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Dieser Abschnitt befasst sich mit der
Entwicklung, Ausformung und Problematik
wissenschaftlicher Institutionen (in einem weiten Sinne
des Begriffs Wissenschaft) von den ersten Anfängen bis
zur Gegenwart. Es geht damit um die Darstellung von
Prozessen, die in untrennbarer Wechselwirkung
integrierende Elemente der Entwicklung von Wissenschaft
sind und in wissenschaftliche Institutionen münden oder
um Institutionen, die aus externen Bereichen in den
Erkentnisprozess eingeführt werden und an diesem in der
einen oder anderen Form teilhaben. |
Wissenschaftliche Institutionen sind als
äußerliche Formen wissenschaftlicher Arbeit oft von
kurzer Dauer; andernfalls unterliegen sie – wie etwa die
Universitäten – stetem Wandel, der wesentliche Elemente
auch des Entwicklungsprozesses von Wissenschaft
abbildet. Indem die Institutionen sowohl Ergebnis als
auch mitweirkende Faktoren in diesem Prozess sein
können, ist die Betrachtung ihrer Entwicklung im Rahmen
der Wissenschaftsgeshcichte unabdingbar notwendig. |
Es wird im Folgenden eingegangen auf die
Entwicklung von Bibliotheken, auf die Philosophenschulen
und Akademien der klassischen Altertums, das pagane
Schulwesen, die byzantinischen und die muslimischen
Institutionen, die Entwicklung des christlich-kirchlich
organisierten Schulwesens im lateinischen Bereich bis
hin zu den Universitäten, die Universitäten, die neueren
wissenschaftlichen Akademien und schließlich die
bedeutendsten Formen neuzeitlicher wissenschaftlicher
Institutionalisierungen im Zusammenhang mit
Wissenschaft. |
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Bibliotheken1 als
Akkumulierungen von Informationsträgern, ursprünglich
von Schriftträgern, d.h. Tontafeln, Papyrusrollen,
Pergament- oder Papiercodices, sind Akkumulierungen von
Wissen und Orte des Studiums, der Wissenserweiterung.
Als solche haben sie unter dem Aspekt ihrer
Verwendbarkeit früh das Bestreben nach Ordnung und damit
nach Systematik aufkommen lassen, ja notwendig gemacht.
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Da sich im Verlaufe der Jahrtausende die
äußere Form der schriftlichen Überlieferung und
schließlich der Informationsspeicherung sehr verändert
haben, veränderte sich auch die Struktur dessen, was wir
als Bibliothek bezeichnen – handelte es sich bei den
mesopotamischen Bibliotheken noch um polsterförmige
Tontafeln, so bestanden die
ägyptischen, griechischen, hellenistischen und frühen
römischen Bibliotheken aus Papyrusrollen, bis diese Form durch
den Codex abgelöst wurde und erst das
bedeutend teurere Pergament neben den Papyrus trat und
wesentlich später das Papier Papyrus wie Pergament
verdrängte2. Diese Veränderungen haben
natürlich auch wesentliche Konsequenzen für den
Erkenntnisprozess, weil etwa die Umstellung auf den
Codex das vergleichende Arbeiten wesentlich erleichtert
hat (ein nützliches Instrument war das Bücherrad3) und weil
auch das Kopieren von Codices wesentlich einfacher ist
als das von Rollen – man kann Codices unschwer in Lagen
zerlegen und diese gleichzeitig abschreiben lassen.
Gravierende Veränderungen traten ein durch die
Entwicklung des Buchdrucks, anfangs und wenig verbreitet
durch Blockbücher, dann aber eine Revolution auslösend
durch Gutenberg mit beweglichen Lettern.
Erst im ausgehenden 20. Jahrhundert bahnte sich
durch die rapide Ausweitung der elektronischen Medien im
Zusammenwirken mit der Kostenfrage eine Entwicklung von
ähnlicher Tragweite an, deren Folgen sich noch nicht
absehen lassen. |
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Frühe Nachrichten über große Bibliotheken
stammen aus dem 3. Jahrtausend – wir wissen von der
Bibliotheken Assurbanipals mit einer Unzahl von
Keilschrifttäfelchen, deren Texte relativ kleine
Einheiten darstellten und eher unübersichtlich
waren4. Die in Mesopotamien
entwickelte Katalogisierungstechnik hat noch in das
Museion Eingang gefunden. In Ägypten wurden „Bücher“ im
Tempelbezirk aufbewahrt, z.T. vermischt mit Archivalien.
Konkreter werden unsere Informationen hinsichtlich der
Bibliotheken im alten Griechenland ab dem 6. Jh
(Bibliotheken der Tyrannen), im 5. Jh kommt es zur
Entstehung von Privatbibliotheken – Euripides ist von Aristophanes wegen seiner
Büchersammlerei verspottet worden. Platon dürfte in der Akademie eine
beachtliche Bibliothek aufgebaut haben, manches um einen
enormen Preis, so vermutlich die Lehren des Pythagoras in der Aufzeichnung von
dessen Schüler Philolaos. Aristoteles hat als erster Grieche –
so bezeugen es Strabon und andere Autoren – planmäßig
und mit dem Ziel der Vollständigkeit Bücher gesammelt
und besaß, das ist sicher bezeugt, eine hervorragende
Bibliothek5. |
Die bedeutendsten Großbibliotheken des
Altertums waren zweifellos jene im hellenistischen
Alexandreia und in Pergamon. |
Die Bibliotheken in Alexandreia – die des
Museions zusammen mit der des Serapeions (die einer
breiteren Öffentlichkeit gewidmet sein dürfte) –
bildeten gemeinsam den größten bekannten
Bibliothekenkomplex des Altertums. Wohl noch Ptolemaios I.
Soter (323–280) gründete spätestens um 288 das Museion =
Haus der Musen6 als ein Haus der
wissenschaftlichen Forschung und Lehre, eine Akademie
gewissermaßen, für das ein eigener großer Gebäudekomplex
errichtet wurde. Das neben dem königlichen Palast
situierte Museion besaß einen Peripatos, eine edexra (Katheder resp.
Hörsaal) und einen großen Speisesaal für die Mitglieder,
die laut Strabon vom König zu einem Musenkult
verpflichtet, stipendiert und von der Steuer befreit
waren; der König selbst bemühte sich um sorgfältige
Auswahl der an diese Anstalt zu Berufenden. Das Museion
war die direkte Fortsetzung des Lykeion des Aristoteles, auf den man sich anfangs
auch stützt, man betreibt jedoch weniger beschreibende
Naturwissenschaften als Mathematik und die
astronomischen, optischen und mechanischen Bereiche der
Physik, die Lehre vom Luftdruck und die Hydrostatik. Die
Ptolemaier luden führende Gelehrte ein, nach Alexandreia
an das Museion zu gehen, gewährten ihnen großzügige
Gehälter und überließen sie ihren wissenschaftlichen
Neigungen. Der Bibliotheksaufbau in Alexandreia begann
vermutlich bereits mit dem ersten Ptolemäer, die
Hauptleistung aber erbrachte Ptolemaios II.
Philadelphos (280–247), der unter dem Einfluß
der Peripatetischen Schule den Plan fasste, die gesamte
griechische Literatur komplett zu sammeln. Zu diesem
Zweck ließ er durch Beauftragte im gesamten
Mittelmeerraum systematisch Texte aufkaufen – zuerst in
Athen und in Rhodos als den Hauptplätzen des Buchhandels
jener Zeit. Ptolemaios III.
Euergetes (247–221) zwang alle Ankömmlinge im
Hafen von Alexandreia, ihre mitgeführten Bücher ihm
gegen rasch angefertigte Abschriften zu überlassen, wozu
ein Heer von Abschreibern nötig war; in Athen borgte er
das Staatsexemplar der großen Tragiker aus und ließ das
Pfand von 15 Talenten verfallen7.
Hinsichtlich der Erwerbungen rief man konkrete Projekte
ins Leben; der Versuch, sämtliche Schriften des Aristoteles zu erwerben, scheiterte
allerdings an der Konkurrenz eines Privatsammlers, der
schneller war. Es sind unter den Ptolemaiern
Übersetzungen aus dem Ägyptischen, Phönizischen,
Hebräischen, Aramäischen in das Griechische angefertigt
worden und sogar ägyptische und mesopotamische Autoren
haben historiographische Werke zu ihren
Nationalgeschichten in griechischer Sprache verfasst.
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Die Bibliotheken in Alexandreia waren – die
des Museions zusammen mit der des Serapeions (die einer
breiteren Öffentlichkeit gewidmet sein dürfte) –
bildeten gemeinsam größte des Altertums und sie wuchs,
bis sie im Jahre 48/47 im Zusammenhang mit Caesars
Ägyptenfeldzug teilweise verbrannte. Wohl noch
Ptolemaios I. Soter (323–280) gründete spätestens um 288
das Museion = Haus der Musen8 als ein Haus
der wissenschaftlichen Forschung und Lehre, eine
Akademie gewissermaßen, für das eine eigener großer
Gebäudekomplex errichtet und eine große, bald riesige
Bibliothek aufgebaut wurde. Das neben dem königlichen
Palast situierte Museion besaß einen Peripatos, eine
edexra (Katheder) und einen großen Speisesaal für die
Mitglieder, die laut Strabon vom König zu einem Musenkult
verpflichtet, stipendiert und von der Steuer befreit
waren; der König selbst bemühte sich um sorgfältige
Auswahl der an diese Anstalt zu Berufenden. Das Museion
war die direkte Fortsetzung des Lykeion des Aristoteles, auf den man sich anfangs
auch stützt, man betreibt jedoch weniger biologische
Naturwissenschaften als Mathematik und die
astronomischen, optischen und mechanischen Bereiche der
Physik, die Lehre vom Luftdruck und die Hydrostatik. Die
Ptolemaier luden führende Gelehrte ein, nach Alexandreia
an das Museion zu gehen, gewährten ihnen großzügige
Gehälter und überließen sie ihren wissenschaftlichen
Neigungen. Der Bibliotheksaufbau in Alexandreia begann
vermutlich bereits mit dem ersten Ptolemäer, die
Hauptleistung aber erbrachte Ptolemaios II.
Philadelphos (280–247), der unter dem
Einfluss der Peripatetischen Schule den Plan fasste, die
gesamte griechische Literatur komplett zu sammeln. Zu
diesem Zweck ließ er durch Beauftragte im gesamten
Mittelmeerraum systematisch aufkaufen – zuerst in Athen
und in Rhodos als den Hauptplätzen des Buchhandels jener
Zeit. Ptolemaios III.
Euergetes (247–221) zwang alle Ankömmlinge im
Hafen von Alexandreia, ihre mitgeführten Bücher ihm
gegen rasch angefertigte Abschriften zu überlassen, wozu
ein Heer von Abschreibern nötig war; in Athen borgte er
das Staatsexemplar der großen Tragiker aus und ließ das
Pfand von 15 Talenten verfallen9.
Hinsichtlich der Erwerbungen rief man konkrete Projekte
ins Leben; der Versuch, sämtliche Schriften des Aristoteles zu erwerben, scheiterte
allerdings an der Konkurrenz eines Privatsammlers, der
schneller war. Es sind unter den Ptolemaiern
Übersetzungen aus dem Ägyptischen, Phönizischen,
Hebräischen, Aramäischen in das Griechische angefertigt
worden und sogar ägyptische und mesopotamische Autoren
haben historiographische Werke zu ihren
Nationalgeschichten in griechischer Sprache verfasst.
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Das allgemeine Ziel der Bibliothek war
nicht nur die Sammlung griechischen Autoren, sondern von
Texten aus aller Welt. Werke inländischer und
ausländischer Autoren wurden ins Griechische übersetzt;
als erstes begann man mit den Hieroglyphenschriften im
eigenen Land. Das diente nicht nur dem Wissenstransfer,
sondern sollte auch der Stärkung der königlichen Macht
dienen. Erkannte man eine abweichende Version eines
schon vorhandenen Werkes, so wurde diese ebenfalls
erworben, um den Text kritisch zu bearbeiten. |
Sehr schnell Aufnahme fanden Übersetzungen
der heiligen jüdischen Texte (das Alte Testament). Ptolemaios II. schickte eine
Delegation nach Jerusalem und erbat sich Schriftgelehrte
zur korrekten Übersetzung. Sie sollte von der Mitte des
3. bis Anfang des 2.Jh.v.Chr. dauern. Einige der auf uns
gekommenen Bibeltexte basieren auf dieser Arbeit, so die
Septuaginta. Plinius d. Ä. berichtete über den
breiten Raum, den auch orientalische Kulte, einnahmen.
Hermippos, ein Schüler des Kallimachos, soll ein Buch über den
Zoroastrismus mit mehr als zwei Millionen Zeilen
verfasst haben, was nur auf breiter Literaturgrundlage
denkbar ist. Ptolemaios II. ließ sich vom indischen
König Ashoka buddhistische Werke senden.
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Eine derart organisierte Einrichtung
benötigte zahlreiches qualifiziertes Personal:
Bibliothekare ordneten die Bücher ein, katalogisierten
sie; Schreiber kopierte die Texte, wobei auch zur
Erneuerung kopiert wurde (Papyrus ist ein wenig
haltbares Material); Hilfskräfte besorgten die sonstigen
nötigen Arbeiten. – Die Leiter der Bibliothek wurden vom
König ernannt und waren manchmal auch als
Prinzenerzieher tätig. |
Die Bibliothek des Museions war wohl nicht
öffentlich zugänglich. Die Institution als Ganzes hatte
den Charakter einer Akademie oder eines
Forschungsinstituts, dessen zentrales Instrument die
Bibliothek war. Alexandria war im Hellensimus das
geistige Zentrum schlechthin und stellt den Höhepunkt
der antiken wissenschaftlichen Arbeit dar. Viele
Entdeckungen wurden in den Peristylen und Exedren des
Gebäudes gemacht. Von Herophilos von Chalkedon sollen hier
die ersten medizinischen Obduktionen durchgeführt worden
sein. Der Mechaniker Ktesibios entwickelte raffinierte
Wasseruhren und andere Mechanismen, Aristarch
von Samos erkannte
das heliozentrische Weltbild und Hipparch katalogisierte die Sterne.
Bekannte Grössen wie Archimedes von Syrakus und Euklid nutzen die anregende Atmosphäre
für ihre Werke. Neben den Naturwissenschaften kamen auch
Malerei, Philosophie, Literatur und philologische Arbeit
nicht zur kurz: Zenodotos von Ephesos war vermutlich
der erste, der das Werk Homers in 24 Gesänge gliederte steht
somit und am Beginn der kritischen Auseinandersetzung
mit dem Werk; die Zusammenführung zahlreicher
verschiedener Texte eines Werkes – etwa der Ilias –
wirkte auslösend und fördernd für die Entwicklung der
Textkritik und der philologischen Arbeit überhaupt;
Aristophanes von Byzanz begründete die
wissenschaftliche Lexikographie und führte das heute
noch gültige Akzentsystem im Altgriechischen ein. Aristarch von Samothrake entwickelte
seine ebenfalls immer noch gültige Grammatik. Insoferne
kommt dem Museion auch der Charakter einen Akademie der
Wissenschaften zu. |
Über den Umfang der Bibliothek des Museions
gibt es unterschiedliche Auffassungen, da zwischen
Rollen, die nur ein Werk enthalten und
Sammelhandschriften zu unterscheiden ist.
Historisch-kritisch belangvoll sind Aussagen über
400.000 (weniger wohl jene über 700.000) Rollen. |
Die Reihe der Leiter der Bibliothek des
Museions (die nicht identisch waren mit den Leitern des
Museions an sich, welche Priester waren) ist durch
Papyri bis zum Jahr 145 vChr genau
überliefert10.
145 vChr hat Ptolemaios VII. die Mitglieder des
Museions aus der Stadt vertrieben und einen Offizier als
Bibliothekar eingesetzt. Als Caesar 48/47 feindliche Schiffe im
Hafen von Alexandreia in Brand setzen ließ, griff das
Feuer auf eine Reihe von Gebäuden über und zerstörte
auch Bestände der Bibliothek des Museions – Caesar selbst hat dieses eindeutig
belegbare Ereignis in seinen Schriften verschwiegen. Für
die Folgezeit wird eigentlich nur mehr die Bibliothek
des Serapeions erwähnt – spätere Autoren wie Ammianus Marcellinus übertrugen die
Brand-Geschichte auf das Serapeion, weil sie von der
Existenz des Museions gar keine Kenntnis mehr hatten.
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Die alexandrinische Katechetenschule baut
auf der Bibliothek des Serapeions auf. 391 nChr gab es
unter dem Patriarchen Theophilos einen Tempelsturm, bei dem
auch das Serapeion gestürmt und wohl auch die Bibliothek
schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde11. Die Reste der vermutlich
durch die Christen wieder vermehrten (zeitweise aber
auch als heidnisch bekämpften) Bibliothek dürften bei
der Eroberung Alexandreias durch die Perser 619 und vor
allem durch die Muslime 642 untergegangen sein12) – ein ungeheurer und in
seiner Tragweite letztlich unabschätzbarer Verlust!
Festzuhalten ist, dass Alexandria immer eine griechische
Stadt, letztlich außerhalb Ägyptens, gewesen ist. |
Der alexandrinische Bibliothekenkomplex war
eine der wichtigsten kulturerhaltenden Institutionen der
Weltgeschichte – erhebliche Teile unseres Wissens über
die Antike sind durch die Konservierung von Texten im
Museion innerhalb der Antike – indem sie dann von
anderen bearbeitet wurden – und durch die nach dem
Vorbild des Museions in Analogie aufgebauten kleineren
Sammlungen zustandegekommen. |
Die zweite große Bibliothek des klassischen
Altertums war die der Attaliden im kleinasiatischen
Pergamon13, die aber an Bedeutung
wohl nicht an die Bibliotheken im Museion und Serapeion
herankam. Ihr Gebäude ist im Unterschied zum Meuseion
durch Ausgrabungen relativ gut bekannt; es handelte sich
um einen 40 m langen Bau mit drei Magazinsälen und einem
großen Lesesaal. Dem Bau nach schätzt man das
Fassungsvermögen auf 160-195.000 Rollen (Plutarch gibt 200.000 an). |
Materialmassen wie jene in Alexandreia –
neuere Einschätzungen belaufen sich auf 400.000
„Bücher“14 – waren natürlich nur
durch systematische Ordnung brauch- und benutzbar.
Zuerst wurden alle Eingänge hinsichtlich ihrer Herkunft
markiert, es wurde der Ursprungsort, d.h. die Stadt der
Erwerbung der Schrift, vermerkt; im Hafen requirierte
Bücher erhielten die Bezeichnung „vom Schiff“; dann
folgten – insofern bekannt – der Name des früheren
Eigentümers, der Name des Verfassers und eines
allfälligen Kommentators, Verlegers oder Korrektors
sowie eine Angabe zum Umfang des Werkes in Zeilen.
Vermutlich gab es dazu einen alphabetischen Index. Unter
Ptolemaios
Philadelphos bereits wurde eine systematische
Feineinteilung erstellt. Kallimachos aus Kyrene 300–240, ein
Dichter, erhielt den Auftrag, einen Katalog zu
erstellen: die Pinakes.
Dieser Katalog bot ein Sachverzeichnis in 120 Bänden,
die sich – soweit aus dem Überlieferten erschlossen
werden kann – auf 6 poetische und 5 prosaische
Abteilungen (Epos, Elegie, Jambos, Melos, Tragödie,
Komödie – Geschichte, Rhetorik, Philosophie,
einschließlich Mathematik, Naturwissenschaften u.ä.,
Medizin und Gesetze) aufteilten. Zu jedem Autor gab es
eine kurze Biographie mit Lebensdaten und ein
Werkverzeichnis, jedes Werk wurde durch Titel, Incipit,
Zahl der Rollen und Gesamtzahl der Zeilen gekennzeichnet
– es sind dies die Anfänge der genauen Buchbeschreibung
im bibliothekarischen Sinne, wie sie wahrscheinlich aus
Mesopotamien übernommen worden sind – dasselbe System
findet sich im Prinzip bereits in der Bibliothek des
Assurbanipal.
Diese Organisationsform ist zum Vorbild für die späteren
Bibliotheken geworden. |
Neben den erwähnten Großbibliotheken
bestanden kleinere an Fürstenhöfen, durch Stifter
finanziert an Gymnasien und an den diversen
Philosophen-Schulen, auch bei Tempeln; von
Privatbibliotheken finden sich bei den Griechen kaum
Spuren. Später, unter römischer Herrschaft finden sich
auch Bibliotheken als selbständige Anlagen – z.B. die
Celsus-Bibliothek in Ephesos15. Bei den Römern wurde
eine erste öffentliche Bibliothek durch Asinius Pollio eingerichtet. Im
weiteren entstehen große Privatbibliotheken mit
vornehmlich griechischen Schriften. Caesar fasste den Plan einer großen
öffentlichen Bibliothek in Rom, realisiert wurde das
allerdings erst durch Augustus mit der sogenannten Octaviana und
dann der Bibliotheca Palatina16, eine Reihe
von kaiserlichen Bibliotheken in Rom ist abgebrannt.
Später gehörte es zum guten Ton, eine Bibliothek im
eignen Haus zu haben. Die Einrichtung eines römischen
Bibliothekszimmers lassen uns Vitruv und Plinius d. Ä., aber auch die
Ausgrabungen in Herculaneum erkennen17. Im
4. Jh soll es in Rom 29 öffentliche
Bibliotheken gegeben haben, die gut frequentiert worden
sein sollen. Gab es schon im Athen des 5. Jhs
Buchhandlungen, so entstanden in Rom dann Verlagshäuser,
in denen hunderte Librarii (= Handschriften kopierende
Sklaven) beschäftigt waren, sodass von einem Werk auch
1000 Exemplare zum Verkauf standen, was überhaupt erst
den Aufbau der zahlreichen großen Privatbibliotheken
ermöglichte, die in der Kaiserzeit existierten18. |
Der Aufbau früher christlicher Bibliotheken
wird vor allem durch die Bibliothek des Origines in Caesarea (nahe dem
heutigen Tel Aviv) markiert, wo Origines als Verbannter von 231 bis zu
seinem Tod 253 lebte. Die Bibliothek ist bis gegen 380
nachweisbar, über ihr weiteres Schicksal wissen wir
nichts. Ab dem 4. Jh kommt es dann zur Entwicklung
von Kirchenbibliotheken, bald auch von
Klosterbibliotheken. |
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In Byzanz19 gab es eine Reihe von
bedeutenden Bibliotheken, und es sind auch
Katalogfragmente überliefert – dennoch wissen wir
relativ wenig. Die kaiserliche Bibliothek in
Konstantinopel wurde 1203 von den flämischen
Kreuzfahrern in Brand gesteckt, 1204 gab es weitere
Verluste im Zuge der Eroberung – die Soldaten zogen mit
auf den Lanzen aufgespießten Codices durch die Straßen;
1453 existierte die Bibliothek noch. In steigendem Maße
gewannen auch im byzantinischen Reich kirchliche
Bibliotheken an Bedeutung – die Patriarchatsbibliothek
ab 610, dann zahlreiche Klosterbibliotheken. Nicht als
selbstverständlich sind eigene Bibliotheken an den
„Hochschulen“ anzunehmen. In den byzantinischen
Provinzen sind natürlich auch die Bibliotheken auf dem
Berg Athos bedeutend, doch sie enthalten praktisch nur
kirchliche Handschriften, kaum ältere klassische,
weltliche Manuskripte. Zweifellos sind 1453 enorme
Bücherschätze verlorengegangen. Enea Silvio
de
Piccolominibus
schreibt dazu an den damaligen Papst Nikolaus V am
12. Juli 1453: " Quid de libris
dicam, qui illic erant innumerabiles, nondum
Latinis cognit? Heu quod nunc magnorum nomina
virorum peribunt. Secunda mors ista Homeros est,
secundus Platoni obitus. Ubi nunc philosophorum
aut poetarum ingenia requiremus? Extinctus est
fons Musarum." Der Kardinal Isidor, Erzbischof von Kiew, hat als
Augenzeuge davon gesprochen, daß 120.000 Bücher
verlorengegangen seien. Die Zahl mag übertrieben sein,
tatsächlich ist aber vieles vernichtet worden, die
Edelmetallbeschläge der wertvolleren
Handschrifteneinbände wurden abgerissen und verkauft.
Vermutlich war die spätere Bibliothek im Serail eine Art
Sammelbecken der alten Bibliotheken des eroberten
Konstantinopel. Zwischen 1574 und 1593 sah der damalige
Leibarzt des Sultans, der Jude Dominico Yerushalemi, im
Topkapi-Serail in
Konstantinopel noch eine Reihe sehr wertvoller alter
Handschriften: Altes Testament, Neues Testament,
Historiographie etc. – In der Neuzeit sind, z.T. schon
im 15. Jh, zahlreiche Manuskripte von westlichen
Gelehrten, oft auch von Diplomaten im Auftrag ihrer
Konstituenten, aufgekauft worden, die letztlich aus den
alten byzantinischen Bibliotheken stammten (so
beispielsweise die berühmte, heute in der
Österreichischen Nationalbibliothek in Wien befindliche
Dioscurides Handschrift). |
Bedeutende Bibliotheken existierten auch im
syrischen Raum (Antiochien, Beirut, Edessa), wo syrische
Gelehrte als Mittler zwischen der griechisch-antiken
Kultur und den Persern auftraten und zahlreiche Werke
übersetzten. Als 641 die Araber das persische Reich
eroberten, gerieten die Syrer natürlich unter arabische
Oberhoheit und nahmen dort in bezog auf die geistigen
Aktivitäten eine wichtige Position als Mittler und
Übersetzer gegenüber Byzanz bzw. zum alten Griechenland
hin ein. |
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Im muslimischen Raum haben sich bedeutende
wissenschaftliche Zentren herausgebildet20 – es sind hier nicht
allein die Bibliotheken in Betracht zu ziehen, sondern
auch die großen Observatorien und hinsichtlich der
Medizin wohl auch die großen Spitäler, denen mitunter
Klinikcharakter zukam. Die Mehrzahl dieser Einrichtungen
befand sich anfangs (in der Abbasidenzeit) in Bagdad,
dann aber in den großen Zentren des Ostens: in Rayy,
Isfahan, Shiraz, Sarmakand, aber auch in Kairo und im
syrischen Raum, insbesondere in Damaskus. |
Im Islam galt stets der Grundsatz, daß die
Bildung nicht ein Monopol bestimmter Schichten und
Kreise sein dürfe. So haben auch die hohen arabischen
Würdenträger ihre Privatbibliotheken den Gelehrten
offengehalten und die Errichtung öffentlicher
Bibliotheken betrieben, die nicht selten aus Stiftungen
von Privatbibliotheken hervorgegangen sind. Neben diesen
öffentlichen Bibliotheken entstanden in weiterer Folge
die Bibliotheken in den den Moscheen angeschlossenen
Schulen, den Medresen21, die
allerdings thematisch nie jene Reichhaltigkeit
entwickelten wie große Bibliothek des „Hauses der Weisheit“22 (oder „Schatzkammer der Weisheit“,
bayt al-hikma) im
abbasidischen Bagdad23; diese
Institution wurde, noch als Privatbibliothek des
Herrschers, bereits in der Regierungszeit Harun al-Raschids angebahnt und in der Folge
von al-Mamun, dem Nachfolger al-Raschids; intensiv gefördert und
für wissenschaftlich Interessierte zugänglich gemacht.
Der Begriff hikma in der
Bezeichnung dieser Einrichtung ist nicht nur mit
„Weisheit“ oder „Philosophie“ zu übersetzen, sondern
bezieht sich auf alle Erkenntnisbereiche, wie man sie
rezipiert hat, also auch die „rationalen“, „empirischen“
Wissenschaften. Die Bibliothek dieser Institution soll
sehr viele Handschriften besessen haben; die spätere
Überlieferung bezüglich des Erwerbs von Manuskripten aus
Byzanz im Wege von vertragsabschlüssen und anderen
Staatsaktionen dürfte wohl zutreffen, letztlich aber
inferiorer Bedeutung sein gegenüber dem Umstand, dass im
hellenistischen Raum des Vorderen Orients einschließlich
Ägyptens zahlreiche Institutionen, vielfach christliche
Klöster, noch immer existierten, die über wesentliche
Teil des alten Wissengutes verfügten und oft auch
ihrerseits, in das Syrische vor allem, übersetzten,
sodass Übersetzungs- und Arbeitsunterlagen wohl
schneller und leichter von dort denn aus Byzanz zu
beschaffen waren. |
Die Bedeutung des Bayt al-hikma für das
arabisch-muslimische Übersetzungswerk ist nicht wirklich
klar erkennbar; es waren wohl etliche der Übersetzer
dort beschäftigt, die Mehrzahl der Übersetzer aber
bezieht sich auf konkrete Anregungen oder Aufträge durch
den Kalif oder hochrangige Mitglieder des Hofes. Die in
einer neueren Arbeit entworfene Organisation der
Institution, derzufolge ein Sekretär einen richtigen
Übersetzungsbetrieb organisiert haben sollte, kann nicht
verifiziert werden. Die Aufgabe der Einrichtung war
offenbar nicht mehr, als Manuskripte und Übersetzungen
zur Verfügung zu stellen. Vermutlich hat das Bayt
al-hikma eine bedeutendere Rolle bei der Entwicklung der
Mutazila, der rational orientierten Auffassung des
Islam, gespielt, die allerdings im 10. Jh der
mittlerweile wieder erstarkten Orthodoxie unterlegen
ist24. Wahrscheinlich hat das
Bayt al-hikma die sunnitisch-orthodoxe Reaktion des
Nachfolgers von al-Mamun, al-Mutawakkil (847–861), der die
Richtung der Mutazila verdammte, wenn überhaupt, nur mit
Mühe überstanden. |
Das wissenschaftliche Leben ist allerdings
nicht schlagartig erlahmt: 967 wurden im Hause eines
aufmüpfigen Abassidenprinzen 17.000 Bücher
beschlagnahmt. Um 1000 gab es in Bagdad 100 Buchhändler,
und am Ende der Blütezeit, als die Stadt 1258 von den
Mongolen erobert wurde, existierten in Bagdad 36
Bibliotheken, von denen viele öffentlich zugänglich
waren und in denen der Benützer einen Schreibplatz und
–material vorfand. Bedeutende Bestände waren aber
bereits 1058/59 bei der Eroberung Bagdads durch den
Seldschukensultan Tughrul
Beg
zugrundegegangen; andere bedeutende Bibliotheken
überdauerten aber auch. Sukzessive sind aber offenbar
die großen Privatbibliotheken an die Medresen
(Koranschulen) oder auch an Spitäler übergegangen. |
Die Palastbibliothek der Fatimiden in Kairo weist im
10/11. Jh 200.000 Handschriften auf, die geordnet
in Kästen mit innen angeschlagenen Verzeichnis
untergebracht waren. 1005 richtete al-Hakim in Kairo ein
Haus der Wissenschaft – dar
al-hikma, mitunter auch als dar al-ilm bezeichnet –
ein, mit einer großen Bibliothek und freier
Schreibgelegenheit samt erforderlichem Material für
jedermann (etliche Jahresabrechnungen mit allen Details
sind heute noch vorhanden). 1068 ist die
Fatimidenbibliothek im Zuge der Eroberung Kairos durch
die Seldschuken weitgehend vernichtet worden25. Diese Bibliothek soll
wie andere in gewisser Hinsicht auch als ein
Propagandazentrum gewirkt haben. |
Als die Araber 711 über die Straße von
Gibraltar setzen und bei Xerez de la Frontera die
Westgoten besiegten, wurde Cordoba
innerhalb kurzer Zeit eine Rivalin von
Damaskus und Bagdad; es entsteht eine hervorragende
Schule; die Palastbibliothek des Umajjaden-Kalifen
al-Hakam al-Mustansir (961-976) von Cordoba26 soll im 10. Jh angeblich
über 400.000 Handschriften verfügt, der Katalog 44
Bücher gefüllt haben27. |
Die Bibliothek der Banu [Brüder] Ammar im
syrischen Tarabulus
(Tripolis im Libanon) soll 3 Millionen Einheiten
besessen haben, was wohl nicht denkbar ist, sie muß aber
doch außerordentlich groß gewesen sein. In Tripolis
bestand eine „Handschriftenfabrik“ mit 180 Schreibern,
die 1109 von den Kreuzfahrern geplündert wurde. Avicenna schildert eine große
Bibliothek in Buchara, die allerdings durch einen Brand
vernichtet wurde. Einzelne Bibliotheken im Osten zeigten
bereits die Grundstruktur moderner, neuzeitlicher
Bibliotheken – Leseraum, Depot etc. Differenzierung bzw.
Spezialisierung im Personal. |
Zu den großen muslimischen
wissenschaftlichen Institutionen sind auch die großen
Observatorien in Maragah, Rayy und Sarmakand zu zählen,
die Zentren mathematischer wie astronomischer und
physikalischer Arbeit gewesen sind, an der sich
Fachleute aus verschiedenen Völkerschaften
beteiligten28. |
Insgesamt muß festgehalten werden, dass in
den frühen Jahrhunderten des Islam ein relativ freier
Wissenschaftsbetrieb große Bedeutung erlangt hat;
ähnlich wie in der Frühphase der Universitäten fanden
sich Interessierte zusammen, die unter der Aufsicht
eines Erfahrenen ihre Studien betrieben: lasen,
kommentierten, diskutierten. So ist es auch zu
verstehen, wenn in vielen Biograpien muslimischer
Wissenschaftler erwähnt wird, der Betreffende habe mit
(d.h. bei) einem bestimmten Gelehrten studiert. Dies
änderte sich allerdings nach der Eroberung Bagdads durch
die Seldschuken, als eine rigorosere Einhaltung
einheitlicher, religiös dominierter Auffassungen
durchgesetzt wurde, und damit die Vielfalt des geistigen
Lebens eingeschränkt wurde. Es setzte nun die
Entwicklung der Medresen ein, deren Aufgabe es war, auf
der Basis des Korans Beamte für die Verwaltung, den
religiösen wie den juridischen Bereich auszubilden, die
den weltanschaulichen Ansprüchen der seldschukischen
Herrscher entsprachen – die erste Medrese wurde 1092
gegründet. Unter diesen Aspekten wurde der im
schulischen Bereich angebotene Stoff reduziert auf das,
was für die konkreten Zwecke unbedingt notwendig und
theologisch akzeptiert war, und das wieder wurde auf die
Vermittlung und Handhabung einfacher Verfahren
konzentriert. |
Die Entwicklung und Installierung der
Medresen veränderte auch die Situation der bis dahin
zahlreichen unabhängigen Bibliotheken – sie verschwinden
bzw. werden an die Medresen angeschlossen und verlieren
damit ihren säkularen Charakter. Die Entwicklung wurde
auch durch die Rechtsform der Stiftung29 mitbestimmt. Gleichzeitig
nahm die Zahl der Stiftung von Spitälern zu. Das
bestimmende Prinzip war: die Medresen wirkten für die
Seele im Sinne der Rechtgläubigkeit und die Spitäler für
den Körper. Die Zunahme der Spitäler fördete den
klinischen Unterricht im Bereich der Medizin, und
führende Kliniker in Syrien haben ihre Privathäuser als
Lehrzentren der Medizin gestiftet, worauf auch der
Begriff „Medizin-Medrese“ geprägt worden ist. Auf diese
Weise ist die Entwicklung der Medizin weiter
vorangegangen als manch anderer Wissenschaftsbereiche.
|
Freier vollzog sich die Entwicklung im
persischen und transoxanischen Bereich bzw. unter den
Mongolen in Sarmakand bis zum Tode Ulug Begs 1449. Die Entwicklung auf
der iberischen Halbinsel setzte hinsichtlich der
Spitäler erst um 1366, also Jahrhunderte später, ein.
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Im christlichen Mittelalter entstehen
Bibliotheken in den Klöstern und natürlich an den ab dem
11. Jh entstehenden Universitäten sowie später auch
an Fürstenhöfen. Vor allem in der Frühzeit überwiegt das
theologische Schrifttum bei weitem. Obgleich Origines und Augustinus die Meinung vertraten, daß
das Wissen ein Schatz der Heiden sei, den sie
unrechtmäßig besäßen und der ihnen abzunehmen sei, so
vertraten andere in der Folge eine entgegengesetzte
Ansicht. |
Im Frühmittelalter ist es zuerst vor allem
Cassiodor, der in seinem Kloster Vivarium30 an der kalabrische Küste das Ideal des den Studien gewidmeten
Mönchs entwickelte, der sich mit Hingabe dem
Abschreiben, der Mehrung der überlieferten Handschriften
widmet – das Studium tritt neben das Gebet. Cassiodorus libripotens
organisiert das Abschreiben, die Textkritik,
die Korrektur und Kommentierung der Texte. Die
Bibliothek in Vivarium ist in griechische und
lateinische Autoren gegliedert, die nach Gruppen in den
einzelnen Armarien (Bücherschränken) untergebracht sind.
Die Bibliothek von Vivarium ist allerdings offenbar bald
nach Cassiodors Tod untergegangen. Mehr
Kontinuität ergab sich in Monte Cassino, dem 529 von Benedikt von Nursia gegründeten
Stammkloster der Benediktiner, weiters in Bobbio, dem
614 von Columban von Luxeuil gegründeten und
1803 aufgehobenen Kloster in Oberitalien, wohin auch
wertvolle irische Handschriften gelangten, darunter das
berühmte Antiphonar von Bangor (nahe Belfast). Ein
Zentrum der Handschriftensammlung blieb trotz allen
Niedergangs auch Rom, wo ab dem 4. Jh langsam eine
päpstliche Bibliothek
entsteht, deren Leiter im 8. Jh auch
als „Staatssekretär“ des Papstes fungierte; diese frühe
Bibliothek ging jedoch aus unbekannten Gründen verloren.
Auch die folgende Bibliothek musste aus politischen
Gründen häufig transferiert werden – nach Perugia, nach
Asissi und dann nach Avignon, wo mit dem Tod von Papst
Bonifaz VIII.
1303 neuerlich der größte Teil der Bibliothek
verlorenging; erst 1447 kam es zu einem organisierten
Neubeginn, es wurden damals 350 Werke in verschiedenen
Sprachen registriert, die den Grundstock der jetzigen
Bibliotheca Vaticana bildeten. Sehr bald wurde ein
Bestand von 1500 Werken erreicht – damals eine der
größten Bibliotheken in Europa. Es folgte ein rascher
Ausbau und dementsprechend ein eigener, 1587 begonnener
Bau. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden die
Archivalien ausgegliedert, und es wurde die Bibliothek
nach dem heute noch verwendeten System aufgestellt.
Zahlreiche Schenkungen erweiterten die Bibliothek – u.a.
1623 die Bibliothek von Heidelberg, die Bibliotheca
Palatina (s.w.u.). Zu Ende des 19. Jahrhunderts
setzte eine Modernisierung und Öffnung ein. |
Im Westen muss Isidor von Sevilla über eine große
Bibliothek verfügt haben, er ist der letzte, der das
antike Wissen wohl noch weitgehend zur Verfügung hat,
seine Bedeutung für das Mittelalter ist kaum zu
überschätzen. Eine sehr eigenwillige und besondere
Stellung nimmt Irland ein, wo ebenso wie in England und
im schottischen Bereich bedeutende Skriptorien entstehen: auf der Insel
Iona, in Bangor, in Lindisfarne Castle (auf der
gleichnamigen Insel, auch als Holy Island bezeichnet), Canterbury,
Wearmouth-Jarrow (Beda Venerabilis) und in York (Alkuin). In Frankreich sind Corbie,
Luxeuil, im deutschen Raum später Echternach und
Reichenau, auch Fulda und St. Gallen bedeutende Zentren
des Schriftkultur31. Alle diese
Zentren können aber keineswegs mit den zeitgleichen
Zentren im muslimischen Raum verglichen werden. In der
karolingischen Periode ist die Hofbibliothek Karls des Großen das
Zentrum – über diese Bibliothek wissen wir nur wenig,
zumal unklar ist, ob ein überliefertes Verzeichnis
wirklich ihr zuzuordnen ist. Karl der Große hat
sich aber auch um die Errichtung von Bibliotheken in den
Provinzen seines Reiches gekümmert und hatte vermutlich
die Absicht, einen Gesamtkatalog der in seinem
Einflußbereich befindlichen Handschriften erstellen zu
lassen. Leider verfügte er, dass die Bücher nach seinem
Tod an Meistbietende zu verkaufen seien und der Erlös
mildtätig verwendet werden sollte32.
Der inhaltliche Rahmen der in den erwähnten Bibliotheken
gesammelten Literatur ist naturgemäß sehr bescheiden und
ebenfalls in keiner Weise mit den muslimischen
Bibliotheken jener Zeit vergleichbar. |
Im Kloster St. Gallen – gegründet von
Gallus 613 – entstand mit irischer
Hilfe eine große Bibliothek und ein bedeutendes Zentrum
der Gelehrsamkeit, das seinen Höhepunkt im 9. und
10. Jh erlebte und in dem eine enorme
Abschreibtätigkeit geleistet wurde. Die Ausgestaltung
der Bibliothek wurde von Abt Gozbert (816-836)
eingeleitet und übertraf bald alle christlichen
Bibliotheken ihrer Zeit, enthielt jedoch an profanen
Schriften nur solche zu Recht, Geschichte und
Schulliteratur, aber praktisch keine Klassiker. |
Stärker ist der Anteil profaner Literatur
auf der Reichenau (724 gegründet), wo man über
geschichtliche Werke, Arbeiten zu Computistik und
Medizin sowie über Klassiker als Schulliteratur
verfügte. Weitere wichtige Klosterbibliotheken waren
Lorsch, Echternach, Hersfeld, Korvey – herausragend aber
Fulda und Cluny33. Die neuen
Orden wie Zisterzienser, Kartäuser, Augustiner
Chorherren haben die Tradition der Literaturarbeit
übernommen. Im 11. und 12. Jh entwickelt sich ein
reger Leihverkehr zwischen den Klöstern, auch im
bayrischen und österreichischen Raum – es kommt zu einem
starken Anwachsen der Handschriftenbestände, aber ohne
wesentliche inhaltliche Erweiterung; diese wird erst
durch das Übersetzungswerk bewirkt. |
Im 12. und 13. Jh werden die
Klosterbibliotheken in ihrer Bedeutung langsam von den
Bibliotheken im Bereich der
Universitäten abgelöst – es handelt
sich dabei freilich um Bibliotheken einzelner Bereiche,
zumeist der Kollegien, nicht einer Universität
insgesamt. Maßgebliche Veränderungen werden durch die
Verwendung des Papiers bewirkt, die eine Steigerung und
Verbilligung der Produktion erlaubt – professionelle,
zunftmäßig organisierte Schreiber treten gegenüber den
klösterlichen Skriptorien in den Vordergrund34: Maßgeblich für die
weitere Entwicklung ist, daß Anselm von Canterbury und nachfolgend
andere – im Unterschied zur etwa gleichzeitigen
gegenläufigen Entwicklung im Islam – der Vernunft einen
gewissermaßen ebenbürtigen Platz neben dem Glauben
zuweisen bzw. sie in eine konkrete Beziehung zum Glauben
setzen. Die profanen Disziplinen werden so neben der
Theologie anerkannt und nehmen ihre mehr und mehr
eigenständige Entwicklung. Im 12. Jh kommt es zu
einer großartigen Blüte der Pariser Schulen – die
älteren Schule der Chorherren von St. Victor und andere
werden durch die Schule nahe Notre-Dame auf der
Seine-Insel überflügelt und noch vor 1200
zusammengeschlossen und durch ein Immunitätsprivileg
Philipp Augusts
begünstigt: es entsteht das Studium Parisiense, das eine
öffentliche Schule ist, ein studium
generale35. Gegenüber
den bereits bestehenden Universitäten zu Salerno und
Bologna verfügt Paris im Prinzip bereits um 1200 um die
Struktur der vier Fakultäten (wenn auch ohne weltliches
Recht). Das älteste Pariser Kollegium wird um 1180
gegründet; um 1250 erfolgte die namensgebende Stiftung
seitens Robert de
Sorbonas, die zum Zentrum der theologischen
Studien wird und wo – wesentlich durch die Schenkungen
der Mitglieder des Kollegs, von denen 170 wenigstens
ihre Bücher dem Kollegium vermachten – sehr schnell eine
große Bibliothek aufgebaut wird, die später mit der
päpstlichen Bibliothek in Avignon konkurriert und die
bedeutendste Universitätsbibliothek des Mittelalters
überhaupt wird36. In den übrigen
romanischen Ländern blieb die Entwicklung der
Universitätsbibliotheken zurück, da dort die stationarii viel größere
Bedeutung erlangten als in Paris – in Bologna z.B. hatte
jeder Stationarius 117 Werke vorrätig zu haben, die bei
ihm zu entlehnen oder zu kaufen waren. In England und
auch in Deutschland schloß man sich dem Pariser Usus an,
und die Stationarii erlangten keine besondere
Bedeutung37. |
Ihrer äußeren Form nach waren die frühen
mittelalterlichen Bibliotheken Armarien, also
„Schrankbibliotheken“ – die Bücher lagen in Schränken
(dazu die Abbildung #m#), was die Bindung schonte;
deshalb waren auch die Einbände vielfach mit Beschlägen
armiert, die sie schützten, und nicht selten befand sich
eine Kurztitel auf der dem Benützer zugewandten Seite
des Buchblocks. Diese Schränke standen vielfach an den
Wändern der Kreuzgänge, also noch nicht in eigenen
Räumlichkeiten. |
Erst später bildet sich der Usus heraus,
Bibliotheksräume mit Schränken und vor allem mit Pulten auszustatten, die entweder
einzeln oder gegenübergestellt, doppelseitig, im rechten
Winkel zu den Fenstern aufgestellt wurden. Die
Sorbonne-Bibliothek besaß 1289 28 Pulte, an denen 1017
Bände angekettet waren. Die Räume waren in der Regel
lang und relativ schmal sowie von beiden Längsseiten her
beleuchtet („Long Room“ im Trinitity College in
Dublin). |
Erst in der Neuzeit bilden sich dann mehr
oder weniger abgegrenzte nischenartige Benützereinheiten
heraus. |
|
Die Entstehung größerer Bibliotheken geht
nicht nur Hand in Hand mit einer Intensivierung des
Wissenschaftsbetriebes, sondern fördert auch die
Entstehung großer Enzyklopädien. So wird das 13. Jh
wieder ein Jahrhundert der allgemeinen Zusammenfassungen
des Wissens, der Enzyklopädien38 –
dies macht deutlich, wie sehr man sich in einem als
wesentlich erachteten Stadium angelangt fühlte. Führend
war Vinzenz von Beauvais († 1264),
ein Dominikaner, der auf Verlanlassung Ludwigs des Heiligen
das riesige „Speculum maius“ oder „Speculum
universale“ (auch
„Speculum quadruplex“) schuf, das alle Gegenstände zu
allen Zeiten behandeln sollte und in vier Teile
gegliedert war: naturale,
doctrinale, morale, historiale. Vinzenz von Beauvais verfügte über
beste Bibliotheken und über eine Schar von Mitarbeitern
(das Werk kann in dieser Hinsicht mit den riesigen
chinesischen Enzyklopädien verglichen werden), die aus
rund 450 lateinischen, griechischen, hebräischen und
arabischen Autoren exzerpierten, die auch zitiert
werden; Vinzenz von Beauvais selbst kannte nur
die lateinischen; der Text wurde in den Jahren 1244-1254
erstellt, später überarbeitet und mit zahlreichen
Zitaten aus Albertus Magnus und Thomas von Aquin angereichert. Das
Werk ist mehr bezüglich seines Umfanges als ob seiner
Qualität bedeutend; es handelt sich um eine eher
anspruchlose Kompilation, die auch nichts Neues enthält
und (begreiflicherweise) auch nicht immer am neuesten
Stand war; die Zielgruppe war, was man heute als das
"Bildungsbürgertum" bezeichnen würde. |
– |
Das Speculum naturale hat die
Form eines riesigen Kommentars zur Genesis – 32
Bücher mit 3718 Kapiteln – Meteorologie,
Geographie, Geologie, Astronomie, Chemie, Botanik,
Zoologie, Anatomie, Physiologie, Psychologie (mit
langer Erörterung der Natur der Träume) und
Astrologie, die aber nicht mit der Astronomie
vermengt wird. |
– |
Das Speculum doctrinale hat
17 Bücher mit 2374 Kapiteln und faßt die
theoretische und praktische Kenntnis im Bereich
Literatur, Moral, Mechanik, Physik, Mathematik und
Theologie zusammen und enthält auch ein
Wörterbuch. Grammatik, Logik, Landwirtschaft,
Recht und Regierung, Handel, Medizin, Chronologie,
Astronomie und Astrologie, Musik, Maße und
Gewichte, Entdeckungen. |
– |
Das Speculum historiale ist
eine Universalgeschichte vom kirchlichen
Standpunkt aus bis 1244, später bis 1254. 31
Bücher mit 3793 Kapiteln. 1244 schrieb er eine
kürzere Fassung Memoriale omnium temporum, 80
Kapitel. |
– |
Das Speculum morale stammt
nicht mehr von ihm selbst, sondern wurde von einem
unbekannten Autor erst 1310-1325 zusammengestellt,
also nach Vinzenz von Beauvaiss Tod; es ist
eigentlich eine Zusammenfassung des Thomas von Aquin, wird aber immer im
Rahmen des Gesamtwerkes gedruckt und angeführt. Es
besteht aus 3 Büchern mit 381 Abschnitten:
Leidenschaften und Tugenden, Inkarnation und
Leiden Christi, Tod, Purgatorium, Jüngstes
Gericht, Auferstehung, Hölle, Paradies, Sünden und
Strafen. |
|
Das gesamte Werk, das für eine wirklich
weite Verbreitung viel zu umfangreich und damit zu
kostspielig war, wurde 1473 in sieben Foliobänden
gedruckt (es stellt die größte bekannte Inkunabel dar)
und blieb für Jahrhunderte die Enzyklopädie im abendländischen
Bereich. |
Im kirchlichen Bereich fundamental war
Guilelmus Durandus (1230-1296) aus der
Languedoc, Bischof von Mende und die meiste Zeit an der
Kurie tätig, als Verfasser dreier wichtiger
enzyklopädischer Werke: |
– |
Speculum iudiciale =
Speculum iuris, 1271, überarbeitet 1287, eine
Synthese von Römischem und Kanonischem Recht, die
erste ihrer Art, ungeheure Verbreitung, oft
kommentiert, ist in 4 Bücher gegliedert: 1 Richter
und ihre Gewalt, Anwälte, Zeugen, Prozeßgegner
etc., 2 Zivilverfahren und kanonisches
Prozeßrecht, 3 Strafprozeßrecht, 4 Sammlung von
Formularen etc. |
– |
Repertorium
iuris canonici
(auch „Breviarium aureum“), ein Verschnitt des
kanonischen Rechts mit vielen Glossen |
– |
Rationale divinorum
officiorum, begonnen vor 1286, ist eine
der fundamentalsten Quellen zur katholischen
Liturgie, es ersetzte alle bis dahin verfassten
Schriften zu diesem Thema, die sorgfältig zitiert
werden, zerfällt in 8 Bücher: 1 Symbolismus der
kirchlichen Architektur und Kunst, 2 der Klerus, 3
kirchliche Kleidung, 4 Messe, 5 andere religiöse
Verrichtungen, 6 Sonntag und Feiertage, 7
Heiligentage (mit Argumenten gegen die unbefleckte
Empfängnis), 8 Computus (d.h. kirchliche
Zeitrechnung). |
|
Das Rationale ist als erstes Buch nach der
Bibel gedruckt worden (1459), unzählige Ausgaben
folgten. |
|
Im 14. und 15. Jh haben die neueren
klösterlichen Gemeinschaften – die Brüder vom
Gemeinsamen Leben des Geert Grote vor allem (fratres non verbo, sed scripto
praedicantes) – durch besonders
hochstehende Schreibleistungen die Reproduktion des
klassischen bzw. nichtuniversitären Schriftgutes
neuerlich gesteigert39. Noch im
15. Jhs begannen sich Klöster sehr früh für das
Drucken zu interessieren. Bereits 1466 ist in
St. Ulrich und Afra in Augsburg eine
Klosterdruckerei eingerichtet worden – berühmt und
wichtig war später die Druckerei der Benediktiner in
Tegernsee. |
Neben den Klöstern und den Universitäten
treten im Spätmittelalter die Fürsten und dann
schließlich reiche Bürgerliche als bibliophile Sammler
und Bibliotheksgründer auf. Im 14. Jh entwickelten sich
die französischen Könige einen Hang zur Bibliophilie,
und das Übersetzen in die Nationalsprachen kommt in
Mode, womit eine neuerliche Erweiterung des Buchwesens
eingeleitet wird. Es entstehen zahlreiche hochwertige
und mitunter kleinformatig gehaltene Handschriften – z.B. für den Duc Jean de Berry, die
burgundischen Herzöge, Prunkhandschriften, meist
Stundenbücher, d.h. Gebetbücher u.ä., die nach den
insularen Buchmalereien gewissermaßen den unüberbotenen
Höhepunkt der Buchmalerei bzw. –herstellung
darstellen40. Für die
Wissenschaftsentwicklung ist dies von marginaler
Bedeutung. Wichtiger ist, daß im 15. Jh mit dem
Sammeln auf breiterer Ebene und unter humanistischen
Gesichtspunkten eine neuerliche Ausweitung einsetzt, die
durch den Buchdruck nochmals entscheidend gesteigert
wird: der Humanismus bewirkte eine Intensivierung der
Akkumulierung von Büchern resp. Handschriften, ja es
setzte eine professionalisierte Jagd auf besonders
wichtige und interessante Handschriften vor allem
klassischer Autoren durch die italienischen Humanisten
ein41, und es entstanden
zahlreiche Bibliotheken. Sehr bald folgten Fürsten wie
die Medici, die in
Florenz mit der Biblioteca Medicea Laurenziana (die von
Cosimo de Medici
(1389-1464) begründet wurde und nach Lorenzo de Medici
(1449-1492) benannt ist; eine reiche Bibliothek mit bald
rund 150.000 Büchern, darunter zahlreiche Inkunabeln,
und rund 11.000 Manuskripte aufbauten. Aber auch Matthias Corvinus sammelte Bücher;
seine Bibliothek von an die 50.000 Bände in Ofen – eine
der größten und wertvollsten Bibliotheken der
Renaissance – ist allerdings 1541 durch die Türken
vernichtet worden; nur geringe Teile sind im Topkapi
Serail in Istanbul aufbewahrt, und einige wenige Werke
sind im 19. Jh als Geschenke zurückgestellt worden.
Reiche Patrizier begannen ebenfalls, wertvolle
Bibliotheken zu akkumulieren – im bürgerlichen Bereich
wird ein erster Höhepunkt durch die Angehörigen des
Hauses Fugger42 erreicht, die ab 1500 mit
enormem finanziellen Einsatz durch die führenden
Mitarbeiter ihrer Handelsfilialen Handschriften und
Literatur in der ganzen Welt aufkaufen lassen43. |
Eine enorme Ausweitung der Buchproduktion
und Verbreitung von Texten bewirkte natürlich die
Einführung eines praktisch handhabbaren Druckverfahrens,
wie es mit dem Namen Johannes Gutenberg44 verbunden
ist. Es gab zwar im europäischen Raum schon zuvor
sogenannte Blockbücher und im chinesischen Bereich schon
lange auch Bücher mit beweglichen Lettern, doch bewirkte
erst Gutenberg den großen Durchbruch – bis
Ende des Jahres 1500 sind rund 29.000 Werke im Druck
erschienen, von denen etwa 500.000 Exemplare heute noch
erhalten sind45. In der
Folge nahm die Buchproduktion exponentiell zu, und dem
entsprechend wuchsen auch die Bibliotheken an Größe und
Zahl. Viele fielen dann allerdings dem Dreißigjährigen
Krieg zum Opfer – gewaltige Bestände mit wertvollsten
Handschriften wurden vernichtet oder wechselten – im
Glücksfall – den Besitzer. Der Codex argenteus, die Wulfila-Bibel, befindet sich heute in
Upsala und nicht mehr in Prag; und die großartigste
Bibliothek ihrer Zeit, die Bibliotheca Palatina in Heidelberg,
wurde 1622/23 vom Herzog von Bayern als Kriegsbeute zum
Dank für die Hilfe des Papstes im 30jährigen Krieg dem
Vatikan geschenkt, wobei man der Erleichterung des
Transportes halber fast alle Einbände entfernte… |
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Im 17. und 18. Jh entstehen durch
Akkumulierungen im Kauf-, Schenkungs- und Erbschaftswege
große Herrscherbibliotheken, die später in
Nationalbibliotheken übergeleitet werden46 (z.B. alte kaiserliche
Hofbibliothek, nunmehr Österreichische Nationalbibliothek;
eine der berühmtesten frühen Bibliotheken dieser Art,
die auch heute noch nahezu unverändert besteht, ist die
Herzog
August Bibliothek Wolfenbüttel, die eine der ältesten
unversehrt erhaltenen Bibliotheken der Welt ist; sie
wurde 1572 von Herzog Julius zu Braunschweig-Lüneburg gegründet
und durch Herzog August den Jüngeren (1579-1666) als eine
systematisch zusammengetragene Büchersammlung von
135.000 kostbaren Handschriften und Drucken die
angeblich größte Bibliothek ihrer Zeit. Mit ihren heute
über 160.000 Drucken des 17. Jahrhunderts stellt
sie eine der reichsten Sammlungen der gedruckten
Überlieferung dieser Epoche dar; die Bibliothek besaß
2005 rund 1 Million Bände, davon etwa 415.000 aus
der Zeit vor 185047. Ihr
berühmtester Bibliothekar (neben Gotthold Ephraim Lessing) war Leibniz, der für den Neubau (die Bibliotheksrotunde) 1706-1710 sorgte,
der der erste prophane Bibliotheksbau in Europa war.
|
Universitätsbibliotheken im
heutigen Sinne gab es Mittelalter nicht. Es gab
Bibliotheken einzelner Colleges und wohl auch von
Fakultäten, aber nicht mehr. Erst am Beginn der Neuzeit
entstehen an besonders gut ausgestatteten Universität
Bibliotheken. In den reformierten Ländern bildeten
vielfach eingezogene Bibliotheken aufgelöster Klöster
den Grundstock des Bücherbestandes, ähnlich später in
Österreich im Zusammenhang mit der Aufhebung des
Jesuitenordens bzw. den josephinischen
Klosteraufhebungen. So blieben bis in das 18. Jh
die Universitätsbibliotheken meist klein und unbedeutend
– private Mäzene bestifteten lieber Colleges oder
religiöse Orden. Eine Ausnahme war die 1602 von Thomas
Bodley (1545-1613) in Oxford
begründete öffentliche Bibliothek, die mit Hunderten
Handschriften und einem anfänglichen Bücherbestand von
2000 Bänden, der aber bald erweitert wurde, Benutzer
auch vom Kontinent anzog; ab 1650 ist die Bodleian Library48
aber in finanzielle Schwierigkeiten geraten, als die
Gelder aus den gestifteten Einkünften nicht mehr flossen
und zudem auch noch die wichtige Gewährung eines
Freiexemplars aufgehoben wurde. Die meisten
Universitätsbibliotheken erhielten sich aus Schenkungen
und Bußgeldern, auch griff man zu Zwangsmaßnahmen, z.B.
dass jeder Absolvent ein Buch von bestimmtem Mindeswert
zu stiften habe etc. Die Idee des Pflichtexemplars hat
zuerst Francois I. 1537 für die königliche
Bibliothek in Paris eingeführt; dieses Modell ist auch
in England übernommen worden, der Press Licensing Act
von 1662 stützte die königliche Bibliothek in London und
auch die Bibliotheken von Oxford und Cambridge, 1708
wurde durch den Copyright Act die Zahl der
Pflichtexemplare auf neun erhöht, womit auch die
schottischen Universitätsbibliotheken bedient werden
konnten. Auch in Preußen funktionierte dieses System
recht wirksam, ansonsten blieb es meist auf dem Papier.
Die Abhängigkeit von Schenkungen und vom Copyright
führte zu einer eher zufallsgesteuerten Akkumulierung
von Büchern, nicht zu systematischer Erwerbung, wie sie
die mittlerweile erfolgende Entwicklung der Wissenschaft
dringend erheischte und wie sie durch Petrus Lambeck (1628-1680) in Wien, den
Begründer der Bibliothekswissenschaft, und dann durch
Leibniz so sehr gefordert worden ist.
Ein weiterer Faktor war häufig die Einbringung von
anderer Bibliotheken – in der Aufklärung jener
aufgelassener Klöster – in die Universitätsbibliotheken
(die UB Graz verdankt diesem Umstand ihren
außerordentlichen Altbestand, der u.a. die Handschriften
einer ganzen Reihe von innerösterreichischen Klöstern
akkumuliert). |
Die erste moderne Universitätsbibliothek
wurde die der Universität Göttingen, sie ist mit der
Universität zugleich eingerichtet und systematisch
geplant und bestückt worden; sie war über lange Zeit hin
das – von Goethe
ausdrücklich gelobte – Ideal einer
Universitätsbibliothek, auch in
baulich-organisatorischer Hinsicht49. –
Die Qualität der Bibliotheken in den Kollegien etc. hing
natürlich stark von der der Bibliothekare und deren
Einsatz ab – hervorzuheben ist neben Bodley der Kurator Janus Dousa (1545-1604), der die Bibliothek
an der Universität Leiden50 aufbaute
und zu einer der führenden im 17. Jh machte. Viele
Bibliotheken haben aber erst im 19. oder gar erst im
20. Jh eigene, hauptberufliche Bibliothekare
erhalten und wurden vorher nebenher von Professoren
betreut. |
Die Bücher selbst wurden ursprünglich (wie
die Rollen) liegend aufbewahrt und waren bis in die
2. Hälfte des 16. Jh vielfach libri catenati, die auf Pulten lagen;
erst als man auf diese Weise mit dem Platz nicht mehr zu
Rande kam, begann man die Bücher senkrecht aufzustellen,
wie dies heute gebräuchlich ist, nach und nach man auch
das Anketten zu verzichten und die Bücher in mehreren
Reihen über den Pulten aufzustellen; daraus entwickelten
sich die dann bald raumhohen Bücherstellagen, denen man
dann im 17. Jh eine Galerie anbaute; durch das
Herausbrechen hoher Fenster wurden genügend Licht
eingelassen – so bewerkstelligt durch Christopher Wren (1632-1723) im Trinity College in Cambridge,
nachgebaut im Long Room des Trinity College in
Dublin. So entstehen im 17. und 18. Jh Bibliotheken
in einem modernen Sinne. |
In neuerer Zeit sind natürlich auch
Spezialbibliotheken entstanden – wie etwa die
Wolfenbütteler Bibliothek oder die Beinecke Rare Book Library in Yale.
Andererseits sind an den meisten größeren Bibliotheken
auch spezifische
Sammlungen – Karten, Gemälde, Münzen,
Globen, Kunstgegenstände, astronomische Instrumente,
zoologische und botanische Besonderheiten etc. –
angeschlossen worden. |
Auch die gelehrten Gesellschaften; die
Akademien, haben mitunter Bibliotheken aufgebaut. Wie
die Universitätsbibliotheken verdankten auch sie häufig
große Bestände der Stiftung durch Gelehrte, die auch die
Ausweitung stimulierten. |
Im 19. und 20. Jh entstehen dann die
modernen Großbibliotheken, von denen hier nur einige
wenige erwähnt seien: die Library of Congress in
Washington D.C., die British Library in London, die
Bibliotheken in Moskau und St. Petersburg u.a. –
Bibliotheken, die derzeit bei einer Dimension von über
20 Millionen Bänden halten. |
Die Library of Congress ist im Jahr 1800,
als die Hauptstadt der USA von Philadelphia nach
Washington verlegt wurde, ursprünglich zur Unterstützung
des Congresses eingerichtet worden und ist die älteste
föderale Kulturinstitution der USA. Es handelte sich
erst um eine kleine, tatsächlich auf die Bedürfnisse des
Congresses ausgerichtete Bibliothek, bis Jefferson seine Privatbibliothek
hinzustiftete, was die Ausweitung von einer
Amtsbibliothek zu einer Universalbibliothek zur Folge
hatte. Ainsworth Rand Spofford, der 1864–1897 die Bibliothek
leitete, regte 1870 das US-amerikanische
Copyright-Gesetz an, das jedermann, der den Schutz des
Copyright in Anspruch nehmen wollte, verpflichtete, der
Bibliothek zwei Exemplare seines Druckwerkes zu
übermitteln, was innerhalb kürzester Zeit ein
Bibliotheksgebäude notwendig machte, das 1897 als das
größte Bibliotheksgebäude der Welt eröffnet wurde. Die
Bibliothek soll über 80 % der Weltbuchproduktion
beinhalten und gilt als größte der Welt51 – derzeitiger (2007)
Stand rund 29 Millionen Bände und eine Fülle weiteren
Materials, in 460 Sprachen; die Regallänge soll bei
knapp 1000 km liegen. |
Die British Library ist aus der
gleichzeitig mit der Gründung des British Museum 1753
eingerichteten Bibliothek des Museums hervorgegangen und
erst 1973 als eigenständige Institution aus dem British
Museum herausgelöst worden. Sie ist die
Nationalbibliothek des United Kingdom und profitiert(e)
vom Pflichtexemplar in England und Schottland sowie von
zahlreichen, z.T. sehr großen nationalen Bibliotheken,
die in ihr aufgingen. Sie zählt ebenfalls zu den größten
Bibliotheken der Welt und beherbergt eine ungeheure
Fülle verschiedensten Materials von Handschriften bis zu
Briefmarken und natürlich auch elektronischen
Datenträgern. Der berühmte British Library Lesesaal wurde 1857 in
Betrieb genommen. |
Die Russische Staatsbibliothek – vormals
Lenin-Bibliothek
– ist die größte russische Bibliothek und nach der
Library of Congress wohl die zweitgrößte der Welt – 42
Mio Titel in 247 Sprachen. Die
Saltikow-Schtschdrin-Bibliothek in St. Petersburg wurde
1795 von Zarin Katharina der Großen als eine russische
Nationalbibliothek gegründet. Mit mehr als 30 Mio
Einheiten in 85 Sprachen ist sie die zweitgrößte
Bibliothek Russlands. Etwa halb so groß ist die 1714 von
Peter dem Großen
gegründete Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in
St. Petersburg |
Die Österreichische Nationalbibliothek ist
aus der alten habsburgischen Hofbibliothek entstanden,
in die zahlreiche, auch größere Bibliotheken eingebracht
worden sind (darunter umfangreiche Fuggersche Bestände
sowie die Bibliothek des Prinz Eugen, die sich heute
im Prunksaal der ÖNB befindet). Auf Grund der guten
Kontakte der Habsburger nach dem Vorderen Orient und
einer regen Erwerbstätigkeit durch die Diplomaten
früherer Jahrhunderte in diesen Ländern verfügt die ÖNB
über einen außerordentlich umfangreichen und wertvollen
Handschriftenbestand. |
Derzeit befinden sich die Bibliotheken in
einem Übergangsstadium, indem den elektronischen
Informationsträgern eine weit höhere Bedeutung als
bisher zuwächst, gleichzeitig sich aber auch wesentliche
Fragen der Kontinuitätssicherung erheben52. |
|
Die Bibliotheken, die ja immer auch Orte
des Studiums waren, haben, wie bereits erwähnt, zur
Ordnung, zur Klassifizierung angeregt; dies setzte
bereits in Mesopotamien ein, wo man (wohl nicht zuletzt
wegen der Unübersichtlichkeit der Informationsträger)
früh Ordnungsprinzipien einführte. Im Altertum und im
Mittelalter kam hinzu, dass sehr bald verschiedene
Sinneinheiten zu größeren übergeordneten Einheiten
zusamengefasst wurden. Auch aus diesen Gründen kommt den
Bibliotheken in Zusammenhang mit der Entwicklung einer
systematischen Erkenntnisarbeit früh große Bedeutung zu,
da die Klassifizierung bzw. Bibliothekssystematik einen
hohen Grad der Reflexion des gesamten Wissenschatzes und
seiner Struktur erfordert und dokumentiert. Die anhand
der Überlieferungen über die alten Bibliotheken
erschlossenen Gliederungs- und Strukturierungsprinzipien
des Wissens in früher Zeit sind natürlich teilweise
Rekonstruktionsversuche, also mit Vorsicht zu bewerten,
zumal sie sich zumeist zwangsläufig der neuzeitlichen
Terminologie bedienen müssen. Sie vermitteln aber
dennoch eine gewisse Vorstellung von den frühen
Versuchen, Wissen zu organisieren bzw. zu
strukturieren53. |
Von Ordnungsvorstellungen (um nicht von
einem „Wissenschaftsbegriff“ zu sprechen) der ältesten
Zeit, im Alten Orient können wir uns insofern eine vage
Vorstellung machen, als der Bibliothekskatalog für die
berühmte Bibliothek des Assurbanipal (668–626),
1849–1854 von Sir Austen Henry Layard und Hormuzd Rassam in Ninive ausgegraben wurde und
uns somit vorliegt; er läßt eine gewisse Rekonstruierung
der Grundstruktur des etwa 20.000 Tontafeln umfassenden
Bestandes zu. Nach Meinung der Fachleute war die
Bibliothek gegliedert in: |
Geschichte |
Recht, Gesetz, Brauchtum |
Naturkunde – Tiere, Pflanzen,
Mineralien |
Geographie |
Mathematik |
Astronomie |
Magie |
Dogmen – Religion |
Legenden und Sagen |
Soweit es sich feststellen ließ, war der
Bestand Grammatik (Sprache) relativ stark, die Bestände
der beschreibenden Naturwissenschaften ebenfalls
ziemlich umfangreich, und die Astronomie nahm dabei die
erste Position überhaupt ein. man nimmt weiters an, dass
die astrologischen Werke von denen der Astronomie
separiert im Bereich Magie untergebracht waren. |
Bezüglich klassifikatorischer Angaben im
alten Ägypten ist auf
ein im Tempel von Edfu als Wandinschrift überliefertes
„Verzeichnis der Kästen“, die Bücher auf großen
Pergamentrollen enthalten, zu verweisen, das neben
magischen, rituellen, dynastischen etc. Aspekten
partiell disziplinenbezogene Felder ausweist wie etwa
die Astronomie und die Geographie. Der Ägyptologe
Heinrich Karl Brugsch hat daraus eine Klassifikation
zu erarbeiten gesucht, die prinzipiell zwischen heiliger
und profaner Literatur unterscheidet, wobei in der
profanen Literatur drei Gruppen aufscheinen: |
– |
Wissenschaftlich Verwertbares: Astronomie,
Kalender, Mathematik, Geographie, beschreibende
Naturwissenschaften, Medizinisches und
Architekturgeschichtliches |
– |
Schöne
Literatur |
– |
praktisches
Schrifttum: Urkunden, Kontrakte etc. – also eher
Juridisches. |
|
Für China lässt sich für die Zeit um
Christi Geburt aus überlieferter Literatur eine
Gliederung des Schrifttums in folgende Gruppen erkennen:
|
– |
Sammelwerke |
– |
Die sechs
Künste – |
– |
Philosophie |
– |
Schöne
Literatur |
– |
Militaria |
– |
Wahrsagerei |
– |
Medizin |
|
Später – im 5. Jh – ging man zu vier
Gruppen über: |
– |
Klassische
Literatur |
– |
Philosophie,
Militaria, Mathematik, Theologie |
– |
Geschichte,
Staatsschriften, Juridisches |
– |
Schöne
Literatur |
|
Diese Vierer-Gliederung hat sich in
chinesischen Bibliotheken bis heute erhalten. |
Bei den Griechen ging die
Wissenschaftssystematik von der Philosophie aus, als dem
Überbegriff, unter dem alle Wissenschaften in unserem
Sinne begriffen werden. Solche Gliederungen kennen wir
von Platon54: |
– |
Dialektik
= Reine Begriffe = begriffliche
Erkenntnis |
– |
Physik
= Sinnlich-empirische Wahrnehmungen =
sinnliche Wahrnehmung |
– |
Ethik
= Äußerungen d.menschl. Willens und Handelns
= Wille und Begehren; |
|
und von Zenon in der Stoa, auf den wohl die von Epikur überlieferte ganz ähnliche Gliederung in
die „stoische Triade“ stammt: Physik, Logik, Ethik.
|
Aristoteles hat keine Systematik
hinterlassen; aus seinen Werken glauben manche jene
Systematik erschließen zu können, in
der traditionell die Werke des Aristoteles angeführt werden. |
Diese drei Systemisierungsmodelle – Platon,
Stoiker und Aristoteles – haben bis weit in die
Neuzeit hinein großen Einfluß ausgeübt. Sie orientieren
sich an den Erkenntnismethoden. |
An der Bibliothek von Alexandreia
erstellte, wie bereits erwähnt, der Bibliothekar Kallimachos (310-240) mit den Pinakes eine über alles
sich erstreckende Systematik. Leider kennen wir diese
Gruppierungen nur bruchstückhaft55.
|
In römischen Bibliotheken gliederte man
offenbar in: |
Sammelwerke |
Spezielle Sammlungen wie etwa die
Sibyllinischen Bücher |
Poesie |
Gesetze |
Biographien |
Rhetorik |
Grammatik |
Arbeiten zu Einzelfragen |
öffentliche Dokumente – Juridisches |
Ganz anders ist die Systematik bei Plinius d. Ä. in seiner
Enzyklopädie Naturalis historiae
libri XXXVII: |
Erde und ihre Teile – Astronomie, Geophysik
etc. |
Lage der Länder, ihre Einwohner, Meere,
Städte – Geographie |
Entwicklung des Menschen, seine
Beschaffenheit und Eigenheit |
Tiere |
Pflanzen |
Arzneien aus Tieren und Pflanzen |
Metalle und ihre Gewinnung |
Malerei |
Mineralien |
Diverses |
Diese Systematik orientiert sich an den
Objekten, wobei die Anordnung in etwa der des
Aristoteles entspricht und als absteigend und
anthropozentrisch bewertet werden kann. Am Ende der
Darstellung über den Menschen sagt Plinius d. Ä.: „Und nun gehen wir zu den anderen Tieren über“.
Weiters erfolgt eine Zusammenfassung nach
der Bedeutung und dem Nutzen für den Menschen unter
stark praktischer Orientierung (Weinbau folgt auf die
Weintrauben als Pflanzen, weiters Rausch und Mittel
gegen Rausch; Hunde, Erziehung von Hunden, Hunde im
Krieg, Tollwut, Mittel gegen die Tollwut, etc.). |
Das bedeutendstes Prinzip im Bereich der
didaktischen Zielsetzungen ist aber das der septem artes liberales (im Gegensatz zu den artes illiberales, den mechanischen
und handwerklichen Künsten): |
Die septem artes
liberales werden bei Martianus Capella in seinem Werk "Satura“ = „De
nuptiis Philologiae et Mercuriis"
(nicht wirklich datierbar, 3./4. Jh) von Apollo der
Braut Philologia als Dienerinnen des Merkur vorgestellt,
wobei jede dieser Dienerin ihren Zuständigkeitsbereich
darstellt, womit sich eine Art Encyclopädie ergibt, die
im Mittelalter lange als Lehrbuch gedient hat. Vor Martianus Capella gab es neun artes, da auch Architektur
und Medizin mitgezählt wurden. Bei Capella schlägt Apoll
vor, auch die Dienerinnen Medizin und die Architektur
anzuhören, doch wird das von den anderen Göttern
verworfen, weil diese Bereiche „ihre
Sorgen auf vergängliche Gegenstände und die
Erfindungsgabe auf das Irdische
richten"56. |
Die Gliederung des Martianus Capella ist von Flavius
Magnus Aurelius Cassiodor (490-583) übernommen worden in seiner
Enzyklopädie „De institutione
divinarum et humanarum litterarum“, wo
wir auch die Gruppierung in Trivium und Quadrivium und
den Oberbegriff Mathematik antreffen. Cassiodor leitet übrigens den Begriff
liberalis nicht von
liber = frei, sondern
von liber = Buch ab.
|
Im Mittelalter haben sich die Inhalte
dieser Disziplinen relativ weit von dem entfernt, was
man in der Antike und heute darunter versteht: |
– |
Grammatik war
in der Unterrichtspraxis Latein, Lektüre einiger
weniger Autoren und Verfassen dürftiger Reime.
|
– |
Rhetorik war
Abfassen von Briefen, Urkunden, Geschäftsstücken,
eventuell auch etwas Kanonisches Recht. |
– |
Dialektik ist
bald formale Logik, um " alle
Spitzfindigkeiten der Ketzer zu sehen und imstande
zu sein, ihre gefährlichen Sophismen zu widerlegen
" (Hrabanus Maurus). |
|
Eine bedeutende Zusammenfassung des Wissens
mit enormer Verbreitung durch Jahrhunderte sind die
Etymologiae des: Isidor von Sevilla, ihre Gliederung
ist relativ differenziert57, zumeist
aber ohne logische Begründung. Als Grobgliederung kann
man sehen: |
Trivium 1-2 |
Quadrivium 3 |
Philosophie 4-16 |
Medizin 4 |
Jurisprudenz 5 |
Theologie 6-8 |
Physik 9-16 |
Mechanische und Schöne Künste 17-20 |
In diesem Werk treten somit bereits die
septem artes
liberales als tragende Struktur hervor.
Den septem artes kommt fundamentale
Bedeutung zu, indem sie als unangefochtener Kanon die
Kontinuität einer weltlich orientierten Ausbildung
sicherten, deren Struktur heute noch maßgeblich ist.
|
Im Prinzip ist bei den Klassifikationen zu
unterscheiden zwischen solchen: |
1) |
mit
wissenschaftlicher, erkenntnistheoretischer
Zielsetzung |
2) |
mit
pädagogisch-didaktischen Zielsetzungen |
3) |
mit
anwendungsorientierten Zielsetzungen. |
|
Die relativ „moderne“ Enzyklopädie De proprietatibus rerum (in
19 Büchern) des Minoriten Bartholomaeus Anglicus (fl. 1230), in der die
Naturwissenschaften vorherrschen und die ins
Französische, Englische und Spanische, also in die
damals wichtigsten Vernacularsprachen übersetzt wurde
und in der sehr viel aus arabischen Autoren übernommen
ist, weist erste Anzeichen einer empirischen
Betrachtungsweise auf und enthält eine für ihre Zeit
sehr gute Anatomie; interessant ist auch die neuartige
Gliederung, die bald von anderen Autoren übernommen
wird: |
1 |
Gott und körperlose
Geister
|
2 |
Mensch – Seele und
geistige Fähigkeiten |
|
Physische
Natur des Menschen |
|
im gesunden
Zustand |
|
im kranken
Zustand |
3 |
Welt – Himmelskörper und
-zeichen |
|
Zeit |
|
Materie und
Form |
|
Luft, ihre
Eigenschaften und Wesen, Vögel |
|
Wasser,
seine Eigenschaften und Wesen |
|
Land, mit
seinen Eigenschaften und Wesen, Festland, Länder,
Mineralien, Pflanzen, Tiere |
4 |
Technik und
Künste. |
|
Die interessantesten, weil
fortschrittlichsten Systematiken schufen jedoch Brunetto Latini und Roger Bacon. |
Brunetto Latini (1230-1294) gliederte sein "Buch
vom Schatz", dessen Inhalt er unter den Oberbegriff
„Philosophie“ stellt,: |
1 |
Theoretische
Philosophie – Theologie (Gott, Engel, Seele),
Göttliches und menschliches Gesetz und Geschichte;
Physik, Mathematik (Arithmetik, Musik, Geometrie,
Astronomie und Meteorologie |
2 |
Praktische
Philosophie = zweite
Wissenschaft der Philosophie (Ethik,
Ökonomik, Politik, Alle für das Leben des Menschen
notwendigen Künste und Handwerke „in der Arbeit“
und „in Worten“ [Grammatik, Dialektik, Rhetorik]
|
3 |
Logik = Dritte Wissenschaft der Philosophie
– Dialektik, Ephidik (Nachweis der
Wahrheit bzw. des Zutreffens von Aussagen),
Sophistik |
|
Zur
ausführlicheren Fassung s. folgendes Gliederung |
|
Nicht minder interessant ist die eingehende
Systematik
Roger Bacons, die folgende
Hauptbereiche vorsieht |
1 |
Grammatik und
Logik |
2 |
Mathematik –
rein und angewandt |
3 |
Physik |
4 |
Metaphysik
und Moralphilosophie inkl. Rechtssprechung |
5 |
Theologie |
|
Im Spätmittelalter und natürlich dann in
der Neuzeit entwickeln sich zunehmend differenziertere
Bibliotheks- und Wissenschaftssystematiken, die sich
jedoch stets an die Struktur der septem artes anlehnen. |
Natürlich haben auch im muslimischen
Bereich Systematisierungen herausgebildet, wobei die
sich mit der eigenen (als direkt von Allah stammend
angenommenen) Sprache und mit der Religiongslehre
einschließlich der zugehörigen Rechtsvorstellungen und
der Historie sich befassenden Bereiche als genuin
muslimisch eingestuft wurden, während die aus der
griechischen Geisteswelt rührenden Bereiche der Logik
wie der Physik (d.h. der naturwissenschaftlichen
Aspekte) eher als (in ihrem Verhältnis zu den religiös
bestimmten Bereichen) kritisch zu betrachtende
Erkenntnisbereiche eingestuft worden sind. |
Eine gute Übersicht über die
Systematisierungsbemühungen bis in das 13. Jh gibt Kedrow58, wobei die dort
widergegebene Systematik Avicennas nicht unwidersprochen
geblieben bzw. im muslimischen Raum letztlich nicht
akzeptiert worden ist, wie natürlich überhaupt
hinsichtlich der theoretischen Positionen und der
Umsetzung zu unterscheiden ist, die dem steten
Wechselspiel der Meinungen und Aspekte folgt. |
|
|
Ausschlag- und beispielgebend waren die
Philosophenschulen im klassischen Athen; auf sie folgten
die großen Bibliotheken in Alexandreia und in Pergamon,
die ja zugleich Forschungs- und (unausgesprochenermaßen)
auch Ausbildungsstätten, gewissermaßen Akademien waren –
sie „gehörten“ entweder führenden geistigen
Persönlichkeiten, die auch lehrten, oder wurden als
Zentren einer gewollten Akkumulierung von
Wissenschaftlern von Herrschern finanziert. |
|
In Griechenland entstanden im 5. Jh
Philosophenschulen, indem wandernde Sophisten in
Städten, oft in Häusern besonders angesehener Bürger,
aber auch auf öffentlichen Plätzen lehrten, des öfteren
dann auch länger an einem Ort blieben und dabei Schüler
um sich scharten, die die Lehrmeinung
weiterverbreiteten. Der Schulbegriff ist im Bereich der
Philosophie bereits sehr früh in der Antike angewendet
worden: Diogenes Laertios schreibt in seiner
Philosophiegeschichte „Leben und Meinungen berühmter
Philosophen“ um 275 vChr bereits, die Philosophie
habe ihren Ausgang von zwei Schulen genommen, nämlich
von der ionischen des Thales von Milet und von der
italischen des Pythagoras. Unter Schule verstand er
dabei eine Gemeinschaft, die sich an feste Lehrsätze
hält oder zumindest eine bestimmte Auffassung von der
Welt der Erscheinungen hat59. |
Manche Schulen haben sogar
Sektencharakter60
angenommen, wie jene des Pythagoras, und erwiesen sich als
langlebig, andere wieder waren nur lokale kurzlebige
Erscheinungen. Oft zeichneten die Schüler die Lehren
auf, der Lehrer geht den Text mit ihnen durch und
diskutiert ihn mitunter mit ehemaligen Schülern, sodaß
eine stete Veränderung und Verbesserung der Lehre
bewirkt wird. Die besten unter den Schülern traten oft
in den Familienverband des Lehrenden ein. Dieser Prozeß
mündete dann nicht selten in eine lokale Stailisierung
im Haus eines angesehenen Bürgers oder gar des
Philosophen selbst. |
Der mitunter recht exaltiert gestaltete
sophistische Unterricht umfasste Astronomie, Geometrie,
Linguistik, Grammatik, Theologie und Literatur und
sorgte zweifellos für ein recht hohes Bildungsniveau,
das in öffentlichen Diskussionen vor großem Publikum
demonstriert wurde und nicht selten für erhebliche
Aufregung sorgte, wenn es um die Abgrenzung gegenüber
der Götterlehre ging, was ja noch Sokrates zum Verhängnis wurde – und
auch Aristoteles hat sich einem solchen
Schicksal prophylaktisch durch Flucht entzogen. |
|
Parallel zu den Philosophenschulen
entstanden Medizinerschulen, die zumeist
„Familienbetriebe“ waren, indem die Lehre vom Vater auf
den Sohn überging. Auch hier wurde die Lehre
niedergeschrieben und in steter Fortführung ausgeweitet
und verbessert. So entstand beispielsweise auf der
ionischen Insel Kos, wo neben anderen Medizinern vor
allem Hippokrates von Kos lehrte, das Corpus Hippokraticum , in dem sich zu
einzelnen Fragen durchaus unterschiedliche Standpunkte
finden. |
Die berühmtesten und wirkungsmächtigsten
Philosophenschulen neben der der Pythagoräer waren jene
in Athen: |
|
Nach seiner Rückkehr von der ersten
Sizilienreise gründete Platon die nach ihm benannte
Akademie61, die
anfangs ein lockerer Verband „im Garten am Kolonos“ war.
Diogenes Laertios schreibt dazu,
Platon sei der Baumeister gewesen und habe die Aufgaben
gestellt, seine Anhänger aber (im Unterschied zu Pythagoras) nicht auf ein Dogma
verpflichtet. Lange hat man die Auffassung vertreten,
dass die Akademie Platons bis zu ihrer Aufhebung durch
Justinian I. im
Jahre 529 durchgehend bestanden habe. Dies ist heute
nach neueren Forschungen nicht mehr haltbar, die
ursprüngliche Akademie dürfte im 1. Jh vChr
erloschen sein. Man unterscheidet in Bezug auf die
Nachfolge zwischen der älteren, der mittleren und einer
neueren Akademie62. Die
Akademie Platons ist aber das Vorbild der Akademien des
Humanismus geworden und reicht so in ihrer prinzipiellen
Konzeption herauf in unsere Zeit. |
|
Die zweite große Schule in Athen begründete
Platons Schüler Aristoteles um 334 mit dem Lykeion63), dessen offizielle
Verfassung wie bei der Akademie die eines religiösen
Vereins zum Zwecke des Musenkults war. Das Schwergewicht
dieser Philosophenschule lag im Gegensatz zur Akademie
in der naturwissenschaftlichen Forschung und Lehre. Das
Lykeion war das Wissenschaftszentrum seiner Zeit, muß
über beträchtliche Hilfsmittel verfügt haben und war
zweifellos hervorragend organisiert, denn Aristoteles kann unmöglich alle
Untersuchungen allein durchgeführt haben. Trotz der
unausbleiblichen Entfremdung hat Aristoteles vermutlich materielle
Förderung durch Alexander den Großen erhalten (auch wenn es
dafür keine konkreten Belege gibt), der sich der
Bedeutung seines Lehrers bewusst gewesen sein soll; so
verfügte Aristoteles über eine bedeutende, für
die damalige Zeit ungewöhnliche Bibliothek64. Ihm folgte eine Reihe
von Scholarchen, und wir wissen aus den Testamenten
dieser Männer recht gut Bescheid über den Zustand der
Institution. |
Diese beiden führenden Philosophenschulen
von Athen haben einen berühmten Niederschlag gefunden in
Raffaels Gemälde „Die Schule von Athen“. |
|
Zenon aus Kition (auf Zypern) gründet
um 300 in der Stoa poikile65 an der
Nordwestseite der Agora in Athen eine dritte
Philosophenschule, die der „alten Stoa“. |
|
Die vierte wichtige Schule war die des
Epikur66., der an
der Akademie gehört hatte; sie entstand um 307/305 in
einem Haus in einem Garten etwas außerhalb der Stadt. Zu
seiner Schule, die eine enge Gemeinschaft bildete,
zählten auch Frauen. |
Eine räumliche Vorstellung von der Lage
dieser Schulen gibt diese Skizze. |
|
Einen zwar an die Philosophenschulen
angelehnten, letztlich aber neuen Typus stellte das
Museion in Alexandreia dar, das ja nicht nur Bibliothek
war, sondern als Schule einen Peripatos besaß, eine
Exedra (Hörsaal) und einen großen Speisesaal für alle
Mitglieder. Neben dem Museion als „Schule“ bestanden in
Alexandreia auch andere Schulen, insbesondere im Bereich
der Medizin, an denen Ausbildung gegen Bezahlung
erfolgte, aber auch im Bereich der Technik, dessen
Schule zu Anfang des 6. Jhs nach Konstantinopel
verlegt worden ist und führend am Wiederaufbau der
(durch Brand zerstörten) Hagia Sophia beteiligt war. |
Bei all ihrer Wirksamkeit sind diese
Schulen nicht als Vorstufe der Universität oder der
modernen Akademien zu sehen. Es handelt sich um Schulen
in dem Sinne, dass „eine von einem
Meister oder einer Gruppe von Meistern
ausgegangene Richtung in Wissenschaft oder
Kunst“ gemeint ist, keineswegs eine
Institution, die irgendwelche Abschlüsse verlieh o.ä.
Bemerkenswert ist aber zweifellos, dass an diese Schulen
länger dauernde, konsequent verfolgte
Diskussionsprozesse letztlich wissenschaftlicher Natur
stattfanden; und dies verfehlte seine Wirkung nicht.
|
Die Tradition der Philosophenschulen
reichte natürlich zeitlich wie räumlich über das
klassische Athen hinaus bis weit in die römische
Kaiserzeit. Nachdem man anfangs die griechischen
Philosophen in Rom zurückgewiesen, ja sogar die
Philosophen-Gesandten Athens im Jahre 155 vChr
ausgewiesen hatte, veränderte sich die Einschätzung sehr
bald, und führende Politiker nahmen sich griechische
Philosophen aus den großen Schulen zu Ratgebern.
Philosophenschulen entstanden im römischen Bereich aber
nur in den ehemals griechischen unteritalischen Städten.
Athen blieb nach wie vor das Zentrum, und Marc Aurel richtete
dort 176 eine Reihe von Lehrstühlen für alle
Wissenschaftsbereiche und alle philosophische
Lehrrichtungen ein, die großzügig besoldet auf
Lebenszeit vergeben wurden. Viele junge Leute, die es
sich leisten konnten, besuchten mehrere Schulen
hintereinander, um sich so einen Überblick zu
verschaffen, und sie wiesen damit einen allfälligen
Anspruch von Schulen, jeweil die „richtige“ Lehre zu
vertreten, zurück. Im Neuplatonismus des 3. Jhs
wurde diese Tradition durch Plotin fortgesetzt. Immer noch war
Athen das Zentrum der Philosophenschulen, auch wenn auch
anderswo im östlichen Mittelmeerraum ähnliche Schulen
gegeben hat. |
Erst das Christentum in seiner
sektiererischesten Zeit setzte den Schulen in Athen bzw.
im oströmischen Reich ein Ende, als Justinian I. 529
ein Verbot erließ, Philosophie (als eine pagane, als
eine weltlich Disziplin) zu unterrichten. Ein Teil der
Lehrenden ist offenbar an den Hof des König Chosroes I. in
Jundischapur (östlich von Bagdad im Iran) gegangen,
kehrten aber später zurück, weil es ihnen dort zu
fremdartig war. In Alexandria hatte sich die Lage schon
im 4. Jh wesentlich verschlechtert, was u.a. 415
zum Tod der Hypatia geführt hatte. Doch übernahmen
christliche Lehrer die Schulen, deren Häupter sich nun
aber nicht mehr Philosophen, sondern Grammatiker (grammatikos) nannten. Im 6.
und 7. Jh erlöschen – überhaupt im abendländischen
und im byzantinischen Bereich – die paganen Schulen, und
das Schulwesen gerät für mehr als ein Jahrtausend unter
der Oberaufsicht der Kirche, die über die einzigen
organisatorischen Grundlagen dafür verfügt. |
|
Im oströmischen Reich entstanden
eigenständig Schulen, die eine Fortführung der antiken
Ausbildungstradition darstellten und keine
Binnengliederung aufwiesen. Sie waren privater Natur und
standen unter der Leitung eines Gelehrten; theologischen
Unterricht gab es nicht. Sie folgten dem Kanon der septem artes. Diese Schulen blieben
allerdings in in ihrer höheren Ausformung auf die Stadt
Byzanz beschränkt. |
Einen Versuch der Installierung einer
staatlichen Bildungseinrichtung gab es nur, als Kaiser
Theodosios 425 eine staatliche
Aufsicht über die Magistri und die Zusammenfassung des
Unterrichts in einer Institution am Rande der Stadt
anordnete. Diese staatliche Bildungskontrolle sah 31
Lehrstühle (darunter neben den lateinischen und
griechischen Grammatikern auch zwei Juristen und ein
Philosoph) vor, die allerdings nie alle besetzt wurden;
unter Justinian
bestand die Schule noch, um 600 wurde sie unter Kaiser
Phokas stark
eingeschränkt, möglicherweise auch aufgehoben. 610
belebte Kaiser Heraklaios das Projekt der Bildungsaufsicht
durch die Einsetzung eines oikumenikos didaskalos als
Organisator und Koordinator der höheren Schulen wieder.
Über die folgende Zeit fehlen genaue Informationen; im
Bilderstreit wird Kaiser Leo III. vorgeworfen, er habe die
„Hochschule“ und ihre Bibliothek 726 wegen der Haltung
der Lehrer anzünden lassen, was immerhin ein Beleg für
ihre Existenz zu dieser Zeit ist. Wahrscheinlich ging
die Schule irgendwann im 8. Jh ein. |
842/3 folgte ihr die sogenannte
„Bardas-Universität“ des Staatskanzlers Leon Bardas, der einer einflussreichen
Familie entstammte und zeitweise die Regierungsgeschäfte
führte. Der Anlass der Gründung dieser Schule war die
Entdeckung des Mathematikers Leon (Leon d. Mathematiker) durch den
Politiker. Ein Schüler Leons war in arabische
Gefangenschaft geraten und hatte den Kalifen mit seinen
mathematischen Fähigkeiten beeindruckt, worauf dieser
den byzantinischen Kaiser um die Entsendung Leon d. Mathematikers nach Bagdad bat.
Stattdessen gründete Leon Bardas eine private Hochschule
mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Schwerpunkt für
40-50 Schüler und bestellte Leon d. Mathematiker zum Leiter. Die
in der Forschung behauptete Lehrtätigkeit des ebenfalls
zu dieser Zeit lebenden Patriarchen Photios an der Bardas-Schule ist
nicht zu belegen, tatsächlich betrieb Photios wohl
seinerseits eine Privatschule und wirkte als
Privatlehrer der kaiserlichen Kinder. Die Geschichte der
Bardas-Schule endete mit dem Tod des Leon Bardas. |
Im 10. Jahrhundert überlieferte ein
Hofgeschichtsschreiber die Gründung einer „Universität“
am Magnaura-Palast durch den Kaiser Konstantin III.
(† 958). Angeblich wurden an ihr Philosophie,
Rhetorik und Geometrie gelehrt. Nicht nur diese seltsame
Mischung, sondern auch das Fehlen jeder weiteren Angabe
über Lehrpersonal und Gründungsdatum lassen die Existenz
dieser Schule zweifelhaft erscheinen. Die nächste
gesicherte Gründung geht auf das Jahr 1043 und den
kulturbeflissenen (wenn auch nicht sehr gebildeten)
Konstantin IX. zurück. Er schuf eine Rechts- und
eine Philosophieschule, die er durch den Juristen Johannes Xiphilinos bzw. den
Universalgelehrten Michael Konstantinos Psellos leiten ließ. Mit dem Tod oder
der Entmachtung der Leiter endeten auch die
Institutionen. |
Im 12. Jahrhundert etablierten sich viele
kleinere Schulbetriebe in baulicher Verbindung zu
Kirchen und Klöstern in Konstantinopel. Allerdings waren
diese Schulen keine Kloster- oder Domschulen, auch die
sogenannte Patriarchalakademie wurde zwar vom
Patriarchen unterstützt, ging aber eher auf kaiserliche
Initiative zurück. |
|
Im arabischen, muslimischen Raum
entwickelte sich Ausbildung, indem sich Studienwillige
um anerkannte Meister versammelten und offenbar in einer
Art „Familienverband“ – ähnlich den späteren
Magisterfamilien im Okzident – ihren Studien nachgingen.
Eine bedeutende Rolle spielten dabei zweifellos die
zahlreichen privaten und öffentlichen Bibliotheken in
den Städten. Eine Veränderung trat ein, als im
Zusammenhang mit der Eroberung Bagdads durch die
Seldschuken das System der Medresen eingeführt wurde,
die häufig mit Bibliotheken bestiftet und an Moscheen
eingerichtet wurden. Die Medresen – Medrese, Madrasa
bedeutet Schule, Lehrstätte – boten jedoch nur die
traditionell koranorientierte Ausbildung der
Schriftauslegung, d.h. Theologie, der Jurisprudenz im
Sinne des islamischen Rechtes abgeleitet aus Koran und
Sunna67 (fiqh)68. Indem
dieser Typus von Schule relativ rasch für den gesamten
muslimischen Raum typisch und bestimmend wurde und damit
die Ausbildung durchwegs theologisch bestimmt wurde,
konnte sich eine Entwicklung wie im lateinischen
Abendland, wo der aus der römischen Zeit durchgehend
tradierte weltliche Kanon der septem artes dominierte und die
Grundausbildung und mit der Artesfakultät auch die Basis
der universitären Lehre beherrschte, nicht vollziehen.
Die Muslime haben den artes-Kanon, der erst in der
spätrömischen Zeit voll entwickelt und direkt tradiert
worden ist, nicht rezipiert. |
Für die wissenschaftliche Entwicklung
erwiesen sich allerdings das bereits erwähnte und
weiterhin bestehende Modell der
Lehrer-und-Schüler-Gemeinschaft, die von Herrschern
finanzierten Zentren – vor allem im Bereich der
Astronomie und der sie flankierenden Bereiche wie
Mathematik und Optik, wie sie in Maragha und in
Sarmakand bestanden69 – und im
medizinischen Bereich die Existenz bedeutender Spitäler,
die den Charakter von Lehr-Kliniken hatten, von großer
Bedeutung. |
„Erziehung (arab.
tarbîya) bzw. die Bildung der Muslime wird sowohl
vom Koran als auch von der Prophetentradition
(Hadîth) ausdrücklich gefordert. Inhalte islam.
Erziehung sind u. a. der Koran, der in frühem
Lebensalter auswendig gelernt wird, die
überlieferten Aussprüche und Taten des Propheten
(Sunna), Recht, Theologie sowie die arab. Sprache,
in der alle Grundtexte des Islams abgefaßt
sind.“70 |
In der Blütezeit des 9. Jhs und danach
scheint es bereits ein allgemeines Schulwesen gegeben zu
haben. Erziehung und Ausbildung waren allerdings im
Islam stets eng mit religiöser Erziehung gekoppelt. Dem
entsprechend waren und sind heute noch Schulen vielfach
als elementare Koranschulen oder auch als Lehranstalt
für Studierende der islamischen Wissenschaften
(Theologie, Recht und Philologie) an eine Moschee
angeschlossen (sie führen die Bezeichnung Medrese) bzw.
in enger Verbindung mit geistlichen Institutionen. Die
Wohnzellen der Lehrer und Studierenden sind um einen
rechteckigen offenen Hof zweigeschossig angelegt. Die
ältesten Medresen entstanden in Amol, Nishapur und
Bagdad. |
Wie im Kapitel Universitäten auszuführen
sein wird, wurde verschiedentlich die Auffassung
geäußert, dass die Universitäten zuerst im muslimischen
Bereich entstanden sein. Dies wird heute nicht mehr
vertreten, wohl aber kann eine solche Priorität für
Colleges behauptet werden, indem eben im Umfeld der
Moscheen derartige Zentren entstanden. Vor allem in
Kairo, wo während der Herrschaft der Fatimiden 971 an
der al-Azhar-Moschee eine
Bildungsinstitution gegründet wurde, für die heute ab
988 der Status einer Universität beansprucht wird und
von der sich die seit dem Untergang der ersten
derartigen Institutionen in Bagdad (Medrese Mustansirs in Bagdad 1234) im
Mongolensturm im islamischen Raum Führungsanspruch
erhebende al-Azhar-Universität ableitet; diese
Institution war, wie im Islam üblich eine Anstalt für
theologische, arabisch-philologische und
rechtswissenschaftliche Studien zum besseren Verständnis
des Korans. Gründer war ein jüdischer, zum Islam
konvertierter Großwesir; die Anstalt, die unter der
Leitung eines Scheichs steht, wurde ab 1961 reformiert
und es wurden technische, pädagogische und medizinische
Fakultäten eingerichtet und dann auch Frauen zugelassen;
die Universität ist allerdings nur Muslimen zugänglich
(2004 gab es 375.000 Studierende). Eine weitere
bedeutende frühe Institution war die ab 862 an der
Freitagsmoscheee Karaouyine in Fes (Marokko), die heute
noch das wichtigste Bauwerk der Stadt ist, eingerichtete
Medrese, die heute noch als Universität mit zwei
Fakultäten besteht; hier hat Ibn Khaldun gelehrt. |
Es darf nicht übersehen werden, dass der
Horizont des islamischen Raums um 1300 einen gewaltigen
geographischen Raum umfasste. Im
Unterschied zu den abendländischen Universitäten sind
die analogen Institutionen im muslimischen Raum unter
geistlicher Führung und Zielsetzung geblieben. |
„Das traditionelle
islamische Erziehungswesen lag bis zum 19. Jh
nahezu ausschließlich in den Händen islamischer
Gelehrter. Koranschulen bildeten die Grundlage
religiös-islamischer Allgemeinbildung der Kinder,
während höhere Bildung an Medresen oder
Moschee-Universitäten wie der Azhar in Kairo, der
Zaitûna in Tunis oder der Qarawîyîn in Fes
vermittelt wurde. Unter dem Eindruck europäischer
Fremdherrschaft und Überlegenheit kritisierten die
Vertreter der Salafîya-Bewegung die Erstarrung der
islamischen Lehre und sahen in einer Reform des
Bildungswesens den Schlüssel zum Wiedererstarken
muslimischer Gesellschaften. Sie unterhielten
unabhängige Reformschulen, die islam.
Bildungsideale mit modernen Unterrichtsmethoden
und -inhalten zu verbinden wußten. Nach
Wiedererlangung staatlicher Unabhängigkeit rückten
traditionelle Erziehungskonzepte in den
Hintergrund. Aufgrund enormer Anstrengungen im
Bildungswesen, welche die staatliche Entwicklung
fördern sollten, verfügen heute alle muslimischen
Staaten über ein Bildungswesen, das sich stark an
westlichen Vorbildern orientiert. Islamischer
Religionsunterricht ist in allen muslimischen
Staaten an staatlichen Schulen ein Pflichtfach.
Traditionelle Institutionen bestehen zwar weiter,
sind aber nicht mehr die Basis des allgemeinen
Schulsystems. Nicht nur Absolventen reformierter
islamischer Universitäten finden schwer eine
angemessene Beschäftigung, auch Studienabgängern
moderner Universitäten bietet der nationale
Arbeitsmarkt nur geringe berufliche Perspektiven.
Islamisten (Fundamentalisten) kritisieren die
direkte Kontrolle des Staates hinsichtlich der
vermittelten Lehrinhalte und bemühen sich, ein
ihren Idealen entsprechendes Bildungswesen zu
etablieren. Unter dem Eindruck dieser Kritik wird
in den meisten muslimischen Staaten gegenwärtig
islamischen Erziehungsidealen wieder ein breiterer
Raum im Erziehungswesen
eingeräumt“.71
|
|
Neben den paganen Schulen entstanden im
christlichen Bereich ab etwa 500 – alter Tradition
zufolge auf Cassiodor und auf Benedikt von Nursia zurückgeführt – an
den sich entwickelnden Klöstern Schulen, die
ursprünglich nur der Unterrichtung der Klosterinsassen
(den pueri oblati)
dienten. Als Ausbildungsgrundlage dienten die septem artes, auf die dann das
Bibelstudium folgte. Eine Ausweitung erfolgte im
fränkischen Reich unter Karl dem Großen bzw. durch Benedikt von Aniane. Damals begann man
zwischen scholae
exteriores, die auch für solche
zugänglich waren, die Laien bleiben wollten, und den
scholae interiores
für künftige Mönche zu unterscheiden. Die ältesten
deutschen Klosterschulen, die ihren Höhepunkt in
ottonischer und salischer Zeit erreichten, waren Reichenau, St. Gallen, Fulda, Kremsmünster, Melk, St.
Florian, Corvey, Hirsau, Prüm und Hersfeld. Die Öffnung
nach außen wurde allerdings in Zusammenhang mit den
Klosterreformen im 11. Jh wieder zurückgenommen,
sodaß die Wirksamkeit der Klosterschulen abnahm. Daran
änderte nichts, dass die neuen Orden – Dominikaner,
Franziskaner u.a. –die von den Benediktinern entwickelte
Tradition fortgeführt und ausgebaut haben, sodaß
bedeutende „Hausstudien“ entstanden, die hinsichtlich
der Lehrinhalte auch höhere Ausbildungsebenen aufbauten,
denn sie waren wieder nur Ordensmitgliedern zugänglich.
|
In der karolingischen Zeit entstanden auf
Weisung Karls dG im Jahre 789 neben den
Klosterschulen Ausbildungsanstalten an Bischofssitzen:
die Dom- oder Kathedralschulen, deren Organisation auf
der Synode von Aachen 802 verpflichtend vorgeschrieben
wurde; sie waren generell auch für Laien zugänglich und
wurden bald zu bedeutenden Zentren, die die
Klosterschulen ablösten. Die Entwicklung der
Universitäten steht mitunter in Zusammenhang mit der
Existenz von derartigen Kathedralschulen. |
Aus dem Umstand, dass die Kathedralschulen
dem Bischof unterstanden und kirchliche Institutionen
waren, resultierte, dass ursprünglich potestas docendi, aus der dann im
weiteren die licentia
oder venia docendi an den
Universitäten hervorgeht, vom Bischof verliehen wurde
und nicht wenige Äußerlichkeiten der Universität dem
kirchlichen Bereich entlehnt sind. |
Von kaum zu überschätzender Bedeutung ist
der Umstand, dass sowohl an den Kloster- als auch an den
Kathedralschulen der Kanon der septem artes den Grundstock der
Ausbildung darstellte, auf dem das gesamte
abendländische Bildungswesen aufbaut. |
Ab dem 8. Jh entstehen neben den
Klosterschulen auch Domschulen – sie können in gewisser
Hinsicht als Vorläufer der Universitäten betrachtet
werden. |
|
„Der Lehrer muß alles,
was er sagt, vor den Zuhörern entstehen lassen; er
muß nicht erzählen, was er weiß, sondern sein
eigenes Erkennen, die Tat selbst, reproduzieren,
damit sie nicht etwa nur Kenntnisse sammeln,
sondern die Tätigkeit der Vernunft im
Hervorbringen der Erkenntnis unmittelbar anschauen
und anschauend nachbilden.“ |
Schleiermacher, Gelegentliche Gedanken über
Universitäten im deutschen Sinn. Nebst einem Anhang über
eine neu zu errichtendee, Berlin 1808, 63 (nach Rüegg 3/
Rüegg 33) |
Im Unterschied zu den Akademien und zu den
Lyzeen haben die Universitäten keinen namensgebenden
Vorläufer im Altertum. Sie sind als die ersten
Forschungs- und Lehreinrichtungen zu betrachten, die
akademische Grade verliehen, die sich allgemein
durchsetzten und bis heute fortgeführt werden – die
Titel Bakkalaureus, Magister und Doktor sind aus der
Frühzeit der Universitäten überliefert. |
Die Ausführungen über die Universitäten
bauen wesentlich auf der von der Europäischen
Rektorenkonferenz getragenen und im Erscheinen
begriffenen vierbändigen Geschichte der Universität in
Europa auf, deren Zustandekommen ein enormes Verdienst
ihres Herausgebers Walter Rüegg ist72.
|
|
|
Über die Anfänge der Universitäten weiß man
eigentlich im Grunde genommen nahezu nichts. Ein
„Gründungsdatum“ von Bologna ist ebenso unbekannt wie
für Paris oder Oxford – das Jahr 1088 als
Gründungsdatums Bolognas wurde erst 1886/87 von einem
dazu berufenen Komitee willkürlich festgestellt, um ein
Jubiläum feiern zu können – es gibt kein Ereignis des
Jahres 1088 in der Geschichte Bolognas. |
Eine andere Frage ist, was man als
konstituierendes Element einer Universität bezeichnet –
auch diesbezüglich können ganz unterschiedliche
Vorstellungen entwickelt werden. |
Es gibt nicht wenige Spezialisten, die dazu
neigen, die „Erfindung“ der Universitäten überhaupt den
„Arabern“ zuzuschreiben73, was
allerdings nicht haltbar ist, wohl aber für die Colleges
gelten mag, ohne dass deshalb eine bewusste, direkte
Übernahme stattgefunden habe. |
Man kann hinsichtlich des Entstehens der
Universitäten um die Mitte des 12. Jhs (das ist
unbestritten) drei Theorien ausmachen: |
– |
eine
Traditionstheorie, die die Ansicht vertritt, die
Universitäten hätten sich aus den im
arabisch-orientalischen Raum, in Byzanz und im
christlichen Abendland zuvor herangebildeten
Institutionen entwickelt, |
– |
eine
„Intellekt-Theorie“, die die Intensivierung
wissenschaftlichen Interesses für den auslösenden
Faktor hält, und |
– |
eine
„Sozialtheorie“, die in der neuen Form des
Zusammelebens und gemeinsamen Arbeitens das
auslösende Element sieht. |
|
Vermutlich haben alle diese Elemente
zusammengespielt und man geht heute keiner dieser
Theorien im speziellen nach – Walter Rüegg formuliert
diesbezüglich: „Dies sind allerdings
nur Annahmen, еine schlüssige Begründung,
warum in London gar keine, in Rom 1303, Köln 1388
und Mainz 1476 später als in Bologna, Oxford,
Montpellier, Salamanca Universitäten entstanden,
kann – wenn überhaupt – erst die Aufarbeitung
weiterer Quellen erbringen"74. |
Universitäten entstanden offensichtlich in
sehr komplexen und hochspezifischen Situationen –
Angebot und Nachfrage von Wissen, Gegebensein spezieller
sozialer Gefüge und Zwänge. Von Anbeginn an formen die
Universität, „ohne es eigentlich zu
wollen“, den neuen akademischen Stand
und verändern das gesamte Gefüge der Gesellschaft,
machen es reicher und komplizierter"75. Ausschlaggebend für die
Gründung als solche ist oft der ungesicherte Status der
zu Lehre und Lernen vereinten Magister und Scholaren
innerhalb größerer sozialer und rechtlicher Gefüge,
nicht unbedingt das wissenschaftliche Streben – die
äußeren Umstände erfordern die Definierung äußerer
Formen, d.h. die Definierung einer bestimmten universitas zum Zwecke der
Realisierung des eigentlich interessierenden Zwecks;
dabei haben sicherlich auch Anlehnungen an die
existierenden genossenschaftlichen und zunftmäßigen
Organisationen eine Rolle gespielt. Der Begriff „universitas“ ist
ursprünglich leer, wird aber relativ rasch mit der
Bedeutung gelegt, die man auch mit „studium generale“ und auch mit
„academia“ umschrieb,
was einen überterriteritorialen, überregionalen
Charakter beansprucht. |
Die ersten Universitäten können als solche
„ex consuetudine“,
also kraft Gewohnheitsrecht existierend, die weiteren
als „ex privilegiis“
existierend bezeichnet werden, also als bewusst
gegründete und privilegierte Institutionen. (Gründungsliste der Universitäten)
|
Diffus war der Übergang zwischen Schulen
und Universitäten. Es gibt Schulen, die in ihrer
Kompetenz die Artesfakultäten übertreffen und höchst
angesehen sind, deren Besuch sich also für die jungen
Leute eher lohnen mochte als der einer Universität
(Humanistenschule in Schlettstadt im Elsaß, Erfurt in
Thüringen, Kathedral- und Stiftsschulen in Exeter und
Winchester, Reims und Soissons, Deventer in den
Niederlanden (Brüder vom gemeinsamen Leben), ähnlich in
Spanien und in Italien. Echte Alternativen waren für
manche Bereiche außerdem die Generalstudien der Orden.
|
Ein konstituierender Vorteil der
Universitäten lag in der Erteilung akademischer Grade
und der licentia docendi,
der Lehrbefugnis. |
Im 13. Jh kam es nach der
Konsolidierung der ersten Universitäten zu einer rapiden
Zunahme von willentlichen Universitätsgründungen: Padua
1222, Neapel 1224, Rechtsschulen in Orleans und Angers,
Cambridge 1209, Salamanca, Valladolid, Siena, Oxford,
Merton College76. Bezüglich
der beiden englischen Universitäten ist zu bemerken,
dass sie sehr rasch in Colleges zerfielen, die de facto
mehr Bedeutung erlangen als das Ganze, obgleich die
akademischen Grade nicht vom College, sondern stets von
der Gesamtuniversität vergeben werden77. |
|
Die frühen Universitäten sind wesentlich
Personenverbände, die in einer bestimmten Stadt dem
Studium oblagen. Der Personenverband wird als solcher
näher definiert: universitas
scholarium, universitas
magistrorum et scholarium oder nur universitas magistrorum. Im Wesentlichen sind
zwei Haupttypen zu unterscheiden: |
1 |
Die
Magister-Universitäten, wie sie typisch in Paris
und Oxford:sich entwickelten und an denen nur
Magister Vollmitglieder waren, die die autonomen
Rechte des Personenverbandes genossen; es handelt
sich im Idealfall um Universitäten mit vier
Fakultäten78 und es
bestehen Studenten-Nationen, die sich über alle
Fakultäten hin erstrecken. – Die meisten
kontinentaleuorpäischen Universitäten im Norden
folgten dem Pariser Modell – so auch Wien. An
nicht wenigen deutschen Universitäten wurde ein
studentischer Rektor gewählt, der eher
zeremoniellen Charakters war, häufig ein junger
hoher Adeliger oder ein Prinz; während die
eigentlichen Amtsgeschäfte durch einen Vizerektor
geführt wurden, der oft auf Lebenszeit amtierte.
Daraus resultierte später auch, daß der regierende
Landesherr eo ipso Rektor seiner Landesuniversität
war und diese de facto von einem Vizerektor
geführt wurde (z.B. Heidelberg). |
2 |
Die
Studenten-Universitäten, wie sie sich in Italien
(Bologna, Padua etc.) ausformten, an denen nur die
Studierenden die Universität bildeten, die die
Professoren besoldeten und anstellten (freilich
bildeten sich hier bald Dokorenkollegien der
Professoren). Als Überbegriff wird häufig der des
studium generale verwendet, das aus
eine Fülle von universitates (für die einzelnen
Fachgebiete) besteht (universitas legistarum, universitas artistarum et
medicorum); dabei meint universitas die
studentische Gemeinschaft, die ihrerseits zugleich
in eine universitas
citramontanorum (=Italiener) und eine
universitas
ultramontanorum (= Nichtitaliener)
gegliedert erscheint79. |
|
Einen Mischtypus gab es in Südfrankreich,
wo die Studierenden sich gewisse Ämter sicherten
(Rektor, Rat etc.). Auch gab es die Möglichkeit, daß
sich eine Fakultät im heutigen Sinne als eigene
Universität begriff und gewissermaßen separierte (so
1372-1415 die Rechtsfakultät in Prag). |
Manche Universitäten zerfielen
studierendenbezogen in Nationen (bis zu 20, meist
geographisch und nicht ethnisch bestimmt), andere wieder
fachbezogen in Fakultäten (wobei es z.B. in Toulouse
eine Grammatik-Fakultät neben der der Artes gab!).
Andere Universitäten waren überhaupt auf nur ein Fach
ausgerichtet und bedurften deshalb keiner
Fakultätsgliederung: Bologna (nur Juristen), Padua,
Montpellier (nur Medizin). |
|
Die von den Päpsten privilegierten studia generalia erteilen
die licentia ubique
docendi, die Befugnis, an jedem Studium
generale lehren zu dürfen (nicht nur an jenem, an dem
man sie erworben hatte). Ihre Bedeutung ist zuerst von
Papst Alexander III erfaßt worden, der in
Frankreich die florierenden Kathedralschulen erlebt,
aber auch gesehen hatte, daß die licentia docendi dort nur gegen die
Entrichtung einer Gebühr verliehen wurde. Als Papst
erließ er in einem Dekretale, daß die licentia an alle Geeigneten
kostenlos und ohne Auflage zu erteilen sei, da das
Wissen nicht Gegenstand von Schacher sein könne. 1173
und 1179 auf dem III. Laterankonzil neuerlich hat
er dies festgelegt: es bedürfe lediglich der Zustimmung
der maior et sanior pars
des Kollegiums; damit bewahrte er die licentia davor, bewahrt sie
damit davor, zur Pfründe zu verkommen. Weiters verfügte
er, dass die Lehrenden durch Benefizien für ihre Mühe
entschädigt werden sollten, womit ein wesentliches
Finanzierungsmodell geschaffen wurde, das zugleich der
Kirche enormen Einfluss sicherte. Durch diese Maßnahmen
und durch seine Unterstützung des Zugangs fähiger (und
nicht nur reicher) Studenten zu den Studien, indem er
auf Leistung setzte, hat Papst Alexander III.
wesentlich die Grundlage der Studien in Paris und damit
allgemein im Mittelalter gelegt. Die Kostenlosigkeit der
Lehre bleibt bis in die Neuzeit hinein wesentliches
Element des kirchlichen Unterrichts (z.B. an den
Jesuitenuniversitäten). |
Die licentia ubique
docendi, auch als venia docendi bezeichnet, erweist
sich als ganz wesentliches Element, indem sie der
Universität eine universale, die gesamte universitas scholarum
umfassende Aufgabe und Verpflichtung zuweist. Diese
Bedeutung hat auch nicht zu mindern vermocht, dass die
Regelung immer wieder durchbrochen wurde, um die
Bedeutung der eigenen Institution zu heben und
abzusichern bzw. wenn später Stifter sie nicht
gewährten, um Lehrende an die eigene Universität zu
binden. |
Mit der licentia sind die ursprünglich
gleichwertigen Titel magister,
licentiatus, doctor, professor
verknüpft, die – schon vor der Existenz der
Universitäten – nichts anderes ausdrückten, als daß ihr
Träger die vollkommene Meisterschaft in einem bestimmten
Wissensgebiet erlangt habe80. Erst
später – im 15. Jh – kommt es zur Differenzierung
dahingehend, daß das Magisterium auf die Artesfakultät
beschränkt und das Doktorat den höheren Fakultäten
vorbehalten blieb, womit man zuerst das Magisterium
erlangen mußte, ehe man das Doktorat erwerben konnte.
Der Begriff licentiatus
hingegen ist abgesunken unter das Magisterium, konnte
aber ebenso wie das Bakkalaureat81 an
allen Fakultäten erworben werden. |
|
Von Beginn an erfuhren die Universitäten
Privilegierungen, die gewissermaßen ihre Rechtmäßigkeit,
ihre Anerkennung sicherten. |
Diese Privilegierungen erfolgten einerseits
durch den Papst, und zwar
letztlich auf der Grundlage der bischöflichen
Oberaufsicht über die Lehre im zuvor praktisch gänzlich
der Kirche eingegliederten Bildungswesen. Der Bischof
hat die potestas magisterii
inne, der Papst als Bischof von Rom und
Oberhaupt der Kirche nimmt diese Potestas in universaler
Hinsicht wahr; sie bleibt bezüglich der
(katholisch)-theologischen Fakultäten bei ihm bis zur
Gegenwart; hinsichtlich der weltlichen Fakultäten zieht
die weltliche Macht – Kaiser, dann Landesfürst – die
konstituierende Privilegierung an sich. |
Andererseits erfolgen sehr früh
Privilegierungen durch den Kaiser. Grundlegend war das
Privileg „Authentica Habita“ Friedrichs I.,
konkret für Bologna 1155/115882,
aber nicht nur für diese Universität. Sehr bald folgten
1180 und 1186 Kolleggründungen für Studierende zur
Behebung der Wohnungsnot durch Ludwig VII. von
Frankreich (1131/37-1180) und seinen Nachfolger Philipp II. August (1180-1223). In
diesem Zusammenhang ist wesentlich, daß der Student
definitionsgemäß als ein (schutzloser) Fremder begriffen
wurde – in Bologna gehörten einheimische Studierende
nicht zur Universität, da sie ja ihre Rechte und
Freiheiten als Mitglieder der Kommune beanspruchen
konnten! |
Bis in die Neuzeit strebten die
Universitäten die Bestätigung ihrer Errichtung durch den
jeweiligen Landesherrn (bzw. wurden schließlich von
diesem überhaupt errichtet) und – in den katholischen
Ländern – durch den Papst an, wenngleich die päpstliche
Bestätigung mehr und mehr an Bedeutung verlor. |
|
Wesentliche Rolle des Papstes; die Päpste
waren interessiert an: |
1- |
Sicherung
einer rational einsichtigen Doktrin im Wirrwarr
der unterschiedlichen Lehren verschiedener
Richtungen und vor allem im Kapf gegen die
Häresie, |
2- |
Stärkung der
päpstlichen-Zentralgewalt gegenüber weltlichen
Machtansprüchen und regionalen feudalen Interessen
|
3- |
Rekrutierung
der für 1 und 2 erforderlichen Kader. |
|
Die Kirche hatte schon im 12. Jh die
Bedeutung rationaler Verfahren, wissenschaftlicher
Bildung für die Lösung dogmatischer und rechtlicher
Probleme im Interesse einer kohärenten Kirchenpolitik
erkannt. Wissenschaftlich Ausgebildete waren Päpste
geworden, so zwei Schüler Abaelards83, und Alexander III.
(1159-1181) wird nicht erst heute als der erste
Juristenpapst angesehen, der eine neue Epoche der
Geschichte des Papsttums eingeleitet hat; ihm kommt, wie
bereits erwähnt, hinsichtlich der Universitäten enorme
Bedeutung zu. |
Innozenz III. (1198-1216) setzte die
Politik Papst Alexanders III fort, weitet und festigt
Privilegien u.a. um die licentia.
Honorius III. führt dies fort,
als er sogar die vom Bischog von Paris über die
Universität verhängte Exkommunikation aufhebt und die
Angehörigen der Universität als seine „tamquam filios speciales" unter
persönlichen Schutz nimmt; außerdem gestattet er – was
außerordentlich wichtig ist –, daß im Zusammenhang mit
Studien die Einkünfte von Pfründen auch außerhalb des
eigentlichen Bestimmungsortes verwendet werden dürfen,
d.h. er hebt die stabilitas
loci auf, gestattet die Absenz vom
Pfründenort. Im 13. Jh setzt sich überhaupt der
Prozeß der Professionalisierung in der Kirche immer
intensiver fort. |
Ganz besonders hat Papst
Gregor IX.
(1227-1241) die licentia ubique
docendi, das regere
ubique, gefördert, ganz speziell am
Fall der von ihm protegierten Universität Toulouse;
energischer Widerstand der Universität Paris zwingt ihn
allerdings später, anzuerkennen, daß die diesbezüglichen
Rechte von Paris unberührt bleiben sollten. |
Als Friedrich II. seine Gründung
Neapel forciert und dort der geistlichen Macht jegliche
Beteiligung versagt, beginnt das Papsttum – Gregor IX., Innozenz IV.
(1243-1254) – sich um die Gründung neuer Universitäten
außerhalb des kaiserlichen Einflussbereiches zu bemühen.
In einer Reihe von Privilegierungen erhalten einzelne
Universitäten durch den Papst die Verleihung der libertas ubique docendi
privilegiert84
und 1303 wird durch Bonifaz VIII (1295-1303) in
Anagni der Beschluß zur Gründung eines Studium generale in Rom gefasst,
und trotz der Intensivierung der weltlichen Bemühungen
um die Universität und trotz des Niederganges der
Position der Kurie hält das päpstliche Interesse an den
Universitäten im 14. Jh weiterhin an: es werden
Titel als Studia
generalia verliehen und die Errichtung
bzw. der Ausbau Theologischer Fakultäten betrieben
(Padua, Toulouse, Florenz, Bologna), drei Fürsten wird
für ihre Universitäten zwar ein Studium generale und die Licentia ubique docendi
anerkannt, nicht aber eine Theologische Fakultät85. Urban V. bemühte
sich als strikter Anhänger des Thomismus den Ockhamismus
in Paris zu schwächen und die kirchliche Position bei
der Erteilung der akademischen Grade zu stärken. Das
Schisma von 1378 führt zur Spaltung des Lehrkörpers der
Universität Paris, zum Exodus eines Teiles der Lehrenden
z.T. nach Wien und zur Entwicklung des Konzilsgedankens
in Paris. Insgesamt hat das Papsttum im 12. und
13. Jh energisch die universitären Formen anerkannt
und mit dem Ziel der Reformierung gefördert und im
14. Jh eine zunehmend aktive Politik verfolgt.
|
An französischen Studien wie Reims, Orange,
Montpellier, Orleans bestimmte der Bischof zur
Wahrnehmung seiner bischöflichen Gerichtsbarkeit ein
Mitglied des Kapitels zur Wahrnehmung diverser
universitärer Verpflichtungen in seiner Vertretung –
häufig wurde der Kanzler dazu bestimmt, weshalb die
französischen und englischen Universitäten auch als
„Kanzler-Universitäten“ bezeichnet werden und woher auch
der heutige Begriff „Universitätskanzler“ rührt. Der
Kanzler vergab im Namen des Bischofs die licentia docendi. An den
englischen Universitäten kam es hingegen um 1300 dazu,
daß die Professoren ihrerseits den Kanzler als Vertreter
des Bischofs wählten – er mußte lediglich Doktor der
Theologie sein und der Theologischen Fakultät angehören.
Damit wurde der Kanzler an den englischen Universitäten
ein intern eingesetzter Amtsträger, der auch seine
Befugnisse nicht an einen Rektor weitergab und damit
schließlich abtrat (wie im französischen Bereich),
sondern allenfalls an einen Vicechancellor, der gegen
1500 hin der eigentliche Leiter einer englischen
Universität wird. Das Gericht des Kanzlers bzw. des
Vicechancellors erstreckte sich im 14. Jh schon auf
alle Prozesse, an denen irgendein Kleriker beteiligt
war, dadurch beherrschte das als universitär angesehene
Gericht praktisch die Stadt Oxford. |
|
Im 13. Jh bereits suchte auch der
Kaiser, das Phänomen Universität seinerseits zu nützen:
Friedrich II gründet 1224 eine
Universität in Neapel und sucht Bologna aufzulösen, um
Neapel zur führenden Rechtsuniversität zu machen. Neapel
erhielt alle Privilegien, aber alles auf rein weltlicher
Ebene, und wurde damit zur ersten echten
Staatsuniversität – der allgemeinen Entwicklung um
Jahrhunderte voraus. Die Universität Neapel ging
allerdings nach wenigen Jahren ein, Bologna arbeitete
weiter; eine unbeabsichtigte Folge der Bemühungen Friedrichs II. war aber, daß die
Kirche ihrerseits ihre Bemühungen um die Universitäten
intensivierte (s.o.). |
Die englischen Könige haben im 13. Jh
die Universitäten Oxford und Cambridge tatkräftig durch
Privilegien unterstützt: hinsichtlich der akademische
Gerichtsbarkeit, aber auch der Aufsicht über den
Lebensmittelhandel in Oxford, die dem Kanzler der
Universität übertragen wird. Diese beiden Universitäten
haben es ihrerseits bis in das 19. Jh verstanden,
weitere konkurrierende Universitätsgründungen in England
zu verhindern. |
Die Universitäten werden auch als
ökonomische Faktoren im Gefüge von Städten erkannt und
gefördert. Vor allem Handelsstädte erkannten ähnlich wie
das französische Königtum sehr früh den Bedarf an
Juristen, die Probleme zu lösen vermögen, die mit Hilfe
des Gewohnheitsrechtes nicht mehr behandelt werden
können – z.B. Bologna. In Basel kommt es 1432 zur
Gründung einer Konzilsuniversität.Vor allem in Italien
besoldeten vielfach die Städte die Professoren und
nahmen damit Einfluss auf die Studenten-Universitäten.
Ähnlich verhielt es sich in Kastilien und in Leon. |
Im 14. Jh kommt es zu einer
Intensivierung der weltlich-staatlichen
Universitätspolitik. Philipp der Schöne greift in die
inneren Rechte der Universität Paris ein, wobei er
Vorstellungen realisiert, die seine Hofjuristen und die
Rechtsschule in Orleans entwickelt haben. Ähnliches
geschieht in Aragon und auch in italienischen Städten,
die sich im Wege der Kommunalverwaltung um die Berufung
berühmter Professoren zu kümmern beginnen. |
Wirkliche Eigenständigkeit im weltlichen
Bereich begannt Karl IV zu entwickeln, der 1347 die
Universität Prag gründet und ab seiner Kaiserkrönung
1355 auch anderen Städten Studia generalia bewilligt:
Pavia, Florenz, Lucca und Orange, wobei seine
diesbezüglichen Diplome jenen der Päpste nachgebildet
sind. |
Als es in England 1355 zu einem schweren
Massaker der Bürger von Oxford an Studenten kommt;
unterstellt der König (ähnlich wie viel früher schon
Honorius III.)die Universität seinem
Schutz, bestätigt und ergänzt ihre alten Rechte durch
eine neue Regia Carta vom
27. Juni 1355 und verurteilt die Stadt zu schweren
Bußen gegenüber der Universität. |
In England und dann auch in Frankreich
steigt die Einsatzrate von Akademikern in der zentralen
königlichen Verwaltung rasch an. In Deutschland hingegen
bestand in der adeligen Führungsschicht kein
sonderliches Interesse; hier war das Auslesekriterium
Adel offensichtlich noch wichtiger als die sachliche
Autorität von Bewerbern für diverse Ämter. |
Die de facto Entwicklung der Universitäten
hing natürlich stets von der Unterstützung durch die
lokalen weltlichen Machthaber ab. Blieb diese aus, so
vermochten die schönsten Privilegien nichts, wenn sich
niemand um sie kümmerte. |
|
Im 14., mehr noch im 15. Jh beginnt
sich der Typus der Landesuniversität zu entwickeln. Die
einzelnen Landesherren (nicht nur, aber vor allem im
Reich) streben darnach, für die von ihnen beherrschten
Gebiete eigene, von Papst (und im Reich natürlich auch
vom Kaiser) privilegierte, im wesentlichen aber ihnen
direkt unterstellte Universitäten zur Verfügung zu
haben. Klassisches Beispiel ist die Wiederbelebung der
Universität Neapel durch die Könige von Aragon: die
starke Position der Zentralgewalt und der Stadt läßt den
bischöflichen Kanzler, den Lehrkörper wie die Studenten
praktisch zur Bedeutungslosigkeit absinken, es handelt
sich um eine staatliche Ausbildungsanstalt geradezu im
Sinne der Aufklärung. Ein weiteres typisches Beispiel
ist die Universität Wien (1365). Beschleunigt wurde die
Entwicklung hin zur Landesuniversität auch durch das
Schisma von 1378, durch das universalistische
Vorstellungen insgesamt in den Hintergrund zu treten
beginnen. |
Auf Grund der spezifischen Situation in
Italien vermögen die dortigen städtischen Universitäten
ihre relativ eigenständige Position und ihre Qualität zu
erhalten: auf Grund der Kleinräumigkeit gibt es viele
„ausländische“ Studierende, denen man bestmögliche
Bedingungen bieten will, was wiederum eine starke
Konkurrenzierung um die besten Professoren zur Folge
hat, denen hohe Gehälter bezahlt werden und die dafür
auch sorgfältig beaufsichtigt werden, aber dennoch
häufig zwischen den Universität wechseln; so entwickelt
sich ein bereits sehr kompetives und effizientes System. |
|
Die Ausbildung wurde anfangs wesentlich von
Mitgliedern kirchlicher Orden, insbesondere der
Reformorden Dominikaner und Franziskaner getragen, und
das im Sinne des aristotelischen Thomismus, der ja
offizielle Lehrauffssung der katholischen Kirche wurde
und mit dem Aufkommen des Nominalismus als via antiqua gegenüber der
William von Ockham folgenden via moderna bezeichnet wurde. |
Die Studierenden, anfangs fast durchweg
Kleriker in einem weiteren Sinne, erhofften sich primär
die Anwartschaft auf eine geistliche Pfründe und dann
eine Position im sich auf den verschiedenen Ebenen
herausbildenden Verwaltungswesen. Im 15. Jh nimmt
dann die Zahl der – schon im 14. Jh vorhandenen –
Laienstudenten zu; sie erhoffen sich höhere Ämter durch
bessere Qualifikation. |
Die Universität bilden aber dennoch – von
ihrer Intention her – ausschließlich in Hinblick auf
künftige Universitätslehrer aus. Das Bakkalaureat
gestattet lediglich, in einem bestimmten Gebiet die
Kunst des Lehrens unter Aufsicht eines Magisters zu
üben. Die (ursprünglich gleichwertigen) Grade eines
Magisters und eine Doktors gewähren die licentia ubique docendi, mit der
die Verpflichtung verbunden ist, zuerst zumindest einmal
zwei Jahre an der Universität zu lehren, an der man die
licentia erworben
hat86. Der Inhaber des Grades
tritt in die Gruppe der Magistri oder Doctores87 ein und genießt die ihnen
seitens der Gesellschaft zugebilligten Privilegien, hat
aber keine Beraufsausbildung – das Doktorat der
Theologie ist für das Priesteramt keine Voraussetzung,
das der Rechte nicht für das Richteramt; ein Richter hat
zwar das Studium der Rechte nachzuweisen, lange aber
nicht in einem universitären Sinne durch einen
akademischen Grad, sondern durch den Nachweis des
Besitzes der wichtigsten Rechtsbücher. Erst im Übergang
vom 14. zum 15. Jh beginnt das Studium mit dem
akademischen Grad für die Erlangung bestimmter
Positionen unabdingbar zu werden,
das Doktordiplom beginnt einem Adelstitel
gleichzukommen. |
Für die Universitäten war es aber von
grundlegender Bedeutung, daß sie die wissenschaftliche
Bildung um ihrer selbst willen vertraten (die
aristotelische bios theoretikos des berühmt-berüchtigten
Elfenbeinturms), wie dies Walter Rüegg formuliert hat: "Daß die ihre latente Funktion, die
Bereitstellung professioneller Kader und
Fertigkeiten für das praktische Leben, bios
praktikos, auf eine derartige Nachfrage stieß,
spricht nicht gegen, sondern für die
gesellschaftsliche Relevanz des reinen
Erkenntnisstrebens, des amor
sciendi. Als bloße Korporationen
zum Schutze materieller Interessen und Freiheiten,
hätte die Universität das Schicksal anderer
mittelalterlicher Institutionen geteilt und wäre
längst untergegangen. Erst die gemeinsame
Verantwortung für die Organisation und Kontrolle
des systematischen Erkenntnisstrebens, des
Studiums, gaben den Freiheiten und Privilegien der
Scholaren und Magister einen Sinn, der ihre
unmittelbaren Interessen überstieg und so der
Autonomie der Universität auf ihrem ureigenesten
Gebiet, der wissenschaftlichen Lehre und
Forschung, Dauer verlieh"88
|
Eine für die Entwicklung der Universitäten
wichtige Zäsur war der Ausbruch des Großen Schismas
1378, der das definitive Ende der Einheit des Glaubens
in Europa bedeutet und das Zurücktreten der
universalistischen Vorstellungen gegenüber dem Aufkommen
nationaler Identitäten bewirkte. Damit beginnt auch der
universalistische Anspruch der Universitäten an Boden zu
verlieren, und ihre Zahl beginnt rasch anzuwachsen89.
|
|
|
Der Begriff facultas, aus dem unsere
Bezeichnung Fakultäten abgeleitet ist, bezeichnet im
Lateinischen eigentlich die Befähigung, die Anlage, das
Vermögen zu etwas (worauf der heutige Gebrauch für eine
Personengruppe gleicher Befähigung im Englischen, im
Sinne von „Gruppe der Befähigten“, zurückgeht) und im
übertragenen Sinne dann eben jenes Fachgebiet, auf das
sich jenes Vermögen bezieht. |
Die Universitäten bauen im Grunde genommen
in klassischer Weise auf den septem artes auf, deren Vertretung
auch die Basis-Fakultät (bis in das 18./19. Jh
propädeutischen Charakters) bildet; Theologie und
Jurisprudenz konnten als Teile der Philosophie
(Metaphysik und Praktische Philosophie) verstanden
werden. Von allen artes mechanicae oder illiterales gelang es nur der
Medizin, auf Fakultätsebene in den universitären Kanon
einzudringen; dies geschah via
facti, einmal weil bereits spezifische
Medizinschulen existierten und auch Versuche unternommen
wurden, die Medizin als ars
liberalis oder sogar über den artes liberales diesen
stehend zu dokumentieren – Dominicus Gundissalinus erklärte um 1150, dass
es in allen Wissenschaftsbereichen theoretische und
praktische Aspekte gebe, die Medizin befasse sich mit
dem Menschen als dem Gipfel der Natur und deshalb stehe
sie über allen artes
liberales soweit sie sich mit der Natur
beschäftigten; dies setzte sich nicht durch, zumal Thomas von Aquin in Anlehung an Martianus Capella in seinem Kommentar
zu des Boethius „De Trinitate“ formulierte,
die mechanischen Wissenschaften hätten nicht Erkenntnis,
sondern praktischen Nutzen zum Ziel; die Medizin befasse
sich mit dem unfreien irdischen Leib des Menschen und
sei deshalb nur eine ars
servilis. – Für die Beibehaltung der
Medizin im universitären Verband und das Ausblenden der
anderen artes mechanicae
wie etwa der Architektur und der Agrikultur, gibt es
keine plausiblen Gründe, sie ist via
facti geschehen bzw. akzeptiert worden.
|
Die Universitäten setzten aus Fakultäten
zusammen, die anfangs sicherlich einen stärkeren
Zusammenhalt hatten als das Ganze. Aus der grundlegenden
Funktion der septem artes resultierte, daß sie von
allen studiert werden mußten und deshalb eine
propädeutische Funktion hatten, die zu einer „unteren“
Fakultät machten, das heißt einer den im Studiengang
nachfolgenden und deshalb „höheren“ Fakultäten
Theologie, Jurisprudenz (lange ein Studium utriusque iuris, also des
weltlichen wie des kanonischen = kirchlichen Rechtes)
und Medizin nachgereihten Fakultät machten, woraus das
„klassische Vierfakultätenmodell“ entsteht, wobei die
Artes-Fakultät über die „Philosophischen Studien“ des
17.-18. Jhs zur Philosophischen Fakultät wird, die
erst spät ihren propädeutischen Charakter verliert – in
Österreich erst mit den Reform von 1848ff. |
|
Rektor
|
Er wird im Modell Bologna aus den
Studenten, im Modell Paris aus den Magistern gewählt
(ursprünglich wurde die von ihm auszuübende Funktion vom
Bischof wahrgenommen). Seine Aufgaben sind die Leitung
der Verwaltung, die Durchführung der in Kollegien
gefassten Beschlüsse, die Führung des Siegels, d.h. die
Vertretung der Universität nach außen, und die
Aufrechterhaltung von Ordnung und Disziplin, wozu er den
Vorsitz im Universitätsgericht führt, dem die
Studierenden, die Professoren und deren Familien (samt
Personal90), die
Verwaltungsbeamten der Universität, die von ihr
beschäftigten Schreiber, Illuminatoren, Buchhändler,
Papier- und Pergamenthersteller unterstellt sind. |
In Bologna gab es in der Frühzeit zeitweise
zahlreiche Rektoren, die einander gegenseitig vertreten
konnten. Der Rektor von Bologna hatte später den
Vortritt gegenüber Erzbischöfen und Kardinälen und
Papstlegaten, nicht aber gegenüber dem Bischof von
Bologna! Rektor war normalerweise ein Kleriker, damit
die Universität die Gerichtsbarkeit auch gegenüber
Klerikern ausüben zu konnte. |
In Paris wurde ursprünglich je ein Rektor
aus den Magistern der vier Nationen der Artistenfakultät
gewählt. 1249 beschloss man, einen Rektor der gesamten
Artistenfakultät zu wählen, der auf Grund von deren
Größe praktisch Rektor der Gesamtuniversität sein mußte.
Bis 1300 dehnte sich seine Amtsgewalt tatsächlich auf
alle Fakultäten aus, und er erlangt, indem der Kanzler
als Stellvertreter des Bischofs nach und nach seine
Amtsbefugnisse dem Rektor überträgt, schließlich auch
dessen Funktion. |
Es ist aber nicht außer Acht zu lassen, daß
es unzählige Schattierungen und Variationen der beiden
Grundmodelle an den einzelnen Universitäten bzw. im
Laufe der Jahrhunderte gegeben hat. |
Der Konvent, die
Universitätsversammlung
|
Diesem Gremium gehörten je nach Statuten
Studenten oder Magister an. Mit der Zeit werden die
Geschäfte schließlich einem kleineren Gremium leitender
Beamter überlassen. |
In Bologna nahmen alle Studenten an der
Universitätsversammlung teil, sie alle hatten ein
Mitsprachrecht, die Entscheidungen fielen
Ballotieren91. Die
Statuten durften allerdings klugerweise nur einmal in 20
Jahren abgeändert werden. In Paris erfolgten
Abstimmungen nach Fakultäten im Wege der Dekane, wobei
ursprünglich nur einstimmige Beschlüsse Gültigkeit
erlangten, ab 1350 bürgern sich auch Mehrheitsbeschlüsse
ein. In Oxford gab es drei Konvente92.
|
|
Mit der Zeit bildete sich an allen
Universitäten ein Gruppe von Verwaltungsbeamten heraus,
die unter der Oberhoheit des Rektors bzw. der Dekane,
die die Fakultäten leiteten, die Geschäfte führten.
Erwähnt seinen hier der notarius und der bedellus. |
|
Kollegien – um Mißverständnisse zu
vermeiden, sei im Folgenden der englische Begriff colleges verwendet – waren
ursprünglich bescheidene fromme Stiftungen zur
Unterbringung einer kleinen Zahl (einem collegium) von Studenten, oft arme
Kleriker. Vorbilder dafür waren die Klöster der
Bettelorden, die ab 1220 zur Unterbringung ihrer eigenen
Studenten in Universitätsnähe gegründet wurden. Die
Colleges waren auch gleich organisiert. Die Insassen
(Kollegiaten) unterwerfen sich den im Kollegium
geltenden Regeln93. Derartige
Gründungen setzen zwar schon im 12. Jh ein, die
Colleges im heutigen Sinne entstehen aber erst ab
125094. |
Colleges sind mit Landbesitz,
Renteneinkünften etc. ausgestattet; dazu kamen oft
spezielle Privilegien für die Herstellung oder zollfreie
Zufuhr von Lebensmitteln und Getränken hinzu. Die
Kollegiaten erhalten freie Kost und Logis, oft auch noch
ein wöchentliches Handgeld und mitunter sogar einen
Zuschuß zur Kleidung bzw. zur akademischen Tracht. Die
Verweildauer war stets limitiert, es gab aber zahlreiche
Ausnahmen. Nach klösterlichem Vorbild regeln die
Statuten den Tagesablauf. |
Die französischen Colleges waren
mehrheitlich bescheidener als die englischen; das größte
war aber lange das College de Navarra in Paris (für 70
Studenten), erst 1379 zieht das New College in Oxford
gleich. Im 14. Jh gab es dann auch
Colleg-Gründungen an den südlichen Universitäten,
darunter auch Gründungen von Magister-Colleges (collegium maius). Die Zahl
der Kollegs im Süden bleibt vergleichsweise geringer,
weil es an den dort häufigeren Rechts- und
Medizinuniversitäten weniger Artisten, sondern eben weit
mehr reichere Studenten der Rechte und der Medizin gab,
die sich private Quartiere zu leisten vermochten und
sich auch nicht den Regeln der Colleges unterwerfen
wollten95. |
Im 14. und 15. Jh beginnen die
Colleges von der Beherbergung armer Studenten dazu
überzugehen, als privilegierte Institutionen ihren
Mitgliedern um den Preis einer gewissen Disziplin und
Leistung besonders günstige Arbeitsbedingungen und
Studienmöglichkeiten zu schaffen, um so die Elite
anzuziehen. Es werden Gelder benützt, um Bibliotheken
auszubauen und eigene Professoren am Colleg anzuheuern,
so dass gewissermaßen eigene Lehranstalten entstehen,
die nicht nur den Kollegiaten offenstehen, sondern
allgemein, und deshalb die Fakultäten und ihr
Lehrangebot im Universitätsgefüge zu verdrängen
beginnen, die sich mehr und mehr auf die Verleihung der
akademischen Grade zurückziehen. In England war der
Student primär Mitglied eines College und erst durch
dieses Angehöriger einer der beiden Universitäten (bis
in das 19. Jh existierten in England nur Cambridge und
Oxford). |
Mitunter spezialisieren sich derartige
Colleges auf spezielle Bereiche der Lehre und erreichen
darin höchstes Niveau (z.B. das Merton College in Oxford
im Bereich der Mathematik). |
Das Kollegwesen strahlt auch auf andere
Bereiche aus, es löst z.B. in England die Entwicklung
der Public Schools (Winchester 1382, Eton 1440) aus,
ähnliche Erscheinungen sind auch in Südfrankreich und in
Spanien nachweisbar. |
|
Von Anbeginn an führten die Universitäten
eigene Siegel und Insignien wie Szepter, Amtsstäbe,
Ring, Kette, Talare und Barette. |
Die Talare entwickelten sich aus den
Gewändern der Weltgeistlichen (ein großer Prozentsatz
der Studenten bestand anfangs aus Weltgeistlichen), die
im Verlauf der 14. Jhs einen besonderen, dann
traditionsweise fortgeführten Schnitt erhielten.
Standardgewand ist die Supertunica, das lange Kleid des
Klerikers. Im 15. Jh kam dann weltlicher
Modeeinfluss mit Schärpen, Schulterstücken, Baretten
etc. hinzu und ab dem 16. Jh spezielle Farben für
die Fakultäten96. besondere
Auszeichnungen sind Pelze: Hermelin- oder Fehpelze. Die
Rektoren treten im 15. Jh häufig schon in
scharlachrot (heute noch in Prag) und häufiger noch in
gold auf. |
Parallel dazu entfalten sich heraldische
Ausformungen an Gebäuden und materiellen Gegenständen,
die Statuten- und Matrikelbücher werden prunkvoll
gestaltet, auf sie werden wie auf die Bibel Eide
abgelegt. |
|
Der Titel eines Magisters – lat. Vorsteher,
Lehrer – ist bereits im 12. Jh nachweisbar, und
zwar meist für solche Personen, die eine Schule
leiteten, sei es aus eigener Initiative oder mit Lizenz
der Aufsichtsbehörde, z.B. des Vertreters des lokalen
Bischofs. Magister nannnten sich auch jene, die länger
studiert und von ihrem Lehrer eine mehr oder weniger
förmliche Bestätigung ihres Wissensstandes erlangt
hatten. Solche magistri
traten bereits im 12. Jh in den Domkapiteln, an der
Kurie, in fürstlichen Kanzleien auf. |
Mit dem Aufkommen der Universitäten wird
der Titel Magister seitens der Universitäten einer
strengen Reglementierung und Monopolisierung
unterworfen: der Kandidat, der ihn zu erwerben trachtet,
meldet sich, sobald ihn sein Magister für examensreif
hält, bei den Universitätsbehörden, beim Rektor und vor
allem beim Kanzler, der die Erfüllung der formalen
Kriterien überprüft (Vorliegen des Bakkalaureats,
Absolvierung bestimmter Übungen, Vorlesungen etc.); es
folgt das private oder rigorose Examen als eine
Disputation über eine am Vortag ausgemachte Frage. Im
Falle der positiven Absolvierung wird der Kandidat vom
Kanzler zum Lizentiaten befördert, was lediglich die
Bescheinigung des intellektuellen Niveaus bedeutet. Für
die Erlangung des Lehramtes ist eine dritte Prüfung
erforderlich: das examen
publicum (auch „inceptio" genannt), ein eher
zeremonieller Akt, der oft in einer Kirche stattfindet,
bei dem ein Scheitern ausgeschlossen war und der in die
Überreichung der Insignien mündete: Barett, Handschuhe,
Buch. Anschließend tritt der Magister sein Amt an, indem
eine Disputation mit Studenten über ein Thema seiner
Wahl durchführt. Das examen
publicum ist der eigentlich
universitäre Akt, der Kanzler ist zwar anwesend, aber er
agiert nicht mehr, er übt sein Recht der Graduierung
nicht aus, es erfolgt nun die Aufnahme des neuen
Magisters in den Kreis der Lehrenden. |
Nur sehr wenige Studenten gelangten bis zum
Lizentiat bzw. Magisterium. Nach Zahlen aus dem
15. Jh steht zu vermuten, daß 30-40 % das
Bakkalaureat erlangten und weniger als 10 % das
Magisterium. Die Gründe liegen in der langen
Studiendauer und den sehr hohen Kosten für das
Magisterium, die viele nicht tragen konnten; anderseits
konnten sich viele Reiche das Magisterium auch
erschwindeln, und es gab Universitäten, die akademische
Grade auch schon nach wenigen Tagen der Anwesenheit am
Universitätsort verliehen.. |
Die ursprünglich gültige Verpflichtung des
neuen Magisters, nämlich zunächst einmal zwei Jahre an
der Heimatuniversität zu lehren, bewirkte zwar eine
ständige Erneuerung des Lehrkörpers, wurde aber als sehr
lästig empfunden; sie wurde in der 1. H. des
15. Jhs wohl allgemein aufgegeben, sicherlich
jedenfalls in Paris. Einersets wollten die neuen
Magistri hinaus in die Welt oder eine Stellung annehmen
und andererseits waren die ortsansässigen, eingeführten
und dominierenden, oft auch stipendierten (besoldeten)
Magister (magistri
regentes) keine Nebenbuhler. |
Das Doktorat war jener akademische Grad,
der zwar ursprünglich identisch war mit dem Magisterium,
der aber im 15. Jh vermehrt und dann zeitweise
ausschließlich an den höheren Fakultäten verliehen
wurde, sodaß das an der Artesfakultät veliehene
Magisterium eine Vorbedingung für das Doktorat wurde.
Erst in der späten Aufklärung kann auch an den
Artesfakultäten (in eher seltenen Fällen) ein Doktorat
(und nicht nur ein Magistertitel) erlangt werden. |
Während der Doktortitel aufgestiegen ist,
ist der anfangs als Zulassungstitel der Magister
dienende Titel eines licentiatus abgesunken. Er bezeichnet
bald, wie auch der Titel eines baccalaureusDer Titel baccalaureus ist
etymologisch problematisch: er wird von manchen
von „bas chevalier“ („kleiner Ritter“), von
anderen von „baca/bacca laureatus“ (Lorbeerkranz)
abgeleitet., eine niedrige
Ausbildungsstufe. |
Es gibt in all diesen Fragen viele lokale
Besonderheiten. |
|
|
Professor, also regulär vortragender,
„regierender“ Magister, wurde man durch Kooptierung
durch die etablierten Magistri innerhalb einer Fakultät
wie in Paris, innerhalb des Generalkonvents aller
Magistri der Universität wie in Oxford, oder im
Dokorenkolleg (z.B. wie in Avignon). Früh entwickelte
sich aber auch eine andere Form, nämlich die des
Vertrages zwischen dem Magister und der Universität oder
dem Träger der Universität, z.B. einer italienischen
Stadt. Es wurde ein detailliertes, alles regelnder,
meist auf ein Jahr befristeter Vertrag geschlossen. Von
Italien ausgehend ist das Vertragssystem vor allem nach
Südfrankreich und Spanien übernommen worden. Die Auswahl
der Professoren ist damit mehr und mehr an die Städte
übergegangen, die dafür mitunter sogar eigene Beamte
einsetzten (reformatores sive
tractores studii). In Coimbra berief
der König die Professoren, in Salamanca blieb es das
ganze Mittelalter hindurch der studentische Rektor.
|
Jedenfalls bildet sich im Spätmittelalter
langsam ein Stand von hauptberuflichen
Universitätslehrern heraus, der durchaus nicht homogen
war, in dem vielmehr verschiedene Guppen erkennbar sind:
|
– |
die Gruppe
der Kleriker, vor allem an den Theologischen
Fakultäten zumeist Ordensmitglieder, die als
solche leben und in nur geringem Kontakt zur
Universität stehen, indem sie ihre Vorlesungen
halten, sonst aber kaum am Leben der Universität
teilnehmen. |
– |
die Gruppe
jener, die ordinarie
die wichtigsten Lehrinhalte des
Curriculums vortragen, d.h. besonders eingehend,
ordentlich, und zu den besten Stunden am frühen
Vormittag, den magistralen oder doktoralen
Stunden; sie stellen die Vorform der ordentlichen
Professoren dar, |
– |
die Gruppe
jener, die die weniger wichtigen Materien extraordinari, d.h.
weniger genau, kursorisch behandeln, und zwar am
Nachmittag, jedenfalls nicht zu den doktoralen
Stunden; mitunter waren diese Stoffe auch nicht
einmal Prüfungsgegenstand; diese Lehrenden stellen
die Vorform der Extraordinarien dar. |
|
Dieses System führte rasch zu einer
Verfestigung der Gruppe der Ordinarien, die sich
außerdem allein für das Studium zuständig und
verantwortlich bezeichneten, die entsprechenden Akte an
sich zogen und dem entsprechend auch eine höhere
Bezahlung beanspruchten. So entsteht auch an einer
studentisch dominierten Universität wie Bologna ein
starkes Gegengewicht. Die Doktorenkollegien der
einzelnen Fakultäten setzten eine zahlenmäßig exakt
definierte Gruppe ein (16 Professoren im Zivilrecht, 12
im Kanonischen Recht etc.), der sie alle Befugnisse
hinsichtlich der Überwachung der Erteilung der
akademischen Grade, der daraus resultierenden Einnahmen
etc. übertragen. Diese Entwicklung vollzieht sich an den
Magister-Universitäten wie Paris gleichermaßen. |
Allerdings wird die Herrschaft der
Ordinarien nie vollständig, stets haben die
Extraordinarii und andere ihre Beteiligung an den
universitären Gremien aufrecht zuerhalten vermocht.
|
Auch ist die Entwicklung an den Fakultäten
unterschiedlich: an den Rechts- und Medizinfakultäten
des Südens vor allem gibt es früh weltliche,
verheiratete Professoren, die mit ihren Familien eine
ganz andere Lebensabsicherung benötigen als die
Geistlichen in den Theologischen Fakultäten oder im
Kanonischen Recht. An den Artesfakultäten wiederum ist
der Anteil der festen Professoren am Lehrkörper sehr
gering; hier erscheint im 15. Jh eine neuer Typ:
der des Magisters, der eine feste Stellung in den Artes
einnahm und zwar als Professor eines Kollegs, dies war
zwar weniger geachtet als an den höheren Fakultäten,
bedeutete aber doch eine Sicherung; dieser Status findet
sich häufig in Paris, Oxford und Cambridge, also an
Universitäten mit vielen Kollegs. Fachprofessuren sind
bis weit in die Renaissance sehr selten (Johann von Gmunden wird ab 1417 in
Wien zugestanden, daß er nur Mathematik lesen müsse),
lange haben die Magistri im Gesamtbereich ihrer Fakultät
zu lehren; noch im 18. Jh wird an den
Jesuitenuniversitäten in den Artesfakultäten die Lehre
semester- oder zumindest jahresweise zugewiesen, sodaß
ein Professor einmal Mathematik, dann Grammatik etc. zu
lehren hatte. |
|
Die Professoren hatte ihre Vorlesungen an
den dies legibiles der
Woche (das sind die Werktage ohne den allenfalls geübten
Wochenferialtag) zu halten. Nach Abzug aller Feiertage,
Prüfungstage, Disputationstage etc. waren dies meist
nicht mehr als 130-150 dies
legibiles, also ca. 25 Wochen, was
ziemlich genau den heute noch zumeist üblichen
Semesterwochen entspricht. Allerdings hielt der
Professor täglich eineinhalb bis zwei Stunden Vorlesung,
d.h. er las in etwa 10-12stündig. Die Vorlesung wurde
jährlich wiederholt. Dies hatte zeitweise eine starke
Erstarrung zur Folge. Professoren teilten sich mitunter
den Stoff einer Materie auf und belebten die Sache von
sich aus. Wichtig war auch, daß häufig junge Bakkalare
versuchten, zusätzliche, eingehendere, persönlichere
Unterweisungen in der Materie zu geben, auf diese Weise
dringen oft modernere Unterrichtsformen und geistige
Strömungen ein, z.B. der Humanismus. |
Außerdem wurden Disputationen abgehalten –
an eingen Institutionen einmal pro Woche, an deren nur
einmal im Semester oder gar im Jahr. |
Zunehmend wurden Professoren auch zu
anderen Diensten herangezogen: zur Teilnahme an
Gesandtschaften, für die Erstellung von Gutachten, für
Begehungen etc., sodaß sie mitunter ihre eigentliche
Lehrtätigkeit kaum mehr ausübten und sich vertreten
ließen, worüber heftige Beschwerden geführt wurden.
Hinzu kommt, daß die Universitäten auch in den großen
Auseinandersetzungen der Politik Stellung bezogen:
Schisma., Konziliarismus etc. |
Schwere Auseinandersetzungen gab es
mitunter um die Lehrmeinungen: die antqui, d.h. die Thomisten und
Scotisten, stellten sich gegen die moderni, d.h. gegen die
Nominalisten; beide vertraten ja grundsätzlich
unterschiedliche Ausbildungmodelle, nämlich die via antiqua als die
herkömmliche Lehre in der Tradition der
aristotelisch-thomistischen Auffassung und die via moderna, die eben den
revolutionären Auffassungen der Occamistae, den errores Occanicae folgte. An
einzelnen Universitäten wurden sogar eigene
Studienrichtungen für die via
antiqua neben anderen für die via moderna eingerichtet
(so in Heidelberg, Freiburg, Ingolstadt,
Tübingen). |
Das Ansehen der Professoren war generell
sehr hoch. Im 14. und 15. Jh entwickeln sich auf
dieser grundlage sogar Professorendynastien – 1317 schon
läßt der berühmte Jurist Giovanni d’Andreae in den
Statuten der Universität Bologna ein unbeschränktes
Vorrecht seiner Nachkommen auf eine besoldete Professur
festschreiben. Tortz des Ansehens entschwinden die
Professoren aber sofort, wenn ihnen lukrative kirchliche
oder staatliche Posten angeboten werden. |
|
Universitäten waren prinzipiell jedem
offen, der getauft war und den allgemeinen moralischen
Vorstellungen folgte; für den akademischen Grad war die
Ehelichkeit der Geburt nötig oder wenigenst der Glaube
daran, ehelich geboren zu sein; es spielte dies aber in
der Praxis für die Studenten kaum eine wesentliche
Rolle, da die meisten ohnedies nicht so weit kamen.
|
Wesentlich war eine starke Bindung des
Studenten an einen, „seinen“ Magister; es entwickeln
sich Magisterfamilien, d.h. Gruppen von Studierenden,
die enem bestimmten Magister zugeordnet sind. In Paris
galt: niemand ist Pariser Scholar, der nicht einen
bestimmten Lehrer habe. Die Bindung an einen Magister
war das eigentliche Kriterium der Aufnahme: der Student
mußte einen Magister finden, der ihn aufnahm in seine
familia. |
Ursprünglich war für die Aufnahme an der
Universität bzw. in eine Magisterfamlilie keinerlei
Vorbildung erforderlich, es ist nicht einmal sicher,
dass alle, die an die Universitäten kamen, auch schon
Lesen und Schreiben konnten, sicherlich konnten längst
nicht alle Latein, die ein Studium begannen. |
Formaler Aufnahmeakt war die Immatrikulation mit Eid,
Gebühr und Eintragung in die Matrikel.
Ursprünglich handelte es sich die Magister-Matrikel –
der Magister notiert die Namen der ihm anhängenden
Studenten, für die er verantwortlich war. Diese Listen
werden später nach Fakultäten zusammengetragen; so
entwickelt sich um 1350 der Typus der Fakultätsmatrikel.
Daneben wurden auch Nationenmatrikeln geführt. An den
zentraleuropäischen Universitäten entstehen um 1350 die
Rektoratsmatrikeln, älteste war vermutlich die 1367
begonnene (verlorene) Prager Matrikel
(Theologen/Mediziner/Artisten-Universität Prag), die
älteste erhaltene ist die 1372 begonnene Matrikel der
Juristen-Universität Prag. |
Grundlage für die Aufnahme ist der Eid mit
zumeist vier Punkten: |
- |
Gehorsam dem
Rektor oder dem Kanzler gegenüber, |
- |
Anerkennung
der Statuten |
- |
Förderung des
Wohls der Universität nach Kräften, gleichgültig,
in welcher Stellung |
- |
Anerkennung
der Gerichtsherrschaft des Rektors bzw. Kanzlers
zur Wahrung des Friedens innerhalb und außerhalb
der Universität (Verzicht auf Selbsthilfe). |
|
Im 14. und 15. Jh beinhaltet der
Eide mitunter an erster Stelle Gehorsam dem König
gegenüber, dann erst dem Rektor. Später treten
konfessionelle Eide hinzu – etwa auf die unbefleckte
Empfängnis; an einigen Universitäten, die auch
Nichtkatholiken zuließen, gab es spezielle Eide oder den
Eidverzicht für Juden und andere Nichtkatholiken; auch
gab es Eidesbeschränkungen für Ordensmitglieder, bei
denen der Eid u.U. mit dem Profeßeid kollidieren konnte;
in derartigen Fällen gab es seitens der Universität oder
seitens des Ordens enstprechende Dispens; ähnliches galt
für Adelige in unterschiedlichen universitäre Usuancen:
einen eigenen Adelseid gab in Köln, spezielle,
differenzierte Formen in Tübingen und Basel. An den
italienischen Juristenfakultäten hatten alle den Eid zu
leisten bis auf legitime Königssöhne und -brüder. |
Die Eidesleistung setzt Eidmündigkeit
voraus, nach dem kanonischen Recht trat diese mit der
Vollendung des 14. Lebensjahrs ein. Dennoch gab es
viele Minderjährige an den Universitäten: sie bzw. ihre
Väter etc. hatten zu versprechen, daß sie den Eid bei
Erlangung der Volljährigkeit ableisten würden. 14/15
Jahre ist das klassische Eintrittsalter für die Artes.
Die in die höheren Fakultäten Eintretenden sind dann
etwa 4-5 Jahre älter, also etwa im heutigen
Eintrittsalter. Die Taxen waren sozial differenziert –
Adelige leisten Übersoll und zusätzlich Spende etc.
|
Nach Schwinges können fünf Typen von
Studenten unterschieden werden: |
1 |
scholaris simplex – Etwa
die Hälfte aller Studenten an den klassischen
Vierfakultäten-Universitäten, oder sogar mehr als
50 %, sind 14-16jährige Artesstudenten, die
im Schnitt 1,8 Jahre an der Universität
bleiben und keine einzige Prüfung ablegen. Diese
Studenten haben zuvor eine Lateinschule absolviert
und betreiben Grammatikstudien, kaum mehr. Sozial
ziemlich ausgewogen. |
2 |
Bakkalar =
Artesstudenten – Ganz ähnlich wie 1, aber im
Schnitt deutlich ärmer, will seine Studien
abschließen, verbindet damit Aufstiegshoffnungen,
will in 2-2,5 Jahren das Bakkalaureat schaffen und
ist dann etwa 16-19 jahre alt. Machen etwa
20-40 % der Gesamtstudentenzahl aus. Für etwa
zwei Drittel von ihnen bleibt das Bakkalaureat der
einzige Titel, den sie erwerben. |
3 |
Magisterstudent = Artesstudenten – die nach 2-3
Jahren das Magisterium erlangen und dann etwa
19-21 Jahre alt sind. Der Anteil der Armen hat
sich gegenüber Typ 2 wieder stark verringert.
Diese Studenten studieren an einer höheren
Fakultät weiter und unterrichten gleichzeitig an
der Artesfakultät. Sie machen etwa 10-20 %
der Gesamtstudentenzahl aus und finanzieren ihr
Studium als Zentren eine schola, einer familia magistri, aus ihrer eigenen
Lehrtätigkeit, indem sich Studenten der Typs 1 und
2 um sie scharen; der Magister kann Dekan oder
Rektor werden. |
4 |
Standesstudent, "Der Student, der bereits jemand
ist", entweder adelig oder sehr reicher
Bürgerstand, hohe Kirchenpfründe, bezieht die
Universität im Kreise seiner famliares, also
seines eigenen Hofstaates (Diener, Privatlehrer,
bis zum Pferdeknecht), breites Spektrum im Alter,
hat keine universitäre, sondern nur private
Vorstudien, praktisch nur an der Juristenfakultät
(klassischerweise Bologna) zu finden, es hängt von
seinem Status ab, ob er überhaupt noch einen
akademischen Grad anstrebt oder diesen als hoher
Adeliger nicht bereits als nichts standesgemäß
verwirft. Sozialen Aufstieg sucht er nicht, kann
er an der Universität nicht mehr erlangen.
Besonders häufig in Südeuropa, in Deutschland vor
allem in Erfurt, Basel, Freiburg oder Ingolstadt
(das als Sprungbrett für die Italienreise dient).
Die Universitäten gewähren diesen
prestigeträchtigen Studenten nahezu alle
Privilegien und Freiheiten. Prüfungen werden so
gut wie nicht absolviert. |
5 |
Fachstudent
der höheren Fakultäten, der sein Studium mit dem
Lizenziat der Fakultät oder gar mit dem Doktorat
abschließt. Er steht altersmäßig in den
Zwanzigern, wenn nicht schon in den Dreißigern.
Macht nur 2-3 % der Gesamtstudentenschaft
aus. Sozial hochrangig: ritterbürtig oder
städtische Oberschicht oder reiche obere
Mittelschicht. Er hat seine Karriere bereits
gemacht, ist in städtischen oder anderen Diensten
und erlangt nur mehr zusätzliches Ansehen. |
|
|
Alle diese Studenten waren in der
Anfangszeit Kleriker; der Klerikeranteil nimmt dann
laufend ab, gegen 1500 hin sind die Klerikerstudenten
europaweit vermutlich bereits die Minderheit. |
Der hier zur Anwendung kommende
Klerikerbegriff ist aber höchst problematisch. Als clericus wurde an der
Universität praktisch jeder bezeichnet, die Hinwendung
des Begriffes zum Wortsinn Beamter (clerk) setzt früh ein, heißt:
einer, der des Schreibens kundig ist. Clericus ist also nicht mit
Geistlicher gleichzuzsetzen. An den deutschen
Universitäten unterschied man Pfaffen, Studenten und
Laien; Studenten wurden mitunter auch als halfpapen („halbe Pfaffen“)
bezeichnet. Es gab ja clerici
uxorati, verheiratete „Kleriker“. |
|
Weibliche Studierende gab es praktisch
nicht. Allerdings wurden, im Süden, vereinzelt auch
Frauen wissenschaftlich ausgebildet98.
Bekannt sind: |
– |
Magdalena
Buonsignori,
wurde Juristin |
– |
Novella d'Andreae, Tochter des
berühmten Bologneser Juristen Johannes
Andreae99, wurde
selbst eine bekannte Juristin |
– |
Beatriz Galindo "La Latina" (174-1534) wurde
in Salamanca zu einer hervorragenden Latinistin
ausgebildet und dann an den Königshof berufen, um
Königin Isabella die Katholische Lateinuntericht
zu geben. Sie lehrte an der Universität Salamanca
auch Medizin und gründete Krankenhäuser und
Schulen. |
|
|
Ihrer sozialen Herkunft nach waren die Studenten
mehrheitlich städtischer Abkunft, nur in England scheint
es eine ländliche Mehrheit gegeben zu haben. Im
Wesentlichen spiegelt die Zusammensetzung der
Studentenschaft einer Universität die soziale Ordnung
der Welt wider, in die sie eingebettet ist. Und man hat
dies auch bewußt so gesehen und darnach gehandelt, die
von außen in die Universität getragene Ordnung
respektiert und peinlichst eingehalten. So ergab sich
beiden Prozessionen etc. ein ordo
ratione gradus aut status, eine
Rangordnung nach akademischem Grad und sozialem Rang
(Wien). D.h. die sozialen Unterschiede bleiben bestehen:
Prälaten und Söhne des Geburts- und Geldadels sitzen in
der ersten Reihe, für die Plätze auf den einzelnen
Rangreihen der Bänke wird bezahlt. Auch ein
Städtisch-Bürgerlicher kann sich einen Preis auf der
Adelsbank erkaufen. Ein armer Scholar konnte aber kaum
jemals über die vierte Bank hinaus vorrücken. Im
Wesentlichen unterschied man an praktisch allen
europäischen Universitäten hinsichtlich der Studenten:
nobiles, divites
(breite Mittelschicht an den Universitäten), pauperes. |
Pauperes:
der Begriff meint nicht Mittellose, sonder jene, die
nicht in der Lage waren, die Kosten des Studiums zu
tragen. Der Begriff ist schüsslnd. Die Lage der pauperes hat sich an den
Universitäten zwischen 1200 und 1500 eher
verschlechtert. Die Taxatoren, die die Erhebungen
hinsichtlich eines Armutszeugnisses und des Erlasses der
Gebühren zu führen hatten, gingen immer perfekter und
rigoroser vor; in Erfurt galt die Devise: Nulli parce – niemanden zu
schonen. Die Rektoren, Taxatoren etc, die z.T. von den
Einnahmen aus den collectae und den Gebühren lebten,
bewerteten durchaus eigennützig. Andererseits waren die
Armenstiftungen großteils belegt mit Leuten, deren
Eltern sehr wohl bezahlen hätten können. Erst um 1500
ändert sich dies und es werden tatsächlich die Armen der
ihnen geltenden Stiftungen teilhaftig. – Nicht wenige
Arme haben ihr Studium in Diensten einer famlia eines reicheren
Patrons finanziert. |
Der Laienadel strömt erst ab 1450 vermehrt
an die Universitäten, um den mittlerweile aufgebauten
Vorsprung des wirtschaftlich selbstbewußten und nun auch
zunehmend universitätsgebildeten Bürgertums abzubauen.
|
Die Universitäten sind von einem dichten
Netzwerk von familialen Beziehungen umgeben. Der
klassische Weg in die Universität ist der der
Protegierung durch
jemanden innerhalb der Universität, durch Professoren,
Beamte, Standesstudenten – sie alle ziehen weitere
Studenten nach, d.h. es werden jene bevorzugt
aufgenommen und einbezogen, die bereits über Beziehungen
in die Universität verfügen. D.h. die Masse des
Nachschubs rekrutiert sich aus Bereichen, die
gewissermaßen bereits Universität sind bzw. der
Universität nahestehen. |
Eine privilegierte und protegierte Schicht
innerhalb der Studentenschaft bildeten die Kollegiaten, die etwa bis
maximal 15 % der Gesamtzahl erreichen konnten. Der
Rest wohnte entweder einzeln oder zu mehreren privat zur
Miete oder in einem von der Universität angemieteten und
kontrollierten Studentenhaus, das von einem Magister
geleitet wurde und meist als bursa, Burse, bezeichnet wurde; an
einzelnen Universitäten herrschte Bursenzwang bis in das
16. Jh. Am unteren Ende stand – z.B. in Wien – die
Zwei-Groschen-Burse. Die Universitäten suchten die
Mietpreise zu kontrollieren und in Grenzen zu halten.
1413 gab es in Wien 29 Bursen. In Oxford gab es 1313
bereits 123 Halls, 70 waren es noch um 1425, 50 gegen
1500 hin. Die Dimension der Bursen war höchst
unterschiedlich – die Besetzung konnte zwischen 3 und 70
schwanken; in Oxford waren es durchschnittlich 18
Studenten, in Krakau gab es hingegen ein Kollegium mit
100 Plätzen. |
Die Studenten in den Studentenhäusern waren
zum Gebrauch des Latein als Umgangssprache verpflichtet,
Verstöße wurden durch den lupus
überwacht und mit empfindlichen Strafen
geahndet100. |
|
|
Zu den familiares der Universitäten zählten
aber auch alle jene, die in irgendeiner Verbindung zu
Universität standen; in den Anfängen waren es vor allem
die Buchhändler, Schreiber etc., sie geben die von den
Professoren korrigierten und authorisierten Fassungen
der Vorlesungstexte ungebunden in Bogen (peciae) aus zum Studieren
oder Abschreiben etc. genau überwacht101. An den
zentraleuropäischen Universität und auch in Paris baten
die Studenten die Professoren häufig, ihnen die
Vorlesungstexte zu diktieren, damit sie das Geld für die
peciarii sparten (=
pronunciatio). |
Aber auch die Köchinnen, Diener und
sonstige Angestellte, später auch die Ehefrauen und
Kinder der Professoren wurden zur Universität gezählt.
|
|
Interne Einnahmen aus den Immatrikulationsgebühren und Prüfungstaxen, Abgaben der
Nationen und die Kollekte
oder Burse, auch Bußgelder durch verurteilte
Universitätsmitglieder (umfangreiche Bußgeldkataloge:
Aufheben eines Steiner, in der Absicht, ihn auf einen
Magister zu werfen, 10 Groschen, Fehlschuß acht Gulden,
Treffer noch weit mehr etc.). |
Externe Einnahmen aus Stiftungsgütern und die Gehälter, soweit diese vom
Landesfürsten oder der Stadt gezahlt wurden. |
Ausgaben meist nur für Feiern,
Verwaltungskosten, Prozesse, Mieten allenfalls. |
Die Collectae wurden ein- oder zweimal
jährlich von allen Studenten eingehoben, um die Beamten,
Pedelle, mitunter auch Lehrende bezahlen zu können. Im
Spätmittelalter ist sie für die Studenten nur mehr wenig
belastend. |
Sehr belastend waren hingegen die
Geschenke, Feste etc. anläßlich der Graduierung, wobei
die Magister freizuhalten waren – der Aufwand uferte
dermaßen aus, daß er gesetzlich eingeschränkt wird.
|
Besoldung:
Ursprünglich bezogen die Lehrenden an den
privaten Schulen des 12. Jhs nach zuvor
ausgehandelten Abmachungen Einkünfte von den Studenten.
Dem stellte die Kirche die Auffassung entgegen, daß das
Wissen ein Geschenk Gottes sei, das kostenlos
weitergereicht werden müsse, wie sie es in den
Kathedralschulen tat, wo die Lehrer durch Pfründen
gesichert wurden. |
An den Universität erhielten nun die
Lehrerenden, soweit sie Geistliche waren, auf Grund der
päpstlichen Verfügungen Pfründen
(wobei sie von der Residenzpflicht
befreit waren). Nicht galt dies für die Weltlichen,
häufig Mediziner und Juristen und mitunter auch für
junge geistliche Artistenmagister. Sie waren auf die
collectae angewiesen;
da diese aber niedrig waren und die Studenten schlecht
zahlten, mußten sich die Lehrenden an die
Prüfungsgebühren halten, die deshalb vom 14. Jh an
ständig stiegen. Eine dritte Variante war der Vertrag mit Gehalt, wie
sie sich im 13. Jh in Italien entwickelt und auch
in Spanien geübt wird. In Frankreich aber nicht vor
1480; in Oxford einige kurzlebige Philosophie-Lehrstühle
des Herzogs von Gloucester 1437. |
Die Höhe der Einkünfte war höchst
unterschiedlich zwischen den einzelnen Universitäten,
innerhalb dieser hinsichtlich der Fakultäten etc.
Phantastische Gehälter einzelner Juristen stehen
Gehältern von Grammatik- und Logikprofessoren gegenüber,
die denen ungelernter Arbeiter entsprechen. |
Im Reich sorgten von Anfang an die Gründer
und Mäzene für Gehälter. Dies belastet die Kassen
dermaßen, daß man sehr bald soweit irgend möglich auf
"ewige Stiftungen" zurückgriff, d.h. Pfründen für die
Besoldung heranzog bzw. der Universität zur Nutzung zur
Verfügung stellte (Löwen erhält 1443 29 Pfründen!). In
Deutschland übernehmen im 15. Jh die Fürsten mehr
und mehr die gesamten Finanzen "ihrer" Universitäten,
was natürlich auch Kontrolle bedeutete. da die
Universitäten aber nicht mehr in der Lage waren, den
Betrieb in der notwendigen Weise aufrecht zu erhalten,
konnten sie sich dem nicht widersetzen. |
Erhalten ist die Gesamtgebarung der
Universität Krakau für die Zeit um 1420; die Universität
verfügte über sehr erhebliche Mittel: sie konnte 80
Magister besolden, eine sehr gute Bibliothek zu halten,
eine prächtiges Gebäude zu errichten und darüber hinaus
noch der Krone Darlehen geben. |
|
Im 12. und 13. Jh werden die
Klosterbibliotheken in ihrer Bedeutung langsam von den
Universitätsbibliotheken
abgelöst. Maßgebliche Veränderungen
werden durch die Verwendung des Papiers bewirkt, die
eine Steigerung und Verbilligung der Produktion erlaubt
– professionelle, zunftmäßig organisierte Schreiber
treten gegenüber den klösterlichen Skriptorien in den
Vordergrund: die stationarii (Buchhändler) übernehmen
die Organisation der professionellen Vervielfältigung
der Vorlesungsmitschriften und werden von den
Universitäten als
familiares, suppositi
etc. eidlich verpflichtet und einer aus
den Reihen der Lehrenden gebildeten Kommission
unterstellt, die gewissermaßen für die Korrektheit der
Inhalte bürgte. Die Manuskripte wurden lagenweise zum
Abschreiben zur Verfügung gestellt (per petias, petiatim). Dabei
standen die Universitäten in Konkurrenzkampf
untereinander: die Bologneser Rechtstexte wurden in ganz
Europa vertrieben, Medizin kam meist aus Salerno,
Scholastisches aus Paris. Alles um 1200 in Gang
gekommen. |
Erst nach und nach entstanden auch die
Büchersammlungen an den Universitäten, aus denen die
Universitätsbibliotheken hervorgeangen sind. Das älteste
Pariser Kollegium wird um 1180 gegründet. Um 1250
erfolgte die namensgebende Stiftung seitens Robert de Sorbonas,
die zum Zentrum der theologischen Studien wird und wo –
wesentlich durch die Schenkungen der Mitglieder des
Kollegs, von denen 170 wenigstens ihre Bücher dem
Kollegium vermachen – sehr schnell eine große Bibliothek
aufgebaut wird, die später mit der päpstlichen
Bibliothek in Avignon konkurriert – die bedeutendste
Universitätbibliothek des Mittelalters überhaupt (sie
ist ob der guten Überlieferungslage von Leopold Delisle genau untersucht). 1290 gibt
es 1017 Hdss, 1338 bereits 1722 Hdss. – Teile des
Katalogs aus dieser frühen Zeit noch erhalten. |
Die Bibliothek der Sorbonne wurde früh in
eine libraria magna und
eine libraria parva
unterteilt. Die Magna enthielt alle für das
Studium nötigen Handschriften als libri catenati102
war also eine Präsenzbibliothek; die Parva war die
Entlehnbibliothek mit vielen Dubletten und mit den
weniger verlangten Werken. 1338: 330 catenati, 1090 in
der Parva. Eine zu liberale Entlehnpraxis verursachte
große Verluste, obgleich Nichtmitglieder des Kollegiums
ein Pfand im Wert der entlehnten Handschrift zu erlegen
hatten, was wohl nicht wenig war. Man erkannte nahezu
augenblicklich die Bedeutung des Buchdrucks und berief
Drucker aus Deutschland an die Sorbonne, für die man
1481 ein eigenes Gebäude errichtete. – Ähnliche
Verhältnisse herrschten an den anderen Kollegien der
Universität Paris. |
In den romanischen Ländern blieb die
Entwicklung der Universitätsbibliotheken zurück, da dort
die Stationarii viel größere Bedeutung erlangten als in
Paris – in Bologna z.B. hatte jeder Stationarius 117
Werke vorrätig zu haben, die bei ihm zu entlehnen oder
zu kaufen waren. In England und auch in Deutschland
schloß man sich dem Pariser Usus an, die
Stationarii103 erlangten
keine besondere Bedeutung. |
|
Anfänglich mieteten sich die Magister in
privaten Häusern ein. Im 14. Jh werden ganze
Gebäude gemietet, im 15. Jh auch gekauft. |
Mit der Stiftung von Kollegien erscheinen
eigene, mitunter eigens für den speziellen Zweck
errichtete Gebäude. In Norditalien entsteht – nach dem
Typus des Collegio di Spagna in Bologna (1365-67) der
Typus der Sapienza: ein Gebäude mit rechteckigem
Innenhof, ein Kolleg mit Lehrbetrieb,
also primär Wohngebäude. Im 16. Jh verändert es
seinen Charakter hin zum offiziellen Universitätsgebäute
mit Hörsälen, Bibliothek, Verwaltungsräumen, Archiven
etc.: Palazzo della
sapienza genannt. |
Zu den ersten, die eigene Gebäude
errichteten, zählten die Engländer, zumeist auf Kosten
einzelner Mäzene. Der Typus der School quadrangles ist auch
anderweitig, vor allem in den USA übernommen worden. In
der Neuzeit ist gerade der Universitätsbau von hoher
Symbolkraft gekennzeichnet. |
Gut erhalten ist heute noch einiges in den
im 15. Jh errichteten Gebäuden der Universität
Salamanca104. In
Deutschland wird vor allem im 15. Jh gebaut, gegen
1500 besitzen alle Universitäten eigene Gebäude, zumeist
monumentale Bauten – die Zeit des Drohens mit dem Auszug
von Studenten wie Magistern ist vorüber, die Bauten
spiegeln die Stellung der Universitäten in der
Öffentlichkeit. Die Gebäude enthalten in der Regel eine
Universitätskapelle oder -kirche und zumindest eine
Bibliothek und ein Archiv (mit Kasse und Matrikeln
etc.). |
|
|
|
Der Humanismus entsteht in Italien außerhalb der
Universitäten, seine Träger sind hohe
städtische, päpstliche, königliche Beamte, Notare,
Pädagogen, Könige, Kirchenfürsten, Ordensleute, Bankiers
und Großkaufleute, Verleger. freilich waren sie zumeist
auch Universitätsabsolventen. Es entwickelt sich eine
neue Qualität des geschriebenen und des gesprochenen
Wortes. Colluccio Salutati wurde nachgesagt, daß seine
humanistische Feder den Gegnern der Signorie von Florenz
mehr geschadet habe als tausend Reiter. |
Erst zwischen 1400 und 1450 vermag sich das
humanistische Programm mit den studia humanitatis, die eine
Ausweitung der septem artes mit sich bringen, an den
italienischen Universitäten fest zu verankern. Poetik,
Geschichte und Moralphilosophie treten nun zu den
älteren Disziplinen der septem
artes und den drei Philosophien105 hinzu. Im 16. Jh
dringt der Humanismus auch außerhalb Italiens langsam in
die Universitäten vor, nachdem es bereits in der 2.H.
des 15. Jhs verschiedentlich starken Widerstand
gegen die überkommenen Formen des als scholastisch, als
erstarrt empfundenen Wissenschaftsbetriebes gegeben
hatte (z.B. an der Universität Wien). Es besteht
natürlich ein Unterschied zwischen der humanistischenn
Auffassung und Ausbildung einzelner führender
Persönlichkeiten und der Umgestaltung des Curriculums in
einem humanistischen Sinne. Man hat früh den deutschen
Universitätsgründungen von der Gründung der Universität
Prag (1348) an eine humanistische Beeinflussung
zugeschrieben, doch dürfte das zu hoch gegriffen sein.
|
Die Installierung von Professuren des
Griechischen wie anderer alter Sprachen ist ein guter
Indikator für die Entwicklung: 1511 inauguriert Erasmus von Rotterdam in Cambridge das
Studium des Griechischen
an einem von der Königinmutter
gestifteten theologischen Lehrstuhl, 1517 stiftete sein
Freund Hieronymus van
Busleyden in Löwen
das Collegium
trilingue106, das zu
einem europäischen Schwerpunkt humanistischer
Universitätsstudien werden sollte; 1530 gründete Francois I. von
Frankreich auf Anregung des Guilleaume Budé nach dem Vorbild des Collegium
trilingue das Collège des Lecteuers
Royaux für Latein, Griechisch und
Hebräisch, die Vorläuferinstitution des Collège de
France; 1540 erhält Cambridge königliche Professuren für Griechisch und
Hebräisch, 1546 auch Oxford. |
An der 1499 von Kardinal Ximenes de Cisneros gestifteten und 1508 eröffneten
Universität von Alcalá wird von Beginn an in
humanistischem Sinne gearbeitet: eines der Ergebnisse
ist die 1517 gedruckte und wegen der Langsamkeit der
Zensur erst) 1523 ausgelieferte Polyglottenbibel mit der
Vulgata samt ihren hebräischen, syrischen und
griechischen Quellen107 (1516
erscheint das Neue Testament des Erasmus!). |
Die humanistische
Auffassung war von größter Bedeutung für die
weitere Entwicklung der bis dahin unverändert
gebliebenen Artes-Fakultäten. Melanchthon hat seine Auffassung in
den Programmen der Universität Marburg (1529) und
Wittenberg (1536) zum Ausdruck gebracht, wo er nicht
weniger als 10 Professuren für die Artistenfakultät
vorgesehen hat, während die oberen Fakultäten sich mit
1-3 Lehrkanzeln zufriedengeben mußten. Zu den
traditionellen Artes-Lehrstühlen Grammatik, Dialektik,
Mathematik, Physik und Astronomie traten Professuren für
Hebräisch, Griechisch, Geschichte und Poesie sowie zwei
Lehrkanzeln der Eloquenz. |
Nicht zu den
studia humanitatis
gezählt wurden ursprünglich die Logik,
Naturphilosophie und Metaphysik, Mathematik, Astronomie
(alles Teile der septem artes), Medizin, Jurisprudenz und
Theologie. |
|
Die Universitäten haben an des skizzierten
Entwicklung praktisch nur in reformierten Ländern
profitiert – die Sorbonne wurde immer wieder als
verzopfte, der alten Scholastik, in ihrer mittlerweile
perhorreszierten Form verbundene Universität abgelehnt,
die wirklichen Kapazitäten gingen nach England und nach
1574 vor allem nach Leiden, das zu einer der ersten
Universitäten Europas wird. |
Es kommt zu einem enormen Aufschwung der
Philologie und der erkentnistheoretisch höchst wichtigen
und interessanten Diskussion der Sinnhaftigkeit und
Nützlichkeit historischer Forschung. Beides ist
gewissermaßen konstituierend für die späteren
Geisteswissenschaften. Die Historia-Diskussion hat
zweifellos Auswirkungen darüber hinaus gezeitigt.
Insgesamt bewirkt der Humanismus an den Universitäten im
Zusammenhang mit der Säkularisierung und der Entwicklung
von Kritik, neuen Rechtsvorstellungen u.ä. eine enorme
Ausweitung der Studien wie ihrer Anwendungen. |
|
1502108 wird von
Kurfürst Friedrich
von Sachsen die
Universität Wittenberg gegründet. Die Anfänge waren
freilich sehr bescheiden: es wurden der Wittenberger
Schloßkirche mit Erlaubnis des Papstes eine etliche Zahl
Pfarren inkorporiert und dadurch in ein Stift
umgewandelt. Die damit gewonnenen Pfründen wurden mit
Professoren besetzt: Probst, Dechant, Scholaster und
Syndikus bildeten die juristische Fakultät, Kantor und
Kustos die theologische Fakultät. Die fünf Kanonikate
wurden der Artistenfakultät zugeordnet. Hintergrund war
das Bestreben Friedrich des Weisen, die Alleinherrschaft
der Scholastik zu brechen. Ein neues wissenschaftliches
Gebäude sollte sich entwickeln. 1512 holte der Kurfürst
Martin Luther nach Wittenberg, der die
Professur für Bibelexegese erhielt, 1518 kam Philipp
Melanchthon als Professor des
Griechischen nach Wittenberg – Melanchthon und Luther waren bald freundschaftlich
verbunden und setzten den Prozess der Reformation in
Gang. 1536 wurde durch Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen
der Universitätsbetrieb erweitert und neu
geordnet: die Artistenfakultät wurde mit zehn
Professuren, zwei davon für Mathematik, ausgestattet.
Die Universität bezeichnete sich als Academia
Vitebergensis und bekannte sich damit zum Humanismus und
dazu, daß die Lehrenden und die Studierenden gemeinsam
den studia humanitatis
nachgehen wollten und nach der via antiqua. Der Begriff
Academia
signalisierte zudem die Einführung der
philologisch-historischen Methode in Forschung und
Lehre. |
Sukzessive verlor nun im Reich die Kirche
ihre aus dem Mittelalter stammende Herrschaft über die
Universität, und es erfolgte eine Reihe von
Neugründungen: |
1527 |
gründet der
Landgraf von Hessen in Marburg eine Universität
ohne päpstliches und ohne kaiserliches Privileg
(dieses folgt erst 1541). |
1575 |
gründet die
holländischen Aufständischen die Universität
Leiden; sie fabrizierten zwar eine angebliche
kaiserliche Bestätigung, doch wurde diese ebenso
wenig wie die Universität je anerkannt; dennoch
hat sich die Universität Leiden zu einer der
führenden Universitäten Europas entwickelt. |
1783 |
wird die
katholische Universität Bonn, auf erzbischöflichem
Terrain und durch den Erzbischof von Köln
begründet, man verzichtet bewußt auf ein
päpstliches Privileg. |
1781 |
die Universität
Stuttgart gegründet wurde, nannte sie sich
lediglich „Hohe
Schule“, um nicht mit Tübingen in
Konflikt zu kommen, und lehrte reine und
angewandte Wissenschaften ausschließlich für die
Bedürfnisse des Staates und des Gemeinwohl; sie
wies keine Fakultätengliederung auf, sondern eine
Abteilungsgliederung (Recht, Militärwissenschaft,
Kameralwissenschaft, Forstwesen, Medizin,
Ökonomie). |
|
Der Begriff Universität wird nur mehr im
Westen allgemein angewendet. Im Osten tritt mehr und
mehr der Begriff Akademie
hervor, bzw. es tritt eine Art
Begriffsverwirrung ein: 1578 gründet Stephan Bathory in
Wilna eine katholische „Akademie“, 1594 gründet der
polnische Kanzler Jan Zamoyski in Zamocs ebenfalls eine
katholische „Akademie“, ähnliche weitere Gründungen
folgen in Rußland; es handelt sich um Anstalten, an
denen Artes, Sprachen und Theologie unterrichtet werden;
sie hatten zwar keinen Universitätsrang, nahmen aber –
in Ermangelung von Universitäten in diesem Raum –
praktische die Funktion von Universitäten wahr. |
Perfekt wird das terminologische
Durcheinander durch die Gründungen im 18. Jh,
insbesondere als Zar Peter der Große (1672-1725) im Jahr 1724 die
Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg
gründet, welche Anstalt bestand aus |
– |
einer
Akademie der Wissenschaften nach westlichem
Muster, |
– |
einer
Universität, an der die Mitglieder der Akademie
auf hohem Niveau lehrten, |
– |
einem Lyzeum,
an dem die Schüler der Akademiemitglieder
wissenschaftlichen Elementarunterricht erteilen.
|
|
Als sich die Universität 1747
verselbständigte, wurde sie aber weiterhin als Akademie
bezeichnet. |
Die erste russische Universität mit der
Bezeichnung Universität wurde erst 1755 von Peters Tochter Elisabeth (1709-1761)
auf Vorschlag von Michael V. Lomonossow begründet. Sie durfte aber
anfangs keine akademischen Grade verleihen und bestand
ihrerseits aus |
– |
einem Lyzeum
für den Adel, |
– |
einem Lyzeum
für die übrigen Stände |
– |
und
Fakultäten für Philosophie, Recht und Medizin
(eine theologische Fakultät gab es nicht, da die
theologische Ausbildung in Rußland immer in der
Hand der orthodoxen Kirche geblieben ist; ihr
Einfluß auf die Universitäten ist deshalb auch nur
sehr gering gewesen). |
|
Im Reich haben die Kaiser allen
reformierten Akademien die Anerkennung als Universität
versagt und ihnen das Recht auf die Erteilung
akademischer Grade verweigert109.
Tatsächlich kommt es im 17. Jh zu einer
Zersplitterung des Hochschulwesens, indem
universitätsähnliche Institutionen entstehen, die von
aller Privilegierung unabhängig sind und gleichwohl
mitunter sehrwohl universitäres Niveau erreichen. |
|
Verschiedentlich haben alte Universitäten
die Begründung neuer verhindert, oder sie doch in
strenger Abhängigkeit gehalten – so waren diverse
Universitäten in polnischen Städten nichts anderes als
Außenstellen von Krakau. Andererseits sind
Nichtuniverstäten in ihren Absolventen problemlos als
de-facto-Universitäten anerkannt worden, wenn sie
entsprechende Qualität aufwiesen; dies gilt für
akademische Ausbildung an der berühmten Straßburger
Akademie des Johann Sturm, für die 1584 gegründete Hohe
Schule in Herborn, dann in Steinfurt und überhaupt für
die Gymnasia academica,
wie man diese Universitäten ohne Anerkennung
bezeichnete, aber auch für die Schulen in Amsterdam und
Deventer, diverse Jesuitenhochschulen in Mailand,
Messina, Palermo etc. und auch reformierte Akademien.
Diese Institutionen entstanden aus dem Bedürfnis, dem
Adel eine standesgemäße Erziehung zu garantieren,
reformierte Geistliche sowie Beamte für die regionale
Verwaltung auszubilden. Grundlage dieser Schulen war
meist eine Ramus verpflichtete Schulphilosophie, die als
Überwindung des Aristotelismus forciert wurde. Diese
Bewegung erreichte in der Zeit nach dem 30Jährigen Krieg
einen Höhepunkt. |
Während in Schottland neue Universitäten
entstanden110,
scheiterten in England alle Neugründungen am Monopol von
Oxbridge111 und an
der anglikanischen Kirche – noch die Gründung der
University of London unterlag ernsten Auflagen112. |
Diese Entwicklung der Diversifizierung
beschränkte den Geltungsbereich und den Besuch der
klassischen Universitäten auf ihre engere Umgebung; die
alten universalistischen Vorstellungen gingen unter.
Vielfach wurden in den einzelnen Territorien der Besuch
auswärtiger Universitäten überhaupt untersagt, wie dies
schon Friedrich II. zugunsten Neapels getan
hatte und wie dies später oftmals geschehen ist, so etwa
1559 in den spanischen Ländern generell, aus denen nur
wenige noch unter bestimmten Bedingungen nach Rom,
Coimbra, Neapel oder Bologna gehen durften. |
Eine weitere Schwierigkeit, die zur
Zersplitterung des Hochschulwesens beitrug, bestand
darin, daß die uns heute so selbstverständliche klare
Stufengliederung der Ausbildung noch nicht wirklich
vorhanden war. Die alten Universitäten hatten das
vermittelt, was wir als Gymnasialbildung bezeichnen und
was die Universität vermittelt, mitunter aber gab es
wohl auch noch Elementarunterricht. Die Zahl der
Artesstudenten überwog im Spätmittelalter weitaus die
der anderen Fakultäten zusammen. Als nun durch den
Einfluß des Humanismus ein sekundäres Schulwesen sich zu
entwickeln beginnt, bewirkt dies innerhalb relativ
kurzer Zeit einen drastischen Rückgang der Hörerzahlen
der Universitäten, da nämlich ein erheblicher Teil der
potentiellen Artesstudenten dorthin geht, also von der
Universität fernbleibt. Die Vermittlung allgemeiner
Bildung wanderte von den Universitäten ab, diese aber
beschränkten sich auch von sich aus mehr und mehr auf
die Produktion dessen, was seitens des Staates gefordert
wurde: Beamte, Pfarrer, Ärzte, Juristen, also praktische
Berufsausbildung für eine Elite. 1440 schon haben die
Cortes von Toledo im Einvernehmen mit den katholischen
Königen festgestellt, daß die Krone die Qualität der
akademischen Zertifikate eigens überprüfen dürfe, wenn
jemand eine Position im Dienst der Krone anstrebe.
Später sind diesbezüglich Staatsprüfungen eingeführt
wordn (noch die Lehramtsprüfung in Österreich war bis
zum AHStG eine Staatsprüfung, die von einer
bundesstaatlichen Prüfungskommission abgenommen wurde,
die sich aus (nicht allen) Mitgledern des
Professorenkollegiums zusammensetzte. |
Im 16. Jh und 17. Jh entstehen
einige wenige und im 18. Jh, ab 1750 zahlreiche
Spezialschulen, die den Universitäten partiell den Rang
ablaufen. In ganz besonderem Maße ist das in Frankreich
der Fall, dessen Universitätssystem damals bereits
völlig verknöchert und erstarrt gewesen ist und ja auch
bald darauf in der Revolution 1793 mit einem Federstrich
vom Tisch gewischt wurde. |
|
|
Hier mußten
die beiden nach wie vor einzigen Universitäten – Oxford
und Cambridge –, die sich seit dem 15. Jh als
eigenrechtliche Korporationen verstanden, die
Konsequenzen des Act of Supremacy von 1534 akzeptieren,
die daraus erflossen, daß die Kirche, die immer noch den
Haupteinfluß auf die Universitäten ausgeübt hatte, dem
Staat unterstellt wurde. Das bedeutete, daß das
kanonische Recht gestrichen wurde und daß dadurch, daß
sukzessive das Common Law die englische Rechtswelt zu
bestimmen begann und die erforderlichen Juristen
diesbezüglich in den Londoner Inns of Court ausgebildet
wurden113, die Juridischen
Fakultäten stark schrumpften und zur Bedeutungslosigkeit
verkamen – es wurde zwar noch römisches Recht gelehrt,
aber es blieb ohne praktische Bedeutung. Gleichzeitig
verstärkte sich der Wille des Staates, zusammen mit der
ihm unterstellten Kirche die Oberaufsicht über die
Universitäten auszuüben; diese wurden wie alle anderen
privilegierten Korporationen offiziell der Krone
unterstellt und erhielten 1604 auch Sitze im Parlament.
Angehöriger der Anglikanischen Kirche zu sein, wurde in
Oxford schon 1581 statutarisch zur Pflicht gemacht und
analog in Cambridge praktiziert. Die englische
Renaissance entwickelte sich erst nach der Reform so
recht, so stieg der Universitätsbesuch, der geradezu zur
Mode wurde, um 1550 stark an, das Studium verlagerte
sich wesentlich in die Colleges, wo regent masters,
Tutoren, die Hauptrolle spielten, während die
Professoren in den Hintergrund traten (und erst im
18. Jh wieder an Bedeutung gewannen). Die einzelnen
Colleges verfolgten zwar ihrem Stifterwillen
entsprechend unterschiedliche Ziele, doch beeinflußte
dies den Hauptzweck, nämlich die Erziehung
rechtgläubiger und gebildeter Untertanen, nicht; die
Kleidung der Studenten wie der Professoren hatte
geistlich zu sein und den Professoren war das Heiraten
(im Unterschied zu den Geistlichen am Lande) untersagt,
weil die Universitäten nicht in der Lage gewesen wären,
Gehälter zu bezahlen, die auch Familien hätten ernähren
können. So sind die beiden englischen Universitäten im
17. Jh ziemlich herabgekommen – Professuren wurden
praktisch erblich wie Pfarrerstellen; im Act of
Uniformity wurde 1662 Nichtanglikanern der Besuch der
Universitäten untersagt. Karrieremöglichkeiten außerhalb
der geistlichen Sphäre boten die Universitäten praktisch
nicht mehr, am eigentlichen geistlichen Leben nahmen sie
aber auch nicht mehr teil. |
Der Niedergang der englischen Universitäten
hatte natürlich zur Folge, daß diverse private
nonkonformistische Lehranstalten, Akademien unabhängig
von Staat und Kirche gegründet wurden, doch vermochten
diese keinen Einfluß zu erlangen. Nonkonformisten gingen
nach Schottland, und die Katholiken gingen auf den
Kontinent. Insgesamt aber nahm die Bedeutung der Grand tour, der peregrinatio der gentry und der oberen
Bürgertums nach dem Kontinent zu. |
|
Hier vollzog sich die Entwicklung deutlich
anders als in England. Hier hatte man sich seitdem der
Hundertjährige Krieg das traditionelle Studium
schottischer Kleriker in Frankreich oder Italien
erschwert bzw unmöglich gemacht hatte, um den Aufbau
eigener Ausbildungsstätten bemüht; so kam es im
15. Jh zur Gründung von Colleges und
universitätsähnlichen Institutionen – 1411
St. Andrews wird gegründet, 1415 Glasgow, 1493
Aberdeen (erneuert 1593?), Edinburgh aber erst 1582/83.
Der schottische Reformator John Knox (1513-1572) entwickelte in seinem
First Book of
Discipline die Vorstellung, dass jeder
Begabte freien Zugang zur Bildung haben sollte, da nur
ein gebildeter = aufgeklärter wahrer Christ wisse, was
und warum er glaube und dem Gemeinwesen wirklich nützen
und dienen könne. Bei der Gründung der Universität
Edinburgh wurden die Statuten zusätzlich durch das
schottische Parlament sanktioniert; die Oberaufsicht
wurde allerdings dem städtischen Rat überlassen.
Insgesamt hat sich der kirchliche Einfluß auf die
Universitäten in Schottland in Grenzen gehalten. Das
Schwergewicht lag auf der moral
education und damit im Bereich der
artes, abstrakte, an
Theorie orientierte Gelehrsamkeit war nicht das Ziel der
schottischen Universitäten. Die Universitäten waren
nicht in dem Maße wie die englischen in Colleges
strukturiert, aber es gab eine klare aufbauende
Gliederung der Studien nach Altersjahrgängen, ein
exaktes Prüfungswesen. Es gab
regents, allzuständig aber war der master (magister) Katholiken blieben auch
in Schottland vom Studium ausgeschlossen,
nichtschottische Studenten unterlagen aber ansonsten
keinen religiösen oder politischen Überprüfungen, es
genügte die Westminster Confession114
zu unterschreiben. Insgesamt vermochten sich die
schottischen Universitäten zwar mehr Offenheit und
Gelöstheit zu wahren als Oxbridge, doch konnte ein
Niedergang im 17. Jh nicht ausbleiben, als die
Universitäten in die Auseinandersetzung zwischen
Episkopalisten und Presbyterianer verwickelt wurden.
Doch schon im 18. Jh erfolgte ein Wiederaufleben:
muttersprachliche Vorlesungen wurden eingeführt, das
regents-System aufgehoben, neue Lehrbereiche wie
Öffentliches Recht, ius patrium, ius
civile, Medizin bewirkten eine Öffnung
der Anstalten, Nonkonformisten aus England , Aufklärer,
Moralisten etc. strömen nach Schottland, die Universität
Edinburgh rückt so im 18. Jh nahe an Leiden heran,
wird ein modernes Zentrum fortschrittlichen,
aufgeklärten Studienbetriebes, an dem viele Ausländer
partizipieren. Eine gewisse Auswirkung hatte wohl auch,
daß die Universitäten in weltoffenen Handelsstädten
gelegen waren und nicht wie Oxbridge auf dem Dorfe.
Insoferne bestand ein erheblicher Unterschied zwischen
den englischen und den schottischen Universitäten. |
|
Hier kam es bereits im 15. Jh dazu,
daß die einzelnen Territorialfürsten im Wege
spezifischer Konkordate ihre eigene Kirchenpolitik
betrieben und auch die Auffassung entwickelten, daß sie
über eigene territoriale Universitäten verfügen müßten –
diese Entwicklung begann bei den Kurfürsten und weitete
sich dann enorm aus. Die Fürsten gründeten
Universitäten, ließen sie vom Papst und/oder Kaiser
privilegieren und finanzierten sie auch. Dementsprechend
ist die Zahl der Universitäten angestiegen – das Reich
ist jenes europäische Land, indem im 16. Jh am
meisten Universitäten gegründet werden: 1506 bestehen
15, 1700 sind es 40 und eine nicht geringe Zahl von
Gründungsprojektion ist gescheitert115;
von den 40 sind 22 protestantisch, 18 katholisch. Nicht
wenige dieser Universitäten sind ausgesprochen klein
(100-300 Studenten) und haben nie überregionale
Bedeutung entfaltet116:
Rinteln117 in
Friesland, Altdorf bei Nürnberg etc. Im 18. Jh
treten fünf weitere Universitäten hinzu. Vergleichsweise
verfügt um 1700 England über 2 Universitäten, Schottland
über 4, Frankreich über 24, Spanien über 28 und Italien
etwa 18. |
Die traditionelle Auffassung von Friedrich
Paulsen und anderen war, daß die
Reformation die Schulen und Universitäten habe veröden
und niedergehen lassen und sie durch die
Konfessionalisierung zu territorialstaatlichen
Unternehmen, Landesausbildungsstätten habe degenerieren,
die Weite der mittelalterlichen Universität habe
verlieren lassen, da man im Bestreben um die Abgrenzung
und Sicherung der eigenen kleinen Welt weiterführender
wissenschaftliche Ansprüche kaum zur Geltung gelangen
habe lassen. Notker Hammerstein tritt dieser Auffassung
entgegen und meint mit Peter Baumgart u.a., daß die deutschen
Universität trotz des gewaltigen Einbruchs in der
Frühzeit der Reformation118 (ein
Zeichen der Unruhe, der Angst) ab 1535/40 bereits wieder
einen raschen Aufschwung genommen hätten, ja gegenüber
früher noch an Bedeutung gewonnen hätten119, was die Gründungswelle
der Territorialuniversitäten erst ausgelöst habe. Wohl
gab es einen Einbruch in den 1520er Jahren mit raschem
Rückgang der Inskriptionszahlen, dann aber wieder ein
rasches Ansteigen und in der Folge in den Jahrzehnten
1580-1620 geradezu eine Blütezeit. Der Dreißigjährige
Krieg bringt nur partiell und vielfach nur
verhältnismäßig kurzfristig neuerlichen Niedergang –
Grobianismus, Pennalismus120 etc. –,
dann erfolgt eher rasch eine Wiederherstellung des
Systems. Mit der Gründung der 1694 und dann der
(1734/37) wird überhaupt eine neue Epoche eingeleitet.
|
Bezüglich der Lage im Reich ist aber
festzuhalten, daß die Universitäten durchgehend – anders
als etwa in Frankreich oder Italien – als Ort der
geistigen Tätigkeit und Produktivität in führender
Position sind und bleiben – dabei ist natürlich darauf
zu verweisen, daß es bis zur Akademiegründung in
Göttingen und der Aktivierung von Berlin121 keinen anderen dafür
geeigenete Institution gegeben hätte und daß
gleichzeitig wegen der Zersplitterung in Territorien die
Entstehung großer glanzvoller Höfe, die den
Universitäten diese Rolle hätte streitig machen können,
unterblieben ist – die Formulierung „Extra academias [= universitates] non esse vitam“ ist nicht nur
negativ zu sehen.. Umgekehrt hat eben die
Territorialisierung den Universitäten ihrerseits eine
besondere Rolle verschafft, indem sie alle territoriale
oder städtische Gründungsuniversitäten sind und als
solche ja auch als geistige Zentren des Territoriums
geschaffen und gepflegt worden sind. Die
Verfassungsentwicklung und die Organisation des Reiches
kommt insoferne den Universitäten entgegen. Die
Universitäten des Reiches erleben nicht den
langandauernden Niedergang, den die Universitäten in
anderen Ländern erfahren, wo sie – wie in Frankreich in
klassischer Weise – durch andere Institutionen, nämlich
die Akademien überspielt werden. |
Ein wesentliches Moment für diese
Entwicklung ist die Ausformung des Humanismus in
Deutschland, der hier auf eine weit weniger streng
scholastische, sondern im Wege der Duldung der via moderna neben der via antiqua weit liberalere
Auffassung trifft und in besonderer Weise – weit mehr
als in Italien oder Frankreich – auf das Staatswohl und
das Gemeinwohl, ja sogar auf das Wohl des Individuums
abzielt. Typisch ist die Formulierung des
württembergischen Grafen und ersten Herzogs Eberhard im Barte 1477
anläßlich der Gründung der Universität Tübingen: |
"Wir haben uns deshalb
überlegt, auf welchem Weg wir es denn am ehesten
versuchen sollen, daß unserem Schöpfer
Dankbarkeit, dem Staat und dem Heil und dem Nutzen
unserer Untertanen ein allgemeines Wohlergehen
verschafft werde: endlich stieg in uns kein
beserer, für die Erlangung eines glückseligen
lebens geeigneterer und dem unsterblichen Gott
angenehmerer gedanke auf, als Studien und schöne
Künste und Disziplinen, durch die wir Gott zu
erkennen, den Boden zu bestellen und der Sonne zu
gehorchen gelehrt werden, mit fleißiger Sorgfalt
und Bemühung zu verfolgen". Die
Menschen würden "durch die Bildung
aus den Wissenschaften" am ehesten zu
einem Gott wohlgefälligen Leben veranlaßt, mehr als
durch Kunst oder Kirchenbauten. Weit mehr als die immer
noch in der scholastischen Tradition stehenden
Universitäten Frankreichs waren die deutschen
Universitäten Staat, Individuum und Kirche verbunden und
angehalten, im engeren Rahmen eines Reichsterritoriums
zu wirken. Dem entspricht auch die vom Straßburger
Reformer Johannes Sturm aufgestellte Formel: „Optime et pulcherrima rempublicarum
armamentaria sint scholae
philosophorum“. Gegen diese von den
Landesfürsten getragene Entwicklung stellten sich
vielfach die Stände, oder sie versuchten zumindest, sich
eine Mitwirkung zu sichern. |
Aber auch auf der Ebene des Reiches ist die
Bedeutung der Universitäten in der 1. Hälfte des
16. Jhs gewürdigt worden: auf dem Augsburger
Reichstag hat Karl V. verfügt: "Scholae seminaria sunt, non praelatorum tantum
et ministrorum ecclesiae, verum etiam magistratum
et eorum qui consiliis suis Respublicas gubernant
[...] propterea de earundem instauratione magna
cura habenda est" – die Schulen hätten
nicht nur der Kirche, sondern auch den die Regierung und
Verwaltung Ausübenden zu dienen und es sei ihnen deshalb
Sorgfalt angedeihen zu lassen. |
Luther wetterte fürchterlich gegen die
Universitäten, vor allem gegen die Theologischen
Fakultäten und gegen die Artisten, auch die Juristen:
man habe „viel Doctores,
Praedicatores, Magistros, Pfaffen und Mönche, das
ist große, grobe, faule Esel mit roten und braunen
Baretten geschmückt [=Artisten und
Theologen], wie die Sau mit
einer güldenen Kette und Perlen erhalten und uns
auf uns selbst geladen, die uns nicht Gutes
lehreten und dafür all unser Gut fraßen
[...] Schandjuristen, Büttel,
Henker, Juristen Fürsprecher und was des Gesindels
mehr ist“. Nicht weniger zog er über
den Heiden Aristoteles her. Und doch hat Luther zusammen mit Melanchthon auch eine neue, die
protestantische Universität geschaffen – 1526/7 erfolgte
die Gründung der Philipps-Universität Marburg, bald
darauf die Reformierung der 1502 gegründeten Universität
Wittenberg, 1574 die Gründung von Helmstedt unter
Einfluß eines Melanchthon-Schülers122. 1524 empfahl Luther in einem Sendschreiben den
Ratsherren der deutschen Städte, daß es eines
Gemeinwesen „bestes und ihr
allerprächtigstes Gedeihen, ihr Wohl und
Kraft [sei] , daß sie
viele gute, gebildete, vernünftige, ehrbare,
wohlerzogene Bürger hat, die dann sehr wohl
Schätze und alle Güter sammeln können, sie
erhalten und recht gebrauchen“ und daß
"die Wissenschaften und
Sprachen, die für uns kein Verlust, vielmehr ein
größerer Schmuck und Nutzen, Ehre und Gewinn sind,
um die heiligen Schriften zu verstehen und auch um
die weltliche Herrschaft auszuüben" zu
pflegen seien – „Das sollen wir uns
gesagt sein lassen, daß wir das Evangelium nicht
sicher bewahren werden ohne die Sprachen. Die
Sprachen sind die Scheiden, in denen das Messer
des Geistes steckt“123. Aber auch das Recht
müsse gepflegt und gelehrt werden, ohne das keine
gottgefällige Ordnung in der Welt aufrecht zu erhalten
sei. Und ebenso die Medizin, die das leibliche Wohl
befördere. |
Für Luther selbst steht dabei die
Absicherung des Glaubens im Vordergrund. Anders ist es
beim Humanisten Melanchthon, dem Luther letztlich bei der Umsetzung,
der Reformierung der Universitäten, freie Hand gelassen
hat. In der berühmten Nürnberger Schulordnung von 1526
schreibt Melanchthon, daß es Aufgabe der
Schulen sei, die Lehre des Glaubens zu sichern, was aber
nicht möglich sei ohne die rechte Lehre der Artes (litterae) und der Sprachen.
Den Studienanfängern wird sogar verboten, höhere
Vorlesungen zu hören, ehe sie nicht die fehlerfreie
Beherrschung der lateinischen Sprache (und die
Anfangsgründe der Mathematik) nachgewiesen hätten; Cicero, Erasmus, Terenz und Vergil
waren die vorgeschriebenen Autoren. Erst auf der
nächsten Stufe sollten die naturwissenschaftlichgen
Materien des Quadrivium angegangen und die beiden
heiligen Sprachen Griechisch und Hebräisch erlernt
werden. Und: es wurden auch Disputationen
vorgeschrieben, nachem sich herausgestellt hatte, daß
die Unterlassung dieser als scholastisch verachteten
Übungen sich sehr negativ ausgewirkt hatte. In der
Theologie wurde nun natürlich den Texten des Alten und
des Neuen Testaments der erste Rang eingeräumt, die bis
dahin dominierende Lektüre der Kommentare wurde mehr
oder weniger abgeschafft. In der Jurisprudenz wurde nun
das kanonische Recht als Ausgeburt päpstlicher Tücke
gegenüber dem Jus civile
vernachlässigt, lediglich im Prozeßrecht und
im Familienrecht konnte man nicht ganz darauf
verzichten, sodaß es in der Lehre doch noch
berücksichtigt werden mußte. |
Wittenberg wurde gewissermaßen die
protestantische Ideal-Universität: 4 Theologen, 4-5
Juristen, 2 Mediziner, 10-11 Professoren in der
Artistenfakultät. Noch gab es keine strikte
Fachzugehörigkeit, alle sollten nach wie vor innerhalb
ihrer Fakultät wenigstens alles können, doch sollten die
einzelnen Professoren sich möglichst einem Fach als
Hauptgebiet widmen. In den Artes wurden Grammatik,
Rhetorik, Dialektik, Griechisch und Hebräisch wurden
häufig von Theologen gelehrt; dazu kamen Geschichte,
Geographie, Mathematik, Astronomie, Physik, Poetik,
Philosophia practica. Für diese Fächer sollte es in der
Folge besoldete Professuren geben. Dies ist realisiert
worden und hat natürlich die Gegebenheiten an den
Artes-Fakultäten stark verändert, ja der
Artistenfakultät größere Bedeutung zugemessen und ihren
für Deutschland typischen Aufstieg zur Dominanz – zuerst
in Göttingen, dann voll ausgebildet in Berlin –
eingeleitet; darin entwickelt sich ein wesentlicher
Unterschied zu den französischen und angelsächsischen
Universitäten. Die Lehre wurde durch die Konzentrierung
auf eine Professur konzentrierter und professioneller,
damit natürlich auch die Ausformung der Fächer an sich.
|
Dies war aber auch die einzige wesentliche
bewußt gesetzte institutionell-organisatorische
Veränderung. Im übrigen behielten die Universitäten der
reformierten Länder die überkommenen Strukturen bei, sie
behielten auch ihre Privilegien als eigenständige
Institutionen mit eigenen Statuten, Lehrplänen,
Berufungsvorschlägen und dem überkommenen Zeremoniell.
|
Sehr wohl gab es aber Veränderungen im
Gesamtsystem der Wissenschaft in Hinblick auf die
Gewichtung einzelner Disziplinen. Und auch dadurch, daß
die Universität viel von ihrem alten klerikalen Gepräge
verlor. Die Professoren , die nun auch als Kleriker
nicht mehr dem Zölibat unterlagen, bildeten nicht mehr
wie früher einen abgeschlossenen eigenen Stand. Ähnlich
verhielt es sich auf der studentischen Ebene: die alten
Kollegien wurden aufgelöst, übrig blieben lediglich
Studentenwohnheime. der bis dahin im Reich ohnedies
nicht so stark wie im Westen geübte "Bursenzwang" (den
man als Verschulung tadelte) entfiel, die Studenten
lebten "im Freien", in der Stadt, unter den Bürgern, was
bis dahin in dem Maße nicht der Fall gewesen war; das
Ideal der studentischen Freiheit in einem neueren Sinne
nimmt hier seinen Ausgang. Akademiker wurde nun ein
Berufsstand wie andere auch – aber dennoch verstand man
sich im Reich (im Unterschied zu Italien etc.) als eine
eigene ständeunabhängige und ständefreie Gemeinschaft
und hielt auch damit an einem humanistischen Ideal fest
– wenn etwa die Humanisten sogar dem Kaiser und dem
Papst gegenüber das „tu“
des klassischen Lateins gebrauchten und nicht das damals
selbstverständlich „vos“
(Ihr = Sie). |
Überhaupt entwickelt sich langsam und
natürlich nach Luther und Melanchthon, die an derlei
nicht gedacht hatten124, ein
anderer Begriff von akademischer Freiheit für Lehrende
und Lernende als zuvor. Er wendet sich hin zur Freiheit
in der Lehre, wie sie für die evangelischen
Universitäten typisch und konstituierend geworden ist:
1737 wird die Freiheit der Lehre zu einem grundlegenden
Eckpfeiler der neuen Universität Göttingen, dann für die
Universität Berlin. Dies macht einen bedeutenden
Unterschied zu den katholischen Universitäten, vor allem
zu jenen unter jesuitischer Führung aus, wo das sehr
rigide Jahrgangs-System nach der Ratio studiorum einen Freiraum für
die Studierenden nicht zuließ. |
Inhaltlich unterschied sich das
Studienprogramm unterscheidet sich im übrigen kaum von
den katholischerseits vertretenen Ansichten. Tatsächlich
haben ja beide Seiten dies auch durch Anerkennung und
Übernahme einzelner Bereiche dokumentiert: die Jesuiten
haben das von dem Calvinisten Johannes Sturm (1507-1589) propagierte Programm
der Universität Straßburg als ein dermaßen brauchbares
und nachahmenswertes befunden, daß es sogar die Ratio studiorum beeinflußt
hat, und vice versa hat Sturm 1565 in einem Brief an den
brandenburgischen Markgrafen Albrecht selbst anerkannt,
daß die Jesuiten ein Unterrichts- und Erziehungsmodell
entwickelten, das eigentlich eine Verbesserung und
Weiterführung seiner eigenen Ansichten darstelle: „ut a nostris fontibus derivata esse
videatur“125. |
Die Konfessionalisierung hat letztlich auf
beiden Seiten – Katholizismus und Reformierten aller
Spielarten – einen recht einheitlichen neuen
Universitätstyp zur Folge gehabt. Allen gemeinsames Ziel
ist die sapiens et eloquens
pietas. |
Beide Seiten legten allerdings Wert auf die
geschlossene konfessionelle Ausrichtung ihrer
Universitäten. Auf der Seite der Reformierten ergaben
sich allerdings sehr bald unterschiedliche Auslegungen,
und erbitterte Streitigkeiten waren die Folge, nicht nur
zwischen Lutheranern, Calvinisten und Zwinglianern,
sondern auch innerhalb der lutherischen Sphäre. Hier
gelang es zwar 1574-1577, eine Reihe von
protestantischen Universitäten auf die sogenannte Konkordienformel126
festzulegen, doch schlossen sich andere wiederum dieser
Formel nicht an – was natürlich neuerliche Zerwürfnisse
und Schwierigkeiten auslöste. De facto betrafen sie aber
nur einen relativen kleinen Teil der
Universitätsangehörigen, sodaß sich das Institut der
peregrinatio academica erhalten konnte und
die protestantischen Universitäten nicht wirklich aus
der sich entwickelnden Respublica literarum
ausgeschlossen wurden; nicht wenige Protestanten haben
im Zuge ihrer Reise auch die katholischen Universitäten
Frankreichs und Italiens besucht. Dafür haben auch die
Landesfürsten gesorgt, die bei der Auswahl der Bewerber
für die höheren Beamtenstellen auf einen weiteren
Bildungshorizont Wert legten – „wird
hier keiner ästimiert, der nicht gereist ist und
seine exercitien gelernt hat“). Die
neben der Glaubensforderung gleichwertige Forderung nach
der Arbeit und dem Nutzen für das Gemeinwohl, wie es
z.B. in der von David Chyträus mitverfassten Verfassung der
Universität Rostock 1576 ausdrücklich festgeschrieben
worden ist, haben einer allfälligen negativen Auswirkung
der Konfessionalisierung gegengesteuert. Melanchthon hat
die Forderung nach dem Gemeinnutz bereits aufgegriffen,
1622 schreibt ein Georg Engelhard Löhneys in seiner "Hof-, Staats- und
Regierungskunst" folgendes: „Denn es
ist dem gemeinen Nutzen viel schädlicher, wenn ein
Fürst unverständige, böse Räte und Offiziere um
sich hat, ob schon er verständig und fromm, als
wenn der Fürst für seine Person unverständig, die
Räte und Offiziere aber vorsichtig und aufrichtig
seind“. |
Die Schwierigkeiten und Differenzen
zwischen den einzelnen lutherischen Landeskirchen und
Universitäten haben eine viel uneinheitlichere,
differenziertere Entwicklung im universitären Bereich
dieser Länder geführt und auch eine vielfach polemische
Konkurrenzierung und Befehdung bewirkt, die ihrerseits
wissenschaftlich höchst befruchtend war. Die betraf vor
allem die Artistenfakultäten und die Theologen, weniger
naturgemäß die Mediziner und die Juristen. der damit
verbundene Vorteil offenbarte sich erst mit dem
Einsetzen der Aufklärung, der die Offenheit,
Diskussionsfähigkeit und freiere Auffassung der
protestantischen Wissenschaftler sehr entgegenkam, sodaß
die Aufklärung hier natürlich viel rascher sich
durchsetzte als an den zumeist jesuitisch geführten
katholischen Universitäten. |
Die konfessionelle Kontrolle in den
territorialstaatlichen Universitäten der reformierten
Länder ist in der Praxis bei weitem nicht so streng
ausgefallen, wie sie theoretisch zu erwarten gewesen
wäre. De facto haben die 15-20 Professoren der vielfach
einen territorialen Universität in diesem Territorium
eine höchst bedeutsame und angesehen und damit auch
meinungsbildende Stellung eingenommen: die Theologen
saßen in der Kirchenleitung, die Juristen in den
Gerichtshöfen und arbeiteten auch als Diplomaten und
nahmen damit Anteil an der kontrollierenden Macht.
Vielfach haben sich Professorenkollegien auch als
Faktoren zur Verhütung staatlicher Willkür und
obrigkeitlichen Mißbrauchs bewährt. Ein Negativum lag
natürlich darin, daß die Professoren überfordert wurden
und zeitweise ihre Lehrtätigkeit darunter litt, sie
überhaupt abwesend waren. Auf der Seite der Studenten
gab es keine Gründe, aus dem Land wegzugehen – nirgendwo
in Deutschland gab es einen großen glanzvollen Hof wie
etwa in Paris oder London, an dem man große Erfahrungen
machen konnte, und im Landesdienst (wenn man in diesen
zurückkehren wollte), wurden ohnedies die Absolventen
der eigenen Universität bevorzugt, außerdem war die
Ausbildung in der Polizey und bei den Juristen etc.
ohnedies auch auf die lokalen Gegebenheiten
abgestimmt127. Außerdem
blieben die Universitäten durch diese Anbindung an die
Praxis lebendig und wirklichkeitsnahe. Insgesamt ist die
soziale Rolle der Universität durch die
Territorialisierung und die Konfessionalisierung
wesentlich angehoben worden – es wird eine Art
„Funktionalisierungsschub“ wirksam. Unter dem Einfluß
des Humanismus bleibt aber das Ideal der Respublica litteraria
erhalten! |
Nach dem Dreißigjährigen Krieg, vereinzelt
schon während des Krieges, beginnen die Universitäten –
unter dem Druck auch des Entstehens von
Ritterakademien128 wie der
bereits erwähnten Gymnasia
academica – ihren Fächerkanon zu
modernisieren, die Lehrinhalte zu durchforsten und zu
verjüngen, und man versucht auch, für den Adel
attraktiver zu werden. Dies gelang vor allem jenen
calvinistisch reformierten Universitäten, die besonders
gute Beziehungen zu den niederländischen Universitäten
hatten wie Frankfurt/Oder, aber auch Jena und Helmstedt.
Unter den katholischen Universitäten des Reiches nahm
Salzburg eine führende Position in der Modernisierung
ein. |
In dieser Zeit verändern sich die
Universitäten im Reich auch äußerlich: die immer noch
der Tracht des mittelalterlichen Klerikers angeglichene
akademische Tracht verschwindet und weicht der
Aufmachung des Kavaliers und man beginnt nach der Phase
des Grobianismus auch wieder auf gute Sitten großen Wert
zu legen. Um 1700 heißt es in einem Reformpapier zur
Universität Halle: „Auf gute
Aufführung der Lehrer ist vorzüglich zu sehen. Ich
verachte das göttlichste Genie, wenn es auf
öffentliche grobe Laster fällt“. Auch
Münchhausen hat in Göttingen sehr viel
Wert darauf gelegt, daß die Universitätsangehörigen
insgesamt eine gesittete Gesellschaft abgeben129. |
Eine ganz außerordentlich bedeutende
Wendung nimmt das Universitätswesen im Reich durch die
Gründung der Universität Halle 1694 und das Wirken des
Christian Thomasius an ihr und dann durch die
Gründung der Universität Göttingen 1734/37; sie bringen
die Gewährung völliger Lehrfreiheit – so heißt es für
Halle „Denken mag jeder in
Religionssachen, über Gegenstände der
Staatsklugheit und Moral, wie er will, aber alle
seine Gedanken darf er nicht öffentlich vortragen,
besonders, wenn er sich darin verrufenen Sekten
nähern sollte. Denk-, Red- und Pressfreiheit nährt
und erhebt die Seele; der kriechende despotisch
behandelte Gelehrte wird in Ewigkeit nichts Großes
liefern. Unsern Professoren ist ohne Rücksicht
erlaubt, selbst das teutsche Staatsrecht bloß nach
ihrer Überzeugung vorzutragen, ohne darauf zu
sehen, ob ihre Lehrsätze mit dem Interesse
derjenigen Klasse von Reichsständen, zu welcher
unser Regent gehöret oder mit denen noch
spezielleren Interessen unseres Hofs
übereinstimmen oder nicht". |
In der 2. Hälfte des 18. Jhs
haben sich die protestantischen Universitäten dermaßen
entwickelt, daß Johann David Michaelis 1768 feststellt, daß man
lediglich England gegenüber vielleicht das Nachsehen
haben werde, allen anderen aber voran sei, obgleich es
in Deutschland keiner Akademie gebe, deren Mitglieder
allein für die Wissenschaft leben könnte, außer in
Berlin. |
|
In der Schweiz
entwickelte sich die Universität Basel im
wesentlich wie die Universitäten im Reich – die
Konzilsuniversität war 1449 mit dem Konzil erloschen,
doch war 1460 eine neue Universität gegründet worden.
1532 wurde die Universität dem quasi autonomen Stadtrat
unterstellt, der ihr im 16. Jh auch unter
konfessionellen Gesichtspunkten ihre Freiheit beließ; im
17. Jh allerdings kippte man in eine kleinlich,
streng orthodoxe Zucht des Stadtrates, die alle
Freiheiten beschnitt und die Universität sehr rasch ihre
alte überregionale Bedeutung verlieren ließ. |
Die reformierten calvinischen und
zwinglianischen Universitäten (natürlich ohne jede
Privilegierung) besaßen keine Fakultäten, sondern
bestanden nur aus einer Akkumulierung von Lehrstühlen,
waren aber straff organisiert (stärker als die
lutherischen, ja sogar als die jesuitischen) und in
vieler Hinsicht Vorbild für die Universitäten anderer
reformierter Gebiete. Es gab zwar sehr detaillierte
kirchliche Richtlinien, daneben aber anfangs doch auch
einen gewissen Freiraum für humanistische Studien. Im
17. Jh hat die Bedeutung dieser Universitäten rasch
abgenommen. |
|
Ganz anders entwickelten sich die
Universität in den reformierten Niederlanden. Hier
hatten Leiden (1575), Groningen (1612) und Utrecht
(1632) von Beginn an überregionale Bedeutung erlangen
können und allgemein anerkannte Grade verliehen, ohne
daß sie je ein Privileg erhalten hätten. Obgleich
strenge Kirchenzucht herrschte, beließ man den
Universitäten einen gewissen Spielraum, zumal ja aus
Frankreich und auch aus anderen Ländern nicht wenige
Gelehrte aus konfessionellen Gründen nach den
Niederlanden emigriert waren und man sich dort der
Bedeutung dieser Leute und der Wirksamkeit dieser
Internationalität auch für das Überleben der kleinen
Republik bewußt war. So haben die Stadtväter und
regierenden Politiker trotz aller kirchlichen Aspekte
diese Universitäten weitsichtig unterstützt und
gefördert – was aber nicht immer verhindert konnte, daß
Männer wie Hugo Grotius aus religiösen Gründen zu
lebenslanger Haft verurteilt wurden. Die Tolerierung
wurde noch verstärkt, als die Niederlande 1648 in ihrer
Selbständigkeit anerkannt wurden. Den kirchlichen
Stellen waren die Anstalten allerdings zu wenig orthodox
und in gewisser Hinsicht ein Dorn im Auge, doch
vermochten sie sich nicht gegen die weltlichen
Interessen der Regierenden der Generalstaaten130 durchzusetzen, was den
niederländischen Universitäten eine enorme Stellung und
Bedeutung sicherte131. |
|
Die 1477 gegründete Universität
Uppsala132 folgte
nach der Reformation zunächst dem Wittenberger Modell,
geriet dann im ausgehenden 16. Jh unter
ramistischen Einfluss, bis sie von Gustav Adolf in
strengem Luthertum reformiert. Einen eigenständigen
Charakter gewinnt Greifswald133 –
gegründet 1456 – als Universität des Ostseeraums vor
allem durch seine Juristenschule. |
|
|
An den französischen Universitäten ist vor
allem die Theologie erstarrt, die unerhört starke
scholastische Theologie in Paris, die ja gewissermaßen
mitbestimmte, was Kirche und kirchliche Lehrmeinung sei,
hat sich dem humanistischen Einfluß weitestgehend
entzogen, und mehr und mehr entwickelten sich die
Pariser Theologen zu Hütern der Orthodoxie, die an den
Grundmustern der alten scholastischen Theologie
festhielten. Dies hat maßgeblich zum Niedergang der
franzlösischen Universitäten während der Religionskriege
beigetragen. Vereinzelte Reformierungsansätze – 1679,
1700, 1707 – seitens der Krone blieben erfolgslos. Die
laufende Verstärkung der Zentralisierung hat die
Ausdünnung der Sorbonne gefördert, da diese am Ende
eines cursus honorum
stand bzw. sich mehr oder weniger aus sich selbst bzw.
aus die Universität umgebenden Zirkeln rekrutierte.
|
1530 ist beispielsweise das Collège des
lecteurs royaux – die Vorläuferinstitution des College
de France – nicht der Universität Paris eingegliedert
worden, weil diese es ablehnte. Die 1425 gegründete
Universität Löwen (Leuven, Louvain) hat hingegen 1517
die Inkorporierung der Collegium trilingue
akzeptiert134. |
|
Eine ähnlich Erstarrung wie in Frankreich
ist an den spanischen Universitäten eingetreten. Sie
ging Hand in Hand mit dem Bemühen um eine besondere
Absicherung des eben erst abgeschlossenen
Missionierungswerkes nach dem Fall von Granada (1492)
durch einen rigoroseren Katholizismus, als es etwa das
erasmische Christentum war. Nach und nach gerieten die
Universitäten in die Hand von Orden – der Dominikaner
und der Jesuiten. Die Fakultäten verkümmerten und wurden
zusammengefaßt in Ordensstudien. Einzelne Universitäten
monopolisierten die Vergabe bestimmter Posten,
Lehrstühle wurden als Pfründenbesitz betrachtet, ebenso
die Kollegienstellen, die z.T. als Pfründen von
Professoren eingenommen wurden. Reformversuche seitens
der Krone scheiterten, zumal die königlichen Räte ja
selbst aus diesem System hervorgegangen waren. Das
Studium im Ausland wurde 1559 überhaupt verboten – nur
wenige durften noch unter bestimmten Bedingungen nach
Rom, Coimbra, Neapel oder Bologna gehen. Das System
erstarrte in Traditionalismus. |
|
In Bezug auf das Reich ist bereits
festgestellt worden, daß der Unterschied zwischen den
reformierten Gebieten und den katholischen Gebieten
nicht so gewaltig war. |
Im katholischen Bereich bediente man sich
häufig des Jesuitenordens, dessen Lehrmonopol ja auch im
Reich galt, und so entstanden vielfach Universitäten mit
einer Artesfakultät mit drei Jahrgängen und einer
Theologischen Fakultät (wie beispielsweise die
Universität Graz); kaum eine dieser Universitäten ist
voll ausgebaut worden, da die Jesuiten keinen
Lehrauftrag für Jurisprudenz oder Medizin hatten; und
wenn diese Universitäten vervollständig wurden, dann
nahmen die juridischen und medizinischen Fakultäten eine
ganz andere Stellung ein (wie das Beispiel Wien
erweist), da sie im spezifischen territorialen Interesse
lagen. Die Universitäten wurden im katholischen wie im
reformierten Bereich zunehmend Instrumente einer
landesfürstlichen Meliorationspolitik, und sie sind
diesen utilitaristischen Zielsetzungen vielfach auch
erfolgreich nachgekommen, vor allem als im 18. Jh
eine rege Reformtätigkeit einsetzte, die von Halle über
Göttingen ihren Ausgang nahm und sehr rasch zu einer
Erneuerung der Universitäten unter staatlicher Dominanz
führte (die freilich dann in den Jahren nach 1789 sehr
rasch weitgehend zunichte gemacht worden ist). |
|
Hier existierte praktisch nur Krakau mit
verschiedenen Dependencen. |
|
An den Universitäten Italiens blieb die
traditionell starke Jurisprudenz auch im 16. Jh
dominierend, zunehmend kamen deshalb auch Ausländer, die
allerdings auch an die Medizin gingen – mitunter machten
die Ausländer die Hälfte der Immatrikulierten aus. Zu
Erhaltung dieses ökonomisch interessanten
Ausländeranteils drangen die Universitätserhalter auf
exakter organisierte, kürzere Studien. Die traditionell
vernachlässigte Theologie spielte weiterhin kaum eine
Rolle, ja manche Universitäten besaßen nicht einmal eine
theologische Fakultät. Im Zuge der Gegenreformation
haben sich diese offenen Verhältnisse allerdings etwas
verhärtet. 1564 versuchte Papst Pius IV mit seiner
Bulle In Sacrosancte die „leichtsinnigen“ Promotionen
ausländischer Protestanten an italienischen
Universitäten abzustellen, doch hat man sowohl an den
Universitäten wie bei den Universitätserhaltern (wie
etwa in Venedig) mit allerlei Tricks versucht, diese
Einschränkungsversuche zu umgehen, indem man z.B. eigene
Prüfungsbehörden außerhalb der Universitäten einrichtete
u.ä. An der Universität Padua umging man sogar den
geforderten Eid auf die Rechtgläubigkeit, so konnten
dort sogar Juden aufgenommen werden. Auf grund dieser
Verhältnisse hielt sich der Zustrom nichtkatholischer
Studenten bis in das 17. Jh hinein. Gleichzeitig
ging aber ab dem 16. Jh die Freizügigkeit der
italienischen Studenten zurück, weil die Landesherren
die Absolventen der eigenen Universitäten bei der
Einstellung vorzuziehen begannen. Dies leitete eine
gewisse Verprovinzialisierung ein, die im 18. Jh zu
einem Nachlassen des Besuches durch Ausländer führte. Da
insgesamt der Markt im 17. Jh enger geworden war
(es waren ja auch die Jesuiten hinzugekommen), begannen
die Professoren sogar Privatvorlesungen zu geben, sodaß
inoffizielle Privatuniversitäten neben den offiziellen
Universitäten entstanden (womit sich die Professoren
selbst Konkurrenz machten), was verschiedentlich zu
einer Verkümmerung zu reinen Berufsvorbereitungsschulen
führte. Andererseits entstanden gleichzeitig
hochspezialisierte Fachhochschulen, wie etwa eine solche
für die Naturwissenschaften in Verona 1669. In den
habsburgischen Gebieten setzte unter Maria Theresia 1753 die Reform ein.
|
Insgesamt ist festzustellen, daß die
Reformen stets von den Landesfürsten angeregt wurden,
die Lebensfähigkeit durch den Landesfürsten garantiert
werden mußte; aber auch, daß dennoch die Universitäten
immer wieder bemerkenswerten Freiraum behielten. |
|
Von der Typologie her dominierte im
16.-18. Jh das Pariser Modell, das allerdings drei
spezifische Varianten ausbildete: |
1 |
Professoren-Universität mit einem nach Fakultäten
gegliederten und in Professuren organisierten
System, speziell zur Ausbildung von Spezialisten,
|
2 |
College- oder
Tutorien-Universität nach dem Modell Oxford mit
primär dezentralem Lehrbetrieb und einer Vielzahl
von Gemeinschaften, in denen Lehrer und Studenten
zusammelebten und neben der Fakultätsstruktur der
Schwerpunkt eher auf der Allgemeinbildung lag,
|
3 |
Kolleg-Universität, ein Zwischenmodell, das die
Vorteile zentraler Organisation mit dem
Kollegsystem in überschaubarer Größe verband und
eine bessere Kontrolle des Studiums und des
studentischen Lebens ermöglichte. Es war dies ein
hauptsächlich in den Randgebieten realisierter Typ
(Schottland, Spanien, Deutschland, Osteuropa), der
den Wunschtypus jedes Fürsten darstellte, der die
Universität unter seine Kontrolle zu bringen
suchte. |
|
Großen Einfluß entwickelte auch das 1538
von Johannes Sturm für Straßburg entwickelte
Modell, bei dem auf eine humanistische Schule mit
Alterklassen ein halbuniversitäres System mit
Lehrstühlen aufbaute, die den Stoff im Turnus der
Lehrveranstaltung anboten. Dieses Modell ist sowohl von
der reformierten, als auch dann von den Jesuiten
übernommen worden. |
Melanchthon hat das Lehrstuhlsystem
vertreten, das an allen lutherischen Universitäten
beibehalten worden ist. |
Eine spezielle Gruppe bildeten die
Jesuitenuniversitäten, die 1556/61 von Paul IV das
Recht zur Verleihung der unteren akademischen Grade
erhalten hatten. Diese Universitäten bestanden in der
Regel nur aus einer Artistenfakultät mit einem
dreijährigen Turnus und einer Theologischen Fakultät;
nur wneige entwickelten sich zur Volluniversität – und
wenn dann meist erst in der 1. H. des 18. Jhs.
Graz ist ein typisches Beispiel für diesen Typ. |
Dem Bereich Hochschulen sind für den
Zeitraum 16.-18. Jh korrekterweise noch zahlreiche
Institutionen zuzurechnen, die nicht als Universitäten
akzeptiert waren, aber als solche wirkten: die bereits
erwähnten humanistischen Schulen, gymnasia illustria oder academica, und eine Fülle
von Ordensseminarien unterschiedlichster
Organisationsform. |
Es tritt im 16.-18. Jh eine
unglaubliche Vielfalt von Universitätsgründern auf.
Dennoch nimmt die Freiheit der Gründungsinitiativen
laufend ab, indem die Landesfürsten die Dinge an sich
ziehen und ihrer Kontrolle unterwerfen. |
Hinsichtlich der Konfessionalisierung ist
zu bemerken, daß es einzelnen Laienuniversitäten
erstaunlich gut gelungen ist, sich der geistlichen
Kontrolle durch die Kirche zu entziehen, ganz besonders
trifft dies für die niederländischen Universitäten zu,
obgleich sie sich zur reformierten Kirche bekannten und
auch deren Pfarrer ausbildeten. Die Auseinandersetzungen
zwischen einzelnen, konfessionell unterschiedlich
orientierten Hochschulen in einer Stadt sind spätestens
im 18. Jh abgeflaut, als der Staat alles an sich
zog. |
Vor allem in den katholischen Ländern, wo
nur die via antiqua
beschritten wurde, blieb es bis weit in das
15./16. Jh hinein bei den alten Fächern, die z.T.
noch immer aus Autoren des 13. Jhs vorgetragen
wurden – dies war aber auch an den klassischen, den
Ockhamismus ablehnenden Universitäten nicht anders: in
Oxford und Cambridge wurden die drei Philosophien135 (Metaphysik, Moral,
Naturphilosophie) im 15. Jh im wesentlichen gelehrt
nach: Aristoteles, Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Duns Scotus, Thomas Bradwardine, Averroes, Giles von Rom und Walter Burleigh, was
in England eine realistische (im Sinne des
Universalienstreites) und sterile Fortsetzung des
scholastischen Philosophie bewirkte. Vor allem in Oxford
regierte der Scotismus. Ockham wurde nicht gelesen. |
Am stärksten veränderte sich in der Zeit
16.-18. Jh die Artesfakultät, indem nämlich das
propädeutische Element mehr und mehr an neue, immer
höherwertigere Schulformen – gymnasia illustria, colleges de plein
exercice, oft auch nur verselbständigte
Colleges und auch an die dreisprachigen Kollegien in
Alcalá de Henares, Löwen und Paris, die ja sehr bald
nicht mehr nur Sprachen, sondern auch Mathematik und
andere Fächer lehrten – überging, sodaß sich der
Übergang von der Artesfakultät zur Philosophischen
Fakultät anzubahnen begann. Parallel dazu boten ab dem
17. Jh die neu aufkommenden Ritterakademien einen
stark technisch und angewandt ausgerichteten, sehr
komplexen Unterricht in geradezu militärisch straffem
Stil an; meist handelte es sich um Schulen samt
Internat, also geschlossene Systeme mit perfekter
Kontrolle über die Schüler, was den Eltern wilkommen war
und auch den landesfürstlichen Intentionen nicht
zuwiderlief. |
Wie altertümlich diese Struktur aber
anfangs sogar an einer reformierten Universität aussah,
lässt sich am Beispiel der Universität Basel zeigen. Ähnlich
verhielt es sich an den anderen Universitäten. |
Zu Beginn des 17. Jhs erhielten die
englischen Artesfakultäten einige neue Professuren bzw.
es wurden alte Lehrstühle neuen Fachbereichen gewidmet,
wobei die Geschichte eine besondere Rolle spielte, die
ja keinen eigenständigen Platz im Kanon der an der
Universität gepflegten Fächer einnahm136; in Oxford wurden
innerhalb kurzer Zeit bedeutende Professuren
eingerichtet: |
1618 |
durch Sir William
Sedley der
Sedleian Chair of Natural Philosophy |
1619 |
durch Sir Henry
Savile der
Savilian Chair of Geometry (dessen erster Inhaber
Henry Briggs wurde, dessen Logarithmen allgemeine
Verbreitung fanden) und der Savilian Chair of
Astronomy |
1621 |
eine Professur
der Moral Philosophy durch Dr. White |
1622 |
eine Professur
für Geschichte durch William Camden als Stifter137 |
|
In Cambridge wurde lediglich 1627 eine
Professur für Geschichte (mit Fulke Greville als Stifter)
installiert. Die Anregung dazu war von der 1586
gegründeten Society of Antiquaries in London, also von
privater nichtakademischer Seite (Rechtsanwälte, Herolde
und hohe Beamte) ausgegangen, die das Defizit erkannt
hatten und ihm zu begegnen suchten. |
In den Ausmaß, in dem die Universität die
alte Universalität verloren und unter dem Druck der
Landesfürsten die Zersplitterung der
Universitätslandschaft bewirkt wurde, eine
Territorialisierung, ja Regionalisierung eintrat,
vollzog sich auch eine langsame, aber permanente
Einengung der Studienprogramme. |
Weiters verlagert sich die Dominanz
innerhalb der Universitäten von den im Mittelalter
weitaus überwiegenden Artistenfakultäten zu den Rechts-
und Medizinfakultäten. Allerdings wurden in einzelnen
Ländern Zulassungsprüfungen – Konkurse – zu einzelnen
Positionen in der Verwaltung eingeführt, die dem
Bewerber das teure Studium der Rechte ersparten und
zudem exakter auf die Bedürfnisse zugeschnitten waren
und somit sehr rasch einsetzbare Beamte lieferten. |
Wirklich erfolgreich waren die
Universitäten lediglich in der Verteidigung des
Promotionsrechtes. |
An der eigentlichen
Wissenschaftsentwicklung nahmen die Universitäten so gut
wie keinen Anteil – die lief außerhalb der Universität;
diesbezüglich ist auch der Akademien zu gedenken. |
Lediglich die Universität Leiden kann um
1600 eine Sonderstellung für sich beanspruchen – sie
vefügte über eine erhebliche Anzahl hervorragender
Wissenschaftler, die den Ton angaben und mit ihren
Arbeiten eine Spitzenstellung einnahmen; doch handelte
es sich dabei mehrheitlich um geisteswissenschaftliche,
philologische und wissenschaftstheoretische Arbeiten,
von experimenteller Arbeit ist noch keine Spur, die
setzt erst um 1660 ein – Basel ist ein frühes und
schönes Beispiel dafür. |
|
In der inneren Struktur bringt diese Zeit
16.-18. Jh auch den Niedergang der Nationen, die
praktisch ihre Bedeutung verlieren (in Wien schon zu
Beginn des 16. Jh) und z.T. auch de iure untergehen
(1619 hat Ludwig XIII die Nationen in Frankreich
aufgehoben), die Studenten lassen sich erst gar nicht
mehr in die Nationen eintragen bzw. es werden mitunter
völlig willkürlich Matrikeln geführt, soweit noch eine
Zwangsmitgliedschaft besteht (wie etwa in Leipzig bis
1620). Am längsten bestanden die Nationen wirksam in
Padua, weil sie dort bei dem hohen Ausländeranteil ihre
ursprüngliche Funktion der Aufrechterhaltung des
Kontaktes zum Heimatland noch einigermaßen erfüllten.
|
Die im Mittelalter maßgeblichen päpstlichen
und kaiserlichen Privilegien allgemeinerer Natur haben
im 16. Jh an Bedeutung verloren. Dafür kamen neue
Privilegien hinzu, die sich als sehr bedeutsam erweisen:
das Druckmonolpol, das Anrecht auf Pflichtexemplare
einer Druckerei, eine bestimmte Kleidung zu kultivieren
oder sich Statuten zu geben (die dann allerdings in der
Regel von der übergeordenetn Instanz zu genehmigen waren
– z.B. Marburg, Gießen 1629, behält dieselben Statuten
bis 1879!). Mitunter betrafen derartige gesetzliche
Regelungen nur eine Universität, mitunter aber auch alle
in einem Herrschaftsbereich, sodaß diese Gesetze
allgemeineren Charakter annahmen. Ab 1600 kommt es
vermehrt vor, daß Landesfürsten Universitäten, deren
Betrieb ihnen gegenüber beanstandet wird, visitieren und
durch Verordnungen zu korrigieren suchen – 1607 hatte
ein solches Verfahren durch den Habsburger Erzherzog
Albrecht der
Universität Löwen gegenüber ein grundlegendes
Studiengesetz zur Folge. Ähnlich haben die französischen
Provinzparlamente ab etwa 1500 ihre Universitäten immer
wieder reformiert (bis zu deren Aufhebung 1793). |
Hinsichtlich der Universitätsorgane ist
hervorzuheben, daß die Generalversammlungen im
16. Jh an Bedeutung zu verlieren zu beginnen. Sie
führen nun meist unter humanistischem Einfluß die
Bezeichnung senatus,
zählen aber in Frankreich, im Reich und in Schweden nach
und nach nur mehr die ordentlichen Professoren zu ihren
Mitgliedern. In Oxford und Cambridge blieb man im
wesentlichen noch bei der alten Zusammensetzung, wobei
sich jedoch eine Zweiteilung in eine Kammer der lesenden
und eine Kammer der nichtlesenden Magistri ergab; im
18. Jh ist die Macht dieser Great Congregation oder
Great Convocation in Oxford und des Senats in Cambridge
stark zugunsten des Vizekanzlers eingeschränkt worden.
In Bologna und Padua gab es nach wie vor noch die
Generalversammlung, die ausschließlich aus Studierenden
bestanden, doch gab es mittlerweile daneben auch die
Fakultätsversammlungen der Professoren. |
Da sich die Wirksamkeit der riesigen
Kollegialorgane sehr in Grenzen hielt, entstand in der
Regel ein kleiner Senat, dessen Zusammensetzung
natürlich sehr unterschiedlich sein konnte – Rektor,
Vizekanzler, deputierte Senatoren, Dekane, Leiter von
Colleges. In Cambridge und dann auch in Oxford
entwickelte sich überhaupt ein eigenes, tatsächlich die
Geschäfte führendes Gremium, der Hebdomadal Council (der
wöchentliche Rat), der in Oxford heute noch besteht. In
Bologna und anderen italienischen städtischen
Universitäten und vor allem dan auch in den Niederlanden
sind auch außeruniversitäre Personen in den Senat
aufgenommen worden, Vertreter der Stadt, von den
holländischen Provinzstaaten ernannte Kuratoren etc. –
Ähnlich verlief die Entwicklung auf der Fakultätsebene.
|
Wenige Veränderungen gab es hinsichtlich
des Rektors, seine Aufgaben blieben dieselben. Im Reich
wurde es allerdings – mit Ausnahme der Universität Köln
– üblich, die Rektorswürde einer königlichen Hoheit oder
einem hochadeligen Studenten zu verleihen; man erhoffte
sich davon eine besondere Protegierung der Universität.
Das eigentliche Rektorsamt wurde dann von einem
gewählten Prorektor ausgeübt. Die Amtsperioden für das
Rektorat waren ursprünglich kurz: ein Semester, maximal
ein Jahr, die Professoren durchliefen vielfach das Amt
turnusmäßig. Das längst nicht mehr ernstgenommene
studentische Rektorat in Bologna fand ein Ende, als sich
1604 kein Kandidat mehr fand. |
Eine Besonderheit des Rektorsamtes war die
Wahrnehmung des akademischen Gerichtes, für das mitunter
zusätzlich auch ein eigener Disziplinarbeamter
angestellt wurde. Die verhängten Strafen waren: Tadel,
Geldstrafe, körperliche Züchtigung oder Gefängnis.
Laufende Querelen zwischen den Universitäten und den
Bürgerschaften der Städte waren die Regel; die Bürger
bezichtigten den Rektor der unlauteren Bevorzugung der
Universitätsmitglieder, mitunter wurden deshalb auch
Nicht-Universitätsmitglieder beigezogen. Dies führte
auch dazu, daß im späten 17. und mehr noch im
18. Jh das akademische Gericht an Bedeutung verlor,
ja in nicht wenigen Ländern sogar aufgehoben wurde, so
in Österreich durch Josef II. Ein anderer
wesentliche Agende des Rektors war die Wahrnehmung der
Finanzen der
Universität; auch dafür gab es meist einen eigenen
Beamten, eine Art Schatzmeister, der die gesamte
finanzielle und ökonomische Verwaltung unter
Oberaufsicht des Rektors zu besorgen hatte; in Uppsala
mußte dieser Beamte einen akademischen Grad besitzen und
wurde vom König eingesetzt. |
Die Einkünfte der Universitäten bzw. der
Kollegs setzten sich in der Regel aus zwei Gruppen
zusammen: Eigentum und Nutznießungen. Eigentum waren
meist die ursprünglich gestifteten Immobilien und
Mobilien; Mäzene tätigten meist Stiftungen in Form von
Nutznießungen. Dazu traten die Einkünfte der Universität
oder des Kollegiums aus der Immatrikulation und den
Prüfungsgebühren sowie Bußgeldern der Studenten und
kleineren Stiftungen, die meist zu ganz bestimmten
Zwecken getätigt wurden (z.B. für den Ankauf von Büchern
für eine bestimmte Lehrkanzel etc.). Die Hochschulträger
unterstützten die Universitäten zunehmend mit direkten
und festen Geldbeträgen und auch mit der Umwidmung von
festen Pfründen zugunsten der Universität, meist
speziell zur Besoldung einer bestimmten Professur – die
Universität Krakau verfügte gegen 1800 hin über
insgesamt 300 Pfründen. Aber nur wenige Universitäten
sind dermaßen reich begabt worden wie Krakau oder wie
die schwedischen Universitäten, wo König Gustav Adolf II.
große Summen und ganze Landschaften der Universität
Uppsala stiftete, um sie auf europäisches Niveau zu
heben – ganze Landschaften, dazu 264 freie Bauernhöfe,
Anteile an weiteren Höfen, an Mühlen, Einkünfte aus
Pfarreien etc.etc. Die Universität Uppsala konnte sogar
Rücklagen bilden und erlebte infolgedessen eine etwa
200jährige Blütezeit. |
Den größten Teil der Ausgaben verschlangen
in der Neuzeit (anders als im Mittelalter) die Gehälter
der Professoren und die der Beamten. In England schufen
im 16. Jh die regius
professorships soziale Sicherheit, in
Salamanca unterschied man zwischen catedraticos de regencia und catedraticos de
propriedad, deren Gelder aus weniger sicheren
Quellen stammten. Eine dritte Ausgabenart waren die
Stipendien für Studenten. Generell ist zu sagen, daß die
Kollegien finanziell viel besser gestellt waren als die
Universitäten, da sie meist von Stiftern zur Gänze
ökonomisch abgesichert wurden. Mißstände in der
Verechnung haben im 17. und 18. Jh dazu geführt,
daß staatliche Kontrollen vorgenommen wurden, die
Gelegenheit zur Einflußnahme seitens des Staates boten.
|
Wie bei den Zünften auch gab es an den
Universitäten Kassen für kranke Mitglieder, Witwen und
Waisen, die immer stärker institutionalisiert wurden;
bei der Gründung der Universität Halle 1693 wurde eine
derartige Kasse uno actu errichtet und aus speziellen
Mitteln gespeist. |
Neben den bis dahin üblicherweise
vorhandenen Beamten stellten die moderneren Universität
im 17. Jh eine Reihe von Lehrern an, die es bis
dahin an den Universitäten nicht gegeben hatte:
Zeremonienmeister, besoldete Redner, Reit-, Tanz- und
Fechtlehrer etc. im 18. Jh treten dann die ersten
Lehrer lebender Fremdsprachen hinzu und auch der
jeweiligen Nationalsprache (z.B. in Wien, Frage des
Beamtendeutsch, d.h. Deutsch als normalisierte
Verwaltungssprache). Auf der Ebene der Handwerker traten
die Buchdrucker, die Buchbinder und Gärntner hinzu.
|
Die Funktion einer Aufsichtsbehörde haben
vielfach noch die Kanzler (ursprünglich als beauftragte
Stellvertreter des Bischofs) wahrgenommen, in einzelnen
Fällen haben sie dies mit großem Einsatz getan, meist
aber nur im Sinne eines leeren Ehrenamtes. Die
tatsächliche Aufsicht verlagerte sich mehr und mehr auf
Regierungsbeamte und im 18. Jh wohl auch auf
Kommissionen wie die von Maria Theresia eingesetzte
Studienhofkommission. In Spanien haben Karl V. und
Philipp II.
zu wiederholten Malen Universitäten visitiert, ähnlich
fanden derartige Inspektionen in England ab 1535 statt.
Die Inspektionen, Visitationen veränderten nach und nach
das Verhältnis zwischen Staat und Universitäten, trugen
zur Vermehrung der staatlichen Einflußnahme bei. In
Italien und Deutschland konnten derartige Visitation
auch durch gewählte Vertreter von Bürgerschaften,
Städten, sogenannte "Kuratoren", durchgeführt werden.
|
Als eine spezielle Sonderform war immer
noch die Institution der Pfalzgrafen und der Doctores
bullati vorhanden. Der Pfalzgraf hatte aus
karolingischer Zeit das Recht, bestimmte Rechte im Namen
des Herrschers auszuüben, z.B. Notare zu ernennen,
Adelstitel zu verleihen oder eben Doktoren zu
promovieren138. Im
Spätmittelalter gab es zusätzlich zu den kaiserlichen
auch noch päpstliche Pfalzgrafen, die Lateranenses; diese Pfalzgrafen
haben natürlich mitunter ziemlichen Abusus getrieben,
weshalb sie auf der päpstlichen Ebene unter Papst Pius V.
(1566-1572) das Promotionsrecht verloren. Die doctores legitime promoti
haben die von den Pfalzgrafen, den Päpsten
oder den Kaisern selbst promovierten doctores bullati nie als ebenbürtig
anerkannt. |
Ausdruck der Universität waren stets die
Insignien, die sich unterschiedlich zusammensetzen
konnten: in Wien zählte das Matrikelbuch dazu, in Basel
der "Bülgen" = Geldsack, in Krakau der Ring, der im
Reich und in Italien in besonderer Weise eine insignia doctoralis war (in
Österreich heute noch der sub-auspiciis-Ring). Allgemein
zählte das Siegel dazu – Siegel der Universität und die
Siegel der Fakultäten, oft mit Gottesmutter als Patronin
der Gesamtuniversität und einzelnen Schutzpatronen auf
den Fakultätssiegeln. Das Szepter symbolisiert die
rechtliche Unabhängigkeit. Vielfach wurde auch eine
reiche Heraldik entwickelt. Im 16. Jh begannen in
Prag die Rektoren, Amtsketten zu tragen – das Tragen von
Ketten war ursprünglich ein Recht allein des hohen
Adels. An anderen Universitäten wie Wien wurden die
Ketten wohl erst im 18. Jh eingeführt, als die
Talare abgeschafft wurden. Die Talare entwickelten sich
in der Neuzeit immer auffälliger in den verschiedensten
Formen. 1784 hat Josef II die "Mantelkleider",d.h.
die Talare verboten, in denen er ein Überbleibsel des
finsteren Mittelalters erblickte, in dem sich die Päpste
das Recht zur Gründung von Universitäten angemaßt
hätten; nicht verboten wurde die alte Tracht der Prager
Universitätspedelle, weil sie als Bedientenlivree
eingestuft wurde. In Österreich wurden die Talare als
Symbole der Hochschulautonomie 1927 wieder
eingeführt139. Die
einzelnen Universitäten entwickelten spezifische
Zeremonielle und Rituale, in denen meist aus dem
Mittelalter überlieferte Gewohnheiten eine zentrale
Stellung einnahmen – Prozessionen, Festessen, Eröffnung
des akademischen Jahres etc. Von der Renaissance an
bürgert es sich ein, daß Bildnisse der Rektoren und
berühmter Professoren angefertigt werden. Insgesamt
vollzieht sich vom 15.-18. Jh der Übergang von
einem kirchlich bestimmten Gepräge zu einer adeligen,
aristokratischen Repräsentation. |
Die College-Universitäten des Mittelalters
verfügten kaum über eigene Gebäude, meist war der Rektor
mit der Verwaltung in irgendeinem College untergebracht.
Typisch dafür ist auch, daß einzelne Colleges ganzen
Universitäten ihren Namen gaben: Sorbonne, Sapienza,
Karolinum. Es gab wohl einen eigenen Baustil der Kollegien (rechteckiger Hof, Kapelle,
Speisesaal etc., nicht aber der Universitäten. Im 16.
und 17. gibt es auch den Typus der
<wissg-i-jesuitenkollegium:Jesuitenkollegien>. Es
gibt zwar keine Universitätsarchitektur, die sich
durchgesetzt hätte, wohl aber gab es eine Reihe von
Entwürfen idealer Kollegien- bzw.
Universitätsgebäude.140 Die
universitären Einrichtungen wurden aber in der Regel
gerne innerhalb einer Straße, eines Stadtviertels
zusammengefasst; dies hat die Ausweitung, die Erneuerung
und die Errichtung von Neubauten enorm erschwert, siehe
etwa in Paris, Wien und Oxford. Die Universitätsgebäude des
18. Jhs spiegeln nicht mehr die Universitas der
Lehrenden und Lernenden wider, sondern werden mehr und
mehr Ausdruck der staatlichen Macht wie der
utilitaristischen Nutzung von Wissenschaft. |
Im 16. Jh entstehen die ersten
spezifischen räumlichen und institutionellen
Universitätseinrichtungen: Botanische Gärten (zuerst
1544 in Padua und Pisa, 1563 Bologna, Leipzig 1580,
Leiden 1581, dann Basel, Heidelberg etc.; in Paris nie,
man benützte den Jardin du Roi). Eine andere neuartige
Einrichtung war das anatomische Theater (1566
Montpellier, Padua 1594/95, Leiden 1597, Delft 1614,
Amsterdam 1617, Paris 1617; in Halle wurde ein
anatomisches Theater 1727 vom Professor der Anatomie
privatim errichtet und an den Nachfolger verkauft, der
es dann ebenso hielt). |
Im Grunde genommen müssen sich die
Universitäten bis in das 18. Jh mit völlig
unzulänglicher gebäudemäßiger Ausstattung und mit
Anmietungen behelfen. Nicht einmal die 1693 als
Reformuniversität begründete Universität Halle erhielt
eigene Gebäude, sie hauste in Privathäusern, Vorlesungen
mußten räumlich mit Hochzeitsgesellschaften und
Theaterveranstaltungen konkurrieren und erst 1731
erhielt die Universität von der Stadt die Räume einer
Bäckerei für die Verwaltung zur Verfügung gestellt.
|
Universitätsbibliotheken im eigentlich Sinn
gab es Mittelalter nicht. Es gab Bibliotheken einzelner
Colleges und wohl auch von Fakultäten, aber nicht mehr.
Erst am Beginn der Neuzeit entstehen an besonders gut
ausgestatteten Universität Bibliotheken. Darüber ist im
Kapitel „Bibliotheken“ gehandelt worden. |
Die Archive der Fakultäten und
Universitäten wurden früh in entsprechend gesicherten
Truhen aufbewahrt, die häufig in der Bibliothek standen
und bei Kriegsgefahr etc. in Sicherheit gebracht wurden.
In Frankreich sind die Universitätsarchive im Zuge der
Auflösung der Universitäten 1793 zerstreut und z.T.
völlig zersplittert worden, heute liegen Teile in den
Departmentsarchiven etc. Ähnlich in Italien, wo die
Universitätsarchive teilweise in städtischen Archiven
oder in Staatsarchiven liegen. Für Oxford wurde in einem
neu ausgearbeiteten Statut 1636 das Amts eines Keeper of the Archives neu
geschaffen. |
Eine wichtige Position nahmen die
Buchdrucker ein, die wie seit den Anfängen der
Universitäten alle jene, die mit Büchern zu tun hatten,
als suppositi, als
cives academici galten. Ihnen zur
Seite standen die Buchhändler und die Buchbinder. Wer
eine officina typographica academica
besaß, war verpflichtet, zu besonderen,
festen Preisen für die Universität zu arbeiten.
1470-1473 betrieben Guilleaume Fichet und Heynlin vom Stein an der Sorbonne eine
eigene Druckerei, John Siberch führte 1521-1523 eine
Druckerei an der Universität Cambridge – diese beiden
Druckereien führten die Humanistenschrift in die
Druckerei ein! Doch ebenso wie in Padua, Pavia, Siena
und Pisa vermochten sich diese Druckereien nicht lange
zu halten. Ähnlich war es im Reich in Leipzig, Rostock
und Wittenberg. Die Druckereien hingen zu stark vom
Einsatz wissenschaftlicher Verleger ab. Besser lief es
lediglich in Bologna und in Löwen, wobei hier die
Druckerei nicht allein eine Universitätsdruckerei war;
ähnlich war es in Leiden, wo sich die nachmals berühmte
Druckerei des Christoph Plantin (1520-1589) eng an die
Universität anschloß; in der Folge ist der Verlag in
Zusammenhang mit dieser Druckerei durch Isaak Elzevier (1596-1651)
übernommen worden, womit eine legendäre Zusammenarbeit
begann (der Vertrag zwischen Elzevier und der
Universität Leiden aus dem Jahr 1620 ist erhalten und
bietet einen sehr guten Einblick in die Verhältnisse);
der Verlag Elzevier
besteht heute noch und ist im Zeitschriftenwesen ein
weltweiter Marktführer. Die wissenschaftlichen Verlage
entwickelten sich vielmehr in großen Handelsstädten wie
Venedig, Amsterdam, Paris und Basel. Eine ganz spezielle
Entwicklung ergab sich in England, weil dort Druckereien
überhaupt nur für London, Oxford (1584) und Cambridge
(1583) zugelassen wurden – für jede Universität nur
eine. 1632 wurde in Oxford eine eigene University Press gegründet, die durch die
Convocation kontrolliert und vom Vizekanzler und zwei
Prokuratoren geleitet wurde. In Cambridge gründete die
Universität 1698 ein Press Syndicate
für ihre University Press. Beide
Universitätsdruckereien und -Verlage überlebten nur dank
des Monopols für den Druck aller jener Bücher, die seit
1534 dem King's Printer vorbehalten waren. |
So wurde im Verlaufe der Neuzeit das
Buchwesen ein immer wichtigerer Teil der
Universitäts-Organisation. |
|
Hinsichtlich der Struktur des Lehrkörpers
tritt in der Neuzeit (16.-18. Jh) eine deutliche
Differenzierung und Spezialisierung ein. Während man im
Mittelalter die Grenze zwischen Lernenden und Lehrenden
nicht genau zu ziehen vermochte – wenn der Bakkalar
lernte und lehrte zugleich –, so trat mit der Lockerung
der Lehrverpflichtung für die eben graduierten Magistri
im 16. Jh eine Verringerung der Zahl der Lehrenden
ein bzw. es wurden Lehrende eigens zur Lehre bestimmt:
1550 werden in Oxford neun Magister zur Lehre abgeordnet
und mit bestimmten Lehrveranstaltungen beauftragt. Damit
wurde aber auch erst der Weg zur Gewinnung
hochqualifizierter Lehrer frei, die gewissermaßen eine
Monopolstellung innerhalb eines bestimmten Bereiches
voraussetzten. Gleichzeitig werden aber auch Lehrstühle
für fest besoldete lectores
oder professores
gestiftet: den ersten stiftete die
Königinmutter Margaret, die 1497-1502 einen Lehrstuhl für
Theologie sowohl in Oxford als auch in Cambridge
einrichtete; weitere Legate von hohen Würdenträgern und
des Königs führten innerhalb von nur 25 Jahren zu
insgesamt 18 derartigen Lehrstühlen für alle Bereiche an
beiden englischen Universitäten. Weitere Lehrstühle
folgten. Gleichzeitig bemühen sich weiters die Colleges
ihrerseits um eigene Lehrkräfte; die Statuten des
Magdalen College von 1479 bestimmten ausdrücklich, daß
das Colleg für Lehrkräfte und Vorlesungen zu sorgen
habe. |
Neben den Vorlesungen gab es noch den
individuell gestalteten Unterricht der Tutoren, über
deren Arbeit im 16. Jh man nicht sehr viel weiß;
für das 17. Jh wissen wir, daß an den Colleges ein
sehr dichter Stundenplan geboten wurde, weitaus
kompakter, tiefergehend und zusammenhängender als an der
Universität. Auch am Kontinent gewann an nicht wenigen
Universitäten der Anteil der Colleges immer größere
Bedeutung. |
Im 17. Jh existierte an den meisten
Universität ein kleiner Kern mächtiger festbesoldeter
Professoren, die von einem Kranz von Lehrenden in weit
weniger festen Verhältnissen umgeben waren, die ihnen
z.T. assistierten, z.T. als Tutoren arbeiteten. In Löwen
unterschied man z.B. zwischen den professores regentes und den professores legentes – die legentes hatten nur zu
lehren, die regentes
saßen auch in den Gremien, bestimmten den Studienplan,
prüften die Studenten und strichen die Gebühren ein; so
erweckten die regentes
den Neid aller anderen und die legentes strebten nur danach,
selbst regentes zu
werden. Ähnliche Verhältnisse gab es auch an anderen
Universität. Außerdem unterschied man noch zwischen
ordinarii (catedra mayores, docteurs
regents) und extraordinarii (catedras minores, docteurs agrégés)
– die ersten lehrten am Morgen die wichtigen Materien,
die letzteren eher am Nachmittag die sekundären
Materien. Eine dritte Gruppe waren die "Privatdozenten"
(docteurs
honoraires), also gewissermaßen die alten
freien Magistri, sie lehrten ohne jede Besoldung. Eine
gewissermaßen außenstehende, sehr kleine Gruppe waren
die Ehrendoktoren, die aber kaum als Lehrer in
Erscheinung treten. |
Hinsichtlich der Lehrtätigkeit waren die
Professor an manchen Universitäten inhaltlich völlig, an
anderen hatten sie sehr konkret Aufgaben innerhalb des
Curriculums zu erfüllen und am Beginn der Woche die
Themen bekanntzugeben und am Ende der Woche die
Studenten über das Vorgetragene zu prüfen (so am Christ
Church College in Oxford). Als problematisch erwies
sich, daß die Professoren vielfach durch andere Aufgaben
von der Lehrtätigkeit abgezogen wurden, vor allem an
Universitäten in Residenzstädten, wo sie permanent
Gutachten anfertigen, an allen möglichen Sitzungen
teilnehmen oder auch nur wie in St. Petersburg
Feuerwerke ausrichten und Gratulationsadressen etc.
dichten mußten; mitunter wurden derlei Verpflichtungen
sogar in der Statuten unter den Amtspflichten der
Professoren genannt; einige Universitätserhalter haben
das Problem allerdings gesehen, so wie der Pfalzgraf
Otto Heinrich (1502-1559), der ausdrücklich verfügte,
daß die Heidelberger Professoren in keiner Weise durch
seine Kanzlei oder seinen Gerichtshof belastet werden
dürften. Ein anderes, immer gravierender werdenden
Problem war das der häufigen Abwesenheit der Professoren
von der Universität. |
Die Berufung zum Universitätslehrer bzw.
Professor setzte vor allem in früheren Zeiten das
Doktorat nicht voraus; oft wurde allerdings festgesetzt,
das der zu Ernennende das Doktorat innerhalb bestimmter
Frist zu erwerben habe. An der Universität Löwen gab es
zwischen 1501 und 1797 339 Professoren, von diesen haben
nur 104 (30,7 %) vor und 103 (30,4 %) nach
ihrer Berufung ein Doktorat erworben; 132 (40 %)
sind also ohne Doktorat geblieben; der Zugang zum collegium strictum als
zentralem Verwaltungsgremium blieben diesen verwehrt.
Für die Durchführung des Berufungsverfahren gab es ehr
unterschiedliche Vorgangsweisen, auch an ein- und
derselben Universitäten je nach Art der Professur (professor regius wird von
der Krone berufen, andere durch ein kleines dafür
eingesetztes Gremium, andere wieder durch die
Fakultätsmitglieder), in Frankreich lag die Entscheidung
immer bei der Fakultät und geschah auf Grundlage der
Durchführung eines
concours, eines öffentlichen Verfahrens –
in Toulous mußte 1742 die Bewerber um eine juridische
Lehrkanzel eine zwölfstündige Vorlesung über Fragen des
Zivil- und des Kirchenrechts halten und sich dann zwei
öffentlichen, jeweils achtstündigen Diskussionen über
rechtliche Streitfragen stellen; lediglich für die
Erstbesetzung eines Lehrstuhles gab es die Form der postulacion, daß die
Fakultät dem König einen Vorschlag machte und dieser
bestätigt wurde. Es gab sehr gefragte Lehrstühle, in
Montpellier bewarben sich 1617 zwölf Mediziner um einen
Lehrstuhl. Bei zeitlich befristeten Lehrstellen gab es
keinen concours. Neuere
Untersuchungen haben allerdings ergeben, daß trotz des
Konkurses von 59 Professoren des französischen Rechts
zwischen 1681-1793 nur 15 % ihre Berufung ihrem Ruf
als Juristen verdankten, 42 % einem dienstlichen
Nahverhältnis zum König, 34 % Beziehungen zu
berühmten Persönlichkeiten, 36 % waren vor ihrer
Berufung bekannte Anwälte gewesen. Ein dem Konkurs
ähnliches Verfahren gab es in Spanien: die oposiciones an denen die
Studenten im entscheidenden Gremium mitbeteiligt waren,
dieses Verfahren ist völlig degeneriert – es gab
Universitäten, die ihren Mitglieder jährlich 100 reals
zum Ankauf studentischer Stimmen vom Gehalt abzogen;
auch andere Kurien führten Mitglieder in die Abstimmung,
die nie vorher an der Universität gewesen waren
(Ordensbrüder) und sogar längst Verstorbene – eine
Professur sei nicht unter einer Million Todsünden zu
erhalten, hieß es in Salamanca im 17 Jh. Philipp IV hat
eshalb 1623 die Auswahl der Professoren dem Kronrat
übertragen, dies ist 1641 definitiv geworden. Ähnliche
Probleme mit dem Stimmenkauf gab es an den englischen
Universitäten. Insgesamt ist festzuhalten, daß die
Auswahl und Ernennung mehr und mehr an die
Universitätsträger gezogen wurde und im 18. Jh
praktisch ausschließlich bei ihnen lag, auch wenn die
staatlichen Stellen vielfach auf die beratende Meinung
von Fachleuten angewiesen waren, was natürlich auch
nicht immer ganz ohne Unregelmäßigkeiten abgegangen sein
dürfte. Die Universitäten verloren ihre
Selbstständigkeit in demselben Maße, in dem sie
Ausbildungsstätte nicht nur von Staatsdienern, sondern
auch des Adels wurden. |
Gleichzeitig vollzog sich in der Zeit
16.-18. Jh eine permanente Laisierung des
Lehrkörpers an den kontinentaleuropäischen
Universitäten. Damit verlor die Kirche die Kontrolle
über die Universität, und dies hatte wieder wesentlichen
Einfluß auf die gesellschaftliche und wirtschaftliche
Stellung der Professoren; in Paris waren die Professoren
der Medizinischen Fakultät ab 1452 und der Artistischen
ab dem 16. Jh Laien, 1553 erlaubte Papst Julius III. der
Universität Heidelberg, für kanonisches Recht einen
Laien zu berufen, falls sie keinen Kleriker bekommen
könne. Die Kirche hat sich allerdings keineswegs aus den
Universitäten zurückgezogen, ihre Stellung wurde durch
die Orden gehalten, vor allem die Bettelorden und die
Jesuiten, insbesondere dominierten die Dominikaner die
theologischen Fakultäten; noch um die Mitte des
17. Jhs gab es in Frankreich Geistliche auch auf
weltlichen Lehrstühlen. Andererseits waren viele
Professoren an den protestantisch-theologischen
Fakultäten der reformierten Länder Mitglieder der
Kirchenbehörde. Die staatliche Aufsicht hat freilich auf
beiden Seiten die Rechtgläubigkeit der Lehrenden
überprüft, auch die Studienpläne, und vielfach bedurften
Veröffentlichungen der Professoren einer behördlichen
Genehmigung, der approbatio. Die staatliche Aufsicht
und Lenkung wurde im 18. Jh an den Universitäten
selbst nicht durchwegs und nicht ausschließlich als
Negativum empfunden, weil man die Unfähigkeit der
Universitäten zur selbständigen Regenierung und Lenkung
und Hintanhaltung von Mißständen sehr wohl erkannte – in
Göttingen werden die Professoren zwar von der Regierung
ausgewählt und ernannt, erhalten dann aber völlige
Lehrfreiheit. |
Die Konfessionalisierung setzte
natürlich mit der Reformation im 16. Jh ein. In
Oxford und Cambridge hatten alle Universitätsmitglieder
auf die 39 Glaubensartikel der anglikanischen
Kirche und den Act of Supremacy, in dem der König als
Haupt der Kirche anerkannt wurde, zu schwören; damit
wurden die bekennenden Katholiken und ab 1662 auch
bekennende Nonkonformisten von den englischen
Universitäten ausgeschlossen. Am Kontinent verlangten
die reformierten Universitäten von ihren Lehrern den
Treueid auf den Landesherrn und die geltende Konfession;
in Kopenhagen wurden ab 1604 keine Lehrer mehr
angestellt, die ein Jesuitenkolleg absolviert hatten.
Die katholische Kirche verlangte hingegen seit dem
Konzil von Trient 1564 die professio
fidei, das
Glaubensbekenntnis, von allen Mitgliedern katholischer
Universitäten. Auch an den holländischen Universitäten
wurden nur Professoren reformierten Bekenntnisses
angestellt. Eine Ausnahme war in den Anfängen die
Universität Leiden; als jedoch einer der Professoren
nach dem katholischen Würzburg ging, wurden die
verbliebenen Professoren genauer überprüft; 1732 wurde
die Berufung eines Lutheraners nach Leiden aus
religiösen Gründen abgelehnt. Konfessionelle Gründen
spielten vor allem bei der Entlassung von Professoren
eine wichtige Rolle. Erst in der deutschen Aufklärung
änderte sich die Lage: in Göttingen verbot der Kurator
Gerlach Adolf von Münchhausen (1688-1770) – um die
verheerenden Streitigkeiten zwischen den verschiedenen
protestantischen Bekenntnissen auszuschalten – in den
Universitätsstatuten, daß Professoren wegen „ketzerischer Meinungen“
angezeigt würden, und bemühte sich um die Berufung
konfessionell eher neutraler Professoren, lediglich die
Theologen mußten gute Lutheraner sein. |
Viele Universitäten litten im 17. und
18. Jh unter Inzucht, man nahm praktisch nur mehr
Ortsanssäsige als Professoren auf (1664 schreibt ein
päpstlicher Legat, daß der Rückgang der Universität
Bologna dem Mangel fremder Bewerber und der Inkompetenz
der Bologneser zuzuschreiben sei). Einige Universitäten
entwickelten sich geradezu zu Familienuniversitäten:
Kopenhagen, Gießen, Marburg, in Genf gab es innerhalb
von 170 Jahren sieben Professoren Turrettini, 1666 waren (mit einer
einzigen Ausnahme) alle Professoren der Universität
Basel miteinander verwandt, zu Ende des 18. Jhs
gingen innerhalb von 10 Jahren fünf von sechs
medizinischen Lehrstühlen vom Vater auf den Sohn über!
Anders hat man in Preußen um 1700 bereits darauf zu
achten begonnen, daß Verwandtenwirtschaft vermieden
wurde. |
Politische und konfessionelle
Zersplitterung, Inzucht und Nepotismus haben der
internationalen Zusammensetzung der Lehrkörper der
Universitäten, wie sie im Mittelalter selbstverständlich
war, im 17. und 18. Jh endgültig ein Ende bereitet.
Am Ende dieser Entwicklung stand der „Nationalgelehrte".
|
Es gab nur ganz wenige Ausnahmen
erfolgreichen Gegensteuerns: Marburg, Gießen und im
18. Jh vor allem Göttingen unter Münchhausen, der in geradezu schon
Althoffschen Stil jenen Professoren,
die er haben wollte, hohe Gehälter, Übersiedlungskosten
und Wohnungen anbot. das erstaunlichste Beispiel eines
Transfers von hervorragenden Wissenschaftlern und des
Aufbaus eines Gymnasiums und einer Universität innerhalb
von nur 20 Jahren stellt St. Petersburg dar. Die
Frage der Berufung von Professoren war fast immer eine
Frage des Geldes, daneben trat als immer bedeutender der
Umstand, daß das Element Forschung mehr und mehr an
Gewicht gewann und die Universitätsprofessoren durch das
weitaus überwiegende Gewicht der Lehre daran immer
weniger partizipieren konnten, weshalb die fähigsten
unter ihnen an die im 17. und 18. Jh entstehenden
Akademien strebten, wo sie nicht mehr oder nur kaum zur
Lehre verpflichtet waren. |
Zur Frage der Höhe des Gehaltes der
Universitätslehrer ist zu bemerken, daß hier höchst
unterschiedliche Verhältnisse herrschten, von
Universität zu Universität, innerhalb der Universitäten
je nach Charakter des Lehrstuhls (professor regius, Pfründe, eigene
Einnahmen, collecta und
Prüfungsgebühren etc.) und auch je nach Fach – an
französischen Universitäten gab es um 1750 Professoren,
die bis zu 8000 livres bezogen (400 waren das
Existenzminumum für eine Familie); in Italien gab es im
15. Jh schon Professoren mit vielfach nur 50
fiorini (das weniger, als ein Handwerker verdiente),
während gleichzeitig andere bis zu 2000 fiorini bezogen;
später wurden die Differenzen noch gewaltiger; in
England standen Professoren mit 6-12 Pfund solchen
mit 160 Pfund gegenüber; etwas ausgewogener waren
die Verhältnisse an vielen deutschen Universitäten,
teilweise sehr gut an den reicheren spanischen
Universitäten Salamanca, Valladolid und Alcalá (dort
bezogen die Professoren häufig das Fünffache eines
Handwerksmeisters), günstig auch an den schwedischen
Universitäten. |
Die Frage war aber auch, welche
Nebeneinkünfte mit der Professur verbunden waren; diese
waren mitunter dermaßen, daß sie beim Gehalt bereits in
Rechnung gestellt wurden; freilich haben solche
Nebenbeschäftigungen die Professoren vom eigentlichen
Geschäft abgezogen, sodaß sie durch Abwesenheit
glänzten: 1586 äußerten Studenten in Ingolstadt, sie
würden gerne den einen oder anderen Professor wenigstens
einmal sehen (wenn er schon nicht Vorlesung halte); in
Salamanca hieß es 1648, daß nur an wenigen Lehrstühlen
das ganze Jahr über gelesen würde, viele Professoren
läsen nur ein Monat, andere nur zwei Tage; viele
Professoren ließen sich durch Leute vertreten, die dann
auch nicht hingegangen sind... Nicht wenigen Professoren
ist es aber tatsächlich nicht gut gegangen. Es ist aber
eindeutig festzustellen, daß jene Universitäten eine
bedeutende Entwicklung genommen haben, an denen
geregelte und akzeptable finanzielle Verhältnisse
geherrscht haben, die Lehrenden von finanziellen
Problemen verschont blieben. |
Hinsichtlich der Laufbahn der Professoren
ist zu bemerken, daß noch bis in das 17. Jh hinein
einzelne Professoren im Bereich der Theologie, Medizin,
Jurisprudenz und Artes gelesen haben; dennoch ist
generell natürlich die Spezialiserung allgemein, sie ist
umso stärker, je größer und besser ausgestattet eine
Universität ist, geringer an kleinen Universitäten, wo
eine ganze Fakultät aus vielleicht nur 2-3 Professoren
besteht. Mehrheitlich wurden die Professoren auf
Lebenszeit ernannt, obgleich es dagegen verschiedentlich
starke Vorbehalte gab: Die spanischen Cortes fordern
1528, es mögen die Lehrstühle in Salamanca und
Valladolid nicht auf Dauer besetzt werden, weil die
Ernannten nach der Ernennung jegliche weitere Tätigkeit
einstellen und sich nicht wie Professoren in Italien,
die nur auf Zeit ernannt seien, sich um die Studenten
bemühten und nach Verlängerung und höherem Einkommen
strebten. |
Es gab auch relativ starke
binnenuniversitäre Laufbahnen: Aufstieg von den Artes in
die höheren Fakultäten (erst im 18. Jh wird eine
Artesprofessur überhaupt erst als vollwertige Professur
anerkannt), von Exraordinarius zum Ordinarius, zum
Professor regius, in ein besser besoldetes Fach etc. In
Spanien gab es auch das System des ascenso, das 1716 gesetzlich
verankert wurde: die Dozenten rückten beim Ausscheiden
der Spitze in einem Fach einfach um eine Position weiter
nach oben, so wure das Prinzip der Anciennität
maßgeblich – „Um Professor in
Salamanca zu werden, muß man nicht studieren,
sondern länger leben als die anderen; die Jahre,
nicht Verdienste führen zum Lehrstuhl“.
– Während ein Teil der Professoren die Professur als
Beruf verstand und bis zu 50 Jahren auf einer Lehrkanzel
ausharrte, war die Professur für andere lediglich ein
Sprungbrett in höhere öffentliche Ämter und sie
schwarwenzelten entsprechend bei Hof herum, dies galt
ganz besonders für die an den Kollegien Lehrenden – die
Universität Salamanca schrieb an König Philipp V. "die collegiales betrachten ihren
Lehrstuhl als einen Ehrentitel und als ein
Sprungbrett für ein öffentliches Amt. Dies hat zur
Folge, daß heute von sechs Rechtsprofessoren nur
ein einziger lehrt. Die anderen, alle collegiales
mayores, halten keine Vorlesungen, die einen weil
sie dazu nicht imstande sind, andere mit allerlei
Ausflüchten". Die Verhältnisse waren
zweifellos an den Rechtsfakultäten am ärgsten. Viel
besser stand es an den Artes- und an den
Theologiefakultäten. Ganz ähnlich verhielt es sich
übrigens in England mit den Tutoren, für die sich
überhaupt keine Aufstiegschancen mehr eröffneten und die
deshalb mehr oder weniger versumperten. Die Professoren
haben generell den Nachwuchs zu verhindern gesucht, in
Orleans sollen über 100 Jahre lang keine Doktoren
graduiert worden sein, die nicht mit Gerichtsbeschluß
ihre Promotion durchsetzten; ähnlich war es einige Zeit
hindurch in Löwen. |
Relativ unterschiedlich war die Stellung
der Professoren innerhalb der Gesellschaft; der soziale
Status hing maßgeblich von der Besoldung ab; war einmal
eine höhere Stufe erreicht, so wurde sie in der Regel
auch bei wirtschaftlicher Verschlechterung gehalten.
Anfangs kamen die Professoren eher aus mittleren
Schichten, oft aus intellektuellen Familien, in Rußland
anfangs aus ausgesprochen armen Familien –für den Adel
war eine Professur noch nicht standesgemäß. Generell
versuchten die Professoren, in die soziale Stellung des
Adels einzudringen. Der Ring und die Kette, typische
Adelssymbole, als Insignie des Doktors symbolisierten
seine Stellung im Geistesadel. Ingolstädter Doktoren
erhielten zusätzlich zu Ring, Handschuhen, Buch und Hut
noch ein cingulum, einen
Gürtel, der den Stand der Ritterschaft, dignitatem et ordinem equestrem,
symbolisierte. Es gab bis in das 18. Jh hitzige
Dioskussionen, ob ein juristisches Doktorat den Träger
adle und ob dieser Adel dem Geburtsadel gleichzustellen
sei. Die Erhebung von Professoren in den Adelsstand geht
bis in die Antike zurück – in Konstantinopel wurden
Professoren mit Absolvierung des 20. Dienstjahres
geadelt, indem sie die dignitas
vicaria erhielten, die im 15. Jh
dem Status eines Grafen oder gar Herzogs gleichgesetz
wurde (von Juristen!). In den in der Wormser
Reichsreform 1499 festgelegten Rechtsvorstellungen sind
die Doktoren/Professoren wie Adelige etc. von der Folter
und von der Zeugenladung zu Gericht ausgenommen: der
Richter mußte sich zur Vernehmung zu ihnen in die
Wohnung verfügen. – Vielfach wurde die Stellung eines
Professors als sehr bequem erachtet: „Ich würde mich als Krösus fühlen, wenn ich
Professor der Geschichte wäre. Wenn die
Vorlesungen ausgearbeitet sind, gibt es nichts
Leichteres und nichts Angenehmeres als eine
Professur“, schrieb 1767 jemand, der es
gerne gewesen wäre, an einen Professor der Universität
Utrecht; der meinte darauf hin, daß die ersten Jahre
einer Professur mit der Zwangsarbeit in einem Zuchthaus
zu vergleichen seien. |
Im Verlaufe der Jahrhunderte haben die
Professoren eine immer kompaktere und geschlossenere
Gruppe gebildet, die sich völlig von der der Studenten
gelöst hat, sodaß das ehemals demokratische Miteinander
an den mittelalterlichen Universitäten einer Spaltung in
zwei und dann später drei Gruppen gewichen ist. |
|
|
Es ist verschiedentlich betont worden, daß
die Curricularforschung noch in den Kinderschuhen
steckt141. Die enorme Vielfalt der
Kombinationsmöglichkeiten in der Lehre, die z.B. bei den
Jesuiten auf die Spitze getriebene Mobilität der
Professoren, die im 17. Jh immer noch jederzeit
jedes Fach zu vertreten imstande sein sollten, und nicht
zuletzt die unterschiedliche Benennung der Inhalte
einzelner Wissenschaftsbereiche erschweren die
Feststellung der konkreten Lehrinhalte und der dazu
bestellten Professoren mit ihren jeweiligen – in den
Ernennungen zumeist gar nicht konkret benannten –
Nominalbereichen, soferne solche überhaupt gegeben
waren142. Es gälte auch, mit
einiger Sorgfalt das Verhältnis zwischen Benennung und
Inhalt eines Faches festzustellen, wenn man heute – und
das wohl zu Recht – den Universitäten wieder mehr Anteil
und Mitwirkung an dem zugestehen will, was man als scientific
revolution
bezeichnet143. Es
scheint evident zu sein, daß die traditionellen
Fachbezeichnungen über inhaltliche Wandlungen und
Ausweitungen hin sich gehalten haben, solange nicht
äußere Einflüsse Veränderungen erzwangen. In diesem
Zusammenhang ist auch die Differenzierung zwischen
Fachprofessuren einerseits und Vorlesungs- bzw.
Prüfungsgegenständen im Sinne des Curriculums
andererseits notwendig144. |
Und dies alles gilt für die Vielfalt der
territorialen Universitäten unter unterschiedlichen
konfessionellen Bedingungen, die in der weiten Spanne
zwischen striktem Dogma und großzügigem aufgeklärten
Liberalismus sehr beachtliche inhaltliche, nicht aber
unbedingt auch terminologisch manifest werdende
Differenzierungen gestatteten; so ist die Forschungslage
in strikt zentralistisch organisierten Bereichen wie
etwa Österreich günstiger. Die klassischen
Universitätsgeschichten geben über die uns hier
interessierenden Belange so gut wie nicht oder
allenfalls kursorisch Auskunft. |
|
Waren die Universitäten im Mittelalter
nicht auf berufsspezifische Ausbildung hin orientiert,
so zwangen sie die Territorialisierung und dann die
Verstaatlichung eben dazu. Ausbildung für den
Staatsdienst, im aufgeklärten Sinne für das Gemeinwohl,
ist etwas anderes als die Einführung in die
Erkenntnisarbeit an sich. Daraus ergab sich für die
Universitäten im Übergang zur Neuzeit bereits ein
seither offenes Problem, inwieweit nämlich die
Universitäten in die Arbeit am Utile einzubinden seien.
Daraus resultierten schließlich im 18. Jh zwei
diametral-extreme Positionen: |
- |
der rigorose
Standpunkt der Reduzierung der Universität auf das
Utile zur Förderung des Gemeinwohls, zur
Perfektionierung des Staates, wie sie im
Josephinismus in Österreich durchgeführt wurde und
bei welcher der aufgeklärter Herrscher mit seinen
Ratgebern in Anspruch nimmt zu wissen, worin das
Gemeinwohl bestehe und was ihm förderlich sei,
|
|
und |
- |
die bei der
Begründung der Universität Halle schon, dann in
Göttingen und schließlich in Berlin zum Ausdruck
kommende Vorstellung der reformierten Aufklärung,
daß dem Gemeinwohl am wirksamsten gedient werde im
Wege der Liberalisierung, in der freien Entfaltung
der Meinungen, womit eben zum Ausdruck gebracht
wurde, daß auch der Herrscher und seine Ratgeber
nicht definitiv wüßten, welches der wahre Weg
sei145. |
|
Es darf aber nicht übersehen werden, daß in
beiden Sphären die Universitäten hinsichtlich der
Etablierung von Fächern und Professuren dem Staat
unterworfen waren; die Freiheit in Göttingen betraf nur
den Inhalt der Gefäße146. |
Bis in das 18. Jh hinein finden wir an
den Philosophischen Studien Fächer, die sich direkt aus
den alten septem artes der Anfänge der
Universitäten heraufentwickelt haben; neben ihnen stehen
die durch den Humanismus forcierten Disziplinen der
studia
humanitatis147. |
Vom 16. Jh an sahen sich – vor allem
die reformierten Universitäten – immer wieder seitens
der Gesellschaft, der Universitätserhalter zumeist, aber
auch seitens der "Nutznießer", dem Druck ausgesetzt,
weitere Disziplinen aufzunehmen; geschah dies nicht –
wie im Falle der Jesuitenuniversitäten -, so erwuchsen
Defizite und es entstanden kompensierende Institutionen.
|
Die Veränderungen vollzogen sich primär in
der inhaltlichen Wandlung bereits etablierter Fächer und
in der Neuübernahme von Disziplinen. |
|
Die Mathematik ist ein klassisches
Artes-Fach. Ihre Anreicherung mit konkret
bedarfsbezogenen praktischen Elementen (solche standen
ja am Anbeginn Pate) unter kameralistischen Aspekten
setzt relativ früh ein und fällt bei dem heute zumeist
noch "rein" gedachten Fach mehr ins Auge als bei anderen
Fächern. Wir finden im 18. Jh häufig neben der
"reinen" Mathematik an sich die "Mathesis forensis",
womit in etwa jener Bereich gemeint ist, der zu Ausgang
des 19. Jhs verschiedentlich als "soziale
Mathematik" bezeichnet werden wird: die Anwendung der
Mathematik in der Statistik und in der Nationalökonomie,
später auch im Versicherungswesen. Häufiger noch
begegnen wir der Bezeichnung "angewandte Mathematik",
die in breiter Weise auf die kaufmännischen und die
technischen Bereiche abzielt, wobei letztere mitunter
auch sehr konkret angesprochen werden, wie z.B. in der
Kombination "Mathematik und Maschinenlehre".
"Mathematik" ist in dieser Hinsicht eher ein Modus, eine
Vorgangsweise, denn ein Fach148. Es läßt
sich feststellen, daß um die Mitte des 19. Jhs diese
anwendungsorientierten Aspekte abgestoßen werden, die
theoretischen Teile aber bleiben: die Analytische
Mechanik steht bis in das letzte Drittel des 19. Jhs
zwischen Mathematik und Physik. |
Hinsichtlich der naturwissenschaftlichen
Fächer ist zu sagen, daß die Physik eine Sonderstellung
einnimmt und daß die anderen naturwissenschaftlichen
Disziplinen sich wesentlich als Hilfswissenschaften der
Medizin und deshalb innerhalb der medizinischen
Fakultäten und damit auch nicht unter genuin
naturwissenschaftlichen Gesichtspunkten entwickelt
haben. Als sich aber im 18. Jh im Gefolge der
Entwicklung der Physik auch die Chemie als strenger
gefaßte wissenschaftliche Disziplin auszuformen begann,
wurde sie an den Universitäten relativ rasch in die
Philosophischen Studien aufgenommen; und dies zweifellos
auch deshalb, weil sie als wesentlicher
wissenschaftlicher Teil der Technologie verstanden und
gefordert wurde – wir finden deshalb in der
Fachbezeichnung fast immer die Verknüpfung dieser beiden
Bereiche. "Technologie" meinte damals "Gewerbskunde",
also die Lehre von der künstlichen Verarbeitung
natürlicher Stoffe für die Bedürfnisse der menschlichen
Gesellschaft; und diese Technologie, die zugleich ein
wesentlicher Teil der Kameralwissenschaften war, zerfiel
in eine höhere und eine niedere Technologie, welch
letztere ihrerseits in eine mechanische und eine
chemische Technologie unterteilt wurde149. |
|
Um die Mitte des 18. Jhs findet ein
Komplex von Gegenständen Eingang in die Philosophischen
Fakultäten, den Max Lenz bezeichnete als "Summe von Einzelerkenntnissen, welche, ohne
rechte innere Verbindung untereinander zu
besitzen, für die Verwaltung wichtig erschienen
und deren Erlernung daher von der Regierung
wiederholt dringend eingeschärft
wurde"150. In
Österreich ist die Kameralistik ab 1750
bezeichnenderweise ursprünglich in Zusammenhang mit der
Ethik an der Philosophischen Fakultät angesiedelt worden
– Inhalt dieser in Wien 1763 an den Aufklärer Sonnenfels verliehenen Lehrkanzel für
die Politischen Wissenschaften waren die "Staatslehre oder Politica von der
Glückseligkeit und guter Einrichtung der
menschlichen Gesellschaften in verschiedenen
Regierungsformen" und die "Staatsökonomie"151. Wenig später – 1775 –
erfolgte die separierte Einführung der Ökonomie an der
Universität Ingolstadt152, um 1800
waren die staatswissenschaftlichen Fächer wohl ziemlich
allgemein vorhanden – in Deutschland an den
Philosophischen Fakultäten, in Österreich aber bereits
1784 an die Juridischen Fakultäten transferiert153. |
Christian Jakob Kraus154, der die
Staats- oder Kameralwissenschaften in Königsberg noch
unter dem Titel „praktische Philosophie“ vortrug und
eines der richtungsweisenden Handbücher vorlegte,
gliederte sie in einen material-technischen und einen
formal-theoretischen Teil155. Der
materiale Teil bestand aus: Gewerbekunde,
Landwirtschaftskunde, Technologie und
Handlungswissenschaften; der formale Teil umfaßte die
Staatswissenschaften in einem engeren Sinne als "die Analyse der Natur und der Ursachen
des nationalen und Staatsvermögens und -einkommens
samt" den sich ergebenden anderweitigen
Zusammenhängen156. Als
Hilfswissenschaften der Kameralistik galten ihm weite,
in bezug auf das Landwirtschafts-, Forst- und Bergwesen
orientierte Bereiche der Naturwissenschaften und der
Mathematik157. |
Diese kameralwissenschaftlichen
Nachfolgefächer haben sich an deutschen, aber auch an
englischen und US-amerikanischen Universitäten, seltener
anderweitig bis in das 20. Jh im alten
Philosophischen Fakultätsverband gehalten158. An anderen
Universitäten, früh in Österreich, sind die abstrakten
Disziplinen dieses Bereiches an den juridischen
Fakultäten fortgesetzt, die naturwissenschaftlich
orientierten aber an die mittlerweile entstandenen
Technischen Hochschulen und speziellen
"Fachhochschulen"159
übertragen worden, wo sie weit kompetenter, da
praxisorientiert, gepflegt wurden und werden. |
|
Die Ästhetik ist ein Fach, das nicht so
vordergründig wie die Staatswissenschaften zu jenen
Fächern zählt, die im letzten Drittel des 18. Jh
unter Einfluß des Staates in den Kanon der
Philosophischen Studien eintraten. Die Ästhetik war
damals eben von Baumgarten160 als
Theorie der „schönen Wissenschaften“ neu begründet
worden; sie erscheint in allerlei Kombinationen161, mehrheitlich aber doch
in Zusammenhang mit der Literatur. Das wesentliche Movens für die so rasche
Installierung der Ästhetik an den Universitäten – und
vor allem an den katholischen – scheint weit weniger in
ihrer wissenschaftssystematischen Bedeutung als Theorie
des nicht rational, sondern nur sinnlich Wahrgenommenen
zu liegen, als vielmehr in der ihr zugedachten Position
als Schlußstein der philosophischen Sittenlehre: "Wenn also die philosophische
Sittenlehre vollständig sein soll, so muß man
wissen, wie man den sinnlichen Teil der Seele
verbessern soll, dieses aber lehrt uns die
Ästhetik" – so Kants Vorbild Georg Friedrich Meier162. Mit Hilfe der Ästhetik
sollten die "unteren
Seelenkräfte" direkt und über die
Gestaltung der Äußerlichkeit auch indirekt zum Nutzen
des Gemeinwohls, zum Schönen und Guten, zum Besseren hin
gewendet werden. Während die Ästhetik an den
protestantischen Universitäten der Philosophie
einverleibt wurde, steht sie an den katholischen
Universitäten im weiteren meist in Verbindung mit den
"schönen Wissenschaften", und zwar zumeist mit den
klassischen Studien163, nicht
selten bis in die Mitte des 19. Jhs in einer
Professur mit den klassischen Sprachen verbunden, da die
klassischen Texte und Statuen (als vollendeter Ausdruck
des Schönen) als das ideale Material für die Erörterung
ästhetischer Probleme angesehen wurden164. |
|
Den kameralistischen bzw.
administrativ-organisatorischen Interessen des Staates
zufolge kam es ab der Mitte des 18. Jhs auch zur
Ernennung von Lehrern der "neueren", also der lebenden
Sprachen: Italienisch, Französisch, Englisch, aber auch
Spanisch und an den westeuropäischen Universitäten noch
andere, im Zusammenhang mit dem Kolonialhandel
erforderliche Sprachen. Begreiflicherweise haben diese
Lehrer bald auch Literaturgeschichte betrieben, Dante, Shakespeare, Milton u.a. interpretiert. Obgleich es seit
dem 17. Jh eine deutsche Rhetorik gab und die
Pflege der jeweiligen Nationalsprache an sich unter rein
praktischen Gesichtspunkten (neben den viel höheren
Intentionen der Akademien), wie der Schaffung einer
einheitlichen, gleichsam normierten Staats- und
Verwaltungssprache, im Interesse des Staates gelegen
sein musste, gingen derlei Ansätze im 18. Jh ins
Leere165. Die Etablierung der
Nationalphilologien vollzieht sich erst im 19. Jh;
die der deutschen Philologie 1805 in Göttingen und 1810
dann in Berlin, freilich nicht mehr unter den hier zu
diskutierenden Aspekten, sondern in Analogie zu der
mittlerweile voll entfalteten Klassischen Philologie.
|
|
Neben den erwähnten eher allgemeinen
Erscheinungen fand auch die Berücksichtigung
spezifischer gesellschaftlicher wie staatlicher
Bedürfnisse Eingang in die Philosophischen Studien.
Hierher sind vor allem die intensiven Bemühungen um die
Instrumentalisierung der sich als akademisches Fach
etablierenden Geschichtswissenschaft zu zählen: die
Geschichte des jeweiligen Territoriums wird von
staatswegen in den Fächerkanon eingebracht166 und ebenso sein
spezifisches Staatsrecht. |
Der Druck der staatlichen Interessen hat
neben sehr positiven und selbst die eigentliche
Erkenntnisarbeit der Universitäten in einem engeren
Sinne fördernden Konsequenzen aber auch deutlich
negative und schließlich gegen den Staat selbst sich
wendende Erscheinungen gezeitigt, indem sich in den
Naturwissenschaften bereits im 17. Jh die Kluft
zwischen den, eben zunehmend dem Druck des Utile
ausgesetzten und deshalb eng begrenzten Lehrinhalten
einerseits und den aus dem Fortschreiten der Erkenntnis
heraus sich rapide ausweitenden Forschungsinhalten
andererseits zu öffnen begann. Dies und die ebenfalls
aus dieser Haltung begründete Verweigerung der für die
apparative Ausstattung notwendigen Finanzierung der
Naturwissenschaften haben maßgeblich dazu beigetragen,
daß die naturwissenschaftliche Forschung aus den
Universitäten gewichen ist oder besser gesagt: sich dort
erst gar nicht wirklich etabliert hat. |
|
Von größter Bedeutung für die
Disziplinenentwicklung sollte sich das Voranschreiten
der zunehmend systematischen Auffassung und
Strukturierung der Erkenntnisbereiche erweisen. Die
Diskussion der Theorie der Naturerkenntnis einerseits
und nachfolgend der aus der Betrachtung der Geschichte
erzielbaren Erkenntnisleistung andererseits sind als
Beiträge einer allgemeinen wissenschaftstheoretischen
Diskussion zu betrachten. Francis Bacon hat die
klassifikatorischen Überlegungen, wie sie schon seit dem
Hellenismus angestellt worden waren, um 1600 neu
gefaßt167 und mit seiner
Prolongierung des Systems der drei Philosophien168 enormen Einfluß
ausgeübt; er hat dabei das Schema der septem artes aufgegeben. Gleichzeitig
bemühten sich andere Autoren wie etwa Bartholomäus Keckermann (1573-1609) in Danzig um
die Erstellung logisch in sich geschlossener
Wissenschaftssystematiken im Detail; der Begriff
"Methodologie, Methodenlehre" stammt nicht umsonst aus
dem reformierten Bereich dieser Zeit169. In der ersten Hälfte
des 18. Jhs erschien nun das riesige, von Johann
Heinrich Zedler verlegte Universal-Lexicon mit
seiner der Leibniz–Wolffschen Philosophie entlehnten
Wissenschaftssystematik170
und wenig später – 1751-1772 – die Encyclopedie Diderots und d'Alemberts, in der das System Francis Bacons im wesentlichen
fortgeführt wurde. |
Unverkennbar ist das enorme Bedürfnis nach
einer gesamtheitlichen, strukturellen Erfassung des
Erkenntnisprozesses, aber auch nach einer
rational-ökonomischen Umsetzung der aus den Systemen
resultierenden Aufgaben für den aufgeklärten
Staat171. Universitärer Ort der
Realisierung des allergrößten Teils dieser Bemühungen
waren die nunmehr auch so benannten Philosophischen
Studien. Diese umfaßten, unter systematischen Aspekten,
nun die Gesamtheit der Universität, während die ehemals
höheren Fakultäten zur Wahrnehmung spezifischer Bereiche
innerhalb des philosophischen Gesamtsystems abzusinken
beginnen172. |
Unter diesen Aspekten scheint es
verständlich, daß an Universitäten wie Göttingen
vielfach keine Nominalfächer von Professuren benannt
wurden. Auch im Falle des Gegebenseins von
Fachbenennungen kann kaum ermessen werden, was
tatsächlich vorgetragen worden ist, da die zweifellos
eingetretene Differenzierung noch keinen äußerlichen
Ausdruck erfahren hat. Die äußerliche, nominelle
Differenzierung wurde an den Universitäten erst wieder
notwendig, als die Zahl der Professuren unter
forschungsbezogenen Aspekten erhöht werden sollte und
dazu die wissenschaftsimmanenten
Differenzierungskriterien äußerlich zum Tragen gebracht
werden mußten. |
|
Als ein Bereich, der auf Grund seiner
Errungenschaften, seiner zentralen und dominanten
Stellung enorme systemisierende und Vorbildwirkung
ausgeübt hat, ist die Physik zu nennen. |
Die Philosophia naturalis, für die sich in
der Mitte des 18. Jhs der Begriff Physik in einem
neueren Sinne einbürgert, wurde im ausgehenden
17. Jh bereits auch an den Universitäten als eine
"philosophia
experimentalis" aufgefaßt173 und diesbezüglich, dem
Stand der Entwicklung nach, justiert – und gerade die
Jesuiten entwickelten eine Vorliebe für theatralische
Vorlesungsexperimente und richteten recht umfängliche
Instrumenten- und Modellensammlungen ein174. |
Hinsichtlich der Theorie war man weit
vorsichtiger: die Rezipierung der Newtonschen Physik vollzieht sich, an
den reformierten Universitäten nicht viel früher als an
den katholischen, erst ab 1740. Newtons in seinen „Principia“
erhobenen und an Ockham orientierten prinzipiellen
Forderungen175 und seine
gegenüber der deduktiv-spekulativen Physik des Descartes lucide Naturerklärung
markieren eine außerordentliche Belebung im Bereich der
kontinentalen Naturwissenschaften. Hinsichtlich der
Lehre ist festzustellen, daß sie um systematische
Zusammenfassung, auch im Detail um Strukturierung bemüht
ist – in den Lehrbüchern der Physica
generalis et specialis werden die
Naturerscheinungen nach ihrer allgemeinen Natur und in
ihren speziellen Erscheinungsformen dargestellt. Dabei
war man einerseits um die größtmögliche Einheitlichkeit
der Erklärung, der Theorie bemüht176,
andererseits vergaß man aber nicht auf die praktische
Anwendbarkeit, die nun ihrerseits einen höheren
intellektuellen Anspruch erlangte. |
Im ausgehenden 18. Jh umfaßt die
Physik die Mechanik, die Akustik, die Hydraulik, die
Optik und die Anfänge der Elektrostatik, weiters die
physikalische Geographie, die Meteorologie und in
Verbindung mit ihr die wichtigsten Erscheinungen der
Erdoberfläche (also der sublunaren Welt des Aristoteles), darüber hinaus die
Astronomie und – unabdingbar – die Grundlehren der
Chemie, da diese ja zumeist noch als
Vorbereitungswissenschaft in der Medizinischen Fakultät
beheimatet war. |
Auf den erwähnten Grundlagen beginnt die
Physik im 19. JH als die zentrale Naturwissenschaft
zu formieren. Sie unterliegt aber ihrem Wesen
entsprechend keiner besonderen institutionellen
Differenzierung; die bereits im 18. Jh formierten
Bereiche verselbständigen sich erst ab 1850 – die
Meteorologie und später die Kosmische Physik, aus der
die moderne Geophysik hervorgeht. Als gewissermaßen
nächste Stufe bildet sich ab 1860 heraus, was anfangs
als „mathematische“, dann bald in einem neueren Sinne
als "theoretische" Physik bezeichnet wurde177; dieser Bereich stand
anfangs als nicht gleichwertig im Schatten des deshalb
bald als "Allgemeine und experimentelle Physik"
bezeichneten Mutterfaches. |
|
Die Fülle der freien Entwicklung
demonstriert die reiche Entfaltung der
geisteswissenschaftlichen Disziplinen in einem engeren
Sinne. Im Gegensatz zur Physik entfaltet sich der
philologisch-historische Bereich seiner Natur gemäß
differenzierend in Zeiten und Räumen178. |
Sprachwissenschaft per se wurde seit dem
klassischen Altertum, seit Platon und Aristoteles betrieben und auch in
weiterer Folge in Fortsetzung dieser Tradition sowie in
engem Zusammenhang mit den Artes bzw. mit der Logik in
eher abstrakter Form im Wege der Grammatik und der
Sprachlogik gepflegt179. Die in
Alexandria entwickelte philologische Richtung ist erst
im Humanismus wieder aufgegriffen worden, aus dem heraus
sich unter dem Einfluss orientalischer Sprachen eine
vergleichende Betrachtung entwickelt, die im Zuge der
Erfassung des Sprachenspektrums erst des eurasischen
Raumes und später auch exotischer Sprachen zur
Entwicklung der (historisch-)vergleichenden
Sprachwissenschaft führt, die sich Hand in Hand mit der
klassischen Philologie und der klassischen
Altertumswissenschaft entwickelt – es seien nur die
Namen Friedrich August Wolf und August Boeckh erwähnt –, die mit der
Verwissenschaftlichung der älteren Orientalistik
verknüpft erscheint. Die Entfaltung der Klassischen
Philologie, die Entstehung der Vergleichenden
Sprachwissenschaft wie der neueren Philologien nach dem
Vorbild der Klassischen Philologie (und unter dem
Vorangehen der Deutschen Philologie) stellten in ihrer
Gesamtheit einen nahezu unvergleichlich reichen
wissenschaftlichen Prozeß dar, der ein ganzes
Jahrhundert mitgeprägt hat und auf den hier nur
summarisch verwiesen werden kann; seine tiefgehende
Wirkung wird durch die um 1900 gegebene Dominanz der
philologischen Lehrkanzeln180 nicht nur
an deutschen Universitäten, sondern auch in England und
in den Niederlanden, bezeugt. |
|
Den Wandel eines Faches im Laufe der Zeit
und der Entwicklung von Wissenschaft demonstriert keines
besser als das Mutterfach aller Disziplinen der
Artesfakultäten und der Philosophischen Fakultäten.
Philosophie als akademisches Fach erweist sich auch im
18. und im 19. Jh als ein Baum, von dem immer wieder
neue fruchttragende Äste abzweigen: aus dem Nominalismus
heraus die spätscholastische Naturphilosophie, dann
empirisch-rationale Naturbetrachtung als philosophia
naturalis des 17. und
18. Jhs, die sich zur Physik erst und dann zu den
übrigen Naturwissenschaften konkretisiert, während
gleichzeitig aus dem alten Stamm schon wieder eine neue
philosophia naturalis
erwächst, nämlich die Naturphilosophie des ausgehenden
19. Jhs, die aus dem Ungenügen der klassischen
Philosophie unter naturwissenschaftlichen Aspekten
resultiert181. Aus der
praktischen Philosophie der Aufklärung hingegen sind die
Kameralwissenschaften, die Politik(wissenschaft), die
Staatswissenschaften in einem neueren Sinne
hervorgegangen. Im Verlaufe des zweiten Drittels des 19.
Jhs wird sich in einem neuerlichen
Differenzierungsprozeß die Verselbständigung neuer
ausdifferenzierter Teilbereiche anbahnen – der
Psychologie samt Experimentalpsychologie und
Psychophysik sowie der Pädagogik – und die bereits
erwähnte neue analytische Naturphilosophie entstehen.
|
Im Zuge dieser wiederholten
Ablösungsprozesse hat sich der Kanon dessen gefestigt,
was unter Philosophie in einem engeren Sinne verstanden
wurde und verstanden wird: Logik, Theoretische
Philosophie und Praktische Philosophie samt ihrer
jeweils historischen Betrachtung. Die zentrale und
strukturelle Bedeutung des Begriffes Philosophie in
seinem eigentlichen Sinne und in seinem systematischen
Anspruch hat bewirkt, daß das Fach namensgebend geworden
war und es geblieben ist. |
|
Kehren wir zurück zum Idealfall, zum
zweiten, aus dem aufgeklärten Absolutismus
resultierenden, Extremstandpunkt – der inhaltlichen
Freiheit der Lehre, wie sie in Halle und Göttingen
zuerst gewährt worden ist. |
Welches waren die Konsequenzen? |
1 |
Wenn es dem
Erkenntnisstreben des Einzelnen überlassen ist,
womit er sich beschäftigt und worauf er in der
Lehre das Schwergewicht legt, dann ist es
unausbleiblich, daß die Erkenntnisarbeit in ihrer
Intensität und damit zwangsläufig auch ihrem
Umfang nach zunimmt, daß also das an sich
qualitative Moment auch in ein quantitatives
Kriterium umschlägt. Konsequenz der Gewährung der
inhaltlichen Freiheit ist es deshalb, daß ein
Staatswesen nach Maßgabe seiner ökonomischen
Möglichkeiten das Substrat für die Realisierung
der Freiheit bereitstellt. Darauf beruht der
faszinierende Differenzierungsprozeß der
wissenschaftlichen Disziplinen, die enorme
Steigerung der Zahl der Professuren im Verlaufe
des 19. Jhs vor allem; ein Prozeß, der
vielleicht noch imponierender ist an jenen
Universitäten, die wie die österreichischen erst
um die Jahrhundertmitte in das Spiel eintreten.
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2 |
Nicht alles,
was den Intentionen des aufgeklärten Staates
zufolge an konkret materiell
anwendungsorientierten Disziplinen außerhalb der
Medizin an den Philosophischen Fakultäten Platz
finden hätte mögen, konnte und wollte von den
Universitäten angenommen werden. |
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Bereits
Martianus Capella182
hatte die Aufnahme der Architektur und der Medizin
unter die Artes diskutiert, deren es dann neun
gewesen wären; er verweigerte sie mit dem Hinweis,
daß diese Bereiche nicht auf die reine Erkenntnis,
sondern auf die Nützlichkeit abzielten; Thomas von Aquin und auch Kant haben diese Auffassung
prolongiert183. Daß die
Medizin dennoch an den Universitäten Fuß gefaßt
hat, lag daran, daß damals das gesamte System eben
noch in statu
nascendi war. Als sich aber die
"technischen Wissenschaften" – um diesen
problematischen Begriff noch dazu anachronistisch
anzuwenden – aus dem Ingenieurswesen der
Renaissance und unter dem Einfluß der faktischen
Entwicklung sowie den Anfängen der
Mathematisierung auszuformen begannen, war das
System seit Jahrhunderten etabliert. Die
technischen Wissenschaften aufzunehmen hätte noch
weit umfangreichere finanzielle Anstrengungen und
Umstrukturierungen erfordert als die Fortführung
der experimentellen Naturwissenschaften, die ja
eben wegen dieses Defizits nicht an den
Universitäten aufkamen. |
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Da die
Universitäten der Nachfrage nicht zeitgerecht
nachkamen und auch nicht nachkommen konnten,
begannen sich ab 1700 teils private, teils
ständische Ingenieursschulen zu entwickeln, die
gegen Ende des 18. Jhs in die neuen, immer
noch teils ständischen, Polytechnica übergingen,
welche in ihren Vorformen mitunter als ein mixtum
compositum aus privater Anstalt und einzelnen
Fächern an Philosophischen Fakultäten bestanden,
wie dies in Prag etwa der Fall war184. Mit dem Zunehmen der
Leistungsfähigkeit dieser Polytechnica, den
Vorformen der Technischen Hochschulen,
verschwanden die
technisch-technologisch-anwendungsorientierten
Disziplinen von den Philosophischen
Fakultäten185, die sich
insbesondere in Ländern mit einem gut entwickelten
Fachhochschulwesen ab der Mitte des 19. Jhs
strikte in die "reine", "theoretische"
Wissenschaft zurückzogen und alles
Anwendungsorientierte perhorreszierten186. Die heftigen
Diskrepanzen zwischen Universitäten und
Technischen Hochschulen bis in die jüngste
Vergangenheit zeugen von dieser Entwicklung. |
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Über Jahrhunderte waren die Universitäten
mit den Fragen der Anwendung konfrontiert. Auf Grund der
Dominanz der Interessen der Universitätserhalter verlief
diese Auseinandersetzung in der Neuzeit in einer unseren
heutigen Vorgaben zuwiderlaufenden Weise: nämlich als
sukzessive Loslösung vom Dienst am Utile187. Die Freiheit von
Forschung und Lehre und der Gedanke der Autonomie
bewirkten, daß sich die Universitäten jener Staaten, die
die Wissenschaftsdifferenzierung zu finanzieren
vermochten, von der Anwendungsorientierung lösten und
einem neuen, bis in unsere Zeit fortwirkenden – und
neuerlich in Frage gestellten – Ideal von "reiner",
"theoretischer" Wissenschaft zu huldigen begannen. |
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Bis in die Mitte des 18. Jhs finden man im
Wesentlichen um die Humaniora erweiterte Artesfakultäten
vor. Unter dem Einfluß der wissenschaftlichen Revolution
– vor allem der Rezeption Newtons – erfahren zuerst um die
Jahrhundertmitte Mathematik, Physik, Astronomie eine
bedeutsame Erneuerung, und unter dem Einfluß der
wirtschaftlichen Entwicklung und des weltweit
orientierten Handelns treten die neueren Sprachen in den
Kreis der Disziplinen. Als externer Faktor ist in den
fortschrittlichsten Ländern die in Bezug auf die Inhalte
gewährte Freiheit, die libertas
philosophandi, und als
treibender interner Faktor der Gedanke der umfassenden
Systematik der Erkenntnisarbeit von großer Bedeutung.
Die effektive Entwicklung wird freilich durch die
unterschiedlich hemmenden Wirkungen konfessioneller
Faktoren mitbestimmt. |
Die Jahrzehnte von etwa 1760 bis 1800/1810
erscheinen geprägt von der rasch zunehmenden Intensität
der kameralistischen Interessen des Staates, man könnte
diese Phase geradezu als eine kameralistische
bezeichnen; sie ist bestimmt von einem quantitativ wie
qualitativ gesteigerten Produktionswillen und einer mit
diesem eng verknüpften systematisch-gesamtheitlichen
Auffassung des Staates, als eines rationalen Gesetzen
unterliegenden Mechanismus. Es kommt den konkreten
Anwendungen – Mechanik, Technologie, Geognosie – primäre
Bedeutung zu, und die Staatswissenschaften im
kameralistischen Sinne entfalten sich – mit Ausnahme
Österreichs – innerhalb der Philosophischen
Studien188. Die
treibende Kraft ist die Vorstellung "Fortschritt durch
Anwendung des Wissens". Hemmend wirkten die äußeren
Umstände – der beinahe ein Vierteljahrhundert währende
Kriegszustand behindert die Realisierung der leitenden
Vorstellungen, ja bringt sie um 1800 praktisch zum
Erliegen. |
Die um 1800/1810 nahezu allgemein
zutagetretenden Erneuerungsbestrebungen wurden vielfach
durch das neuerliche Wirksamwerden der in den 1770er und
1780er Jahren bereits einflußreichen freimaurerischen
erkenntnisorientierten Bemühungen katalysiert und
weltanschaulich mehr und mehr getragen von der
idealistischen Philosophie und dem aufkommenden
Neuhumanismus, die beide eine neue Vorstellung vom Staat
und von der sinngebenden Bedeutung und Wirksamkeit der
geistigen Werte entwickelten, wie sie in der Entwicklung
der klassischen Altertumswissenschaft und allgemeiner
des Historismus unter dem Aspekt des Pluralismus der
Individualitäten und damit auch der Meinungen sich
manifestieren und mit einer neuen Auffassung vom Staate,
einer "höheren Kameralistik" gewissermaßen, verknüpft
sind189. Andererseits bewirkte
ab 1830 die Überwindung des Vitalismus eine neue,
geschlossenere Auffassung vom Wesen der
Naturwissenschaften, die ihrerseits eine Transformierung
nun auch der beschreibenden Disziplinen dieses Bereiches
wie auch der Medizin zur Folge hatte. So entsteht bald
ein sehr breiter Fächerkanon, der freilich vorerst kaum
irgendwo in seiner Idealform realisiert werden
konnte190. Hand in Hand mit dieser
Entwicklung geht die zunehmende Auslagerung der
anwendungsbezogenen Bereiche in die seit dem 18. Jh sich
entwickelnden und ab 1800 sich als staatliche
Institutionen konstituierenden Polytechnica und noch
später in die bereits erwähnten "Fachhochschulen". Indem
dadurch an den Universitäten eine Reduzierung auf den
Kernbereich der Wissenschaft bewirkt wird, ergibt sich
geradezu folgerichtig die Verwirklichung der "reinen"
Wissenschaft wie noch nie zuvor. |
Zentraler Ort aller dieser Bemühungen und
Neuerungen wird nun im Sinne der systematische
Auffassung des Erkenntnisstrebens tatsächlich die neue
Philosophische Fakultät, „die
eigentlich schon jetzt alle übrigen Fakultäten in
sich enthalte, nur mit Weglassung alles dessen,
was eigentlich nicht Wissenschaft sei“
und deren Bezeichnung als „untere Fakultät“ bereits
Kant in seinem „Streit der
Fakultäten“191 mit allem
Nachdruck zurückgewiesen und ins Gegenteil verkehrt hat.
So wie Kant seine Hoffnungen in eine neue
Universität gesetzt hat, so haben auch die führenden
Köpfe in Berlin, die das Wort "Universität" vorerst gar
nicht benützen wollten (so wie Leibniz dem Begriff "Akademie"
ausgewichen war) letztlich doch auf den, mittlerweile
mehr eine „universitas
litterarum“ denn eine „universitas magistrorum et
scholarium“, ansprechenden Begriff der
Universität zurückgegriffen. Diese neue Universität ist
der Ort der Wissenschaft in ihrer Gesamtheit; und die
Philosophische Fakultät, in der das System der
Philosophie aus den Zeiten der artes
liberales herauf beheimatet ist, die im
Sinne der Wissenschaftssystematik die Gesamtheit des
Erkennbaren im Auge hat und damit auch das Ganze der
Universität umschließt, ist damit ihr natürliches
Zentrum, während die ehemals höheren Fakultäten nun
umgekehrt nur der Wahrnehmung spezifischer Bereiche
innerhalb des philosophischen Gesamtsystems dienten.
Tatsächlich haben seither die wesentlichen Neuerungen in
dieser Philosophischen Fakultät sich vollzogen oder
wenigstens langehin von hier ihren Ausgang genommen.
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Von 1830 an, in den katholischen Ländern
vielfach erst durch das Jahr 1848, kehrt auf Grund
dieser Entwicklung die Wissenschaft auch in den
Naturwissenschaften wieder an die Universitäten zurück,
oder besser: sie beginnt sich an den Universitäten zu
entfalten wie nie zuvor, und die Universitäten erlangen
die Hegemonie über die Akademien, indem sich deren
Mitglieder bald nahezu ausschließlich aus
Universitätsprofessoren rekrutieren. |
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Preußen hat aus seiner totalen Niederlage
gegen Frankreich im Jahre 1809 heraus zu einer
tiefgehenden Reform und Erneuerung angesetzt: 1810, also
nahezu noch während der Katastrophe, ist in Berlin eine
Universität begründet worden, deren Konzeption, Struktur
und Organisation im wesentlichen von Wilhelm von Humboldt bestimmt worden ist. Die
Humboldtsche Universität in Berlin ist
– erst nach geraumer Zeit – das große Universitätsideal
des deutschsprachigen Raumes bis weit in das 20. Jh
hinein geworden192 – wenige
Konzeptionen haben so stimulierend gewirkt und sind
lange nach ihrem Entstehen zu einem weltweit anerkannten
Ideal hochstilisiert worden. An diesem Modell
orientierte sich die österreichische Reform nach der
Revolution von 1848. |
Die preußischen Reformen hatten ihre
Frühphasen vor dem Krieg – und die Ideen, die gemeinhin
mit Wilhelm von Humboldt identifiziert werden, sind
von Schleiermacher; Schelling und Fichte vorweggenommen worden. Schelling hat im Grunde genommen den
neuen Wissenschaftsbegriff als erster formuliert und
Fichte hat ein Programm für „eine zu Berlin zu errichtende Höhere
Lehranstalt“ schon 1807 vorgelegt,
wobei die ersten konkreten Planungen für die neue
Universität bereits 1802 erstellt worden waren. |
Humboldt hat seine Ernennung zum Chef
des Ressorts für Kultus und Unterricht im November 1808
erfahren – er war damals Gesandter in Rom. Gefreut hat
er sich darüber nicht, er versuchte abzulehnen: „was läßt sich jetzt im preußischen
tun; wo man so wenig Mittel hat? Gelehrte zu
dirigieren ist nicht viel besser, als eine
Kömödiantentruppe unter sich zu haben“
– schließlich hat er der Aufgabe sich gestellt, soweit
er als „Genießer“ und Egoist dazu in der Lage war. |
Die neue Lehranstalt in Berlin war nicht
von vornherein als „Universität“ geplant; dies deshalb,
weil der Begriff Universität als veraltet negativ
belastet war. Humboldt hat aber auf der Bezeichnung
„Universität“ bestanden, denn „Schulen und Gymnasien sind vom wichtigstem
Nutzen für das Land, in dem sie sich befinden.
Allein nur Universitäten können demselben Einfluß
auch über seine Grenzen hinaus zusichern und auf
die Bildung der ganzen, dieselbe Sprache redenden
Nation einwirken“. Eine bloß praktische
Anstalt – wie etwa die österreichischen Lyzeen und
Universitäten – hielt er, weil Theorie und Praxis
geschieden wären, für gefährlich. In seiner undatierten
Denkschrift „Über die innere und äußere Organisation der
wissenschaftlichen höheren Anstalten in Berlin“ (aus dem
Sommer 1809) hat Humboldt jene Maximen festgelegt, die
bis heute mit seinem Namen verbunden sind. |
Humboldt hat nicht mehr wie vor ihm
die Aufklärung, wie Kant und viele andere, den Staat als
Instrument der Meisterung der Unzulänglichkeiten der
menschlichen Natur über alles gestellt, sondern den
Menschen. Geprägt vom oder besser als eine der
Führungsfiguren des Neuhumanismus in Deutschland hat er
die Entwicklung des menschlichen Individuums im Zentrum
gesehen. Euphorisch vertrat er dir Ansicht, daß das
Menschengeschlecht nun eine Entwicklungsstufe erlangt
habe, auf der es sich nur durch die Ausbildung der
Individuen höher emporschwingen könne. Dementsprechend
wendet er sich gegen die Nationalerziehung im Sinne
einer Erziehung durch und für den Staat: das Kind sei
nicht zum Bürger, sondern zum Menschen im eigentlichen
Sinne zu erziehen, denn der Staatbegünstigte eine
bestimmte Form, präge und verhindere dadurch die wahre
Entfaltung der Persönlichkeit. – Nation ist Humboldt ein vom Staat losgelöster
Begriff, eine gleichsam menschliche Gemeinschaft. Das
Verhältnis zwischen beiden sah er so, daß der Staat die
Nation dahin zu bringen habe, daß sie selbst Hüterin
ihrer geistigen Schätze werden könne. |
„Über die Schulen aber
erheben sich“, so beginnt die
Denkschrift, „als die Gipfel, auf
denen alles zusammenkommt, was unmittelbar für die
moralische Kultur der Nation geschieht, die
höheren wissenschaftlichen Anstalten, welche dazu
bestimmt sind, die Wi |