Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "II.", in: Leipziger Spectateur, Vol.4\002 (1723), S. 163-167, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2553 [aufgerufen am: ].


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II.

Zitat/Motto► Cum semel a te carmen profectum est, jus omne perdidisti. Oratio publicata, res liberata est. Symachus. ◀Zitat/Motto

Zitat/Motto► Hat einmahl deine Schrifft das Tage-Licht erblickt,
So hast du alles Recht zum Eigenthum verlohren,
Sie wird von jedermann zum Gegenwurff erkohren,
Darauf man Zung und Schwerdt, als scharffe Richter, zückt. ◀Zitat/Motto

Ebene 2► Ebene 3► Metatextualität► WEr etwas durch den Druck gemein macht unterwirfft sich sehr viel Ungelegenheiten und Unruhen. Jch will dieselben erzehlen, wie sie mir einfallen. Die erste ist, daß die Leser selten den rechten Endzweck einer Schrifft beurtheilen. Etliche halten dafür, der Auctor suche, es koste was es wolle, es dahin zubringen, daß man von ihm reden solle: Andere, er bemühe sich, für denen übrigen Kennern der Wahrheiten etwas besonders zuhaben. Einige er suche damit Geld zu verdienen, und also sehen sie die Schrifft eines Autoris an, als ein armes Kind, das seinen armen Vater ernähren soll; Einige, [164] der Autor suche vielleicht nur Gelegenheit, diesen oder jenen anzustechen, oder er wolle dadurch Ehren-Stellen verdienen, sich bey diesen oder ienen insinuiren etc. Selten ist jemand, der, wenn auch schon der Autor die wahre intention hätte, seinem Nächsten zu dienen, ihm die Justice thäte, und es glaubte. Zum andern, wenn auch schon nun iemand den rechten wahren Endzweck des Autoris trifft, so ist man selten so vernünfftig, die Arth und Weise, wie er seinen Endzweck zuerhalten sucht, ohne Passion zubeurtheilen. Man fodert von dem Autore alle Vollkommenheiten mit der strängesten Schärffe. Diejenigen, welche von eben der Materie schreiben, oder damit umgehen, wetzen für andern ihren neidischen Stachel darauf. Man ließt mehr, die Sachen zu tadeln, als sich daraus zuerbauen, man mag Verstand davon haben oder nicht. Öffters hält man eine Schrifft, ein Manuscript, für ein Oracul, wenn sie edirt wird, trägt man sie zum Materialisten. Man macht über die geringsten Fehler schrecklich viel Aufhebens. Man urtheilet die Sachen nach der Beschaffenheit der Persohn. Ein unvernünfftiges Werck eines berühmten Mannes wird für unstreitig gut gehalten, und hingegen eine nette Schrifft eines unbekanten und unberühmten Verfassers findet selten den rechten Beyfall. Auch [165] die Persohn, der eine Schrifft dediciret ist, macht daß man eine Schrifft hochhält, und es darff hingegen nur ein angesehener Mann von derselben ein übles Urtheil, vielleicht aus Unverstand, fällen, so liegt zugleich der gantze Credit derselben über einen Hauffen. Man legt wol gar das Böse in einen Buche dem Verfasser bey, und hingegen das Gute darin siehet man vor fremde Federn an, damit der Verfasser sich geschmückt habe, wenn man zumahl in Schlüssen und Sachen eine Gleichheit mit einem andern zufinden an meynet, ohngeachtet wohl beyde von einander nie gewust. Man schliest gar sehr leicht von einer ungeschickten unbedachtsamen Expression eines Verfassers auf einen bösen Willen, und macht ihn mit leichter Mühe zum Ketzer, Pasquillanten und weiß nicht zu was für ein Monstrum. Man sieht mehr auf die Worte, den Format, das Papier, die Kupfer, den Titul, den Verleger, den Druck, den Ort, die Allegata, die Seltsamkeit der Materie, als auf den Werth, Nutzen und Abhandlung derselben. Man dichtet dem Auctori Dinge an, davon er ihm niemahls träumen lassen. Man fodert, er solle die Sache vorgetragen haben, wie man es, vielleicht aus Vorurtheil und eitler Neigung, für gut befindet. Und wenn er es vielleicht noch so gut gemacht, so weiß man es ihm doch wol schlechten Danck. [166] Zum dritten, ist zuweilen die Aufführung der eigentlich so genanten und dazu bestimten censorum, ohne deren Erlaubniß nichts herfür kommen darff, ebenfalls eine fast unerträgliche Incommodität derer, die etwas schreiben. Denn die Herrn Censores sind zuweilen so von Vorurtheilen und andern die Wahrheit und honnete Absicht des Autoris hindernden Dingen eingenommen, daß sie manche Schrifft recht lästerlich zerstümmeln, die Wahrheit verhindern und unterdrucken den rechten Zusammenhang eines Wercks unterbrechen, und ihr Amt der Censur zum Schaden des Wercks, des Auctoris, des Lesers, und der Nach-Welt anwenden. Jnzwischen bin ich, was mich betrifft, mit meiner eigenen Arbeit nicht recht zufrieden. Denn nur etwas zugedencken, so ist in der ersten Speculation, ohne mein Wissen und Willen, ein Gedicht angehänget, welches ich (weil ich mein Manuscript, so bald es von mir auf die Post gegeben:) nicht eher wieder zu Gesichte bekommen, als nach etlichen Wochen, da die erste Speculation völlig gedruckt, auch die Beydruckung erwähnten Gedichts nicht mehr zuhindern gewesen. Es stehet da, mein Vorsatz sey, manchmahl, zu Erfüllung des übrig bleibenden Raums Gedichte zu communiciren; Allein ich prætendire nicht, meine Speculationes in einen Platz einzuschrän-[167]cken, da man Ursache habe, ein Vacuum zu füllen. Zudem so habe ich mich gleich Anfangs erkläret, mich in Staats- und Theologische Affairen nicht zu meliren, sondern nur den Leuten ihm gemeinen Leben zu dienen, und über der Welt-Lauff meine Betrachtungen anzustellen. An dem Gedichte selbst wäre auch noch eines und das andere zu erinnern. Jedoch ich will nur jetzt den Leser ersuchen, mir den Zusatz desselben nicht zuzuschreiben. ◀Metatextualität ◀Ebene 3 ◀Ebene 2 ◀Ebene 1