Ulrich Schulz-Buschhaus:
Das Aufsatzwerk - eine digitalisierte Gesamtausgabe

Hg. von Klaus-Dieter Ertler und Werner Helmich in Zusammenarbeit mit Albert Göschl und Nora Hein †


Ulrich Schulz-Buschhaus, der am 5. November 2000 mit 59 Jahren aus seinem schaffensreichen Leben gerissen worden ist, war weit über den Bereich der romanischen Literaturwissenschaft hinaus, die er in Forschung und Lehre vor allem vertreten hat, bekannt – als großer Gelehrter, ja als „Einmannuniversität“, wie Alois Hahn ihn in einem Nachruf in der FAZ vom 7. November 2000 bewundernd charakterisiert hat.

Seine Vita academica verlief ebenso geradlinig wie äußerlich unspektakulär. Geboren wurde er am 16. Juni 1941 im westfälischen Plettenberg. Er studierte in Hamburg, Aix-en-Provence, Florenz und Sevilla Romanistik und Germanistik, nicht ohne sich auch in Philosophie und Anglistik umzusehen, und schloß sein Studium mit einer von Margot Kruse betreuten Dissertation aus dem Gebiet der älteren italienischen Lyrik ab, die unter dem Titel Das Madrigal. Zur Stilgeschichte der italienischen Lyrik zwischen Renaissance und Barock 1969 in der Reihe „Ars poetica“ im Verlag Gehlen erschien. Zunächst wissenschaftlicher Assistent in Hamburg, kam er 1971 an die kurz zuvor gegründete Universität Trier und wurde dort in rascher Folge zunächst zum Assistenzprofessor, 1973 zum Wissenschaftlichen Rat und Professor ernannt. 1976 wurde er als Ordentlicher Universitätsprofessor an die ebenfalls neugegründete Universität Klagenfurt, 1989 dann an die Karl-Franzens-Universität Graz berufen, wo er bis zu seinem Tod wirkte. Seit 1993 war er Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Zwischenzeitlich ergangene Rufe nach Erlangen-Nürnberg und nach Saarbrücken lehnte er ab. Die ihm zum 60. Geburtstag zugedachte Festschrift mit dem Titel Poetologische Umbrüche (hg. von W. Helmich, H. Meter und A. Poier-Bernhard) konnte schließlich nur mehr als Gedenkband (im Wilhelm Fink Verlag 2002) erscheinen.

Aus den Titeln der in diesem Band enthaltenen Gesamtbibliographie der Publikationen von U.S.-B. (mit diesem Kürzel hat er sich selbst in seinen Schriften immer wieder bezeichnet) lassen sich die Schwerpunkte seiner Forschungstätigkeit leicht ablesen. Zu den im engeren Sinn literaturgeschichtlichen Forschungsobjekten, die er sich nacheinander erarbeitet und dann allesamt mit Leidenschaft nebeneinander gepflegt hat, gehören neben dem Madrigal der Petrarkismus in der Romania, die Pastorale, die Geschichte der Satire von der Renaissance bis zur Aufklärung mit einem Schwerpunkt auf der Trias Boileau–Voltaire–Parini, die italienischen und französischen Manierenschriften, die Moralistik in Spanien und Frankreich, der Realismus des 19. Jahrhunderts mit der Leitfigur Flaubert, die Literatur des Fin de Siècle in Italien und Frankreich sowie einige herausragende Erzähler der Moderne, auch sie programmatisch über mehrere romanische Literaturen verteilt: allen voran Proust, Borges, Vargas Llosa und Calvino, über den er neben zahlreichen kleineren Schriften 1997 auch eine selbstständige Publikation mit dem Titel Zwischen „resa“ und „ostinazione“: Zu Kanon und Poetik Italo Calvinos vorgelegt hat. Dazu kommt – für alle jene verwunderlich, die seine ästhetische Neugier auf den Bereich der Hochliteratur eingeschränkt glaubten – ein ausgesprochenes Interesse für die nicht gerade als kanonisch geltende Gattung der Kriminal- oder Detektiverzählung, der er schon 1975 die Monographie Formen und Ideologien des Kriminalromans: Ein gattungsgeschichtlicher Essay gewidmet hat, die thematisch weit über die Romania hinausgreift und epistemologisch durchaus einen Bogen von der Trivialliteratur zu Strukturen des Avantgarde-Romans schlägt.

Daneben standen immer auch allgemeine literaturtheoretische Fragestellungen im Mittelpunkt seines Interesses: Probleme der Epochenbestimmung und Epochenabgrenzung, vor allem in den Bereichen Renaissance/Manierismus/Barock sowie Klassische Moderne/ „Postavantgarde“ (wie er zur Vermeidung des exzessiv polysemen „Postmoderne“-Begriffs gern sagte); die gerade in der Italianistik nach Croce dringend gebotene Neudiskussion der Gattungspoetik; Kanonbildung und Kanon-Evolution in der Literaturwissenschaft; die Reflexion literaturdidaktischer Ansätze und ihrer ideologischen Implikationen; schließlich die Entwicklung der Literaturgeschichtsschreibung und, damit eng verbunden, die Selbstreflexion des Fachs, seiner wechselnden Methoden, Konzepte und Fokussierungen. Das ist fürwahr ein ungewöhnlich breit gefächertes und in seinen Einzeloptionen für den, der U.S.-B. gekannt hat, doch auch wieder kohärentes Themenspektrum, das im Fokus eines individuellen Bewusstseins die „Multiplizität der Kultur und Einheit des Lebens“ – dies der programmatische Obertitel eines seiner letzten großen Aufsätze – exemplarisch vereinigt.

Der geradezu einschüchternden Vielfalt seiner Interessen entspricht auch das Gesamtbild seiner Publikationen: relativ wenige Monographien, aber weit über zweihundert Aufsätze und fast dreihundert wissenschaftliche Rezensionen. Damit war er in seinem Fach frühzeitig als Meister des wissenschaftlichen Aufsatzes und der Rezension anerkannt, wobei allerdings viele seiner Beiträge so umfangreich ausfielen, dass sie bisweilen fast den Umfang von Monographien erreichten. Die Konzentration auf die editorisch unselbstständigen wissenschaftlichen Gattungen hatte allerdings zur Folge, daß diese Publikationen über Fachzeitschriften, Sammelbände und Festschriften verstreut und damit in ihrem Charakter als Teile eines wissenschaftlichen Gesamtwerks weniger erkennbar sind, als es ihrer Bedeutung entspricht. Deshalb bedurften sie einer Zusammenführung und einer kritischen Aufbereitung.

Den Anfang zu einer systematische Präsentation der Aufsätze machte Volker Kapp mit der Publikation zweier nach Themen geordneter Sammelbände im Lit Verlag: Flaubert – Die Rhetorik des Schweigens und die Poetik des Zitats (1995) sowie Moralistik und Poetik (1997). Dazu kommt der noch von U.S.-B. selbst zusammengestellte Band Il sistema letterario nella civiltà borghese (Ed. Unicopli 1999), in dem zehn thematisch verwandte Aufsätze und Vorträge versammelt sind, die vorher in italienischen Zeitschriften und Sammelpublikatione erschienen waren.

Für die Aufsätze wie auch für die Rezensionen konnte das Desiderat jedoch nur eine Gesamtedition sein, und dies aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für die Fachgeschichte der deutschsprachigen Romanistik im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts wie auch als Dokument für den wissenschaftlichen Habitus eines Forschers, auf den diese kleineren Gattungen geradezu zugeschnitten schienen. Die Sichtung des Nachlasses führte uns zunächst zur Veröffentlichung einer mit einem Vorwort und mehreren Registern versehenen Neuedition all seiner Rezensionen. Sie erschien 2005 unter dem Titel Das Rezensionswerk von Ulrich Schulz-Buschhaus: Eine Gesamtausgabe im Gunter Narr Verlag.

Die durchweg positive Aufnahme dieses ersten Projekts ermutigte uns, auch das gesamte erhaltene Aufsatzwerk aufzuarbeiten, und zwar, dem heutigen technischen Stand entsprechend, in elektronischer Form als Datenbank, die in den nächsten Jahren systematisch erweitert werden soll. Es ist bekannt, daß Ulrich Schulz-Buschhaus ein Literaturwissenschaftler mit großem internationalem Renommee war, dessen Aufsätze und Vorträge nicht zuletzt wegen der Unabhängigkeit von forschungspolitischen Zeitströmungen, zugleich aber wegen des in ihnen erkennbaren lebhaften Erkenntnisinteresses an eben diesen Zeitströmungen als wissenschaftliches Objekt für die Fachwelt heute und auch in der näheren Zukunft einer besonderen Beachtung sicher sein dürfen.

Diese Datenbank enthält derzeit alle in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und Sammelwerken publizierten Aufsätze sowie die 19 im Nachlass gefundenen bisher unpublizierten Vorträge im umfassend kompatiblen TEI-Format (weitere Informationen dazu unter www.tei-c.org), das durch das Tagging-Verfahren eine prinzipiell unbegrenzt erweiterbare begriffliche Erschließung ermöglicht.

Derzeit befinden sich die Texte im Stadium der kritischen Feinbearbeitung. Das Tagging, das immer wieder auf die Ergiebigkeit und Praktikabilität der einmal gewählten Kategorien hin überprüft werden muß (und dank des flexiblen Systems auch jederzeit modifiziert werden kann), bezieht sich dabei auf alle Arten von Texteinheiten vom Einzellexem bis zum Aufsatz, auch auf Fragestellungen, die an der Textoberfläche nicht terminologisch repräsentiert sind. Gedacht ist beim gegenwärtigen Diskussionsstand neben den üblichen Stichworten eines Namen- und Sachregisters vor allem an die Erschließung der terminologischen und argumentationstechnischen Entwicklung der theoretischen Position von Ulrich Schulz-Buschhaus zu einer Reihe von metaliterarischen Fragekomplexen, die seine Publikationen seit den späten sechziger Jahren stark geprägt haben und für die Diskussion der Fachwelt von besonderem Interesse sind. Zunächst ging es darum, diese Texte elektronisch verfügbar zu machen. Die Feinbearbeitung aller Beiträge bedarf noch einer längeren Arbeitsphase. Mittelfristig streben wir eine elektronische Ausgabe aller Schriften von Ulrich Schulz-Buschhaus an.

Graz, im Februar 2007

Klaus-Dieter Ertler / Werner Helmich