Référence bibliographique: Anonymus (Éd.): "II.", dans: Leipziger Spectateur, Vol.1\002 (1723), pp. 7-11, édité dans: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Éd.): Les "Spectators" dans le contexte international. Édition numérique, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2537 [consulté le: ].


Niveau 1►

II.

Citation/Devise► Melius est intacta iura seruari, quam post causam vulneratam remedium quaerere. ◀Citation/Devise

L. vlt. Cod. in quib. causs. rest. in int. nec.

Citation/Devise► Der Frevel, welcher sich an die Gesetze wagt,
Wird leicht durch tapfern Muth und Witz zurück gejagt;
[8] Bricht aber eine Fluth der Rechte Damm in Stücken,
So bessert man nicht leicht die ausgewaschne Lücken.
◀Citation/Devise

Niveau 2► Niveau 3► Allegorie► MAn bemercket durchgängig an allen Dingen, die im menschlichen Leben zum Vorschein kommen, daß eine Sache, welche einmahl der Corruption unterworffen gewesen, nicht so leicht wiederum ergäntzet, oder in die vorige Vollkommenheit gesetzet werden kan. Ein Gefäß, das einmahl zerbrochen ist, muß entweder gantz und gar weggeworffen werden, oder wenn es ja wieder zusammen gestücket wird, thut es nicht mehr die Dienste, die es sonsten hätte thun können, und wird es umgeschmoltzen, damit es zur vorigen Gestalt gelange, so verlieret es dennoch etwas in der Arbeit. Eine Pflantze, die einmahl eingeknickt, einen Baum, der einmahl den Wurm bekommen, wird man niemahls in der vorigen unverletzten Schönheit wiederum erblicken. Je zarter, je vortrefflicher, je vollkommener eine Sache ist, je leichter wird sie zerbrochen oder verdorben, und je schwerer wird es dennoch nachgehends, selbiger die gehabte Fürtrefflichkeit und Annehmlichkeit wiederum zu geben. Diese Bewandniß hat es mit denen zartesten Gemüthern der Kindheit, man siehet sein Vergnügen an ihrer Unschuld, die allerdings in Ansehung der folgenden Zeiten sodann noch in ihrer Vollkommenheit ist, man muß bey einigen die unerschrockene Aufführung bewundern, welche sich auf [9] nichts anders als auf ihre Unschuld gründet, vor anderen ihre grosse Eingezogenheit und sittsames Wesen. Die Lebhafftigkeit ihres Gemüths, welches ihm noch nichts Böses bewust ist, bringet bey ihnen so viel angenehmes herfür, daß man zuweilen nur gar zu gern sie in der Gesellschafft hat. Aber ach, wie gar leichte ist es doch geschehen, daß diese reine Gefässe mit Gifft gefüllet werden, oder zerbrechen! Wie leicht ist es, daß ein Wirbel-Wind, oder eine ungewaschene Hand die zarten Pflantzen einknickt, oder sie beflecket, daß sie ihre Schönheit verlieren, wie leicht können die Bäumgen verletzt werden, daß sie den Wurm bekommen, und hernach lauter wurmstichige Äpfel bringen. Dennoch sind Eltern, Vorgesetzte, und sonderlich die, so mit den Kindern umgehen, so nachläßig, daß sie hierauf zuweilen nicht einmahl acht haben, da doch, was hier versäumet wird, denen Kindern schadet, so lange sie leben, und der Gesellschafft, darinn sie leben. Was die Eltern dabey versäumen, will ich jetzo nicht ausführen, auch nicht was eine solche Verwahrlosung der Republique schade; Denn beydes ist so weitläufftig, daß ich es biß auf bequemere Zeit verschiebe, es ist auch handgreifflich! Aber man bedencke nur, was einem honetten Gemüthe für eine Marter und Unruhe bringe, die einmahl aufgebrachte Neigungen zu besiegen, und sich derselben zu entbrechen. Und zu dieser Marter giebt derjenige den ersten Henckers-Knecht ab, der bey ihnen eine noch unbekannte Lust zum Laster rege macht, und ihnen ein sol-[10]ches innerliches Brandmahl einbrennt, davon sie den Schmertz in ihrer Seele, so lange sie leben, herum schleppen müssen. Wer nun sonst schwache Kinder dem Fall nahe sieht, wenn es auch nicht seine eigene sind, ist niemahls so unbarmhertzig, daß er ihnen nicht mitleidig eine hülffreiche Hand bieten solte. Warum will man sich denn so grausam gegen ihnen bezeigen, und sie in Gefahr stürtzen, die Ruhe ihrer Seelen auf Lebenslang zu verlieren, und nicht vielmehr alle mögliche Behutsamkeit hierinne gebrauchen, ihnen alle Gelegenheit zur corruption zu benehmen, alles Böse aus den Augen, und alle Steine des Anstossens aus dem Wege zu räumen. Also thäte man wohl, wenn man ihnen nicht hiesse jemand schlagen, oder ihnen Geld zeigte, sie zu befriedigen, denn jenes giebt zum Ehrgeitz und Zänckerey, dieses zur Begierde nach Gelde Gelegenheit. ◀Allegorie ◀Niveau 3 Niveau 3► Exemplum► Jch war neulich in einer vornehmen Versammlung, da das Haupt derselben mir nebst andern viele Gewogenheit bezeigte. Er hatte eine kleine Tochter, welche die Jahre ihrer zartesten Jugend, ein artiges und wohlgebildetes Gesichts, und das unschuldige Wesen vollkommen angenehm machten, daß einer und der andere von unsrer Versammlung selbiger Douceurs bezeigten. Unter andern fand sich jemand, dem es an geschickter Aufführung in nichts ermangelte gegen die übrigen Herren der Gesellschafft, welcher doch in dem Umgange mit diesem zarten Kinde seine Behutsamkeit in etwas fallen ließ, daß er ihr das Halstuch zurück schlug, [11] und sich um die Beschaffenheit ihrer Brüste mit Augen und Händen erkundigte, als er sonst bey erwachsenen hätte thun mögen. Seine Curiosität würde ihn zwar nicht weiter getrieben haben, denn er war sonst ein ehrlicher Mann, dennoch ware das, was er bereits vorgenommen, hinlänglich, den Vater zu bewegen, seiner Tochter zu verbieten, fernerhin bey uns zu seyn, und mich auf die Gedancken zu bringen, welche ich hier vorgetragen. Dazu ich nichts mehr füge als dieses, daß die Coquetterie ein Laster sey, dafür artiges und wohlgebildetes Frauenzimmer sich am meisten zu hüten, aber auch dazu am leichtesten könne gebracht werden, wenn man bey Zeiten in der Kindheit ihnen beybringt, ihre Brüste wären die Lockspeise Männer zu fangen. Jch glaube, daß denen so zeitig verletzten Gesetzen der Keuschheit, so wenig durch unendliche Bemühung der Eltern, und durch ängstlichen eigenen Streit und Arbeit ein Genügen geschicht, als man einer angebrannten Speise den gehörigen Geschmack durch Gewürtz wieder zugeben vermögend ist. ◀Exemplum ◀Niveau 3 ◀Niveau 2 ◀Niveau 1