Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "VI.", in: Leipziger Spectateur, Vol.3\006 (1723), S. 145-152, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2551 [aufgerufen am: ].


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VI.

Zitat/Motto► Prorsus admirabile videtur, hoc Scythis naturam dare, quod Græci longa Sapientum doctrina, præceptisque Philosophorum consequi nequeunt, cultosque mores incul tæ barbariæ collatione superari. Tanto plus in illis proficit vitiorum ignoratio, quam in his cognitio virtutis. ◀Zitat/Motto

Justin. L. . C. .

Zitat/Motto► Jst das nicht wunderns-würdig, daß die Scythen etwas von Natur an sich haben, welches die Griechen bey aller ihrer Philosophie und Bemühung in der Moral nicht erlangen können? Und daß eine solche polite Nation in guten Sitten von denen Barbarn übertroffen werde? Gewiß es muß denen Scythen mehr nutzen, daß sie die Laster nicht wissen, als denen Griechen, daß sie die Tugend kennen. ◀Zitat/Motto

Ebene 2► Ebene 3► Fremdportrait► WJr haben verwichene Messe an besonderen Merckwürdigkeiten nichts ausnehmendes und wunderns-würdiges gehabt, ausser den so genannten starcken Mann und zwey Americanische Printzen. Die Wunder, welche der starcke Mann thut, sind so beschaffen, daß ein jedweder, [146] welcher ihm einen Menschen vorstellet, der so viel Stärcke als drey andere hat, und dabey seine Sachen ein bißgen mit Manier zu machen weiß, selbige auch aus blosser Erzehlung anderer ihm als möglich einbilden, und seine Curiosität vergnügen kan ohne ihn zu sehen. Allein die Americanische Printzen, sind wegen ihrer Herkunfft, wegen ihrer Leibes- und Gemüts-Beschaffenheit, wegen ihres Führers und Dollmetschers, gewißlich sehens-würdig. Sie sind aus dem Nordlichen America, und würckliche Printzen aus vornehmen Americanischen Geschlechte, dann gemeiner Leute Kinder sind nicht mit so vielen besondern Figuren bezeichnet. Es kan seyn, daß sie ihr Vater-Land ohnweit der Englischen Provintz Carolinien und dem Missisippi haben. Der älteste ist 27. Jahr alt ohngefehr, und heist Sauase Oke Charinga, prætendiret anbey von dem alten Königl. Stamm der Könige in Neu Mexico seinen Ursprung zu haben. Der andere gehet diesen mit Verwandschafft und sonst nichts an, als daß er fast um eben den Strich von America sein Vaterland hat, ist 23. Jahr alt, und heist Tusskee Stanagee. Beyde haben das Unglück gehabt, daß sie von ihren Feinden gefangen worden im Kriege, und diese hätten nach Landes-Gebrauch wohl das Recht gehabt, sie umzubringen, sie haben aber lieber einem Englischen Capitain als dem Tode, ihr geraubtes Gut überantworten wollen. Jhre Lebens Art, als sie noch frey gewesen, ist ziem-[147]lich nach der Beschaffenheit dererjenigen Zeiten eingerichtet gewesen, welche gleich nach dem Stande der Unschuld gefolget. Sie haben zwar an keine Gottheit sonderlich gedacht, doch sind sie nackend gegangen, und nur mit einem Schurtz um die Lenden bedeckt gewesen, haben sich niedergeleget zu schlaffen, wann sie müde gewesen, getruncken und gegessen wann ihnen gedurstet oder gehungert, und sie was gehabt haben, und ihre Nahrung auf der Jagd der wilden Thiere, und in der Erde an Kräutern und Wurtzeln gesucht. Jhre Leiber sind mit allerhand sehr accurat gezeichneten Figuren bezeichnet, und im übrigen von einer netten Taille und Proportion. Der ältere ist etwas länger als der jüngere, und hat eine vollkommenere Manns-Länge. Die Figuren an ihrem Leibe sind sehr artig zu sehen, ich glaube zwar nicht, daß dieselben Figuren Hieroglyphische Figuren vorstellen und Jndianische Caracteres, wie der davon gedruckte Zettul meldet, doch sind die Figuren sehens-werth, sie sind in der zarten Jugend ohngefehr im . oder ten Jahre von ihren Eltern also gezeichnet worden. Diese haben erstlich die Figuren nach ihrer Phantasie abgezeichnet, hernach mit denen Klauen junger Vögel die abgezeichneten Plätze blutrünstig gemacht, ferner in diese blutende Zeichnung den Safft einer Americanischen Wurtzel getröpflet oder Ruß hinein gestreuet, daraus mit der Zeit blauliche Figuren [148] entstanden, welche auf einem beynahe Caffé-farbenen Leibe nicht übel stehen. Die Figuren gehen von dem Halse bis an die Hände und in die Knie-Kehlen über den gantzen Leib. Der älteste hat im Gesichte auch auf einer Seite eine Schlange, auf der andern einen Mond gezeichnet, auf den Brüsten hat er zwey Sonnen, davon die Wartze der Mittel-Punct ist. Auf dem Leibe hat er ein Creutz, daraus nach einer sehr accuraten Zeichnung unterschiedliche Liniamenten und Figuren entspringen, die aber von keiner hieroglyphischen Kunst, sondern nur von der Phantasie des Zeichners dependiren. Gleichwie diejenigen Figuren, welche der jüngste an seinem Leibe hat. Die Figuren sind etwas erhaben über die andere Haut, wie man ohngefehr eine gestäubte Tapezerey sehen möchte. Sie tragen solche Röcke und Hembden, die sie gleich gantz öffnen können, wenn iemand sie zu sehen verlanget, wiewohl sie sich auch zuweilen völlig entkleiden. Allezeit aber sind sie betrübt, wenn sie sich zeigen und entblössen sollen, und der ältere schämet sich, daß er solche Figuren im Gesichte habe. Jhre Physiognomie ist nicht die beste, und zeuget von ihrer wilden Ankunfft, wie nicht weniger ihre kohlschwartze und harte Haare auf dem Haupte. Dennoch scheinen sie viel Großmuth und Ehrlichkeit zu haben, und man sagt, sie wüsten nicht was Falschheit und Lügen wäre, wider welche Dinge man hier zu Lande die [149] gantze Moral und Philosophie, auch wohl Theologie und Conversation aufbietet, und doch ihrer nicht loß werden kan. Wannenhero ich mich billig der Worte des Justini erinnert, welche ich oben angeführet, ingleichen dessen, was Thomasius in der Einleitung zur Sitten-Lehre, p. 147. gesagt: „Die Barbarischen Völcker haben überhaupt viel raisonnabler gelebet, als die so genannten Gentes moratiores. Und was Reimmann in der Historia Literaria der Teutschen anführet, Tom. II. p. 22. daß es durch die vielfältige Einstimmung der Exempel fast zu einer allgemeinen Regel worden, daß sich bey denen so genannten Nationibus Barbaris mehr Wahrheiten antreffen lassen, als bey denen Gentibus politioribus, die sich mit ihrer Weißheit nicht anders, als weyland die Pharisäer mit ihrer Gerechtigkeit zu brüsten pflegen.“ Diese Printzen wollen ferner gerne Christen werden. Der jüngste vertreibet seine Zeit mit Zeichnen und mahlen, und ohngeachtet er nur seine Muttersprache und dabey einige andere Americanische Sprachen, und etwas Englisch kan, wie sein Compagnon, so zeichnet er doch die Lateinischen Buchstaben über die Städte, welche er gezeichnet und mit Farben illuminiret, daß es nicht sauberer seyn kan. Beyde führen sich in Gesellschafft gar wohl auf, lassen sich alles, wenn sie tractiret werden, wohl schmecken, rauchen gerne Taback, trincken gerne Wein, schlaffen gerne in weichen Betten, ohngeachtet sie nicht dabey auferzogen. Son-[150]derlich gefält es ihnen hier zu Lande, vornehmlich in Dreßden wohl. Sie können auf Reisen gut wandern, die Wege wohl finden, wenn sie ihnen schon unbekannt, auch die Gassen einer Stadt augenblicklich kennen lernen, und verlieren sich nicht leicht. Der jüngere scheint noch aufgeweckter als der ältere zu seyn, und wenn sie untereinander ihre Sprache reden, so scheint der jüngere fleißig zu schertzen, darüber der ältere Gelegenheit zu lachen bekommt. Jch glaube, daß sie solten fähig seyn, vieles zu lernen und mit der Zeit zu præstiren, allein sie müsten von ihrem Führer wegkommen. Selbiger ist ein Englischer Capitain, der sie mit aus America gebracht, nachdem er sie von ihren Feinden loßgekaufft, nachgehends in Engelland gehalten, und nunmehro zur Schau herumführet, auch sie Jhro Majestät in Pohlen, unserm Allergnädigsten Herrn, um 1000. Rthl. zu Kauff geboten hat. Woferne er sie gleich anfänglich, ohne iemand zu zeigen, Jhro Majest. zu einem Präsent offeriret hätte, würden vielleicht Dieselben solches allergnädigst angenommen, und den Capitain mit einem Präsent, das mehr als 1000. Rthl. werth gewesen, nach Dero bekannten Königlichen Großmuth allergnädigst begnadiget haben. Nunmehro da der Capitain sie bereits zum Spectacul herumgeführet, und so zu reden gemein gemacht hat, weiß ich nicht, ob Jhro Majestät selbige annehmen, und sich von ihm einen Preiß setzen [151] lassen möchten. Es müste dann seyn, daß Jhro Majestät aus Königlichem Mitleiden und Hulde sich zweyer armen Menschen Seelen erbarmen, sie dem Führer abnehmen, in die Christliche Religion aufnehmen, und in ein und andern unterrichten liessen, zumahl den jüngern, welcher gewiß nicht wenig Capacité besitzet, da er vor sich ohne Lehrmeister, gar artig zeichnen gelernet. Denn der Führer, nehmlich der Capitain, wird ihnen solche Wohlthat nicht leicht wiederfahren lassen, damit ihm sein Gewinst nicht entgehe. Er ist ein gebohrner Engelländer, und es ist seltsam, daß er weder Frantzösisch noch Teutsch kan, und noch vielmehr, daß sein Dolmetscher nicht recht Frantzösisch gelernet, ohngeachtet beyde auf Reisen dazu die beste Gelegenheit gehabt. Jch habe mich über die besondere Curiosität der Leute bey Besichtigung dieser Printzen verwundert, da ich sie selbst sehr offte in Geselschafft anderer gesehen, und zumahl habe ich mich über dererjenigen Curiosität verwundert, welche so eigentlich sich nach der Beschaffenheit ihrer Geburts-Glieder erkundiget, darinn meines Bedünckens, quoad Essentialia, eine Manns-Person der andern, und eine Weibs-Person der andern durch die gantze Welt gleichet. Viel besser hätte es gelassen, wenn man um die Gemüths-Beschaffenheit derselbigen sich genauer bekümmert, und bey Befindung, daß sie viel Ehrlichkeit gehabt, und nicht lügen gekonnt, sich geschämet, (dann ich glaube [152] nicht, daß unter uns iemand sey, der nicht lügen könne,) aber auch gebessert hätte. Und wenn man unter uns, ich mag wohl sagen in der Teutschen Welt, nicht wird anfangen die verdammte Heucheley, Lügen und Verstellung zu abandonniren, so wird es uns eine ewige Schande bleiben, daß wilde, Heydnische Americaner etwas von Natur præstiret haben, welches den Schuldigkeiten eines Menschen gemäß ist, und welches wir, als vermeynte polite und polirte Leute, bey aller unserer Moral, Theologie, Philosophie und Geschicklichkeit zu leisten nicht vermögend sind. ◀Fremdportrait ◀Ebene 3 ◀Ebene 2 ◀Ebene 1