Leipziger Spectateur: I.

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Der
Leipziger
SPECTATEUR.
I.

Zitat/Motto

Non est inhumanum, sed potius summa quaedam humanitas, cum multi paucorum animaduersione saluantur.

Non. 30. c. 11.

Zitat/Motto

Dein Leben und dein Thun beleucht ich, lieber Mann,
Und warum siehst du mich denn nun so flämisch an,
Viel andre können sich an deinem Wesen spiegeln;
So kanst du nicht mit Recht mich als unhöfflich striegeln.

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Selbstportrait

SUchte vor Zeiten Diogenes in einer der volckreichsten, galantesten und politesten Städten, nemlich zu Athen, Menschen, so würde er, wann er ietzo lebte, sich nicht verdriessen lassen in dem Pleiß-Athen seine ehmahlige Bemühung zu wiederhohlen. Pranget das grosse Londen mit seinem Richard Steele, und erbauet sich aus dessen Speculationibus, so verdienet das artige Leipzig, eine gleiche Ehre. Creaturen findet man überall in grosser Menge, die aufrichtig einher gehen, und denen im äusserlichen zuweilen nichts mangelt, was einen Menschen ausmacht, allein solte ein Steele seine Speculationes dabey anstellen, so würde er nichts menschliches finden, wenn ihm auch 10. Diogenes dazu leuchteten. So wenig als Londen, Athen und Leipzig in völliger Gleichheit stehen, so wenig verlanget der Verfasser gegenwärtiger Schrifft mit Diogene und Steelen in Vergleichung gezogen zu werden, dennoch hat er mit ihnen gleiche Absicht. Es kommt nicht allein darauf an, sich selbst zu reformiren, man muß auch andern neben sich die Gedancken beybringen, daß man nicht ohne Ursach eine Änderung mit sich vornehme, und wann man sich von dem eitlen Wesen sucht abzuziehen, wird man seine eigne Wohlfahrt in Gefahr setzen, wofern man nicht andere zu einem gleichen Vorsatz zu bringen bemühet ist. Nun fehlt es an Leuten nicht, die hieran arbeiten, allein sie zeigen zugleich ihre gantze Gelehrsamkeit dabey, und also wird ihre Arbeit im gemeinen Leben unter Ungelehrten unbrauchbar, denen sie doch am nöthigsten war. Der Verfasser dieser Blätter hat ihm vorgenommen, die Leute, wie Diogenes, mit dieser papiernen Laterne zu beleuchten, und wie Steele ihnen durch heylsame Erinnerungen und Nachrichten nützliche Dienste zu leisten, leisten, und Menschen zu machen, wann er keine finden könte. Aber er wird sich um Staats-Sachen, Gelehrte und sonderlich Theologische Dinge nicht viel bekümmern, sondern sich hauptsächlich bemühen im gemeinen Leben denen, die ihn für sich lassen, in denen allerhöfflichsten Worten ihre Eitelkeiten zu zeigen, und selbigen Mittel dawider fürschlagen. Er wird suchen Leute, die im gemeinen Leben für Ketzer, Bösewichte und unverständig gehalten werden, ohngeachtet sie unschuldig sind, zu vertheidigen, und hingegen andere, die für fromm, heilig und gelehrt angesehen seyn, ob sie es schon nicht verdienen, känntlich machen. Er wird denen Hauß-Vätern, Hauß-Müttern und ihrem Gesinde, Eltern und Kindern, Eheleuten, sonderlich dem Frauenzimmer, welchen ihre Umstände nicht erlauben, in die gelehrten Versammlungen, oder Collegia zu gehen, aufrichtig ihre Schuldigkeiten eröffnen, und Mittel an die Hand geben, wie sie in guter Zufriedenheit und vergnügter Ubereinstimmung mit andern leben können. Da die Leute, sonderlich Frauenzimmer und Studenten, überhaupt diejenigen, so in der ersten Blüte ihrer Jahre sind, zuweilen auf Dinge fallen, wann sie sich divertiren wollen, welche mit lauter Unruhe verbunden, und lauter Verdruß nach sich ziehen, so wird man sie davon abzuziehen suchen, und andere Ergötzlichkeiten ihnen fürlegen. Man wird alles Ernstes sich bemühen, was man ihm vorgenommen mit aller Liebe und Sanfftmuth, ohne pedanterie, superstition, ohne iemand im geringsten zu beleidigen, ins Werck zurichten, wird sich iemand finden, der durch einen artigen Einfall, oder nöthige Erinnerung diese Arbeit zu beehren gedencket, der beliebe nur dieserhalb an dem Verleger dieses Wercks in einem versiegelten Schreiben und der Auffschrifft: A Monsieur le Spectateur de Leipsig, seine Gedancken zu eröffnen, so wird er in kurtzen sehen, daß man seinem Verlangen zu willfahren bemühet lebe. Wer durch den Verfasser jemand warnen lässet, oder sonsten Nachricht ertheilet, die im gemeinen Leben nützlich und nöthig ist, der wird mercken, daß man gegen ihn erkenntlich sey, und die Sachen, ohne jemand zu nennen und zu erzürnen, vortragen könne. Hingegen bittet man sich aus, nicht so eyffrig sich zu bemühen, den Leipziger Spectateur kennen zu lernen, denn er wird sich schon selbst mit entdecken, indem er jemand beleuchtet, oder sich öffentlich abbilden und zeigen. Sonst möchten sich Vorurtheile mit einmischen, und einige aus Furcht für demselben sich nicht für ihm öffentlich sehen lassen, andere hinwiederum aus Liebe zu ihm, ihn gar zu offte gebrauchen wollen. Letzlich andere aus Haß und Verachtung ihn mit eitlem Trotz beunruhigen, sich aber selbst dabey schaden, mit einem Worte die Freude des Verfassers und der Leser würde unterbrochen werden, und das gute zugleich mit, das er noch wohl stifften könte. An Wiederwärtigkeit wird es ihm nicht mangeln; denn eine gute Absicht, Behutsamkeit, ein stilles Wesen, werden vielweniger ohne selbige bleiben, als Tugend und Wahrheit, welche von Feinden unaufhörlich begleitet sind. Die hält er nicht für Feinde, die nicht mit ihm einerley Meynung sind, denn er kan wohl leiden, daß man ihm widerspreche. Aber die, denen er mit Fleiß den Krieg ankündiget, heissen Rocken-Philosophi, Feinde der Gottes-Furcht, die den Vorurtheilen mehr Gehör geben, als der Wahrheit, die den Affecten nachhängen, die in einer wohlbestalten Republique anderer Leute Ruhe stöhren, welche die Einigkeit einer vergnügten Ehe zu unterbrechen suchen, welche der Tugend gefährliche Fallstricke legen, sonderlich dem Frauenzimmer, selbige in Laster zu stürtzen, welchen die alte Teutsche Treu und Redlichkeit Einfalt und Narrheit heissen muß, und dergleichen leichtfertiges Gesindel. Wer diesen seinen Vorsatz billiget, der wird seinen Unternehmungen nicht zuwider seyn, die andern mögen gesinnet seyn, wie sie wollen, so wird er sein Vorhaben, ihrer ohngeachtet, auszuführen den Anfang machen, und so lange fortfahren, als ihm Zeit und Ort und seine Freunde gnugsame Musse vergönnen.