Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "III.", in: Leipziger Spectateur, Vol.4\003 (1723), S. 168-192, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2554 [aufgerufen am: ].


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III.

Zitat/Motto► Unum saltem apud patrem (h. e. in Cœlis) Advocatum habemus, I. Joh. II. v. I. edit. vulg. ◀Zitat/Motto

Zitat/Motto► Wenn St. Johannes spricht:
Jm Himmel haben wir nur einen
Advocaten,
Fragt
Momus: Wo sind denn die andern hingerathen?
Sprichst du, das weiß ich nicht;
So weiset dich der Neid-Geselle
Wol gar zum
Pluto in die Hölle;
Allein, wenn unsere
Advocaten sich
Bekehren in der Gnaden-Zeit von Sünden,
So hofft man mehr als einen sicherlich
Jm Himmel einst zufinden. ◀Zitat/Motto

Monsieur le Spectateur de Leipsic

Ebene 2► Ebene 3► Brief/Leserbrief► JCh habe Jhre Speculationes bißher mit vielem Vergnügen durchlesen. Jhr Endzweck, den sie dabey haben mögen, darum ist eines gar besondern Lobes würdig; Weil er höchst nöthig ist. Die Welt lieget im Argen und ihre Fehler des Verstandes und Willens können ihr niemals überflüßig entdecket, noch vorgestellet werden. Hilfft es gleich nicht viel, so scheinet doch auch nicht alle Mühe vergebens zu seyn; Jch kan solches mit meiner eigenen Erfahrung bezeugen, da mir in ihren Speculationen eines und das andere gesaget worden, so zu meiner Besserung gedienet. Allein eben diese gute Würckung ist die Ursache, daß ich jetzo die Feder ergreiffe und mich erkühne, Jhnen meinen Hertzens-Kummer zu entdecken, mit dem ich mich einige Zeit her hart gequählet habe. Sie wissen selbst, wie es der Wohlstand und das Glück eines Menschen erfodere, daß er, nach zurück gelegten Jünglings-Jahren, sich endlich mit Ernst zu etwas applicire, wormit er sich in der Welt honnet ernähren und fortbringen möge. Mein Vater, der ein Dorff-Richter ist, hat mich von Jugend auf zum Studio Juris bestimmet und angehalten. Es ist auch in der That mehr als eine Kuh und Kalb an mich gewendet worden, damit ich mein Studiren auf Schulen und Universitäten mit herge-[169]brachter Gemächligkeit fortsetzen könte, bloß aus der Absicht, daß ins künfftige dieser ausgestreute Saamen meinem Vater durch meine auream praxin hundertfältige Frucht bringen solte. Jch kan auch mit guten Gewissen und ohne eitlen Ruhm melden, daß ich das Meinige redlich gethan; Jetzo aber, da ich mich zu einer gewissen Lebens-Art resolviren soll, und keinen andern, als den Advocaten-Stand zu ergreiffen vor mir sehe, so wird es mir von Hertzen sauer mich darzu zuentschliessen. Jch weiß zwar wohl, daß gewissenhaffte, geschickte und ohnintressirte Advocaten in dem gemeinen Leben fast eben so nöthig, als das tägliche Brod seynd; Allein sie scheinen mir entweder sehr rar gesäet zu seyn, oder sie können vor andern, die dergleichen Qualitäten nicht haben, so wie ein edler Weitzen-Keim vor dem vielen um denselben herum wachsenden Unkraute nicht aufkommen, das allerschmertzlichste hierbey ist dieses. Daß man insgemein die guten und bösen Advocaten nach einer Elle ausmißt und sie überhaupt, ohne Ansehen der Persohn, schändet und lästert. Klage-Schreyer, Worte-Fänger, Zungen-Drescher, Rabulisten, böse Christen, durstige Blut-Egeln, fressen-[170]de Heuschrecken und so f. sind in dem Munde des Pöbels ihre gewöhnliche Ehren-Titul. Da saget man, Lutherus würde wohl gethan haben, wenn er in der Erklärung der vierten Bitte, neben das gute Wetter auch gute Advocaten gesetzet. Es ist nichts gemeiners als die Klage über den Mangel des guten Geldes und der Uberfluß der bösen Advocaten. Da spricht Hanß Naseweiß: „Die Advocaten wären den Spinnen gleich, die in ihrem Gewebe auf die Fliegen laureten, und sich eine Lust macheten, wenn sich in ihren Garn, welches Tag und Nacht gestellet und gerichtet wäre, eine arme Magd, Bauer, oder Handwercks-Mann fienge, denen sie das Blut aussaugten, und ihn endlich, wenn der Cörper ausgetrocknet, im Elend liegen liessen. Der Catholische Ferdinand hätte deßwegen keine Juristen nach America senden wollen; Weil er aus einer langen Erfahrung gelernet, daß wo diese häuffig wären, sich auf den Richt-Platz gemeiniglich so viel Betrügerey herfür thäte, als in einer unordentlichen Speise-Cammer Ungezieffer herum lieffe;“ Die Gelehrtesten Rabbinen legten die Worte; Et pluet super eos laqueos, von der Menge der Advocaten und [171] Procuratorem aus, daß solche Fall-Strüche wären, die Leute zu fangen; Plato der grosse Philosophe hatte gesagt: Es wäre ein gewisses Kennzeichen einer sehr krancken Republic, wo viel Advocaten, Richter und Ärtzte wären; Den jene machten Zänckereyen, wo keine wären, weil sie davon lebten und unter dem Geräusch der streitenden Partheyen, ihr Brod zu gewinnen bemühet wären; Diese aber müsten gleichfalls Hunger sterben, wenn nicht jemand wäre, der sich ihrer Essentzen, Säffte und Pillen bediente. Das gemeine Advocaten-Spiel wäre viel schädlicher, als das falsche Würffeln, wordurch die Müßiggänger und Betrüger Reich, und hingegen Einfältige, deren jederzeit viel wären, an Bettel-Stab gebracht würden, und was dergleichen harte und Seelen-Empfindliche Reden mehr seynd. Mons. le Spectateur, werde ich nun ein Advocat, so muß ich mich mit eben dergleichen harten Reden bombardiren lassen, wenn auch mein Gewissen so klein wie ein Nadel-Öhr, und ich von den guten Advocaten der beste wäre. Doch wenn ich nun auch die teutsche Wahrheit ungemartert gestehen soll, so will es scheinen, als wenn es wohl fast nicht anders seyn könte, als daß die [172] Welt also, wie bißher angeführet worden, von vielen Advocaten Reden muß. Jch habe mich bißher bey einen Advocaten als Actuarium, zu teutsch Acten-Träger oder Acten-Schreiber gebrauchen lassen; Und O Himmel! Was habe ich allda vor Hilpres-Griffgen und Streiche beobachtet und gelernet. Kam ein Cliente zu uns, der eine geringe und ohne Weitläufftigkeit auszuführende Rechts-Sache hatte, so wuste mein Patron dieselbe dem Clienten sehr schwehr und mühsam vorzubilden, bloß zu dem Ende, damit dieser, der nach der Zeit brave blechen müßte, in der Meinung erhalten würde, die übermässigen Expensen, die er so dann bezahlte, wären Blut sauer und recht redlich verdienet. Kam aber ein Cliente, der sich gleich anfangs erklärte, daß er seine Sache lieber unausgeführet lassen, als gar zu viel daran wenden wolte, so hies es, das Bagatell wird nicht viel zubedeuten haben, wir wollen bald von der Sache kommen; Allein, nach geschehenem Engagement währete des bald mehr als ein Jahr, und der arme Cliente muste indessen unvermerckt zur Ader lassen. Erschien etwa ein Cliente der selbst ein Mißtrauen in seine Sache zu setzen schien, so wuste mein Maitre das [173] Factum dergestalt zu verkehren und mit seinen Umständen fälschlich vorzutragen, daß dadurch so wohl der Gegen-Theil als der Richter hinter das Licht geführet wurden; Ja er gab wohl gar dem Clienten Anlaß und Instruction, daß er das Factum, oder ein und andere ihm schädliche Umstände läugnen und verschweigen solte, und setzte die Primam Juris regulam: si fecisti nega zum Grunde, kam er vollends an einen dem Gegen-Theil bedienten und in Meister-Streichen nicht geübten Advocaten, so gieng seyn Tichten und Trachten dahin, diesem den Ranck abzulauffen und ihm dadurch die Sache, wenn sie noch so gerecht war, arglistiger Weise abzugewinnen; lieff nun dieselbe nicht, wie anfangs versprochen worden, so muste sich der unschuldige Richter, oder die Urtheils-Verfasser die Schuld zur Ungebühr auf den Halß schieben und der Cliente sich solches weiß machen lassen. Klagte Cliente über die Langwierigkeit des Processes, so hieß es, die Process-Ordnung vermöchte es nicht anders, man müste legaliter verfahren, ob schon mein Patron grösten Theils selber Schuld daran war, der, seiner andern Geschäffte oder Hauß-Verrichtungen wegen, öfftere Prorogationes und Dilationes, unter [174] Vorschützung allerhand Verhinderungen auswürckte, oder sich wohl gar darüber contumaciren ließ: ja wenn auch ein Fatale, aus Nachläßigkeit meines Maitre versäumet war, so muste doch der Arme hieran unschuldige Client alle dadurch verursachte Kosten und Mühe bezahlen; Niemand aber schien meinen Patron lieber zu seyn, als ein Client, der einen reichen Beutel und hartnäckigen Kopff hatte, denn da war er der angenehmen Erfüllung seines geheimen Symboli: Narren und obstinaten, machen reiche Advocaten, schon zum voraus versichert. Auf allen Fall wurden dem Clienten allerhand Reservationes mentales in dem Kopff gesetzet, wenn es ja etwa zu einem Eyde kommen solte, und ich hätte geschworen, mein Maitre wäre bey den Jesuiten in die Schule gegangen, wenn ich nicht sicher gewust, daß er seine Studia an einem uncatholischen Orte absolviret. Jndessen verstrich mehr als ein Jahr, ehe der Cliente die erlernten Künstgen gebrauchen dorffte; Denn die Sachen zu protahiren verstund mein Advocat meisterlich, ingleichen weitläufftige nnd mit vielen unnöthigen Allegatis angefüllte Sätze zu machen. So war er auch ein Freund von vielen Interrogato- [175] riis und Beweiß- oder Defensional-Articuln, konte auch weitschweiffige und offt Bücher-grosse Defensions-Schrifften machen, bloß zu dem Ende, damit er vor viele Bogen viel Geld bekommen möchte. Wie wohl er es mit seinen eigenen Herren Collegen gemeinet und dabey das Beste seines Clienten gesuchet, das wird Mons. le Spectateur aus nachstehenden zwey Briefen sehen, die ich aus seiner geheimen Correspondentz erhaschet. Der sub lit. A. ist von meinen ehemaligen Patron, als einen Advocaten in der ersten Instantz, an einen andern in der andern Instantz geschrieben worden, worauf die Antwort sub lit. B. erfolget.

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Jnsonders Hochgeehrter Herr
Bruder.

JCh übersende ihm hiermit einen lebendigen Hasen, welcher, vermittelst meiner ohne Ruhm zu melden, wohlerlerneten Kunst in der ersten Instantz dermassen fleißig gehetzet worden, daß ihm das Schmaltz ziemlich ver-[176]gegangen; Jedennoch habe ich ihm aus guten Vorbedacht, noch so viel übrig gelassen, daß mein Hochgeehrter Herr Bruder gleichfalls seinen Antheil an diesem Wildpret in der andern Instantz, wohin seine Rechts-Sache nunmehro gediehen, geniessen könne. Als ich ihn vor ungefehr zehen Jahren das erste mahl unter meine Hände bekam, so hatte er alle Requisita, so zu einen rechtschaffenen Clienten erfordert worden nehmlich einen vollen Beutel, einen gedultigen Kopff, und ein unversöhnliches Hertze; Ob nun schon das zweyte durch die vielfältigen Termine ziemlich abgenommen, so besitzet er doch das Erste und Letzte noch in höchsten Grad der Vollkommenheit, und er wird verhoffentlich von keinen Vergleich mit seinen Gegentheil hören wollen, so lange er eines Hellers mächtig ist. Anfänglich hatte ich so wohl den Kläger als Beklagten in Contribution, indem ich jenen zur Fortsetzung der Klage anfrischete, diesen aber zu einen vortheilhafften gütlichen Vergleich zu verhelffen versprach; Jedoch als das Strategema zu ruchtbar werden wolte, zohe ich mich von dem Beklagten ab, und tröstete mich darmit, daß ich doch zum wenigsten den Kläger in der Klemme behielte. Wolte Monsieur mon cher [177] Frere bey ihrer beyder Ankunfft in der Appellations-Instantz sich eben dergleichen Vortheils zu seinem Nutzen bedienen, so stünde es zu desselben hochvernünfftiger Uberlegung. Nur ist dieses wohl darbey zubedencken, daß diese zancksüchtige Creaturen schon eine ziemliche Zeit von einer Gerichts-Stube zu der andern gejaget worden, und das man sie nicht so sicher bey der Nase herum schleppen könne, als andere, die noch in der ersten Hetze seynd; Denn wenn, wie denselben ohne mein Erinnern bewust, ein Cliente anfänget die gewöhnlichen, Terminos Juris zuverstehen, und wenn er schon bey jedem Worte mit Leuteriren, Appelliren, Contumaciren, Recognosciren, und dergleichen um sich würffet, so muß man ein wenig behutsam verfahren, damit niemand, wer die Kunst kan, den Meister beschämen möge. Wofern mein Hochgeehrter Herr Bruder die Acten perlustriret, so wird er sehen, daß ich, sonder eiteln Ruhm zu melden, nichts verabsäumet, was die Sache eine so geraume Zeit verzögern können, und daß ich bey manchen Urthel recht seltsame Gravamina ersinnen müssen, wovon weder die alten noch neuen Consulenten etwas gewust, biß mir noch eine Leuterung verstattet worden; Mehr als einen ein-[178]tzigen Injurien-Proceß aus der über 100. fl. sich nicht belauffenden Haupt-Sache zuerzwingen, ist mir diesesmahl nicht möglich gewesen, und diesen wird derselbe, wenn es hoffentlich zur Appellation gedeyet, auch zu geniessen haben. Sonsten ist es allhier vor uns eine elende Zeit; Jndem mit Concussionibus gar nichts mehr zuthun, denn sich diejenigen, welche man zuweilen mit dieser oder jener Beschuldigung in die Klemme krieget, durch Bedrohungen selten mehr schrecken lassen, sondern alsobald zu solchen Rechts-Gelehrten leuhen, welche den Profit nichts achten, und welche ihnen ohne Weitläufftigkeit aus der Verwirrung helffen. Meine besten Kund-Leute seynd vorietzo die zur Inquisition gezogenen Diebe, bey welchen eine wohl ausgeführte Defension noch unterweilen etwas abwerffen kan, absonderlich wenn man ihnen, an statt der Tortur, mit einen geringen Juramento purgatorio durchhülffet; Alldieweil aber dieses, so ferne die guten Leute ihr Handwerck gar zu öffentlich getrieben, nicht allemahl angehen will, so vermahne ich insgemein sie zu einer tapffern Standhafftigkeit an, und mache ihnen eine eigentliche Beschreibung der Daumen-Stöcke, Schnüre, Leiter, Spanischen-Stieffeln und dergleichen, damit sie [179] sich, wenn ihnen die Sache schon etlicher massen bekannt, vor dem unbarmhertzigen Verfahren des Scharff-Richters um so viel desto weniger zu fürchten haben; Jch stelle ihnen ferner vor, daß viele tausend Menschen ihr Leben erhalten, und dem gemeinen Wesen mit ihrer erlerneten Kunst noch länger dienen könten, wenn sie die edle Kunst zu Läugnen besser gelernet hätten, da doch so wohl Ja als Nein aus einer eintzigen Sylbe bestünde, und dannenhero eines so leicht als das andere auszusprechen sey; Jndem nun das gantze Haupt-Fundament der Tourtur auf einer großmüthigen Verachtung der Schmertzen beruhet, so habe ich mich zeithero bey müßigen Stunden absonderlich auf die Stoische Philosophie befliessen, und unter andern aus Senecæ Schrifften fleißig erlernet wie man sich dißfals überwinden, und wie sich ein tapfferer Mann in allen Leiden, so meistentheils nur in der Einbildung beruhet, standhafftig erweisen solle, welche Philosophische Vorstellung denn bey meinen Delinquenten solche Würckung thut, daß ich zum öfftern selbsten rechte Freude an ihnen erlebe. Siehet also mein Hochgeehrter Herr Bruder, was diese Philosophie der Juris-Prudentz vor herrliche Dienste leisten kön-[180]ne, und daß das Axioma wahr sey, worüber wir als junge Studenten, in unsern Collegio privatissimo immer unsern Spott trieben, wenn es saget: Ubi desinit Ethicus, ibi incipit Juris consultus. Jedoch ich weiß, daß er alle Minuten zu seinem Vorthell anwenden kan, darum will ich diesesmahl nichts weiters hinzu setzen; Er bediene sich des überschickten lebendigen Haasens, so gut es ihm gefället, und weil ich ihm allbereits das Fell biß an die Ohren gezogen, so zerre er ihm solches vollends hinüber, und schicke mir ihn, so fern es möglich ist, wieder zurück, denn wenn wir ihn einmahl also geschunden entlauffen lassen, so dörffte er schwerlich wieder kommen, welches dannenhero zu seiner Nachricht dienet, ich aber bin,

Meines Hochgeehrten Herrn Bruders
Ergebenster Diener.

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Monsieur & tres honore Frere

DEr überschickte lebendige Haase hat sich [181] nebst Einhändigung des Recommendations-Schreibens mit gebührender Bescheidenheit eingestellet, und gleich wie mir dieses Præsent lieber, als eine gemästete Martins-Ganß, gewesen: Also erkenne hierdurch desselben zu mir tragende Gunst Gewogenheit, welche die verbindlichen Worte mit der That bekräfftiget. Dieser Cliente stehet mir sonsten über alle massen wohl an, und es wäre zu wünschen, daß alle andere seines gleichens einen solchen Eyfer bezeigeten, ihrem Gegentheil nicht auf ein Haarbreit nachzugeben; Denn auf solche weise kan man doch einen rechtschaffenen Proceß aus einer geringen Sache formiren, da hingegen andere furchtsam Gemüther alsobald nach einen guten Vergleich seufftzen, unerachtet man das blancke Schwerdt der Litis Contestation kaum gezucket. Dahero weiß ich demjenigen weibischen Poltron wenig Danck, welcher das unvernünfftige Sprich-Wort erdacht: Es sey ein magerer Vergleich besser, als ein übriger fetter Process, indem hierdurch mancher Bauer bewogen wird, sich mit seinem wiederwärtigen Nachbar in die Schencke zusetzen, und die gantze Klage in einer Kanne Bier zu ersäuffen, wordurch nicht allein die Obrigkeit um ihre Sportuln, son-[182]dern auch wir, nebst unsern treufleißigen Collegen, um die Gebühren gebracht werden. Jst also mein Hochgeehrter Herr Bruder nicht zu verdencken daß er sich des recommendirten Clientens bedienet, so lang er seiner geniessen können, und ich ersehe aus den dießfalls ergangenen Acten, daß er, in Verlängerung einer so Sonnen-klaren Sache ein rechtes Meister-Stück abgeleget, worzu ich von Hertzen gratulire, anbey auch demselben zu mehrern dergleichen rühmlichen Verrichtungen langes Leben, nebst beständiger Gesundheit anwünsche. Das erste, was ich sonsten mit meinen Clienten vorzunehmen pflege, ist dieses, daß ich ihnen, nach advenent der Sache und der Persohn, viel oder wenig an Gelde abborge, welches sodann nicht wieder in ihre Hände, sondern in den Expens-Zettel kommet; Denn es jederzeit leichter ist, eine vorgeschossene Summa mit guter Manier compensando zu decourtiren, als die Schuldner zubewegen, daß sie dasjenige, so übermäßig angeschrieben worden, baar bezahlen; Jndem man die Baarschafft, so unsers gleichens vorgestrecket worden, gemeiniglich schon vor halb verlohren achtet. Sonsten wird allhier durchgehends geredet, ob sey man in un-[183]sern Landen beschäfftiget, eine neue Gerichts Ordnung abzufassen, derer vornehmer Zweck dahin gehen solle, wie die Weitläufftigkeit der Processe verhindert werden möchte. Jedennoch weil dieses schon auf so vielen Reichs-Tagen das Objectum deliberandi gewesen, auch fast jederzeit in Teutschland an dieser Sache gearbeitet, bißhero aber niemahls etwas Fruchtbarliches ausgerichtet worden, sondern weil es bißhero bey den blossen Deliberationibus sine effectu geblieben, so lebe ich des ungezweiffelten Vertrauens, der Alte ehrliche Schlendrian, welcher bißhero so viele rechtschaffene Leute ernähren müssen, werde auch dieses mahl, da er schon etliche Secula gelebet, keine Noth leiden. Solte es jedennoch wider alles Verhoffen geschehen, und rechter Ernst werden, so müste ich doch bekennen, daß man nichts Gutes mehr in der Welt höret, und das wir in rechte böse Zeiten gerathen, darinnen die Frommen eine grosse Verfolgung auszustehen haben; Jndessen wollen wir uns nicht vor der Zeit betrüben, sondern alles in Gedult erwarten, und nichts verabsäumen, was unser Beruff erfordert. Unlängst gedachte derselbe einer wichtigen Vormundschafft, welche mir auf getragen werden [184] könte; Nun muß ich bekennen, daß ich zu dergleichen Verrichtungen eine sonderbahre Zuneigung trage, absonderlich an solchen Orten, wo man sich um der unmündigen Wohlfarth nicht sehr bekümmert, denn hierbey unterweilen noch ein herrliches stücke Brod zu verdienen. Solte es dannenhero noch res integra seyn, und mein Hochgeehrter Herr Bruder könte an bewustem hohen Orte, durch seine nackdrückliche Vorstellung so viel würcken, daß man dießfalls auf meine wenige Person Reflexion machte, so würde meine thätliche Erkäntlichkeit von dem danckbaren Gemüthe zeigen: Denn gesetzt auch die gottlose Welt, und in derselben meine Special-Feinde, würden sagen, man habe den Bock zum Gärtner, oder die Katze zum Mund-Koch gemachet, so kan denjenigen nichts anfechten, welcher ein gutes Gewissen hat, und der Mond höret deßwegen nicht auf zuscheinen, weil ihn ein unbändiger Hund anbellet; Kan ich im desselben Verlangen nach, den mehr gedachten Clienten, nachdem er sein Schul-Recht allhier auch rechtschaffen ausgestanden, noch einmahl zurück schicken, so soll selbiges keines Weges unterbleiben; Ehester Tagen übersende ich ihm einen Ehebrecher, welcher sal- [185] vum Conductum erlanget, zur Defension, dessen Beutels er nicht verschonen wolle; Denn derselbe es nicht besser verdienet. Und so ferne ihm ein Gefallen damit geschiehet, so soll auch in kurtzem ein falscher Müntzer nachfolgen, welcher allhier nicht allzu sicher mehr herum wandern darff, deßwegen er sich gerne zu einen ehrlichen Mann retiriren möchte, um zugleich seines hochvernünfftigen Rathes zu pflegen, wormit ich von Hertzen bin,

Monsieur & tres honore Frere,
Votre tresh. Servit.

DJese beyde Brieffe sind gleich in den ersten Jahren geschrieben, da mein Maitre zu practiciren angefangen. Sein Herr Amts-Bruder gedencket in der Antwort der unter Leuten von seinem Calibre so gar angenehmen Concussionen. Diese hat mir mein Patron bißher mit grossem Nachdruck recommandiret, wenn es hieß: Ein armer Schreiber, der mit dem Copiren nicht viel verdienen könte, und doch als ein Candidatus aureæ praxeos Leben wolte, müste etwas hazardiren und durch allerhand Concurssions-[186]Griffgen den Grund zu seinen Glück und Credit unter seines gleichen legen. Wer sich nicht anfänglich durch einige Streiche signalirete der müste künfftig bey der Zunfft allemahl vor einen Stümper passiren; man müste nicht so gar scrupuleux in puncto des Gewissens seyn. O mon cher Monsieur le Spectateur was halten sie von dieser Methode, sich zu ernähren, wäre es nicht besser gewesen, mein Vater hätte mir vor die Schreibe-Feder den Dresch-Flegel in die Hand gegeben, da er nicht die gewisse Versicherung gehabt, daß mein Gewissen künfftig eben so groß als sein Scheunen-Thor seyn würde. Nein dieses ist allzu enge und ich erfahre es nunmehro erst, da es mir allzuspät zu seyn scheinet, eine andere Lebens-Arth zuergreiffen. Wolte ich gleich wieder nach Hause gehen, und mir die Survivance auf meines Vaters Dienst geben lassen, so möchte es vielleicht der Herr Gerichts-Verwalter nicht gerne sehen, aus Beysorge ich, als ein Studirter und gewissenhaffter Richter, möchte ihm allzutieff in die Karte gucken; zu dem so möchten auch die Bauern im Dorffe sagen, ich müste schlacht staudiret haben, daß ich mich nicht höher als in eine Dorff-Richterey finden können. Wolte ich gleich ein Amt-[187] Amt-Mann werden, so fehlet mir das Geld darzu, und wenn ich endlich auch Geld hätte, meinen Zweck dadurch erhielte, und dabey etwas verdiente, so dörffte mir der Pöbel vielleicht auch das gewöhnliche Scomma ins Ohr sagen: Amt-Leute und Schösser, bauen Häuser, wie die Schlösser; Es kan mir nicht fehlen, sie – – müssen schreiben und lesen können. Da mir nun alle dergleichen Reprochen allzu empfindlich sind; So belieben Sie mir doch in Jhren künfftigen Speculationen einen guten Rath zugeben, wie ich mich bey so bewandten Umständen conduisiren solle; Vielleicht geschicht noch mehrern, die mit dergleichen Kummer, wie ich, gequälet sind, ein grosser Gefallen dadurch. Doch ich muß schliessen, & au Rest je suis,

Mons. le Spectateur
tous le Votre,
Jean d’Ouvertcoeur. ◀Brief/Leserbrief ◀Ebene 3

UBer dieses scrupuleuse Schreiben werde ich vielleicht künfftig meine Gedancken eröff-[188]nen, und will dem Herrn Verfasser vorietzo nur so viel ins Ohr gesagt haben: quod abusus non tollat usum. Er bleibe bey seinem Beruff, nehme sich die Worte: Fürchte GOTT, thue Recht, scheue niemand zum Symbolo, halte sich dabey zu dem Häuffgen der Frommen; denn es giebt doch noch hin und wieder gewissenhaffte, geschickte und gute Advocaten. Und wenn der Pöbel dem ohngeachtet wider seine Professions-Verwandten ins Gelack hinein schändet und lästert, so tröste er sich mit den Worten:

Conscia mens recti famæ mendacia ridet.

Und vielleicht kan ihn sodann das Loß auch treffen, daß er unter die Ausserwehlten mit gerechnet wird, wenn, wie man vermuthet, auch an seinem Orte dasjenige bewerckstelliget werden solte, was des Königs in Preussen Majestät, durch nachstehendes Rescript, nach Antritt Dero löblichsten Regierung, in Dero Residentz-Stadt zu Stande gebracht. [189]

Königl. Preuß. Rescript.
Friederich Wilhelm, König
in Preussen etc.

UNsern. etc. Wir mögen euch hiedurch nicht verhalten, was gestalt wir wahrgenommen, daß, durch die Vielheit der Advocaten und Procuratoren, bey dem Justitz-Wesen allerhand Confusiones und Unordnungen entstanden, wodurch das Land beschweret, die Unterthanen in ihrem Rechte aufgehalten, auch zu unzehligen Klagen Anlaß gegeben worden. Wann wir dann solchen Inconvenientien remediret wissen wollen, als haben wir resolviret, und verordnen hiemit und Krafft dieses, daß

. Hinfüro bey Unserm Ober-Appellations- geh. Justitz-Rath, Hof- und Cammer-Gericht und Consistorio allhier mehr nicht dann 24. Advocaten und eine gleiche Zahl Procuratoren geduldet, denen übrigen allen aber, das Handwerck geleget und sie eine andere Profes- [190] sion zu wehlen und anzufangen angewiesen werden sollen.

. Wollen wir sothanen 24. Advocaten und Procuratoren ein Patent ertheilen, und soll keiner, der von Uns dergleichen nicht erhalten hat, bey dem Judicio, weder in Advocatura noch Procuratura, admittiret werden; dafern aber, dieser Unserer allergnädigsten und ernstl. Willens Meynung ungeachtet, dennoch zu advociren, zu procuriren, oder Memorialien zu machen ein nicht recipirter Advocatus oder Procurator sich unternehmen würde; So soll derselbe, als ein temerairer Ubertreter dieser unserer Verordnung, andern zum Exempel und ihm zur wohlverdienten Straffe, gebrandmarqvet und auf ewig in die Karrn geschlossen werden.

. Damit auch die Advocaten und Procuratores, durch eine modeste und ihnen wohlanständige Kleidung distingviret werden mögen; So sollen die Advocaten wie ehemahl und annoch in vielen judiciis, so in- als ausser Teutschland gebräuchlich ist, schwartz gekleidet, mit einem Mantel biß auff die Knie, die Procuratores aber gleichfalls schwartz gekleidet, [191] jedoch ohne Mantel mit einem Rabbat oder Uberschlag, so biß auf die Brust gehet, einher gehen.

. Solte aber ein Advocat oder Procurator sich dessen wegern, und in- oder ausser Gerichts in einer andern Kleidung erscheinen, wider solchen soll der General-Fiscal so fort sein Amt beobachten und dahin agiren, daß er in Karrn geschlossen werde.

. Und damit wegen des honorarii niemand hinführo sich zu beschweren haben möge, so wollen wir deshalb eine Taxe verfertigen lassen.

. Schließlich soll diese Unsere Verordnung von . May nechstkünfftig den Anfang nehmen und von solcher Zeit an steiff, fest und unverbrüchlich darüber gehalten, auch wider die Contravenienten, mit der angedroheten Straffe verfahren werden.

Welchem nach wir auch hiemit allergnädigst anbefohlen, euch fordersamst zusammen zuthun, alle und jede Advocaten und Procuratoren bey denen euch anvertrauten Judiciis, ohne Säumniß für euch zu bescheiden, ihnen diese Unsere [192] Verordnung, damit niemand mit der Unwissenheit sich entschuldigen möge, zu publiciren und bekannt zu machen, und über selbige mit gehöriger exactitude zu halten. Hieran geschiehet Unsere eigentl. Willens Meinungs und seynd. etc. Cölln den . May 1713.

F. Willhelm.

An

die Præsidenten bey dem Tribunal.

geh. Justitz-Rath. Cammer-Gericht

und Consistorio.

C. Fr. Freyh. von Bartholdi. ◀Ebene 2 ◀Ebene 1