gerichteten Enquête, statt
sensationeller Ausnahmefälle in erster Linie das Typische und Wahrscheinliche zu
treffen. Außerdem pflegt die Enquête, wird sie analytisch ernstgenommen, ja vom
Bekannten zum Unbekannten fortzuschreiten, so daß sie gerade unter den
Bedingungen moderner Anonymität nicht im Rahmen jenes geschlossenen
Personenkreises verharren kann, wie er von der Poetik des Roman-feuilleton und
zumal des pointierten Rätselromans à la Agatha Christie gefordert wurde. Demnach
kommt der Kriminalroman, der um eine seriös durchgeführte (simulierte)
Investigation zentriert ist, kaum umhin, eine der Grundregeln des traditionellen
Detektivromans – des ,Whodunit‘ – zu verletzen, welche in dem Postulat bestand,
als Täter bei der finalen Rätsellösung auf keinen Fall eine Gestalt zu
präsentieren, die erst spät in die Erzählung eingeführt wurde und in ihr nicht
von Anfang an eine Rolle spielte.
[65]
Gegenüber solchen und ähnlich fungierenden Konventionen des
spannungsorientierten Rätselspiels muß der enquêteorientierte Kriminalroman sich
nun nachlässig, ja kritisch verhalten, sofern er die realistischen Ansprüche
seiner Wirklichkeitsexploration mit vollem Ernst verfolgt. Tatsächlich führt ein
Roman wie Sciascias Il giorno della civetta bei der Suche
nach den Schuldigen von den rasch identifizierten Killern (‚Sicari‘) der
sizilianischen Provinz dann auch folgerichtig in die Anonymität des politischen
Systems, in dessen Rahmen die alten Regeln des ,Whodunit‘ nicht länger
funktionieren. Charakteristisch erscheinen unter diesem Aspekt vor allem die
Enqueten, mit denen Vázquez Montalbán seinen Privatdetektiv Pepe Carvalho
beauftragt. Sie laufen gewöhnlich auf Ergebnisse hinaus, die nichts sonderlich
Überraschendes haben, wobei Carvalhos Investigationen um so weniger an Suspense
und Sensationen mit sich bringen, je stärker sie zur Erfassung dessen streben,
was in und um Barcelona während eines bestimmten Zeitraums als ökonomisch,
politisch oder psychologisch repräsentativ gelten darf.
[66]
Bezeichnend ist hier, daß Vázquez Montalbán die Regeln des
Rätselspiels selbst dann außer Acht läßt, wenn die Prämissen einer relativ
geschlossenen Gesellschaft wie in Asesinato en el Comité
Central die Befolgung (und Ausbeutung) der Pointierungskonventionen an
sich nahelegen würden
[67]
: So identifiziert der Roman über den Mord im Zentralkomitee der
Kommunistischen Partei, da er sich vorrangig für eine Darstellung typischer
politischer Positionen interessiert, ohne besondere Berücksichtigung faktischer
Indizien einen Mörder, der erst am Ende der Untersuchung – und überdies ohne
jeglichen Eklat – in den Vordergrund der Geschehnisse tritt.
[68]
Freilich ist es kaum gerechtfertigt, in dieser Abschwächung der
Spannungseffekte einen Kunstfehler zu sehen. Sie geht vielmehr – bis zu einem
gewissen Grad unvermeidlich – aus dem poetologischen Realismus-Programm
bestimmter Kriminalromane hervor, welches sich nur in seltenen Fällen – wie etwa
in Vargas Llosas bedeutendsten Romanen – mit den Interessen eines extrem
gesteigerten Suspense vereinbaren läßt. Wenn die Kombination der beiden
auseinanderstrebenden Poetiken ohne eine jener Vargas Llosas vergleichbare
schriftstellerische Anstrengung unternommen wird, können dagegen Resultate
zustande kommen, die den Eindruck von eher schmerzlicher als provozierender
Dissonanz erzeugen. Ein Beispiel dafür wäre meines Erachtens der rezente Roman
Los misterios de Madrid (1992) von Antonio Muñoz
Molina.
[69]
Es handelt sich um einen Roman, in dessen Mittelpunkt das moderne
Madrid steht, in etwa analog zu dem modernen Barcelona Vázquez Montalbáns oder
dem modernen Turin des Autorenpaars Fruttero – Lucentini. Gesehen wird die
mörderische Metropole mit den Augen des biederen Amateur-Detektivs Lorencito
Quesada, der ein andalusischer Provinzler ist und sich am Ort seiner
Nachforschungen, die einem aus der Heimatstadt geraubten Christusbild gelten,
keineswegs mit der in der Investigatorenrolle üblichen Souveränität bewegt,
sondern mit dem stets aufs neue manifestierten Erstaunen des ahnungslosen
Zugereisten.
[70]
In diesem verfremdenden Blick, den der – sympathisch – zurückgebliebene
Andalusier auf das modernisierte Madrid wirft (wie Montesquieus Perser einst auf
Paris), liegt der gute Einfall des Romans, welcher sich bei manchen
Beobachtungen auch aufschlußreich bewährt: so wenn Lorencito Quesada erfährt,
daß im avancierten Kapitalismus ein Supermarkt für ekklesiastische Artikel und
Devotionalien nach den gleichen ,Stilprinzipien‘ organisiert ist wie ein
Sex-Shop.
[71]
Kraß durchkreuzt werden solche Absichten einer realistisch
entschleiernden Sicht, die das geschichtlich Spezifische der internationalen
Metropole erfassen soll, jedoch durch die Elemente des Roman-feuilleton, wie sie
schon in der Sue-Anspielung des Titels impliziert sind. Diese Elemente der Mystères de Paris sorgen in den Misterios de Madrid nicht nur für aufregende Peripetien der Handlung,
sondern haben vor allem zur Folge, daß die Metropole sich im Lauf der Ereignisse
gerade nicht – wie es den in Einzelheiten durchaus wahrgenommenen historischen
Tendenzen entsprechen würde – als ein Ort der Anonymität erweist. Vielmehr wird
Lorencito in und durch Madrid von einem Plot betroffen, der ihn in
außerordentlich enge Zusammenhänge involviert, deren eigentliche Drahtzieher –
nach den Gattungskonventionen der „revelación sorprendente“
[72]
– am Ende doch wiederum in der andalusischen Provinz auszumachen sind. So
ordnet sich das metropolitane Chaos, das Muñoz Molina zunächst anzuvisieren
scheint, schließlich mit der beruhigenden Versicherung. „el mundo es un
pañuelo“
[73]
, und aufgelöst wird der Plot, in dem nichts mehr anonym bleibt, in der
Märchenmanier des Populärromans durch die Offenbarung verheimlichter
Familienbande und die Restitution einer unehelichen Tochter in ihre
Erbschaftsrechte.
Gewiß läßt die Geschwindigkeit, mit der Muñoz Molina dies märchenhafte
Dénouement im Stil des Dix-Neuvième inszeniert, oder besser: absolviert, auch
Untertöne von Parodie erkennen. Das ändert indessen nichts an der Tatsache, daß
der Plot seines Romans – gleichgültig ob er ernst oder parodistisch gemeint ist
– die Tendenz von dessen Realitätsschilderung aufs schärfste dementiert. Wo sich
einerseits – wie behauptet wird – eine Welt anonymer Beziehungslosigkeit auftun
soll, herrscht andererseits – wie durch die Geschichte selbst offenbar wird –
doch ein Netz vertrauter familialer Beziehungen, das auch dann noch etwas Anheimelndes besitzt, wenn es gegenüber kriminellen Versuchungen nicht
immun bleibt.
[74]
Nun habe ich diesen immanenten Widerspruch der Misterios
de Madrid vor allem deshalb so nachdrücklich betont, weil er wohl nicht
allein einem schriftstellerischen Defizit des jungen spanischen Autors
anzulasten ist. In ihm zeigt sich vielmehr ein strukturelles Problem, das aus
der semiotischen Divergenz erwächst, welche sich zwischen zwei verschiedenen
Funktionen und Traditionslinien des Kriminalromans ausgebildet hat.
Bezeichnenderweise ist das gleiche Problem – obwohl auf einem zweifellos höheren
erzählerischen Niveau – nämlich ebenfalls in Pennacs La fée
carabine zuregistrieren. Auch hier wird zum
einen mit der Absicht geradezu soziologischer Dokumentation die Schilderung des
entfremdeten Lebens in der Metropole Paris anvisiert.
[75]
Zum anderen erfährt die Schilderung von Fremdheit und Beziehungslosigkeit
aber ein kontinuierliches narratives Dementi, da jede der sensationellen
Peripetien, wie sie sich von Kapitel zu Kapitel einstellen, mit neuen
Koinzidenzen eben auch neue Beziehungen offenbart. So findet der Leser bei
Pennac selbst angesichts von Drogenkrieg und Immobilienspekulation einen
sicheren Trost darin, daß keine Unübersichtlichkeit der Realität vor der
Übersichtlichkeit standhält, welche ihm die garantierte Beziehungsdichte des
Roman-feuilleton bzw. des pointierten Rätselromans zu schenken vermag.
IX
Demnach ist nicht zu übersehen, daß Kriminalromane bei aller –
zeitweiligen – Stimulation von gespannter Unruhe zum Schluß unweigerlich auf
einen Effekt märchenhafter Beruhigung hinauslaufen, und das um so mehr, je älter
die – teils eminent unterhaltsamen – Gattungsmodelle sind, in deren Tradition
sie sich einschreiben. Aus diesem Umstand resultiert nun eine weitere – und
spezifisch moderne – Funktion des Kriminalromans. Gemeint ist die
Bereitstellung eines Schemas, dessen Beruhigungseffekt die Umkehrung und
Falsifikation durch den Widerspruch pointiert beunruhigender Anti-Kriminalromane
provoziert.
Was im Kriminalroman provozieren muß, ist freilich nicht nur die
tröstliche Wirkung des engen Beziehungsnetzes, das typische Kriminalroman-Plots
– gegen den Lauf der gesellschaftlichen Entwicklung – zu knüpfen pflegen.
Aspekte, die einem kritischen Bewußtsein anstößig erscheinen mögen, bietet auch
und vor allem der fundamentale Optimismus, welcher von der Gattungsstruktur
ausgeht. Dieser gleichsam generisch angelegte Optimismus hat damit zu tun, daß
der traditionelle Kriminalroman – gleich welcher formalen Variante – stets eine Aufklärung (als konkreten Vorgang) erzählt und
dadurch ineins die Aufklärung (als geschichtliche
Errungenschaft) verifiziert. Wenn man so will, bestätigt der Detektiv – sei’s
durch seinen Scharfsinn, sei’s durch seinen arbeitsamen Fleiß – die permanente
Wiederholbarkeit eines Erkenntnis- und Ordnungsprozesses, der – einmal
historisch vollzogen – immer wieder erfolgreich erneuert werden kann.
Am deutlichsten kommt dies Moment einer Allegorie sichergestellter
Aufklärung in der Verdopplung des Happy-Ending zum Ausdruck, das im
Kriminalroman normalerweise eintritt. Wenn das glückliche Ende des
Kriminalromans zum einen die rechte Moral gegen das Unmoralische restituiert,
sichert es nämlich andererseits immer auch den richtigen Gebrauch der Vernunft
gegen alles Unvernünftige und Absurde. Im Nachvollzug von Aufklärung ergänzen
sich dabei – mehr oder weniger lückenlos – die bürgerliche Rechtsordnung und die
bürgerliche Erkenntnisordnung, so daß der traditionelle Kriminalroman wie kaum
eine zweite Erzählform das Bild eines harmonischen Zusammenwirkens aller
positiven Ordnungen entwerfen kann, durch deren heilsamen Fortschritt jegliche
Bosheit, Torheit oder Absurdität regelmäßig zunichte gemacht wird.
Eben diese Allegorie sichergestellter Aufklärung, der das Genus gewiß
einen guten Teil seines – auch ideologischen – Erfolgs verdankt, hat nun den
ideologiekritischen Einspruch all jener Autoren hervorgerufen, welche die
Geltung und die Permanenz von Aufklärung – aus durchaus verschiedenartigen
Gründen – nicht für sichergestellt erachten mögen. Solcher Einspruch stammt
meist von Erzählern, die sich mit kritischem und ästhetischem Anspruch von den
Üblichkeiten der Gattungsroutine distanzieren, und er betrifft sowohl die
Garantie des moralischen wie jene des gnoseologischen Happy-Ending. Eine
wesentliche Rolle hat bei dieser gattungsimmanenten Ideologiekritik das Werk
Leonardo Sciascias gespielt. In seinen frühen Mafia-Romanen negiert Sciascia
speziell die Konvention des moralischen Happy-Ending, und zwar dergestalt, daß
die Negation sich wie eine Art falsifizierender Konsequenz aus den ‚hard-boiled
novels‘ Hammetts oder Chandlers darstellt. Das heißt: Sciascia meint gleich den
Amerikanern einen gesellschaftlichen Zustand zu sehen, in dem das organisierte
Verbrechen der bürgerlichen Ordnung nicht mehr entgegensteht,
sondern in dieselbe tendenziell integriert ist. Anders als bei den Amerikanern
ergibt sich daraus bei Sciascia indes, daß auch die der episodischen Störung des
sozialen Gleichgewichts folgende Rückkehr zur Ordnung am Romanende eine Rückkehr
zur Normalität des Verbrechens bedeutet. Angesichts solcher
Verbrechensnormalität wandelt die Position des Detektivs sich von der eines
Retters in die eines unheilträchtigen Außenseiters,
[76]
der entweder – wie in Il giorno della civetta –
zuentmachten oder – wie in A
ciascuno il suo und Il contesto – zu eliminieren
ist.
Dabei korrigieren Sciascias Mafia-Romane die Tradition der
Kriminalromane Hammetts und Chandlers nicht allein, indem sie dem Detektiv das
Privileg des Erfolgs und der Unsterblichkeit nehmen, sondern mehr noch durch die
spezifische Motivkonstellation, in der sie den Detektiv jeweils scheitern
lassen. Was bei Hammett und Chandler das „surprise ending“ ausmachte, die
Entdeckung einer Hintergrundswelt verborgener erotischer Leidenschaften jenseits
des Romanvordergrunds der organisierten Kriminalität, wiederholt sich bei
Sciascia nämlich mit einer bedeutenden und eben kritischen Modifikation.
[77]
Was die Zuschreibung des zentralen Mordfalls betrifft, wird auch hier wie
in den amerikanischen Romanen ein Motivations- und Interpretationswechsel vom
organisierten zum privaten Verbrechen vollzogen. Allerdings ereignet er sich
jetzt nicht mehr in der ideal endgültigen Erkenntnis des Detektivs, sondern wird
gegen dessen Erkenntnis, die der Leser für die gültige halten muß, durch eine
Manipulation der etablierten Macht erpreßt. Den Mächtigen in der Mafia wie in
der Politik geht es nämlich darum, die Existenz organisierter Kriminalität (der
‚Mafia‘) zu leugnen und den zentralen Mordfall statt dessen aus den
Leidenschafts- und Ehrenmotiven der sizilianischen Folklore, das heißt: als
„omicidio passionale“ und als „questione di corna“, zu erklären.
[78]
Was früher als „surprise ending“ zu den Manipulationen des
kriminalistischen Gattungskanons gehörte, wird von Sciascia demnach als
diegetisch tatsächliche Manipulation in das Innere der Romanwirklichkeit
versetzt, so daß sich mit der Anklage eines mafiosen politischen
Zustands die ideologische Entlarvung eines romanesken Ablenkungsmanövers
verbindet.
In den späteren Romanen Il contesto und
insbesondere Todo modo wird von Sciascias Kontestation
des normalen Kriminalromans dann auch das gnoseologische Happy-Ending in
Mitleidenschaft gezogen. Vor allem in Todo modo
widerspricht dem erkenntnistheoretischen – neben dem moralischen –
Optimismus der Gattungsüberlieferung eine merkwürdig opak bleibende
Handlungsfolge. In deren Verlauf kommt es bei einem für Führungskräfte aus
Wirtschaft und Politik veranstalteten Seminar ‚geistlicher Übungen‘ zu mehreren,
dem Ambiente des Seminars entschieden unangemessenen Morden. Als Ereignisse
werden diese Morde ganz nach den Gattungsregeln jeweils mit einem starken
Verblüffungseffekt durchaus plastisch und folgerichtig erzählt; doch bleibt die
übliche Aufklärung der rätselhaften Verbrechen, welche an sich gerade die
anfängliche Plastizität der Erzählung in Aussicht stellt, am Ende höchst
frustrierendaus. So vermag der detektivische
Ich-Erzähler das Motiv der Morde lediglich in vagen Hypothesen anzudeuten,
während er sich zum Schluß selber einen letzten Mord (am Täter der
vorangegangenen Morde?) zuschreibt, ohne daß dem Leser klar würde, ob er dies
Geständnis ernst nehmen darf oder als eine weitere – ironische oder symbolische
– Mystifikation auffassen soll.
[79]
Dazu kommt, daß der Roman unter der Ebene kriminalistischer ‚action‘ noch
eine andere Ebene des ,conte philosophique‘ präsentiert, in dessen Kontext der
laizistische Ich-Erzähler bzw. Detektiv und der (diabolisch?) kluge Priester don
Gaetano am Leitfaden der philosophischen Opposition Voltaire – Pascal über
Aufklärung, Geschichte, Kirche und Apokalypse diskutieren:
[80]
freilich in einem Stil jeweils nur andeutender Suggestivität, der das
Ergebnis der Debatten ebenso wenig zur abschließenden Evidenz gelangen läßt wie
die Frage nach den Mordmotiven und der Identität der Täter.
Dabei ist Sciascia keineswegs der erste, der das Thema des
‚scheiternden Detektivs‘ von den moralischen zu den erkenntnistheoretischen
Aspekten der detektivischen Enquête generalisiert und vertieft hat. Als Archetyp
für diese Variante des Scheiterns von Aufklärung kann wohl Borges’ bereits
erwähnte Erzählung La muerte y la brújula gelten. In ihr
erleidet der Detektiv Lönnrot zunächst deshalb Schiffbruch, weil die eigene, ingeniös systematische Rekonstruktion der Verbrechen von Lönnrots
Gegenspieler, dem Gangster Red Scharlach – gemäß einer bei Borges häufig
entwickelten Erzählfigur – zum Ausgangspunkt und Instrument einer überlegenen
Konstruktion zweiten Grades gemacht wird. Daß Scharlach Lönnrot überlegen ist,
hat – näherhin betrachtet – seinen speziellen Grund dann in der
unterschiedlichen Einstellung, welche die beiden Antagonisten gegenüber dem
Zufall („azar“) an den Tag legen.
[81]
Während der unterlegene Detektiv den Zufall zugunsten des Systems
verdrängt, weiß der Verbrecher den Zufall zu nutzen, indem er gerade ihn als
Basis seiner Gegenkonstruktion akzeptiert: „El primer término de la serie me fue
dado por el azar“.
[82]
In einem gehaltvollen Aufsatz hat Hinrich Hudde 1978 (also zu einer
Zeit, als viele der hier behandelten Romane noch nicht vorlagen) gezeigt, wie
die Motive von La muerte y la brújula in der europäischen
(Kriminal)Literatur rezipiert worden sind:
[83]
etwa in Robbe-Grillets Les gommes,in manchen Romanen Friedrich Dürrenmatts oder eben in jenen Leonardo
Sciascias. An der Tendenz dieser Rezeptionsakte läßt sich ablesen, daß der
„scheiternde Detektiv“ unter anderem – wie Dieter Wellershoff formuliert – als
„eine Zentralfigur des nouveau roman [...] dessen Absicht [...] repräsentiert,
die Fremdheit der Welt zu erhalten oder wiederherzustellen.“
[84]
Daneben, ja in erster Linie, macht das Mißlingen detektivischer Analysen
indes auf die Grenzen aufmerksam, welche aller Rationalität bei ihrem Versuch
gesetzt sind, Kontingenz zu domestizieren. So stellen die – unmittelbar oder
mittelbar von Borges beeinflußten – neueren Anti-Kriminalromane unter den
verschiedensten Gesichtspunkten immer wieder die Selbstgewißheit rationaler
Systematik in Frage. Gegen sie werden mitunter explizit die Unberechenbarkeiten
des Zufalls ins Feld geführt, wie das mehrfach bei Dürrenmatt oder in einem
Kommentar von A ciascuno il suo geschieht, der
folgendermaßen die Souveränität des detektivischen ,Scharfsinnshelden‘ in
Zweifel zieht: „Gli elementi che portano a risolvere i delitti che si presentano
con carattere di mistero o di gratuità sono la confidenza
diciamo professionale, la delazione anonima, il caso. E un
po’, soltanto un po’, l’acutezza degli inquirenti.“
[85]
Ansonsten machen die Anti-Kriminalromane aus ihren Mordfällen gerne ein
Labyrinth, das der aufklärungswilligen Analyse keinen gangbaren Ausweg mehr
bietet. Ein solches Labyrinth sollte – wie ich vermute – Georges Perecs
unvollendeter Roman „53 jours“werden.
[86]
Möglicherweise hätte er den intrikatesten „roman policier“ der
Gattungsgeschichte ergeben, dessen Ende auf die Unentscheidbarkeit einer
Spiralkonstruktion immer weiterer Machinationen à la Borges hinausgelaufen
wäre.
[87]
Als unentscheidbar können die Mordfälle jedoch auch in durchaus
realistisch intendierten Romanen angelegt sein: Man denke an Vargas Llosas Conversación en la Catedral,wo
die Motive für Ambrosios Verbrechen (und mit ihnen die Bewertung seines
homosexuellen Verhältnisses zu Don Fermín) selbst nach den Indizien der
verborgensten Dialogfragmente nicht restlos zu klären sind, oder an La ciudad y los perros,wo
sorgfältig kontradiktorisch verteilte ,Clues‘ den „Jaguar“ als Hauptverdächtigen
des Mords im gleichen Ausmaß belasten wie entlasten.
[88]
Gleichfalls als ein Labyrinth kann – nach einer weiteren Anregung von
Borges
[89]
– die Zeitlichkeit der Existenz verstanden werden. Auf ihm, dessen eher
lyrische Vergegenwärtigung weniger elaborierter Erzählmittel bedarf, scheint
Antonio Tabucchi zu insistieren, wenn er seinen Detektiv Spino am Ende von Il filo dell’orizzonte ins Dunkel und in die Leere
schreiten läßt.
[90]
Eine sehr eigentümliche Position kommt im Zusammenhang dieser
Gattungskonstellation schließlich den Romanen von Umberto Eco zu, deren Rang –
wie ich finde – im allgemeinen sowohl überschätzt als auch (häufiger noch)
vehement unterschätzt wird. Es ist möglich, daß künftige Generationen (falls
diese anachronistische Wendung in Anbetracht der Ungewißheit über die Zukunft
zumindest unserer Lesekultur erlaubt scheint) in Eco nicht einen der ganz großen
Autoren des späten 20. Jahrhunderts sehen werden, da ihm die Kunst der dichten
(und unübersetzbaren) Prosa, über die Schriftsteller wie – sagen wir – Calvino,
Cortázar oder Claude Simon verfügen, offenkundig verwehrt ist. Dagegen wird der
Ruhm Ecos als eines bedeutenden und exemplarisch aufschlußreichen Romanciers der
Epoche meines Erachtens lange bestehen bleiben; denn es läßt sich schwerlich ein
zweiter Autor finden, der die heute aktuellen Probleme und Möglichkeiten von
Poetik, Epistemologie oder Philosophie mit vergleichbarer Bewußtheit,
Intelligenz und Fantasie in Romanen zu verarbeiten wüßte.
Bei Ecos romanesken Texten erscheint mir nun bemerkenswert, daß sie
ihre gattungsgeschichtliche Prämisse im Hinblick auf den Kriminalroman speziell
in dem gerade skizzierten Phänomen aufklärungsnegierender oder jedenfalls
-problematisierender Anti-Kriminalromane besitzen. Daß sie sich auf eben diesen
Moment der Gattungsgeschichte beziehen, belegt unter anderem die unverkennbare
Präsenz von La muerte y la brújula im Plot von Il nome della rosa,wobei die
Borges-Erzählung hier ein ähnliches intertextuelles Gewicht hat wie in Ecos
zweitem Roman Il pendolo di Foucault die andere
Borges-Erzählung Tlön, Uqbar, Orbis
tertius oder Thomas Pynchons The Crying of Lot
49.
[91]
Angesichts der Beziehungen zu Borges und Pynchon
fällt indessen nur um so stärker auf, daß Eco die Detektion in Il nome della rosa keineswegs in der gleichen Weise und vor allem
nicht im gleichen Ausmaß scheitern läßt, wie das sonst in den
Anti-Kriminalromanen unserer Epoche zu geschehen pflegt. Zwar folgt Guglielmo di
Baskerville bei seinen Analysen der Mordserie lange einer falschen, das heißt:
der apokalyptischen Fährte, und zwar gelingt es ihm auch nicht, die Katastrophe
des Bibliotheksbrandes sowie der Vernichtung des Aristoteles-Manuskripts
abzuwenden. Was ihm dagegen durchaus gelingt, ist die nachträgliche Klärung und
Deutung der dunklen Ereignisse, welche zur Katastrophe geführt haben, und so
bleibt der Leser am Romanende eben vor jener Unentscheidbarkeit aporetischer
Sachverhalte bewahrt, die ihm durch andere Romane von ähnlicher
Struktur seit langem zum Erwartungshorizont geworden ist.
Daß Ecos Romane den modernen bzw. postmodernen Erwartungshorizont
unentscheidbarer Aporien resolut durchbrechen, ist nun nicht allein daraus zu
erklären, daß sie sich jenseits der Avantgarde situieren. Wenn Il nome della rosa zur wenigstens halbwegs gelungenen Detektion
zurückfindet, gibt es dafür auch noch ein anderes und letztlich wohl
gewichtigeres Motiv: Ecos mit großem und oft nicht recht wahrgenommenem Ernst
verfolgten Versuch, das Ethos von Aufklärung in einer Welt zu rehabilitieren,
die sich immer häufiger über Dialektik, Ohnmacht, ja Infamie der Aufklärung
beklagt. Demnach muß in Il nome della rosa als
Kriminalroman eine Aufklärung – wenn nicht praktisch, so doch rational –
gelingen, damit in dem Conte philosophique, den Il nome della
rosa gleichfalls entwickelt, auch die Aufklärung
gerettet werden kann. Eben um die Rettung der Aufklärung als eines Entwurfs
menschlicher Geschichte geht es nämlich – sozusagen figural – in einem Gespräch
zwischen Guglielmo und Jorge da Burgos, bei dem Jorge die Furcht verteidigt,
während Guglielmo als Anwalt eines befreienden Lachens auftritt, mit Argumenten,
die er offenbar anachronistisch Michail Bachtin verdankt.
[92]
Und als Vertrauen in die Erkenntnisfähigkeit des Menschen soll Aufklärung
bewahrt werden, wie Guglielmo seinem Schüler Adso den Gang seiner detektivischen
Rekonstruktion mitteilt. Für die Methodik dieser Forschungen haben neben den
mittelalterlichen Nominalisten – erneut anachronistisch – Karl Popper oder
Ludwig Wittgenstein Pate gestanden, Wittgenstein insbesondere dort, wo Guglielmo
auf die erkenntnisgenerierende Kraft selbst ,irriger Ordnungen‘ („ordini
errati“) und Hypothesen verweist: „L’ordine che la nostra mente immagina è come
una rete, o una scala, che si costruisce per raggiungere qualcosa. Ma dopo si
deve gettare la scala, perché si scopre che, se pure serviva, era priva di
senso. Er muoz gelîchesame die Leiter abewerfen, sô Er an ir ufgestigen ist
[...] [...] Le uniche verità che servono sono strumenti da buttare“.
[93]
Womöglich noch resoluter bekräftigt Eco die Erkennbarkeit der Zeichen
und die Interpretierbarkeit ihrer Beziehungen in Il pendolo di
Foucault. Anders als Borges’ Tlön-Erzählung oder Pynchons The Crying of Lot 49 läßt dieser Roman ja keinerlei
Zweifel an dem Verhältnis von (karger) Realität und (abundanter) Simulation zu,
die bei dem mysteriösen ,Plan‘ eines universalgeschichtlichen Komplotts, auf den
sich die drei Verlagsangestellten Casaubon, Belbo und Diotallevi zu ihrem
Verderben einlassen, zusammengekommen sind. So werden die widersprüchlichen
Dechiffrierungen der vermeintlichen Templer-Botschaft, von der
alles Unheil seinen Ausgang nimmt, hier keineswegs im Status der
Unentscheidbarkeit belassen, sondern nach dem Grad ihrer Verläßlichkeit bewertet
und markant unterschieden. Dabei erweist sich die ‚tiefe‘,
geschichtsphilosophisch konspirative Interpretation als eine ganz und gar
unverläßliche, während die ‚flache‘, von der praktischen Evidenz des Alltags
bestimmte – und überdies weibliche – Lektüre, welche in dem Text einen simplen
Wäschezettel identifiziert, verläßlich Recht behält. Deshalb endet der
epistemologische Kriminalroman trotz allen Unheils, das in ihm durch
tiefgründige Verschwörungstheorien ausgelöst wird, erneut bei letztlich
hoffnungsvollen Positionen: einer (paradoxalen) Metaphysik des erfüllten
Augenblicks, die an essayistische Schriften von Octavio Paz denken läßt,
[94]
und einer Erkenntnistheorie, welche die Beobachtung der Oberflächen
empfiehlt und zu einem Fazit gelangt, das mit listiger Volte Feminismus und
Rationalismus ineins setzt: „Nessuna direzione profonda delle correnti
sotterranee. [...] Superfici. Superfici. Superfici di superfici su superfici. La
saggezza della Terra. E di Lia“.
[95]
Was von diesem Fazit auf Distanz gebracht werden soll, ist – wie schon
in Il nome della rosa – eben jene Spekulation einer
„direzione profonda delle correnti sotterranee“, die aus der – nach Eco fatalen,
aber kaum zu stillenden – Sucht nach geheimen ‚Plänen‘ und Ordnungen hervorgeht.
Ihr liegt die Faszinationskraft eines analogischen Denkens zugrunde, das in Il pendolo di Foucault wiederholt mit dem Begriff des
„demone“ oder der „psicosi della somiglianza“ (durchaus im Sinne von Michel
Foucaults vorklassischer Episteme) bezeichnet wird.
[96]
Wenn man Ecos zweitem Roman als einem Conte philosophique und einer Art
historischer Enzyklopädie folgen will, dann ist diese ,Psychose der
Ähnlichkeit‘, welche gegen die augenscheinliche Differenz der Zeiten immer
wieder paranoide Zusammenhänge schafft, von der Antike bis in die jüngste
Moderne produktiv gewesen: von den Schöpfungs- und Läuterungsvisionen der
Gnosis, die hier ein Simon Magus redivivus vertritt, über Hegel und Marx bis zu
den Erlösungsprojekten, welche noch in den siebziger Jahren die Brigate Rosse
für das weltbeherrschende Ungeheuer des SIM, des „Stato Imperialista delle
Multinazionali“, entwarfen.
[97]
Wesentlich bleibt für die Gestalt des Romans indessen, daß
er gegenüber allen solchen Theorien von Erlösung und (notwendigermaßen
vorausgehender) Verschwörung einen kritischen Abstand behauptet. Es ist das der
Abstand der (in diesem Fall historisch-enzyklopädischen) Detektion, die in Il pendolo di Foucault zwar ebensowenig wie in Il nome della rosa auf der Handlungsebene triumphiert,
doch vor den Augen des Lesers unbezweifelbare Evidenz erlangt.
[98]
Gleichsam als Aufklärungsallegorie hat die Detektion ihren Gegenstand wie
ihren Widerpart im Bereich der ,Pläne‘ und Komplottideen, welche nach den
ideologiekritischen Implikationen des Romans für die Geschichtsphilosophie
(Hegel) nicht weniger konstitutiv sind als für den Feuilleton-Roman (Sue).
[99]
Dabei bildet die literarische Domäne dieser Komplottideen neben dem
Roman-feuilleton in der Gegenwart vor allem der Spy-Novel bzw. Agenten-Thriller,
der sich vom traditionellen Kriminalroman einerseits durch seinen höheren Grad
an Abenteuerlichkeit und andererseits durch den Umstand unterscheidet, daß er
die Zurechenbarkeit von Komplotten und Gegen-Komplotten – ohne die verläßliche
Erkenntnis detektivischer Instanzen – zunehmend undurchschaubar macht.
Tatsächlich nimmt die Handlung (nicht die enzyklopädische
Dokumentation) in Il pendolo di Foucault dann auch den
Duktus eines Spy-Novel an, und zwar in eben dem Maß, wie die drei Protagonisten
die Simulation ihres „Piano“ ausdehnen und dadurch den Agenten jener Kräfte
anheimfallen, die – wie der Geheimbund der „Templi Resurgentes Equites
Synarchici“ – das simulierte Komplott als ein real wirksames und endgültige
Macht versprechendes Geschichtsprinzip (miß)verstehen. Im gleichen Kontext ist
vielleicht bezeichnend, daß noch Ecos insgesamt handlungsärmerer dritter Roman
L’isola del giorno prima von den romanesken
Attraktionen der beiden früheren Bücher just manche Anklänge an den
Spionageroman bewahrt hat. In diesen Anklängen mag man den Ausdruck von
Fixierungen sehen, die gerade für den dezidierten Aufklärer von (expliziter)
Abwehr und (impliziter) Faszination begleitet sind. Immerhin hat
auch in L’isola del giorno prima die aufklärerische
Abwehr den Vorrang vor der esoterischen Faszination. Was hier an mehr oder
weniger okkulten Spionageaktivitäten zur Sprache kommt, verläuft nämlich zum
einen – auf der ersten, Handlungsebene von Robertos ‚Mission‘ für den Kardinal
Mazarin
[100]
– völlig ergebnislos im Sand. Und zum anderen wird es – auf der Ebene von
Robertos Roman über seinen Doppelgänger Ferrante
[101]
– in den Bereich purer Fiktion verwiesen: als fantastische Halluzination
der Intrigen von Spionen und Doppelspionen, welche zu jener barock-ingeniösen
,ars moriendi‘ (dem eigentlichen Thema des Romanschlusses) gehört, mit der
Roberto sich in der Einsamkeit des Ozeans auf den Tod vorbereitet.
1 |
Vgl. hierzu die Kongreßakten Baltasar
Gracián – Dal Barocco al Postmoderno,Palermo 1987, und Flaubert and
Postmodernism,Lincoln/London
1984. |
2 |
Vgl. zu ihm neben der berühmt gewordenen Rede aus dem Jahr
1980 vor allem den Abschnitt „Der normative Gehalt der Moderne“, in
J. Habermas, Der philosophische Diskurs
derModerne,Frankfurt a. M. 1985,
S. 390–425. |
3 |
Charakteristisch für die englischsprachige
Begriffsverwendung wirkt etwa der folgende Beginn eines Aufsatzes
über den britischen Gegenwartsroman: „Until well into the 1970s,
contemporary British fiction was regarded as ,postwar‘ rather than
,postmodernist‘. To be sure, modernism had come to be perceived as a
closed historical epoch, and this is a perception that dates from as
early as the 1940s.“ R. Todd, „Confrontation Within Convention: On
the Character of British Postmodernist Fiction“, in T. D’haen/H.
Bertens (Hrsg.), Postmodernist Fiction in Europe
and theAmericas,Amsterdam/Antwerpen
1988, S. 115–125, hier S. 115. |
4 |
Vgl. zu diesem Paradox der Epochennomenklatur – „una
bizzarria su cui varrebbe la pena di riflettere“ – die Bemerkungen
von M. G. Profeti, Importare letteratura – Italia
e Spagna, Alessandria 1993, S. 87. |
5 |
Zu den besonderen spanischen Schwierigkeiten im Umgang mit
dem Begriff des „post-moderno“ vgl. auch A. Gómez-Moriana, „La
anti-modernización de España – Prolegómenos a la historiografía
(literaria) española del siglo XX“, in E. Pfeiffer/H. Kubarth
(Hrsg.), Canticum Ibericum – G.R. Lind zum Gedenken, Frankfurt a. M. 1991,
S. 318–330, hier S. 318ff. |
6 |
Dieser Neigung pflegen sich deutsche Amerikanisten, für
welche der englischamerikanische Sprachgebrauch kanonische Geltung
besitzt, ohne weitere Umstände anzuschließen. So definiert H.
Ickstadt die literarische „Postmoderne“ bezeichnenderweise nicht
durch ihre Antinomie zur Moderne, sondern durch ihren Gegensatz zum
„Realismus“; vgl. „Die unstabile Postmoderne oder: wie postmodern
ist der zeitgenössische amerikanische Roman?“, in K. W Hempfer
(Hrsg.), Poststrukturatismus – Dekonstruktion –
Postmoderne,Stuttgart 1992,
S. 39–51: „Der Roman der amerikanischen Postmoderne hat alle
Gewißheiten des literarischen Realismus radikal problematisiert.“
(S. 42) |
7 |
Eine solche Haltung prägt außer Habermas’ eigener, in Der philosophische Diskurs der Moderne
vorgetragener Kritik z. B. zahlreiche Beiträge des lesenswerten
Sammelbandes von J. Rüsen/E. Lämmert/P Glotz (Hrsg.), Die Zukunft der Aufklärung,Frankfurt a. M. 1988. Freilich fällt auf, daß die ästhetische
Postmoderne in diesem Band weitaus milder beurteilt wird als die
Manifestationen einer philosophischen oder
geschichtswissenschaftlichen Postmoderne. Vgl. etwa die Aufsätze von
H. R. Jauß, „Das kritische Potential ästhetischer Bildung“, ebd.
S. 221–232, und vor allem von P. Glotz, „Über die Vertreibung der
Langeweile oder Aufklärung und Massenkultur“, ebd. S. 215–220, der
Adornos Theorie moderner Kunstautonomie mit einem resoluten Plädoyer
für „aufklärerische Massenkultur“ widerspricht, zu der er – den
zumal in seinen späten Romanen durchaus anspruchsvollen – John Le
Carré ebenso zu rechnen scheint wie Johannes Mario Simmel oder die
populären Sänger Udo Lindenberg und Peter Maffay. |
8 |
Aufschlußreich ist hier ein Vergleich zwischen dem in Anm.
7 zitierten Sammelband, der eine vom „Kulturforum der
Sozialdemokratie“ veranstaltete Tagung dokumentiert, und den
Kongreßakten eines „Convegno di studi“ über „Modern/postmodern“,
welches das toskanische „Istituto Gramsci“ im März 1986 durchgeführt
hat. Während in dem deutschen Band der tiefe Ernst beeindruckt, mit
dem die Kontribuenten ihre „Kämpfe an der semantischen Front“ (ebd.
S. 9) – gegen freilich abwesende Gegner – austragen, überrascht der
italienische Band bei ähnlichen Themen durch einen Ton
bemerkenswerter Gelassenheit und Konzilianz. Symptomatisch dafür
erscheint unter anderem der Beitrag des Philosophen Maurizio
Ferraris, der zum einen die – tatsächlich unübersehbare –
konzeptuelle Nähe von Adorno und Derrida betont („tra la dialettica
negativa e il decostruzionismo non intercorrono distinzioni
concettuali“) und zum anderen mit der skeptisch relativierenden
Feststellung schließt: „[...] i modernisti dovrebbero essere molto
riconoscenti nei confronti dei postmodernisti, l’ostracismo verso i
quali costituisce ormai l’unica pointe di un discorso di
ricostruzione del moderno. Cosa scriverebbe ormai Habermas senza
Derrida?“. M. Ferraris, „Il postmoderno e la decostruzione del
moderno“, in G. Mari (Hrsg.), Moderno
postmoderno,Milano 1987,
S. 117–129, hier S. 124 und 129. |
9 |
H. Lethen, „Modernism Cut in Half: The Exclusion of the
Avant-Garde and the Debate an Postmodernism“, in D. Fokkema/H.
Bertens (Hrsg.), Approaching
Postmodernism,Amsterdam/Philadelphia 1986, S. 233–238, hier S. 235; zitiert
nach B. McHale, „Some Postmodernist Stories“, in T. D’haen/H.
Bertens (Hrsg.), Postmodernist Fiction S.13–15, hier S. 19. |
10 |
Vgl. „Für eine nicht mehr narrative Historie“, in R.
Koselleck/W.-D. Stempel (Hrsg.), Geschichte –
Ereignis und Erzählung (Poetik und Hermeneutik V), München
1973, S. 540ff. |
11 |
Über das „Problem des ständigen Neuheitsschwundes“ als das
zentrale Problem, mit dem es das „soziale System Kunst“ zu tun hat,
äußert sich grundsätzlich erhellend N. Luhmann, „Das Kunstwerk und
die Selbstreproduktion der Kunst“, in H. U. Gumbrecht/K. L. Pfeiffer
(Hrsg.), Stil – Geschichten und Funktionen eines
kulturwissenschaftlichen Diskurselements,Frankfurt a. M. 1986, S. 620–672, hier S. 629. |
12 |
Vgl. dazu als eine epochal bedeutsame Stellungnahme unter
vielen anderen den Abschnitt „El ocaso de la vanguardia“ in Octavio
Paz’ Vorlesungen (Charles Eliot Norton Lectures) Los hijos del limo – Del romanticismo a la vanguardia,Barcelona/Caracas/México 31981,
S. 147–227,bes. S. 211: „Hoy somos
testigos de otra mutación: el arte moderno comienza a perder sus
poderes de negación. Desde hace años sus negaciones son repeticiones
rituales: la rebeldía convertida en procedimiento, la crítica en
retórica, la transgresión en ceremonia.“ |
13 |
Womit ich zu meiner Freude die Meinung von Leonardo
Sciascia teile, der 1987in einem
französischen Interview gegen „l’envie et la jalousie de la
critique“ über den Welterfolg eines Konkurrenten so generös wie
tapfer erklärt: „Le Nom de la rose est
visiblement le livre d’un homme intelligent qui a tenté le pari
d’écrire un roman. Eco a réussi ce roman de manière brillante.“ (J.
Dauphiné, Leonardo Sciascia – Qui
êtes-vous?,Paris 1990, S. 150) |
14 |
In der Transparenz solcher Verschlüsselungen besteht
offenkundig der wesentliche Reiz von Kristevas Roman, zumal dann,
wenn er Kultgestalten der Pariser Intelligenz wie Lacan, Barthes
oder Foucault – durchaus den Interessen eines Nachrichtenmagazins
entsprechend – in (teils erzählten, teils imaginierten)
kompromittierenden Situationen präsentiert; vgl.
Les Samouraïs, Paris 1990, S. 204ff.(Lacan als ‚cocu battu et content‘), S. 219ff.(Barthes beim ‚sexual harassment‘ eines
jungen Chinesen) oder S. 182ff.(Foucault
masturbierend im Enfer der Bibliothèque Nationale). Dabei fällt auf,
daß Gestalten, denen Frau Kristeva nur geringe Sympathie
entgegenbringt, in der Regel durch die Attribution deutscher Namen
gestraft werden: So heißt Foucault „Scherner“, während sich
Althusser des Namens „Wurst“ erfreut. |
15 |
Zu den Intentionen, Strategien und Problemen dieses Textes
vgl. die so kritische wie detaillierte Analyse von K. W Hempfer, Poststrukturale Texttheorie und narrative Praxis –
Tel Quel und die Konstitution eines Nouveau Nouveau
Roman,München 1976, S. 71–95. |
16 |
P. Sollers, Improvisation,Paris 1991, S. 175. |
17 |
Ebd., S. 176. |
18 |
Vgl. F. T .Marinetti, Teoria e invenzione
futurista,Milano 1968, S. 71,
260f.und 268ff. |
19 |
Vgl. zu dem nach Peter Bürger zentralen Aspekt der
surrealistischen Programmatik den Abschnitt „Die Negation der
Autonomie der Kunst durch die Avantgarde“ in Bürgers Theorie derAvantgarde,Frankfurt a. M. 1974, S. 63–75. |
20 |
Vgl. In questo stato,Milano 1978, S. 97ff.Hauptsächlicher Angriffspunkt von Arbasinos temperamentvoller
Polemik ist hier die einheimische „letteratura agghindata e
casereccia“, welche der politischen Intensität ihrer Epoche nicht
gewachsen scheint; doch wenden sich die Sarkasmen mitunter auch
gegen die nordamerikanische Variante des gleichen Phänomens, eine
„narrativa nata e prodotta e consumata interamente all’interno dei
corsi di ,creative writing‘ nelle università provinciali“, die als
ihre Lieblingsthemen Folgendes pflegt: „discussioni su diritti
civili conculcati nel ,gran mondo‘, care memorie di rivolte
giovanili, adulteri di ,faculty wives‘ bovaristiche, ricerca di una
propria identità non ancora precisata“. |
21 |
Vgl. dazu D. Ruhe, „Wie neu ist die ,Nouvelle
Autobiographie‘? Aspekte der Gattungsentwicklung in Frankreich und
Deutschland“, in Romanistische Zeitschrift für
Literaturgeschichte 18 (1994), S. 353–369sowie den Sammelband von A. Hornung/E. Ruhe (Hrsg.), Autobiographie & Avantgarde,Tübingen 1992
|
22 |
Vgl. I. Calvino, Se una notte d’inverno
un viaggiatore,Torino 1979,
S. 93.Nach Werner Helmichs treffender
Einschätzung verkörpert Ludmilla in der Lesertypologie des Romans
die „Lektürekonzeption“ einer „völligen Offenheit und
Erfahrungsbereitschaft gegenüber jedem neuen Text“, während ihre
Schwester Lotaria das Prinzip einer strikt theorieorientierten,
klassifizierenden Lektüre repräsentiert, die in letzter Instanz der
„politischen Zensur“ den Weg bereitet; vgl. „Leseabenteuer – Zur
Thematisierung der Lektüre in Calvinos Roman Se
una notte d’inverno un viaggiatore“,in U. Schulz-Buschhaus/H. Meter (Hrsg.), Aspekte des Erzählens in der modernen italienischen
Literatur,Tübingen 1983,
S. 227–248,hier S. 232.Bemerkenswert (und wohl auch bezeichnend) ist, daß Habermas
bei seiner Interpretation des Romans die Akzente umgekehrt setzt und
statt Ludmilla, „deren Leben im Lesen aufgeht“, eher Lotaria
positiviert, der er den Heroismus des vergeblichen Widerstands
„gegen den Sog eines unwiderstehlichen Textgeschehens“ zuschreibt;
vgl. „Philosophie und Wissenschaft als Literatur?“, in J. Habermas,
Nachmetaphysisches Denken,Frankfurt a. M. 1988,
S. 242–263,hier S. 259f. |
23 |
Das Paradox ähnelt in gewisser Hinsicht dem Dilemma des
klassischen Detektivromans, der bei seinen Mordrätselspielen ja die
Gewohnheit ausgebildet hatte, den Täter stets in der „most unlikely
person“ zu identifizieren, die er dadurch für den gewitzten
literaturkundigen Leser jedoch gerade zur „most likely person“
machte: Was auf der Ebene der Wirklichkeitsreferenz höchste
Unwahrscheinlichkeit war, verwandelt sich auf der Ebene der
Textstruktur unter der Hand in höchste Wahrscheinlichkeit. Vgl. dazu
T. Todorov, Poétique de la prose,Paris 1971, S. 97–99, bes. S. 98
(„Introduction au vraisemblable“). |
24 |
Vgl. als die vielleicht deutlichste unter verschiedenen
Präsentationen dieses Konzepts die „Thesen über Tradition“ in Ohne Leitbild – Parva Aesthetica,Frankfurt a. M. 1967, S. 29–41, hier
S. 33. |
25 |
Zum „code culturel“ als „la quintessence, le condensé
résiduel de ce qui ne peut être réécrit“ vgl. R. Barthes, S/Z, Paris 1970, S. 104f. |
26 |
Adorno, Ohne Leitbild S. 33. |
27 |
Ebd. S. 34. |
28 |
Zur für die Tel-Quel-Poetik konstitutiven Unterscheidung
zwischen positivierten „textes ,illisibles‘ et non-référentiels,
relevant de l’,écriture‘“ und negativierten „textes ,lisibles‘“ et
référentiels, relevant de la ,littérature‘“ vgl. das Resümee von R.
Barthes, „Linguistique et littérature“, in Langages 12 (1968), S. 3–8, und die Kritik von C.
Kerbrat-Orecchioni, „Le Texte littéraire: non-référence,
auto-référence, ou référence flctionnelle?“, in Texte 1(1982), S. 27–49, bes.
S. 29. |
29 |
Vgl. dazu ausführlicher Verf., „Critica e recupero dei
generi – Considerazioni sul ,Moderno‘ e sul ,Postmoderno‘“, in Problemi 101 (1995), S. 4–15, hier S. 79. |
30 |
Dementsprechend sieht Adorno auch in der Musikgeschichte
„die Arbeit musikalischen Fortschritts“ von den „musikalischen
Topoi“ weg auf einen „bis zum Äußersten gesteigerten Nominalismus“
hin gerichtet; vgl. dazu den Aufsatz „Der mißbrauchte Barock“, in
Ohne Leitbild S. 133–157, hier S. 156 und 138. |
31 |
Vgl. das Kapitel „Letteratura, paraletteratura,
arciletteratura“ in Spinazzolas Buch La democrazia
letteraria,Milano 1984, S. 139–166,
hier S. 146f. Eine (partielle) Kritik an der auf soziale Schichten
bezogenen Vertikalität dieser Gliederung enthält mein Aufsatz
„Livelli di stile e sistema dei generi letterari nella società di
massa“, in G. Petronio/U. Schulz-Buschhaus (Hrsg.), Livelli e linguaggi letterari nella società delle
masse,Trieste 1985, S. 41–48, hier
S. 44f. |
32 |
Ein engagiertes Resümee dieses Buchs, das Ferrettis
Vorwürfe noch weiter zuspitzt, gibt G. Borghello, „Il fascino
discreto del best seller“, in Livelli e linguaggi
S. 131–145. |
33 |
So insbesondere in Fiedlers berühmt gewordenem Essay „Cross
the Border – Close the Gap“, in Playboy
(1969), S. 230–258, bei dem schon der Publikationsort
metonymisch füt ein explizites Programm literarischer
,Hybridisierung‘ einsteht. |
34 |
Das letztere Phänomen habe ich durch einige typische
Spielarten skizziert in dem Aufsatz „Kriminalromane jenseits des
Krimi“, in die horen 32,4 (1987),
S. 7–16. |
35 |
Dem Spy-Novel nähert sich Se una notte
vor allem im ersten („Se una notte d’inverno un viaggiatore“),
vierten („Senza temere il vento e la vertigine“), sechsten („In una
rete di linee che s’allacciano“) und siebten („In una rete di linee
che s’intersecano“) Fragment sowie in den Kapiteln IX und X der
Rahmenhandlung. Zur Fälschergestalt des Ermes Marana, der auf der
Ebene poetologischer Allegorie die Ästhetik eines Borges beschwört,
vgl. den leider unvollendeten Aufsatz von E. Leube, „Ermes Marana
und seine Väter – Zu Ursprung und Bedeutung des ,Fälschers‘ in
Calvinos Se una notte d’inverno un
viaggiatore“,in A. Kablitz/U.
Schulz-Buschhaus, Literarhistorische Begegnungen –
Festschrift B. König, Tübingen 1993, S. 213–223; zum Charakter
des Romans als – mit Nabokovs Pale Fire
vergleichbarem – „metafictional anti-detective novel“ vgl.
S. Tani, The Doomed Detective – The Contribution
of the Detective Novel to Postmodern American and Italian
Fiction,Carbondale/Edwardsville
1984. |
36 |
P. Bruckner, „Jeder schreibt für sich allein“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 100
(1989), Beilage: Bilder und Zeiten.
|
37 |
Ebd., vgl. außerdem die materialreiche Übersicht von A.
Wortmann, „Der französische Kriminalroman der 80er Jahre“, in W
Asholt (Hrsg.), Intertextualität und
Subversivität- Studien Zur Romanliteratur der achtzigerJahre in
Frankreich,Heidelberg 1994,
S. 219–230. |
38 |
Vgl. D. Ingenschay/H. J. Neuschäfer (Hrsg.), Aufbrüche – Die Literatur Spaniens seit
1975,Berlin 1991, S. 168–191 (mit
drei Beiträgen von A. Buschmann, der in die Thematik einführt, von
H. Stenzel über Manuel Vázquez Montalbán und von J. Sieß über Juan
Madrid). |
39 |
Dabei reicht die Spannweite seiner diesbezüglichen
Schriften von den frühen Rezensionen in der Zeitschrift El Hogar,die mit
Vorliebe britische Kriminalromane zum Gegenstand nehmen, über die
zusammen mit Bioy Casares unter dem Pseudonym H. Bustos Domecq
verfaßten Seis problemas para don Isidro Parodi
bis zu La muerte y la brújula,gewissermaßen dem Archetyp der
zukunftsträchtigen Thematik vom „Scheitern des Detektivs“ (H. Hudde,
„Das Scheitern des Detektivs – Ein literarisches Thema bei Borges
sowie Robbe-Grillet, Dürrenmatt und Sciascia“, in Romanistisches Jahrbuch 29 (1978),
S. 372–342). |
40 |
Vgl. I. Murdoch, „Against Dryness – A Polemical Sketch“, in
M. Bradbury (Hrsg.), The Novel Today –
Contemporary Writers on Modern Fiction,Manchester 1977, S. 23–31, sowie dazu W. Wolf, „Radikalität
und Mäßigung: Tendenzen experimentellen Erzählens“, in A. Maack/R.
Imhof (Hrsg.), Radikalität und Mäßigung – Der
englische Roman seit 1960,Darmstadt
1993, S. 34–5 3, hier S. 49f. |
41 |
Die thematischen Funktionen dieser Gattungskombination
werden scharfsichtig angedeutet von U. Schick, „Erzählte Semiotik
oder intertextuelles Verwirrspiel? – Umberto Ecos Il Nome della rosa“,in Poetica 16 (1984), S. 138–161, hier S. 160f.
Gegenüber den politischen Aktualitätsbezügen des Romans verhält die
Interpretin sich freilich ein wenig reserviert. Das ist ihr gutes
Recht; doch sollte sie für solche Reserven nicht die – im Grunde
aufmerksamkeitsweckende – Versicherung des ‚Herausgebers‘ Eco
„Trascrivo senza preoccupazioni di attualità“ ins Feld führen. Daß
dieser Satz essentiell ironisch, ja antiphrastisch gemeint ist, wird
spätestens deutlich, wenn der ‚Herausgeber‘ seinen
‚inkommensurablen‘ historischen Abstand von der „storia di Adso da
Melk“ durch den vorgeblichen Triumph der ‚Vernunft‘ in der Moderne
begründet: „e provo conforto e consolazione nel ritrovarla (la
storia, U. S.-B.) così incommensurabilmente lontana nel tempo (ora
che la veglia della ragione ha fugato tutti i mostri che il suo
sonno aveva generato)“. (Il nome della rosa,
Milano 61981, S. 15) |
42 |
Vgl. als ein besonders frappantes Beispiel den Übergang von
der „Quinta“ zur „Sesta“ des „Quinto Giorno“, ebd. S. 361f.
Natürlich sind solche Enjambement-Effekte in der Erzählgliederung
nicht schlechthin eine Erfindung des Feuilleton-Romans, aus dem Eco
sie übernommen haben dürfte, sondern charakterisieren in weniger
eklatanten Formen auch schon den narrativen Rhythmus etwa von
Ariosts Orlando furioso oder Graciáns Criticón.
|
43 |
Diesen Hinweis verdanke ich dem opulent gelehrten Aufsatz
von F-R. Hausmann, „Umberto Ecos Il Nome della
rosa – Ein mittelalterlicher Kriminalroman?“, in „[...], eine finstere und fast unglaubliche
Geschichte“? – Mediävistische Notizen zu Umberto Ecos
Mönchsroman „DerName derRose‘,Darmstadt 1987, S. 21–52, hier S. 49. |
44 |
Vgl. D. Pennac, Au bonheur des
ogres,Paris 1994, S. 253 und
S. 271, wo dementsprechend die finale Erwartung des Detektivs auch
paradoxerweise dem Opfer gilt (das freilich in der Vergangenheit ein
Verbrecher war): „Moi, j’y suis. Et la victime? Elle est là, la
victime?“ |
45 |
Vgl. ebd. S. 201. Allerdings spielt das letztere Motiv hier
eine ganz andere – und zwar detektivisch hilfreiche – Rolle als in
Antonionis Film, wo es den detektivischen „Glauben, durch immer
genaueres Hinsehen [...] etwas entdecken zukönnen“, falsifizieren soll. Zum Verhältnis von Antonionis
Film und Cortázars Erzählung vgl. V. Roloff, „Film und Literatur –
Zur Theorie und Praxis der intermedialen Analyse am Beispiel von
Buñuel, Truffaut, Godard und Antonioni“, in P. V. Zima (Hrsg.), Literatur intermedial,Darmstadt 199 S, S. 269–309, hier S. 303. |
46 |
Bezeichnenderweise bietet dieser Passus außer den
Assoziationen von Les mystères de Paris und
Le fantôme de l’Opéra auch eine
Erinnerung an den „python neurasthénique“ in Emile Ajars (Romain
Garys) Gros-Câlin; vgl. Pennac, Au bonheur des ogres S.110f. |
47 |
Vgl. ebd. S. 137, 144f., 150, 210 und besonders S. 147, wo
der Ich-Erzähler und Protagonist gleichsam mit Gaddas Detektiv
Francesco Ingravallo identifiziert wird. |
48 |
Wie sie Calvinos Ludmilla gefallen würde, die ihren
aktuellen Lektürewunsch ja einmal mit den Worten umreißt: „– Il
romanzo che più vorrei leggere in questo momento [...] dovrebbe
avere come forza motrice solo la voglia di raccontare, d’accumulare
storie su storie, senza pretendere d’importi una visione del mondo;“
vgl. Se una notte S. 92. |
49 |
Vgl. D. Pennac, La fée carabine,Paris 1994, S. 16. |
50 |
Ebd. S. 309. |
51 |
Ebd. S. 310. Die poetologische Bedeutung dieses Romanendes
unterstreicht Pennac in Comme un roman,Paris 1992, S. 159 und S. 54 (dort sogar mit
einem überraschenden Valéry-Zitat). |
52 |
Daß ihm nicht zuletzt Umberto Eco einiges verdankt, wird
durch ein kleines Hommage im ,Foucaultschen Pendel‘ festgehalten,
wenn der Verleger Garamond das folgende Buch präsentiert: „E ora
guardate questo: apparentemente un romanzo a sfondo criminale, un
best seller. E di che cosa parla? Di una chiesa gnostica nei
dintorni di Torino“. Vgl. Eco, Il pendolo di
Foucault,Milano 1988, S. 208. |
53 |
Vgl. zu diesem Sujet die inzwischen klassische (und überaus
ertragreiche) Studie von V. Klotz, Die erzählte
Stadt – Ein Sujet als Herausforderung des Romans von Lesage bis
Döblin,Reinbek bei Hamburg 21987
(München/Wien 11969). |
54 |
Vgl. C. Fruttero/F. Lucentini, La donna
della domenica,Milano „1975,
S. 42. |
55 |
Ebd. S. 8. |
56 |
Vgl. C. Fruttero/F. Lucentini, A che
punto è la notte,Milano 1979,
S. 173. |
57 |
Dessen wahre Identität sich posthum, d. h. nach seiner
Ermordung, dann bezeichnenderweise als die eines „maresciallo dei
carabinieri“ enthüllt; vgl.ebd. S. 338 (die
Pointe einer zumal perspektivisch höchst effektvoll erzählten
Episode). |
58 |
Vgl. „Verrätselung und Ambivalenz – Funktionen des
Kriminalroman-Schemas bei Mario Vargas Llosa (insbesondere in La ciudad y los perros)“,in Romanistisches Jahrbuch 43(1992), S. 318–335. |
59 |
Vgl. dazu meine Interpretation des Romans in dem Sammelband
von V. Roloff/H. Wentzlaff-Eggebert (Hrsg.), Der
hispanoamerikanische Roman,Darmstadt 1992, Bd. 2, S. 146–15 6, sowie J. M. Oviedo, Mario Vargas Llosa: la invención de una
realidad,Barcelona/Caracas/Méxiko
31982, S. 206–266, bes. die Abschnitte „Las ondas dialógicas“ (S.
249ff.) und „Las aperturas del tiempo y la realidad“ (S. 256ff). |
60 |
Das bedeutet, daß auch Conversación en la
Catedral,obgleich ein Roman von
prononciert realistischer Intention, unverkennbare Züge eines
„metafictional antidetective novel“ im Sinne S. Tanis (bei dem von
Vargas Llosa freilich nicht die Rede ist) aufweist. Vgl. S. Tani,
The Doomed Detective S.113: „By now the detective is the reader who has to make
sense out of an unfinished fiction that has been distorted or cut
short by a playful and perverse ,criminal‘, the writer“. |
61 |
Verf., Formen und Ideologien des
Kriminalromans, Frankfurt a. M. 1975, S.106–181. |
62 |
Vgl. zu ihnen ebd. S. 196–204sowie
meinen Aufsatz „Sciascias beunruhigende Kriminalromane“, in Italienische Studien 1(1978), S. 43–53
|
63 |
Die außerdem natürlich auf das Vorbild des „cas
authentique“ von Poes The Mystery of Marie Rogêt
verweisen. Zu der von ihm ausgehenden Gattungstradition vgl. K.
Maurer, „Le cas authentique – La ,vérité‘ dans le roman policier en
Occident et en Orient du Mystère de Marie Rogêt
d’Edgar Poe au Meurtre du canal d’Amsterdam
de Seichô Matsumoto“, in Revue de littérature
comparée 68 (1991) S. 193–206. Zu Sciascias Umgang mit
dieser Tradition vgl. neuerdings die gründliche Untersuchung von A.
Bruni, „La scomparsa di Majorana“,in M. Picone/P. De Marchi/T. Crivelli
(Hrsg.), Sciascia, scrittore europeo,
Basel/Boston/Berlin 1994, S. 181–207
|
64 |
Diese Notwendigkeit wird auf bezeichnende Weise verkannt in
einer 1938publizierten Simenon-Rezension von
Borges, die indes für Borges’ Interesse am Detektivroman, das
speziell dem geregelten Spiel des pointierten Rätselromans gilt,
aufschlußreich ist. Vgl. J.-L. Borges, Textos
cautivos – Ensayos y reseñas en „El Hogarr“,Barcelona 1986, S. 236f.:„En Inglaterra el género policial es como un ajedrez
gobernado por leyes inevitables. [...] París, en cambio, ignora
todavía esos rigores“. |
65 |
So verlangt es auch die Rezension von Borges, ebd.
S. 237: „El misterioso criminal [...]
tiene que ser una de las personas que figuran desde el principio
[...]“. Damit reklamiert Borges die Beachtung eines ,Gesetzes‘, das
schon 1924im Detective
Story Decalogue von R. A. Knox gleichsam das Erste Gebot
bildete und dann später (etwa durch S. S. Van Dines Twenty Rules for Writing Detective
Stories)immer wieder bekräftigt
wurde. Vgl. P. G. Buchloh/J. P. Becker (Hrsg), Der
Detektivroman,Darmstadt 1973,
S. 82und 87. |
66 |
Zur Thematisierung „des gesellschaftlichen und
ideologischen Wandels im Spanien der transición“,die Carvalhos
Investigationen jeweils mit sich bringen, vgl. H. Stenzel, „Manuel
Vázquez Montalbán: Die Kriminalromane – Pepe Carvalho auf der Suche
nach der Identität des postfranquistischen Spanien“, in D.
Ingenschay/H. J. Neuschäfer (Hrsg.), Aufbrüche
S. 175–184, hier S. 179. |
67 |
Vgl. M. Vázquez Montalbán, Asesinato en
el Comité Central,Barcelona 1981,
S. 42f., woes zum „planteamiento del
problema“ heißt: „– Parece un caso de novela inglesa“. |
68 |
Zur ersten Dialogszene, in welcher der Leser direkte
Bekanntschaft mit dem Mörder und Verräter Esparza julve macht, vgl.
ebd. S. 229ff. |
69 |
Über die detektivisch-kriminalistischen Elemente in Muñoz
Molinas früheren Romanen Beatus ille
(1986), El invierno en Lisboa
(1987)und Beltenebros (1989)unterrichtet
S. Kleinert, „Antonio Muñoz Molina: Die Begegnung von Kunst und
Verbrechen“, in D. Ingenschay/H. J. Neuschäfer (Hrsg), Aufbrüche S. 153–1 S 159. |
70 |
Der Konstellation eines solchen Kulturkontrastes zwischen
Metropole und Provinz verdankt der Roman seine komischen Züge, die
mitunter an ein französisches Vaudeville wie Labiches La Cagnotte erinnern. |
71 |
Vgl. A. Muñoz Molina, Los misterios de
Madrid,Barcelona 1992, S. 86ff.,
98und 103ff. |
72 |
Dieser Begriff bildet die Überschrift des vorletzten
Romankapitels (S. 175). |
73 |
Vgl. ebd. S. 82 sowie S. 90oder 139
(zur überraschenden Rekurrenz der immer wieder gleichen
Romanfiguren). |
74 |
Damit ergibt sich hier der gleiche widersprüchliche
Sachverhalt, den V. Klotz in Sues Mystères de
Paris beobachtet, wenn er zu deren Plot treffend
konstatiert: „Wo [...] das Willkürgesetz der Intrige jäh die
Menschen zusammenführt und zerstreut, haben die anders begründeten
Willkürgesetze städtischer Kommunikation abgedankt. [...] Früher
oder später sind all diese Asozialen, Proletarier, Aristokraten und
vereinzelten Kleinbürger miteinander bekannt, wenn nicht gar
verwandt – unterm Druck der Fabel“. (Die erzählte
Stadt S. 127) |
75 |
So insbesondere durch die Darstellung der
(de)urbanisierenden Transformation des Quartier von Belleville. Als
– letztenendes verbrecherischer – Promotor des „devenir
Bellevillois“ tritt ein Architekt und Immobilienspekulant in
Erscheinung, der als „archicélèbre“ gilt: „On lui doit, entre
autres, la reconstruction de Brest (architecturalement parlant, le
Berlin-Est français)“. (D. Pennac, La fée carabine
S. 45) |
76 |
Besonders eklatant kommt das am Ende von A ciascuno il suo zum Ausdruck, wo der Außenseiterstatus
des „povero Laurana“ durch don Luigis zynisches (und unter dem
Gesichtspunkt der Moral natürlich antiphrastisch zu verstehendes)
Schlußwort „– Era un cretino –“ vom Konsens der Gesellschaft
gleichsam besiegelt wird; vgl. L. Sciascia, A
ciascuno il suo,Torino 1971 (1966),
S. 134. |
77 |
Vgl. dazu ausführlicher Verf., „Sciascias beunruhigende
Kriminalromane“ S. 46ff. |
78 |
Zum politischen wie mafiosen Opportunismus, der das
Deutungsmuster des „omicidio passionale“ begünstigt, vgl. L.
Sciascia, Il giorno della civetta,Torino 1972 (11961), S. 35: „L’omicidio
passionale si scopre subito: ed entra dunque nell’indice attivo
della polizia; l’omicidio passionale si paga poco: ed entra perciò
nell’indice attivo della mafia“. |
79 |
Vgl. L. Sciascia, Todo modo, Torino
1974, S. 12 2. |
80 |
Zu den Positionen dieser Auseinandersetzung vgl. C. Cazalé
Bérard, „Riscrittura come ironia da Pirandello a Sciascia“, in M.
Picone/P. De Marchi/T. Crivelli (Hrsg.), Sciascia,
scrittore europeo S. 67–92, bes. S. 72ff., und R. Dedola,
„Sciascia e l’enigma: ovvero un sogno che nasce in Europa“, ebd.
S. 229–245, bes. S. 235ff. Frau Dedola sieht in don Gaetano den
Agenten einer tatsächlich teuflischen ,Manipulation‘ des
,Christentums‘ (vgl. ebd. S. 239), aus der sich der Ich-Erzähler –
wie aus einer „tentazione totalitaria“ (ebd. S. 241) – durch einen
Gewaltakt befreit. |
81 |
Vgl. dazu Verf., „Das System und der Zufall – Zur Parodie
des Detektivromans bei Jorge Luis Borges“, in E. Pfeiffer/H. Kubarth
(Hrsg.), Canticum Ibericum S.382–396, bes. S. 393ff. |
82 |
J. L. Borges, Ficciones,Buenos Aires 171973, S. 155. Dagegen hatte
der Systematiker Lönnrot die Hypothese des Empirikers Treviranus mit
dem Argument zurückgewiesen: „En la que usted ha improvisado,
interviene copiosamente el azar“ (S. 45) |
83 |
Vgl. H. Hudde, „Das Scheitern des Detektivs“. |
84 |
Vgl. Literatur und Lustprinzip,Köln 1973, S. 131; zitiert nach Hudde, „Das
Scheitern des Detektivs“ S. 336. |
85 |
L. Sciascia, A ciascuno il suo
S. 53. |
86 |
Vgl. zu ihm A. Gelz, „Georges Perec,
Stendhal und die Zukunft der Literatur“, in W. Asholt (Hrsg.), Intertextualität S. 161–170, hier S. 165ff. Auf die Gestalt der in „53 jours“entwickelten
labyrinthischen Konstruktion selbst geht Gelz jedoch kaum ein,
sondern widmet sich den evidenteren Intertextualitätsbeziehungen,
die der Roman mit Stendhals La chartreuse de Parme
unterhält. |
87 |
Eine solche Poetik unentscheidbarer Lösungen findet sich
innerhalb des Romans als ,mise en abyme‘ bereits durch die Texte des
Kriminalromanautors Serval angedeutet. Dabei besteht Servals
„manière de faire“, die offenkundig an die Verfahrensweise von
Borges’ Herbert Quain – dem Autor des imaginären Kriminalromans The god of the labyrinth – erinnert, in
Folgendem: „une fois la solution trouvée, une autre, absolument
différente, est donnée en quelques lignes; c’est le fin mot de
l’affaire, son rebondissement final [...], sa chute, qui laisse le
lecteur, perplexe ou ravi, en face de deux hypothèses tout aussi
acceptables bien que diamétralement opposées“. (G. Perec, „53 jours“,Paris 1989,
S. 62£, und J. L. Borges, Ficciones S. 78f. ([Examen de la obra
de Herbert Quain]). |
88 |
Vgl. Verf., „Verrätselung und Ambivalenz“ S. 325ff. und
S. 331f. |
89 |
Vgl. dazu den Schluß von La muerte y la
brújula in Ficciones S.158. |
90 |
Vgl. A. Tabucchi, Il filo
dell’orizzonte,Milano 1986, S. 105.
Hinweise zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten des letzten
Satzes „Poi è avanzato nel buio“ gibt E. Schulze-Witzenrath, „un
giallo molto sui generis.. Antonio Tabucchis
Il filo
dell’orizzonte“,in
Italienische Studien 16 (1995),
S. 177–192. |
91 |
Zur Präsenz dieser ,Hypotexte‘ in Il
pendolo di Foucault vgl. Verf., „Sam Spade im Reich des
Okkulten – Umberto Ecos Il pendolo di Foucault
und der Kriminalroman“, in D. Borchmeyer (Hrsg.), Poetik und Geschichte – V. Zmegač zum 60.
Geburtstag, Tübingen 1989, S. 486–504, hier S. 495ff. |
92 |
Vgl. U. Eco, Il nome della rosa
S.476ff. |
93 |
Ebd. S. 495. |
94 |
Für sie plädiert Belbos Erzählung von jenem Moment der
Wahrheit, in dem er als Halbwüchsiger mit einem lang ausgehaltenen
Trompetenton die Grenzen von Raum und Zeit überwand, einem „momento
in cui non c’è più rinvio, e i conti sono pari“ (U. Eco, Il pendolo S. 502). |
95 |
Ebd. S. 507. |
96 |
Vgl. ebd. S. 286oder 418. |
97 |
Vgl. ebd. S. 252. Zu den praktisch-politischen Folgen
dieser rezentesten Erlösungsprojekte äußert sich etwa Leonardo
Sciascia, L’affaire Moro,Palermo 1978,bes. S. 132ff. |
98 |
Deshalb hat Eco sicherlich recht, wenn er selber seinen
Roman einmal als einen „testo pedagogico“ („che dice di stare
attenti“) bezeichnet; vgl. S. Kleinert, „,La narrativa oggi è come
una storiografia critica dell’immaginario(– Ein Gespräch mit Umberto
Eco“, in Grenzgänge 1 (1994), S. 65–83,hier S. 72. In diesem
oft überdeutlich artikulierten pädagogischen Engagement ist wohl
eine begrüßenswerte (und durchaus modeferne) Konstanz des Willens
zur Aufklärung, zugleich aber auch eine gewisse literarische
Schwäche von Ecos zweitem Roman zu sehen. |
99 |
Daher liegt es für Eco auch nahe, Hegel polemisch mit Sue
zu vergleichen; vgl. Il pendolo S. 389.Noch entschiedener bezieht Eco gegen die
„grandi affreschi di tipo hegeliano“ im Gespräch mit Frau Kleinert
Stellung, wo er unter anderem meint: „[...] ci si accorge che
paranoico era ugualmente Hegel che vedeva tutta la storia universale
come un immenso romanzo cosmico, un bellissimo complotto del Geist.“
Vgl. zu diesen Äußerungen S. Kleinert, „Ein Gespräch“ S. 71 und
74. |
100 |
Zur Eröffnung dieser Mission, welche das „problema del Punto Fijo“bzw. das
„mistero delle longitudini“ betrifft, vgl. U. Eco, L’isola del giorno prima,Milano
1994, S. 173ff. |
101 |
Vgl. dazu ebd. S. 344ff. oder
366ff. |