Beschluss der Abhandlung über naive und sentimentalische Dichter
auch unter den Bedingungen der Reflexion die naive Empfindung, dem Inhalt nach,
wieder herzustellen. Dies würde durch das erfüllte Ideal geschehen, in welchem die Kunst der Natur
wieder begegnet. Geht man jene drei Begriffe nach den Kategorien durch, so wird man die Natur und die ihr entsprechende naive Stimmung immer in der ersten, die Kunst als Aufhebung der Natur durch den frei wirkenden Verstand immer in der
zweiten, endlich das Ideal in welchem die vollendete Kunst zur Natur
zurückkehrt, in der dritten Kategorie antreffen.Trieb, die Harmonie in sich zu erzeugen, welche er dort wirklich empfand, ein
Ganzes aus sich zu machen, die Menschheit in sich zu einem vollendeten Ausdruck zu bringen. Daher
ist hier das Gemüt in Bewegung, es ist angespannt, es schwankt zwischen streitenden Gefühlen; da es
dort ruhig, aufgelöst, einig mit sich selbst und vollkommen befriedigt ist.
größeren Gegenstand zu geben im Stand ist, als jener geleistet hat und leisten konnte.
Ich habe die naive Dichtung eine Gunst
der Natur genannt, um zu erinnern, daß die Reflexion keinen Anteil daran
habe. Ein glücklicher Wurf ist sie; keiner Verbesserung bedürftig, wenn er gelingt, aber auch keiner
fähig, wenn er verfehlt wird. In der Empfindung ist das ganze Werk des naiven Genies absolviert;
hier liegt seine Stärke und seine Grenze. Hat es also nicht gleich dichterisch d. h. nicht gleich
vollkommen menschlich empfunden, so kannaus
sich selbst
heraus zu ergänzen, und sich durch eigene Macht aus einem begrenzten Zustand
in einen Zustand der Freiheit zuArt, und wird
sentimentalisch, um nur dichterisch zu sein, oder, wenn der Artcharakter die Obermacht behält, es
tritt aus seiner Gattung, und wird gemeine Natur, um nur Natur zu bleiben.
Das erste dürfte der Fall mit den vornehmsten sentimentalischen Dichtern in
der alten römischen Welt und in neueren Zeiten sein. In einem andern Weltalter geboren, unter einem
andern Himmel verpflanzt, würden sie, die uns jetzt durch Ideen rühren, durch individuelle Wahrheit
und naive Schönheit bezaubert haben. Vor dem zweiten möchte sich schwerlich
ein Dichter vollkommen schützen können, der in einer gemeinen Welt die Natur nicht verlassen
kann.
Subjekt naiver Dichtungen ist, nicht sorgfältig genug unterschieden
werden. übertragen, und der gemeine Stoff den Nachahmer nicht
mit sich zu Boden ziehen. Ist nur Er selbst, in dem Moment wenigstens wo er schildert,
Aber selbst dem wahrhaft naiven Dichter, sagte ich, kann die gemeine Natur
gefährlich werden; denn endlich ist jene schöne Zusammenstimmung zwischen Empfinden und Denken,
welche den Charakter desselben ausmacht, doch nur eine Idee, die in der
Wirklichkeit nie ganz erreicht wird, und auch bei den glücklichen Genies aus dieser Klasse wird die
Empfänglichkeit die Selbsttätigkeit immer um etwas überwiegen. Die Empfänglichkeit aber ist immer
mehr oder weniger von dem äußern Eindruck abhängig, und nur eine anhaltende Regsamkeit des
produktiven Vermögens, welche von der menschlichen Natur nicht zu erwarten ist, würde verhindern
können, daß der Stoff nicht zuweilen eine blinde Gewalt über die Empfänglichkeit ausübte. So oft
aber dies der Fall ist wird aus einem dichterischen Gefühl ein gemeines.zufälligen Umstände, welche der Veredlung jener Empfindungen bei ihnen im Wege standen. Daß es
Beschränktheit, nicht innere Notwendigkeit war, was die Alten hierin auf einer niedrigern Stufe fest
hielt, lehrt das Beispiel neuerer Poeten, welche soviel weiter gegangen sind, als ihre Vorgänger,
ohne doch die Natur zu übertreten. Die Rede ist hier nicht von dem, was sentimentalische Dichter aus
diesem Gegenstande zu machen gewußt haben, denn diese gehen über die Natur hinaus in das idealische
und ihr Beispiel kann also gegen die Alten nichts beweisen; bloß davon ist die Rede, wie der
nehmliche Gegenstand von wahrhaft naiven Dichtern, wie er z. B. in der Sakontala, in den Minnesängern, in manchen Ritterromanen und Ritterepopeen, wie er von Shakespeare, von Fielding und mehrern andern, selbst deutschen Poeten
behandelt ist. Hier wäre nun für die Alten der Fall gewesen, einen von außen zu rohen Stoff von
innen heraus, durch das Subjekt, zu vergeistigen, den poetischen Gehalt, der der äußern Empfindung
gemangelt hatte, durch Reflexion nachzuholen, die Natur durch die Idee zu ergänzen, mit einem Wort,
durch eine sentimentalische Operation aus einem beschränkten Objekt ein unendliches zu machen. Aber
es waren naive, nicht sentimentalische Dichtergenies; ihr Werk war also mit der äußern Empfindung
geendigt.
Homer bis
auf Bodmer herab, hat diese Klippe ganz vermieden; aber freilich ist sie
denen am gefährlichsten, die sich einer gemeinen Natur von außen zu erwehren haben, oder die durch
Mangel an Disziplin von innen verwildert sind. Jenes ist Schuld, daßAristophanes und
Plautus, und fast aller der spätern Dichter lehret, die in die Fußstapfen
derselben getreten sind. Wie tief läßt uns nicht der erhabene Shakespeare
zuweilen sinken, mit welchen Trivialitäten quälen uns nicht Lope de Vega, Moliere
[sic], Regnard, Goldoni, in welchen Schlamm zieht uns nicht Holberg hinab. Schlegel, einer der geistreichsten Dichter
unsers Vaterlands, an dessen Genie es nicht lag, daß er nicht unter den ersten in dieser Gattung
glänzt, Gellert, ein wahrhaft naiver Dichter, so wie auch Rabener, Lessing selbst, wenn ich ihn anders hier nennen darf, Lessing
der gebildete Zögling der Kritik, und ein so wachsamer Richter seiner selbst – wie büßen sie nicht
alle, mehr oder weniger, den geistlosen Charakter der Natur, die sie zum Stoff ihrer Satyre
erwählten. Von den neuesten Schriftstellern in dieser Gattung nenne ich
keinen, da ich keinen ausnehmen kann.
Und nicht genug, daß der naive Dichtergeist in Gefahr ist, sich einer dieses Volk in Entfernung, weil es nicht jedermanns
Sache ist, sich zu Ideen zu erheben; die naive Poesie aber bringt es auf den Glauben, als wenn schon
die bloße Empfindung, der bloßePleisse bilden hier
besonders einen eigenen kläglichen Chor, und ihnen wird von den Camönen an der Leine und Elbe in nicht bessern Akkorden geantwortet.Bürger‘schen Gedichten
getadelt hat; und der Ingrimm, womit sie wider diesen Stachel lecken, scheint zu erkennen zu geben,
daß sie mit der Sache jenes Dichters ihre eigene zu verfechten glauben. Aber darin irren sie sich
sehr. Jene Rüge konnte bloß einem wahren Dichtergenie gelten, das von der Natur reichlich
ausgestattet war, aber versäumt hatte, durch eigne Kultur jenes seltene Geschenk auszubilden. Ein
solches Individuum durfte und mußte man unter den höchsten Maßstab der Kunst stellen, weil es Kraft
in sich hatte, demselben sobald es ernstlich wollte genug zu tun; aber es wäre lächerlich und
grausam zugleich, auf ähnliche Art mit Leuten zu verfahren, an welche die Natur nicht gedacht hat,
und die mit jedem Produkt, das sie zu Markte bringen, ein vollgültiges Testimonium paupertatis
aufweisen.Salzmanns
Maler seiner Zeit zu werden, der das Geschöpf und die Karikatur derselben ist; aber da es etwas so leichtes
ist, irgend einen lustigen Charakter, war es auch nur einen dicken
Mann unter seiner Bekanntschaft aufzujagen, und die Fratze mit einer groben
Feder auf dem Papier abzureißen, so fühlen zuweilen auch die geschworenen Feinde alles poetischen
Geistes den Kitzel, in diesem Fache zu stümpern, und einen Zirkel von würdigen Freunden mit der
schönen Geburt zu ergötzen. Ein rein gestimmtes Gefühl freilich wird nie in Gefahr sein, diese
Erzeugnisse einer gemeinen Natur mit den geistreichen Früchten des naiven Genies zu verwechseln;
aber an dieser reinen Stimmung des Gefühls fehlt es eben, und in den meisten Fällen will man bloß
ein Bedürfnis befriedigt haben, ohne daß der Geist eine Foderung machte. Der so falsch verstandene,
wiewohl an sich wahre Begriff, daß man sich bei Werken des schönen Geistes erhole, trägt das seinige redlich zu dieser Nachsicht bei; wenn man es anders Nachsicht nennen
kann, wo nichts höheres geahnet wird, und der Leser wie der Schriftsteller auf gleiche Art ihre
Rechnung finden. Die gemeine Natur nehmlich, wenn sie angespannt worden, kann sich nur in der Leerheit erholen, und selbst ein hoher Grad von Verstand, wenn er nicht von einer
gleichmäßigen Kultur der Empfindungen unterstützt ist, ruht von seinem Geschäfte nur in einem
geistlosen Sinnengenuß aus.
bestimmten Zustande unzertrennlich sind, mit freier Selbsttätigkeit muß erheben
können, um die menschliche Natur in ihrem absoluten Vermögen zu erreichen, so darf es sich doch auf
der andern Seite nicht über die sie nicht ganz zu erfüllen, wenn es einer äußern
idealisieren, sondern über die schwärmen.Überspannung ist eben so in
der spezifischen Eigentümlichkeit seines Verfahrens wie der entgegengesetzte der Schlaffheit, in der eigentümlichen Handlungsweise des naiven gegründet. Das naive Genie
nehmlich läßt die Natur in sich unumschränkt walten, und da die Natur, in
ihren einzelnen zeitlichen Äußerungen immer abhängig und bedürftig ist, so wird das naive Gefühl
nicht immer exaltiert genug bleiben, um den zufälligen Bestimmungen des
Augenblicks widerstehen zu können. Das sentimentalische Genie hingegen verläßt die Wirklichkeit, um
zu Ideen aufzusteigen und mit freier Selbsttätigkeit seinen Stoff zu beherrschen; da aber die
Vernunft ihrem Gesetze nach immer zum Unbedingten strebt, so wird das sentimentalische Genie nicht
immer nüchtern genug bleiben, um sich ununterbrochen und gleichförmig
innerhalb der Bedingungen zu halten, welche der Begriff einer menschlichen Natur mit sich führt, und
an welche die Vernunft auch in ihrem freiesten Wirken hier immer gebunden bleiben muß. Dieses könnte
nur durch einen verhältnismäßigen Grad von Empfänglichkeit geschehen, welche aber in dem
sentimentalischen Dichtergeiste von der Selbsttätigkeit eben so sehr überwogen wird, als sie in dem
Naiven die Selbsttätigkeit überwiegt. WennGeist vermißt, so wird man bei den Geburten des
sentimentalischen oft vergebens nach dem Gegenstande fragen. Leerheit verfallen; denn ein Gegenstand ohne Geist und ein
Geistesspiel ohne Gegenstand sind beide ein Nichts in dem ästhetischen Urteil.
Alle Dichter, welche ihren Stoff zu einseitig aus der Gedankenwelt schöpfen, und
mehr durch eine innre Ideenfülle als durch den Drang der Empfindung zum poetischen Bilden getrieben
werden, sind mehr oder weniger in Gefahr, auf diesen Abweg zu geraten. Die Vernunft zieht bei ihren
Schöpfungen die Grenzen der Sinnenwelt viel zu wenig zu Rat und der Gedanke wird immer weiter
getrieben, als die Erfahrung ihm folgen kann. Wird er aber so weit getrieben, daß ihm nicht nur
keine bestimmte Erfahrung mehr entsprechen kann, (denn bis dahin darf und muß das Idealschöne gehen)
sondern daß er den Bedingungen aller möglichen Erfahrung überhaupt widerstreitet, und daß folglich
um ihn wirklich zu machen, die menschliche Natur ganz und gar verlassen werden müßte, dann ist es
nicht mehr ein poetischer, sondern ein überspannter Gedanke: vorausgesetzt nehmlich, daß er sich als
darstellbar und dichterisch angekündiget habe; denn hat er dieses nicht, so ist es schon genug, wenn
er sich nur nicht selbst widerspricht. Widerspricht er sich selbst, so ist er nicht mehr
Überspannung, sondern Unsinn; denn was überhaupt nicht ist, das kann auch
sein Maß nicht überschreiten. Kündigt er sich aber gar nicht als ein Objekt für die Einbildungskraft
an, so ist er eben so wenig Überspannung; denn das bloße Denken ist grenzenlos und was keine Grenze
hat, kann auch keine überschreiten. Überspannt kann also nur dasjenige genannt werden, was zwar
nicht die logische aber die sinnliche Wahrheit verletzt, und auf diese doch Anspruch macht. Wenn
daher ein Dichter den unglücklichen Einfall hat, Naturen, die schlechthin übermenschlich sind, und auch nicht andersdürfen, zum Stoff seiner Schilderung zu erwählen, so kann er sich vor dem Überspannten nur
dadurch sicher stellen, daß er das Poetische aufgibt und es gar nicht einmal unternimmt, seinen
Gegenstand durch die Einbildungskraft ausführen zu lassen. Denn täte er dieses, so würde entweder
diese ihre Grenzen auf den Gegenstand übertragen, und aus einem absoluten Objekt ein beschränktes
menschliches machen (was z. B. alle griechischen Gottheiten sind und auch
sein sollen); oder der Gegenstand würde der Einbildungskraft ihre Grenzen nehmen, d. h. er würde sie
aufheben, worin eben das Überspannte besteht.
Man muß die überspannte Empfindung von dem Überspannten in der Darstellung
unterscheiden; nur von der ersten ist hier die Rede. Das Objekt der Empfindung kann unnatürlich
sein, aber sie selbst ist Natur, und muß daher auch die Sprache derselben führen. Wenn also das
Überspannte in der Empfindung aus Wärme des Herzens und einer wahrhaft dichterischen Anlage fließen
kann, so zeugt das Überspannte in der Darstellung jederzeit von einem kalten Herzen und sehr oft von
einem poetischen Unvermögen. Es ist also kein Fehler, vor welchem das sentimentalische Dichtergenie
gewarnt werden müßte, sondern der bloß dem unberufenen Nachahmer desselben drohet, daher er auch die
Begleitung des Platten, Geistlosen, ja des Niedrigen keineswegs verschmäht. Die überspannte
Empfindung ist gar nicht ohne Wahrheit, und als wirkliche Empfindung muß sie auch notwendig einen
realen Gegenstand haben. Sie läßt daher auch, weil sie Natur ist, einen einfachen Ausdruck zu, und
wird vom Herzen kommend auch das Herz nicht verfehlen. Aber da ihr Gegenstand nicht aus der Natur
geschöpft, sondern durch den Verstand einseitig und künstlich hervorgebracht ist, so hat er auch
bloß Heloise für Abelard, was Petrarch für seine Laura, was S. Preux für seine Julie,
was Werther für seine Lotte fühlt, und was Agathon,Phanias, Peregrinus Proteus (den Wielandischen meine ich) für ihre
Ideale empfinden; die muß die Freiheit befestiget sein.ohne Gesetz ist, mithin der Phantasterei zum Raube
dahingegeben wird.
Daß sowohl ganze Völker als einzelne Menschen, welche der sichern Führung der Natur
sich entzogen haben, sich wirklich in diesem Falle befinden, lehrt die Erfahrung, und eben diese
stellt auch Beispiele genug von einer ähnlichen Verirrung in der Dichtkunst auf. Weil der echte
sentimentalische Dichtungstrieb, um sich zum idealen zu erheben, über die Grenzen wirklicher Natur
hinausgehen muß, so geht der unechte über jede Grenze überhaupt hinaus, und überredet sich, als wenn
schon das wilde Spiel der Imagination die poetische Begeisterung ausmache. Dem wahrhaften
Dichtergenie, welches die Wirklichkeit nur um der Idee willen verlasset, kann dieses nie oder doch
nur in Momenten begegnen, wo es sich selbst verloren hat; da es hingegen durch seine Natur selbst zu
einer überspannten Empfindungsweise verführt werden kann. Es kann aber durch sein Beispiel andre zur
Phantasterei verführen, weil Leser von reger Phantasie und schwachem Verstand ihm nur die Freiheiten
absehen, die es sich gegen die wirkliche Natur herausnimmt, ohne ihm bis zu seiner hohen innern
Notwendigkeit folgen zu können. Es geht dem sentimentalischen Genie hier, wie wir bei dem naiven
gesehen haben. Weil dieses durch seine Natur alles ausführte, was es tut, so will der gemeine
Nachahmer an seiner eigenen Natur keine schlechtere Führerin haben. Meisterstücke aus der naiven
Gattung werden daher gewöhnlich
[…]
Man gelangt am besten zu dem wahren Begriff dieses Gegensatzes, wenn man, wie ich
eben bemerkte, sowohl von dem naiven als von dem sentimentalischen Charakter absondert, was beide
poetisches haben. Es bleibt alsdann von dem erstern nichts übrig, als, in Rücksicht auf das
theoretische, ein nüchterner Beobachtungsgeist und eine feste Anhänglichkeit an das gleichförmige
Zeugnis der Sinne; in Rücksicht auf das praktische eine resignierte Unterwerfung unter die
Notwendigkeit (nicht aber unter die blinde Nötigung) der Natur: eine Ergebung also in das, was ist
und was sein muß. Es bleibt von dem sentimentalischen Charakter nichts übrig, als (im theoretischen)
ein unruhiger Spekulationsgeist, der auf das Unbedingte in allen Erkenntnissen dringt, im
praktischen ein moralischer Rigorism, der auf dem Unbedingten in Willenshandlungen bestehet. Wer
sich zu der ersten Klasse zählt, kann ein Ausschließung des
andern zu veranlassen. Gerade diese Ausschließung, welche sich in der Erfahrung findet, bekämpfe
ich; und das Resultat der gegenwärtigen Betrachtungen wird der Beweis sein, daß nur durch die
vollkommen gleiche Einschließung beider dem Vernunftbegriffe der Menschheit
kann Genüge geleistet werden. Übrigens nehme ich beide in ihrem würdigsten Sinn und in der ganzen
Fülle ihres Begriffs, der nur immer mit der Reinheit desselben, und mit
Beibehaltung ihrer spezifischen Unterschiede bestehen kann. Auch wird es sich zeigen, daß ein hoher
Grad menschlicher Wahrheit sich mit beiden verträgt, und daß ihre Abweichungen von einander zwar im
einzelnen, aber nicht im Ganzen, zwar der Form aber nicht dem Gehalt nach eine Veränderung
machen.
Und gerade so zeigt sich der Wissen als in seinem Tun. Auf alles, was bedingungsweise existiert, erstreckt sich der Kreis seines
Wissens und Wirkens, aber nie bringt er es auch weiter als zu bedingten Erkenntnissen, und die
Regeln, die er sich aus einzelnen Erfahrungen bildet, gelten in ihrer ganzen Strenge genommen, auch
nur Einmal; erhebt er die Regel des Augenblicks zu einem allgemeinen Gesetz, so wird er sich
unausbleiblich in Irrtum stürzen. Will daher der Realist in seinem Wissen zu etwas unbedingten
gelangen, so muß er es auf dem nehmlichen Wege versuchen, auf dem die Natur ein un
Was von dem Wissen des Realisten gilt, das gilt auch von seinem (moralischen) Handeln. Sein Charakter hat Moralität, aber diese liegt, ihrem reinen Begriffe nach, in keiner einzelnen Tat, nur in der ganzen Summe seines Lebens. In jedem besondern Fall wird er durch äußre Ursachen und durch äußre Zwecke bestimmt werden; nur daß jene Ursachen nicht zufällig, jene Zwecke nicht augenblicklich sind, sondern aus dem Naturganzen subjektiv fließen, und auf dasselbe sich objektiv beziehen. Die Antriebe seines Willens sind also zwar in rigoristischem Sinne weder frei genug, noch moralisch lauter genug, weil sie etwas anders als den bloßen Willen zu ihrer Ursache und etwas anders als das bloße Gesetz zu ihrem Gegenstand haben; aber es sind eben so wenig blinde und materialistische Antriebe, weil dieses andre das absolute Ganze der Natur, folglich etwas selbstständiges und notwendiges ist. So zeigt sich der gemeine Menschenverstand, der vorzügliche Anteil des Realisten, durchgängig im Denken und im Betragen. Aus dem einzelnen Falle schöpft er die Regel seines Urteils, aus einer innern Empfindung die Regel seines Tuns; aber mit glücklichem Instinkt weiß er von beiden alles Momentane und Zufällige zu scheiden. Bei dieser Methode fährt er im Ganzen vortrefflich und wird schwerlich einen bedeutenden Fehler sich vorzuwerfen haben; nur auf Größe und Würde möchte er in keinem besondern Fall Anspruch machen können. Diese ist nur der Preis der Selbstständigkeit und Freiheit, und davon sehen wir in seinen einzelnen Handlungen zu wenige Spuren.
Aber er kann es bis zu absoluten Wahrheiten gebracht haben, und dennoch in seinen
Kenntnissen dadurch nicht viel gefördert sein. Denn alles freilich steht zuletzt unter notwendigen
und allgemeinen Gesetzen, aber nach zufälligen und besondern Regeln wird jedes einzelne regiert; und
in der Natur ist alles einzeln. Er kann also mit seinem philosophischen Wissen das Ganze
beherrschen, und für das Besondre, für die Ausübung, dadurch nichts gewonnen haben: ja, indem er
überall auf die obersten Gründe dringt, durch die alles möglich wird, kann er
die nächsten Gründe, durch die alles wirklich wird, leicht versäumen; indem
er überall auf das Allgemeine sein Augenmerk richtet, welumfassen können, und vielleicht eben deswegen wenig fassen, und oft an
Einsicht verlieren, was er an Übersicht gewinnt. Daher kommt es daß, wenn der spekulative Verstand
den gemeinen um seiner Beschränktheit willen verachtet, der gemeine Verstand
den spekulativen seiner Leerheit wegen verlacht; denn die Erkenntnisse
verlieren immer an bestimmten Gehalt, was sie an Umfang gewinnen.
In der moralischen Beurteilung wird man bei dem Idealisten eine reinere Moralität
in einzelnen, aber weit weniger moralische Gleichförmigkeit im Ganzen, finden. Da er nur in so fern
Idealist heißt, als er aus reiner Vernunft seine Bestimmungsgründe nimmt, die Vernunft aber in jeder
ihrer Äußerungen sich absolut beweist, so tragen schon seine einzelnen Handlungen, sobald sie
überhaupt nur moralisch sind, den ganzen Charakter moralischer
Selbstständigkeit und Freiheit, und gibt es überhaupt nur im wirklichen Leben eine wahrhaft
sittliche Tat, die es auch vor einem rigoristischen Urteil bliebe, so kann sie nur von dem
Idealisten ausgeübt werden. Aber je reiner die Sittlichkeit seiner einzelnen Handlungen ist, desto
zufälliger ist sie auch; denn Stätigkeit und Notwendigkeit ist zwar der Charakter der Natur aber
nicht der Freiheit. Nicht zwar, als ob der Idealism mit der Sittlichkeit je in Streit geraten
könnte, welches sich widerspricht; sondern weil die menschliche Natur eines konsequenten Idealism
gar nicht fähig ist. Wenn sich der Realist, auch in seinem moralischen Handeln, einer physischen
Notwendigkeit ruhig und gleichförmig unterordnet, so muß der Idealist einen Schwung nehmen, er muß
augenblicklich seine Natur exaltieren, und er vermag nichts, als insofern er begeistert ist. Alsdann
freilich vermag er auch desto mehr, und sein Betragen wird einen Charakter von Hoheit und Größe
zeigen, den man in den Handlungen des Realisten vergeb
Will man also dem Realisten Gerechtigkeit wiederfahren lassen, so muß man ihn nach dem ganzen Zusammenhang seines Lebens richten; will man sie dem Idealisten erweisen, so muß man sich an einzelne Äußerungen desselben halten, aber man muß diese erst herauswählen. Das gemeine Urteil, welches so gern nach dem einzelnen entscheidet, wird daher über dem Realisten gleichgültig schweigen, weil seine einzelnen Lebensakte gleich wenig Stoff zum Lob und zum Tadel geben; über den Idealisten hingegen wird es immer Partei ergreifen, und zwischen Verwerfung und Bewunderung sich teilen, weil in dem einzelnen sein Mangel und seine Stärke liegt.
Es ist nicht zu vermeiden, daß bei einer so großen Abweichung in den Prinzipien
beide Parteien in ihren Urteilen einander nicht oft gerade entgegengesetzt sein, und, wenn sie
selbst in den Objekten und Resultaten übereinträfen, nicht in den Gründen auseinander sein sollten.
Der Realist wird fragen, wozu eine Sache gut sei? und die Dinge nach dem, was
sie wert sind, zu taxieren wissen: der Idealist wird fragen, ob sie gut sei?
und die Dinge nach dem taxieren, was sie würdig sind. Von dem was seinen Wert und Zweck in sich
selbst hat (das Ganze jedoch immer ausgenommen) weiß und hält der Realist nicht viel; inVorteil nicht gern, nur daß er denselben in dem
Ideale des höchsten Guts veredelt und heiligt. Was er liebt wird er zu
beglücken, der Idealist wird es zu veredeln suchen. Wenn daher der Realist in
seinen poetischen Tendenzen den Wohlstand bezweckt, gesetzt daß es auch von
der moralischen Selbstständigkeit des Volks etwas kosten sollte, so wird der Idealist, selbst auf
Gefahr des Wohlstandes, die Freiheit zu seinem Augenmerk machen.
Unabhängigkeit des Zustandes ist jenem, Unabhängigkeit von
dem Zustand ist diesem das höchste Ziel, und dieser charakteristische Unterschied läßt sich
durch ihr beiderseitiges Denken und Handeln verfolgen. Daher wird der Realist seine Zuneigung immer
dadurch beweisen, daß er gibt, der Idealist dadurch, daß er empfängt; durch das, was er in seiner Großmut aufopfert, verrät jeder, was er am höchsten
schätzt. Der Idealist wird die Mängel seines Systems mit seinem Individuum und seinem zeitlichen
Zustand bezahlen, aber er achtet dieses Opfer nicht; der Realist büßt die Mängel des seinigen mit
seiner persönlichen Würde, aber er erfährt nichts von diesem Opfer. Sein System bewährt sich an
allem, wovon er Kundschaft hat, und wornach er ein Bedürfnis empfindet – was bekümmern ihn Güter,
von denen er keine Ahnung und an die er keinen Glauben hat? Genug für ihn, er ist im Besitze, die
Erde ist sein, und es ist Licht in seinem Verstande, und Zufriedenheit wohnt in seiner Brust. Der
Idealist hat lange kein so gutes Schicksal. Nicht genug, daß er oft mit dem Glücke zerfällt, weil er
versäumte, den Moment zu seinem Freunde zu machen, er zerfällt auch mit sich selbst, weder sein
Wissen, noch sein Handeln kann ihm Genüge tun. Was er von sich fodert, ist ein Unendliches, aber
beschränkt ist alles, was er leistet. Diese Strenge, die er gegen sich selbst beweist, verleugnet er
auch nicht in seinem Betragen gegen andre. Er ist zwar großmütig, weilin ihrer Begrenzung beurteilt. Das Gemeine,
ja selbst das Niedrige im Denken und Handeln kann er verzeihen, nur das Willkürliche, das
Exzentrische nicht; der Idealist hingegen ist ein geschworner Feind alles Kleinlichen und Platten,
und wird sich selbst mit dem Extravaganten und Ungeheuren versöhnen, wenn es nur von einem großen
Vermögen zeugt. Jener beweist sich als Menschenfreund, ohne eben einen sehr hohen Begriff von den
Menschen und der Menschheit zu haben; dieser denkt von der Menschheit so groß, daß er darüber in
Gefahr kommt, die Menschen zu verachten.
Der Realist für sich allein würde den Kreis der Menschheit nie über die Grenzen der
Sinnenwelt hinaus erweitert, nie den menschlichen Geist mit seiner selbstständigen Größe und
Freiheit bekannt gemacht haben; alles Absolute in der Menschheit ist ihm nur eine schöne Schimäre
und der Glaube daran nicht viel besser als Schwärmerei, weil er den Menschen niemals in seinem
reinen Vermögen, immer nur in einem bestimmten und, eben darum begrenzten Wirken erblickt. Aber der
Idealist für sich allein würde eben so wenig die sinnlichen Kräfte kultiviert und den Menschen als
Naturwesen ausgebildet haben, welches doch ein gleich wesentlicher Teil seiner Bestimmung, und die
Bedingung aller moralischen Veredlung ist. Das Streben des Idealisten geht viel zu sehr über das
sinnliche Leben und über die Gegenwart hinaus; für das Ganze nur, für die Ewigkeit will er säen und
pflanzen; und vergißt darüber, daß das Ganze nur der vollendete Kreis des Individuellen, daß die
Ewigkeit nur eine Summe von Augenblicken ist. Die Welt wie der Realist sie um sich herum bilden
möchte, und wirklich bildet, ist ein wohlangelegter Garten, worin alles nützt, alles seine Stelle
verdient, und was nicht Früchte trägt verbannt ist; die Welt unter den Händen des Idealisten
Wenn in einem System etwas ausgelassen ist, wornach doch ein dringendes und nicht
zu umgehendes Bedürfnis in der Natur sich vorfindet, so ist die Natur nur durch eine Inkonsequenz
gegen das System zu befriedigen. Einer solchen Inkonsequenz machen auch hier beide Teile sich
schuldig, und sie beweist, wenn es bis jetzt noch zweifelhaft geblieben sein könnte, zugleich die
Einseitigkeit beider Systeme und den reichen Gehalt der menschlichen Natur. Von dem Idealisten
brauch ich es nicht erst insbesondere darzutun, daß er notwendig aus seinem System treten muß,
sobald er eine bestimmte Wirkung bezweckt; denn alles bestimmte Dasein steht unter zeitlichen
Bedingungen und erfolgt nach empirischen Gesetzen. In Rücksicht auf den Realisten hingegen könnte es
zweifelhafter scheinen, ob er nicht auch schon innerhalb seines Systems allen notwendigen Foderungen
der Menschheit Genüge leisten kann. Wenn man den Realisten fragt: warum tust du was recht ist und
leidest was notwendig ist? so wird er im Geist seines Systems darauf antworten: weil es die Natur so
mit sich bringt, weil es so sein muß. Aber damit ist die Frage noch keineswegs beantwortet, denn es
ist nicht davon die Rede, was die Natur mit sich bringt, sondern was der Mensch will, denn er kann
ja auch nicht wollen, was sein muß. moralisch handeln
oder nur nicht blind leiden willst. Es ist also offenbar, daß der Realist
würdiger handelt, als er seiner Theorie nach zugibt, so wie der Idealist erhabener denkt, als er
handelt. Ohne es sich selbst zu gestehen, beweist jener durch die ganze Haltung seines Lebens die
Selbstständigkeit, dieser durch einzelne Handlungen die Bedürftigkeit der menschlichen
Natur.
Einem aufmerksamen und parteilosen Leser werde ich nach der hier gegebenen
Schilderung (deren Wahrheit auch derjenige eingestehen kann, der das Resultat nicht annimmt) nicht
erst zu beweisen brauchen, daß das Ideal menschlicher Natur unter beide verteilt; von keinem aber
völlig erreicht ist. Erfahrung und Vernunft haben beide ihre eigene Gerechtsame, und keine kann in
das Gebiet der andern einen Eingriff tun, ohne entweder für den innern oder äußern Zustand des
Menschen schlimme Folgen anzurichten. Die Erfahrung allein kann uns lehren, was unter gewissen
Bedingungen ist, was unter bestimmten Voraussetzungen erfolgt, was zu bestimmten Zwecken geschehen
muß. Die Vernunft allein kann uns hingegen lehren, was ohne alle Bedingung gilt, und was notwendig
sein muß. Maßen wir uns nun an, mit unserer bloßen Vernunft über das äußre Dasein der Dinge etwas
ausmachen zu wollen, so treiben wir bloß ein leeres Spiel undWert (den zeitlichen Gehalt) unsers Lebens, in dem zweiten um die Würde (den moralischen Gehalt) unsers Lebens getan.
Zwar haben wir in der bisherigen Schilderung dem Realisten einen moralischen Wert
und dem Idealisten einen Erfahrungsgehalt zugestanden, aber bloß insofern beide nicht ganz
konsequent verfahren und die Natur in ihnen mächtiger wirkt als das System. Obgleich aber beide
gegen das Ideal vollkommener Menschheit verlieren, so ist zwischen beiden doch der wichtige
Unterschied, daß der Realist zwar dem Vernunftbegriff der Menschheit in keinem einzelnen Falle
Genüge leistet, dafür aber dem Verstandesbegriff derselben auch niemals widerspricht, der Idealist
hingegen zwar in einzelnen Fällen dem höchsten Begriff der Menschheit näher kommt, dagegen aber
nicht selten sogar unter dem niedrigsten Begriffe derselben bleibet. gleichförmig menschlich gut als daß das Einzelne zufällig göttlich sei – und wenn also der Idealist ein geschickteres Subjekt ist, uns von dem
was der Menschheit möglich ist, einen großen Begriff zu erwecken und Achtung für ihre Bestimmung
einzuflößen, so kann nur der Realist sie mit Stätigkeit in der Erfahrung ausführen, und die Gattung
in ihren ewigen Grenzen erhalten. Jener ist zwar ein edleres aber ein ungleich weniger vollkommenes
Wesen; dieser erscheint zwar durchgängig weniger edel, aber er ist dagegen desto vollkommener; denn
das Edle liegt schon in dem Beweis eines großen Vermögens, aber das Vollkommene liegt in der Haltung
des Ganzen und in der wirklichen Tat.
Karikaturen. Der Nötigungen.zu etwas gut sind, aber daß sie auch
nur leben und bestehen beweist, daß dieser Zustand nicht ganz gehaltlos ist.