Zitiervorschlag: Anonymus (Hrsg.): "IV.", in: Leipziger Spectateur, Vol.1\004 (1723), S. 18-25, ediert in: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Hrsg.): Die "Spectators" im internationalen Kontext. Digitale Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2539 [aufgerufen am: ].


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IV.

Zitat/Motto► Aethereas lasciue cupis volitare per auras.
I, fuge; Sed poteras tutior esse domi.
◀Zitat/Motto

Martialis Lib. I. Epigr.

Zitat/Motto► Da dich ein blosser Wind ans freue Licht getrieben.
So geh und fleuch; du wärst zu Hause sichrer blieben.
◀Zitat/Motto

Ebene 2► Ebene 3► Selbstportrait► ES geht bald allen Leuten, die etwan einen lustigen Einfall haben, wie dem Elihu, dem Sohn Baracheel von Bus beym Hiob am 32. Denn dieser meinte, er sey der Rede so voll, daß ihn der Odem in seinem Bauch ängstigte, sein Bauch sey wie der Most, der zugestopfft wäre, der die neuen Fasse zurisse, also müste er reden, daß er Odem hohlte. Jch habe zwar meine Gedancken nicht im Bauche, aber doch geht mirs, wie dem Elihu. Jch hatte in willens meine moralische Schau-Bühne mit einem Lust-Spiele, oder vielmehr einem excremento meines Ingenii zueröffnen, und ohngeachtet ich bey reiffrer Uberlegung befand, daß zwar dergleichen Dinge weit angenehmer, aber doch nicht so nützlich meinen Lesern in dieser Stadt seyn möchten, so schiene es doch, als wann ich Anfechtung von so Winden bekäme wie [19] Elihu, wann ich nicht die Erfindung meines Ingenii mit zum Vorschein brächte. Dannenhero habe ich mich endlich entschliessen müssen, selbige hier mit einzubringen und meine Leser mögen sehen, wie sie sich selbige zu Nutzen machen.

Der alte Diogenes, welcher als ein weiser Narre vor langen Zeiten in Griechenland, mit seiner Laterne Menschen gesucht, und nicht sonderlich in seiner Bemühung glücklich gewesen, daß er selbige gefunden hätte, konte länger in seinem Grabe nicht Ruhe haben. Die Gelehrten in Teutschland hatten mit ihren Journalen und andern Schrifften einen solchen Lermen gemacht, daß gantz Europa davon erschüttert, und also auch das Grab dieses Alten, davon erbebete. Weil er nun vor grossem Verdruß, daß er in seinem Suchen so unglücklich gewesen, sich halb schlafftruncken, und gantz abgemattet, niedergeleget (es kan wohl seyn, daß ihn sein Faß, welches er so fleißig geweltzet, am meisten mitgenommen) war er bey dem entstandenen Lerm wider munter worden, hatte seine Laterne zur Hand gekriegt, und war allmählich unter der Erde fortgekrochen, als wann er von einem Moscovitischen Popen einen unterirrdischen Reise-Paß gehabt hätte, um sich an den Ort zu begeben, wo der Haupt-Tummel-Platz derer schwärmenden Gelehrten anzutreffen. [20] Nachdem er nun dem Schalle nachgegangen, und eine ziemliche Ecke sich unter der Erde durchgegraben, war es ihm endlich fürkommen, als wann er nun unter dem Ort wäre, da er hingedächte, und in Meynung, hier in seinem Vorhaben glücklicher zu seyn, hatte er geschwinde in die Höhe durchgebohret und sich auf dem Schau-Platz der Welt dargestellet. Kaum war er an das Licht getreten, so hörte er überall ruffen: Wahrheit, Liebe, Vernunfft, vernünfftige Menschen, Christen, Freundschafft, Gelehrsamkeit, Weißheit. O wie freuete er sich damahls in seiner Seele, indem er gedachte, hier würde er lauter Menschen in grosser Menge antreffen, er war auch bereits entschlossen, seine Laterne, als ein nunmehro unnützes Werckzeug von sich zu werffen, als er unversehens einen solchen Treffs auf sein Capitolium kriegte, daß ihm Hören und Sehn hätte vergehen mögen. Denn es ist zu wissen, daß er in Teutschland und einer von dessen vortrefflichsten Provintz Ober=Sachsen, herfürgekrochen war, und sich aus Unbedachtsamkeit durch einen Breternen Boden gebohret hatte, in Meynung es sey ein Faß, da er dann justement eines Gelehrten Catheder eingenommen, welcher, weil er ihn, seines rostrigen Habits und beschmutzten Gesichts wegen, nicht für Zunfftmäßig wolte passiren [21] lassen, ihn mit einem so herrlichen Willkomm regalirete. Ja was noch mehr, eben dieser, den er ohne Schuld und Vorsatz zu depossediren schiene, schmieß ihn mit einer Syllogistischen Fackel so jämmerlich um den Kopff, und von den Bäncken der Zuhörer, kamen so viel Metaphysiquen auf ihn zugeflogen, daß er aus Furcht darunter zu ersticken, das weiteste suchte, und reißaus gab. Allein ob er nunmehro schon vom Catheder herunter, und aus dem Gedränge der Lateinischen Männer entwischet war, so war doch damit seine Noth noch nicht beschlossen. Er befand sich in einem Hause, und da er in der Eilfertigkeit das Loch suchte, das der Zimmermann gelassen hatte, so wuschen zu seinem Unglück die Leute im Hause, und er war so tölpisch, daß er einen Korb mit Wäsche umschmieß, und deswegen, ehe er sichs versahe, dermassen von den Wasch-Weibern mit Waschbläueln empfangen wurde, daß er schweren sollen, es regnete Brenn-Holtz. Doch machte er sich auch hier taliter qualiter loß, aber an der Thüre erregete sich ein neuer Sturm. Die Frau vom Hause unterredete sich mit ihrem Galant, wegen einer Spatzierfahrt in die Cyprische Felder in der Thüre, und weil der gute Diogenes in Griechenland nicht so viel Complimente gelernet hatte, daß man: Mit Dero gütigen Erlaubniß, sprechen müsse, wenn man zwischen [22] zweyen Leuten mitten durchgienge, so muste er bey Unterlassung dieses Compliments leiden, daß ihn Madame einen alten Narren hieß, der nicht zu leben wisse, und Monsieur meinte, hier wäre es Zeit seinen Eifer für seine Inclination sehen zu lassen, also gab er dem armen Schelm einen Rippenstoß, und convoyrte ihn mit etlichen Dutzend Hundsf‒ ‒. Nun war er zwar in der freyen Lufft, allein er hatte Ursach zu beklagen, daß er nicht das tempo in acht genommen, und sich zurück wieder in die Erde, wo er hergekommen, retirirt hatte. Denn da er einige Schritte fortgewandert, kam er an ein Hauß, wo die Studenten schmauseten, und diese beehrten ihn mit einer nassen Salve dermassen, daß er sicher glauben konte, das Wasser sey nässer als die Lufft. Hierüber wurden die Schul-Jungen rege, daß sie Hauffenweise ihm nachlieffen, der Bettel-Vogt war mit seiner Peitsche hinter ihm drein, als er kaum das Thor erreicht hatte, und die Schildwache versetzte ihm zu guter letzt noch eins mit dem Ober-Gewehr, daß er endlich dem Appollini danckte, daß man ihn nicht gar zur Fricassé gemacht. Hier stand nun der wackere Mann und verwunderte sich, daß ihm alle Elementa, auf Befehl der Creaturen, die er anfänglich ohnbesehens für Menschen gehalten hatte, den Krieg angekündiget. Er bereuete sein Unternehmen als eine [23] Thorheit, seine Laterne war in dem Getümmel meist drauf gegangen, daß auch kein Horn mehr gantz daran war, seine Augen waren von dem jählingen Jrrwisch der Fackel gantz verblendet, und er wolte wiederum sich eingraben, als Mercurius zu ihm kam, ihn seines erlittenen Ungemachs wegen zu trösten. Dieser verwieß ihm seinen gefasten Entschluß, daß er sich wiederum abzuführen gedächte, stellte ihm für, daß die Zeiten sich geändert hätten, die gantze Welt viel politer worden, und zumahl das Land, darinn er sich befände, eines der galantesten und politesten Länder sey, da es wahrhafftig nicht wenig Menschen gäbe, wenn er sich nur die Mühe nehmen wolte, selbige zu suchen. Diogenes horchte trefflich bey diesem Antrag, und replicirte, daß man ihn ja niemahls in Griechenland zeit seines Lebens so tractirt hätte, als diese Stunde allhier geschehen wäre; allein Mercurius bliebe dem ohngeachtet dabey, es gäbe hier viel Menschen, er solte selbige suchen, nur müste er in einem andern Habit, und mit andrer Manier es machen, als in Griechenland, sonst würden ihn freylich die andern Creaturen, so gleich andern Menschen auch aufgericht giengen, schrecklich herum nehmen. Endlich, nach langem Wortwechseln und Deliberiren, resolvirte sich Diogenes dem Mercurio zu folgen, und Menschen zu suchen, damit er, wenn er selbige fände, Gelegenheit bekäme, [24] andern zu nutzen, wenn er aber irgends auf eine unvernünfftige Bestie stiesse, die sich unter der Masque der Weißheit verstecket, so wolte er selbige entlarven, und ihr die Wahrheit sagen. Mercurius verschaffte ihm so fort den Staat, welchen ein Gelehrter und galant homme zu führen pfleget, an die Hand, daß er nunmehro in einem Frantzösischen Habit, Pariser Perruque und dergleichen sich konte sehen lassen. Er rieth ihm von den heutigen Avanturen nichts zu gedencken, seine Laterne solte er ihm aufzuheben geben, an statt derselben sich einer pappiernen bedienen, und ja bey Leibe mit seinem Nahmen nicht prahlens machen, denn sonst hätte man ein übles Beywort dazu, vielmehr solte er sich den Leipziger Spectateur nennen. Er lernte ihm darauf tantzen, fechten, Caffée und Choccolate trincken, auch Toback rauchen, und nachdem er ihm viel heilsame Lehren mehr gegeben, wie er auch dem Frauenzimmer beykommen könte und dergleichen, so stellte er ihm letzlich Mr. Richard Steele als ein vollkommenes Muster für, nach dessen Aufführung er sich zu richten hätte, versorgte ihn mit dem hauptsächlichsten Kennzeichen eines Menschen, nehmlich mit einem Beutel voll Geld an statt des leeren Fasses, welches er in Griechenland geführet, und einer silbern Tobacks-Dose, an statt der höltzern Schaale, [25] die er ohne dem schon in Griechenland als einen unnöthigen Haußrath weggeworffen hatte. Nun lebt also Diogenes en Spectateur, der Herr Verleger hat ihm eine pappierne Laterne, die man in die Tasche stecken kan, gegeben, und an den Herrn Verleger hat ihn der Mercurius selbst eigenhändig recommandiret, weil er mit demselben in vertrauter Freundschafft lebet. ◀Selbstportrait ◀Ebene 3 ◀Ebene 2 ◀Ebene 1