Citation: Johann Joseph Friedrich von Steigentesch (Ed.): "Siebenzehntes Stück", in: Der Bürger, Vol.1\017 (1765), pp. NaN-272, edited in: Ertler, Klaus-Dieter (Ed.): The "Spectators" in the international context. Digital Edition, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2348 [last accessed: ].


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Der Bürger
Siebenzehntes Stück.

Citation/Motto► Accipe, Victori populus quod postulat, aurum. ◀Citation/Motto

Juvenal

Juvenal

Level 2► Nichts ist erfreulicher, als solche Mitglieder des Staates zu haben, welche die schönsten Kräften ihres Geistes zu desselben gründlicher Verbesserung wiedmen. Jst jemal unser Vaterland mit solch ächten Bürgern bereichert gewesen: so ist es gewiß dermalen, wo thätige Proben vor Augen liegen.

Eine gleichwohlmeynende Absicht hat diese Blätter von ihrem Ursprunge an belebet. Als eine Folge dieser Gesinnungen wurde zur Preisfrage ausgestellet, welche die beste Einrichtung der untern oder Trivialschulen sey, um darinne die Jugend theils zu Erlernung der Wissenschaften in höheren Schulen, theils zu den Handwerken, und dem bürgerlichen Leben vorzubereiten? Ganz ausnehmend war jenes Vergnügen, mit dem man, zu Beantwortung derselben, so viele Ausarbeitun-[258]gen einkommen sahe, welche, da sie den Eifer und die Einsicht ihrer Verfassern bezeigten, unter sich selbst die Wahl des Vorzuges schwer machten. Nebst der gründlichen Kentnis der Mittlen, die zu Bildung der jugendlichen Herzen und Eigenschaften in öffentlichen Schulen erfodert werden, hat man jene edle und dem Vaterlande gewiedmete Gesinnungen durchgehends angetroffen, welche das Merkmal wahrer Bürgern sind.

Jedoch so manigfaltig auch die Schönheit der mehresten eingelangten Beantwortungen ist: so hat doch eine unter allen den Vorzug behauptet, welche jede, den, zur Erörterung ausgesezten, Gegenstand betrefende Theile mit tiefster Einsicht zu versameln, und im gründlichsten Zusamenhange zu vereinigen gewußt hat. Mit eben so großer Freude als Billigkeit, wird daher dieser vollständigen Ausarbeitung gegenwärtig der bestimte Preis zuerkennet, derselben würdiger und gelehrter Verfasser aber zugleich ersuchet, solchen mit Bekantmachung seines Namens (den man seiner Preisschrift weder verschlossen noch offenbar beygesezet gefunden) in dem Verlage dieser Blättern zu empfangen.

Was aber dem edeldenkenden Herrn Verfasser nebst dem Ehrenzeichen des verdienten Preises, fürnemlich am Herze liegen muß, ist nothwendig die Bekantmachung des Werkes, dessen Ausarbeitung er aus Liebe zu unserm Vaterlande unternohmen. Und diese wahrscheinlich zu vermutende Begierde ist um so eher zu erfüllen, als nach solcher Bekantmachung nicht nur der [259] Beyfall seiner wohlgesinnten Mitarbeitern, sondern auch die Stimme des sämtlichen Publikums die gerechte Zuerkennung des Preißes, so wie den jenigen, dem er zuerkennet worden, mit wahrer Freymütigkeit verehren muß. Hier folget demnach sonder geringste Abänderung das vollständige Werk dieses rechtschaffenen Patrioten, die mit dem Ruhme wahrhaft verdienter Ehre gekrönte Preisschrift:

Level 3► Letter/Letter to the editor► Citation/Motto► ― ― ― Res antiquæ Laudis & Artis
ingredior, sanctos ausus recludere fontes. ◀Citation/Motto

Virgil

Kein Lobspruch ist einem Regenten rühmlicher und anständiger, als ihn einen Beförderer der Wissenschaften preisen können; denn, wo diese in einem Lande blühen, da wird beständiger Überfluß herschen. Viele Regenten, da ihnen die Vorsicht des Himmels die Fähigkeit, selbst Gelehrte zu seyn, versaget, wandten die gröste Mühe an, durch Anschaffung öffentlicher Büchersälen, durch Besoldung gelehrter Männern, durch Errichtung gelehrter Gesellschaften, durchgängig als solche angesehen zu werden; und obschon sie dadurch den Gelehrten zum heimlichen Gelächter waren: so muß man dennoch ihnen die Verbesserung und den Flor mancher Provinzen verdanken. Gehe man nur die Geschichte Frankreichs vor und nach der Regierung Ludewigs des Vierzehnten durch: man wird durch alle Perioden die Wahrheit meines Sazes finden.

Athen und Rom, die allen Reichen zum Beyspiele beglükter Ländern dienen müßen, brachten ihr Glük aufs Höchste, da sich die Wissenschaften bey denselben zu ihrer Vollkomenheit schwungen. Sie bekamen dadurch die gröste Redner, die berühmteste Feldherren, die weiseste Gesezgeber, und die geschikteste Staatsleute; Die Künste, als: die Malerey, die Bildhauerkunst, Baukunst u. s. w. kamen [260] zu ihrer grösten Vollkommenheit, die man zu erreichen bis auf unsere Tage sich umsonst bemühet hat. Wie traurig war aber der Zustand, sobald bey ihnen die Wissenschaften in Verfall gerieten ( )!1 Der Mangel der Polizey war die nöthige Folge, und zugleich die Ursach ihrer gänzlichen Zerrüttung.

Ägypten, die Erfinderin so vieler, sowohl nüzlicher als angenehmer Wissenschaften, kann uns noch zum Augenzeuge dienen. Dieses Reich, welches so fruchtbar an gelehrten Männern war, so lange es Mizraime, Atbote und Sesosters zu Regenten hatte, ist izo, nach dem Berichte der berühmtesten Erdbeschreibern ( ) ein mehrentheils ödes,2 unbevölkertes ( ),3 und von einem trägen, unwissenden und dem Diebstale ergebenen Volke bewohntes Land, welches nur von jenen zu unsern Tagen durchreiset wird, die dessen ehrwürdigen alten Überbleibseln und Trümmern voriger Glükseligkeit eine mitleidige Thräne gönnen wollen; da es ehemals ein so berühmtes Land war, von welchem die Weisen und Philosophen glaubten, daß sie es durchzureisen, zu untersuchen, und ihre Bewunderung zu würdigen verbunden wären.

Im Gegentheile wurde durch die gute Anstalten Czaars Peter des Großen Rußland, durch die Aufnahme der Wissenschaften in einen blühenden Stand versezet; obschon ganz Europa unmöglich zu seyn glaubte, daß dessen wilde Jnwohner zu zahmen, sitlichen und geschikten Menschen gemacht werden könten. Die Handlung, die ihnen fast unbekant war, wurde zur See und zu Land eingefüret, der Handwerker wurde zum Fleiß und zur Vollkommenheit angewönet, dem Bauersmanne wurde der Ertrag und die Fruchtbarkeit seines Bodens kund gemacht; kurz, die Jnwohner wurden Menschen, und der ganzen Welt zum Beyspiele, nachdem sie der Spott derselben gewesen.

[261] Wie schwer aber diese glükliche Unternehmung, die vielen zu wünschen wäre, Peter dem Großen gewesen, läßt sich aus einem Gedanke des de la Beaumelle ( ) schlüßen,4 den ich, hieher zu sezen, nicht umhin kann. „Jch bewundere“, spricht er, „an Czaar, Peter dem Großen, nicht seine glükliche Ausgänge, ich bewundere vielmehr seinen Entschluß, und seine Reisen. Es war schwer seine wilde Unterthanen zahm und zu gesitteten Menschen zu machen; aber war es nicht schwerer sich selbst zu einer sitlichen und höflichen Lebensart zu bringen? Er mußte erkennen, daß er ein Barbar, er mußte es seinen Nachbarn, seinen Feinden, und ganz Europa aufrichtig bekennen, er mußte glauben, daß ein geringer Auswärtiger ohne Namen, ohne Achtung, mehr Verstand besäße, als alle seine Unterthanen, er mußte die Mittel wissen, sich von dieser Barbarey zu entledigen; es war nöthig, daß der gröste und mächtigste Kaiser sich entschloß der geringste Handwerksmann zu werden. Er mußte einen Thron verlaßen, ohne ihn zu verlieren. Mit einem Worte: er mußte neu gebohren werden. Nein, niemal hat ein Unternehmen eine größere Seele zu Tage gelegt, und kund gethan. Peter der Czaar mußte in Wahrheit einer der grösten Menschen seyn, weil er dieses ausgedacht, was in einem Lande noch keinem in Sinn gekommen, worinnen 15 Millionen Menschen anzutreffen, weil er allein dasjenige that, was hundert Vorfahrer sich nicht einmal beyfallen ließen, zu bewerkstelligen.“

Aus diesen Begebenheiten, deren uns die Geschichte noch eine Menge darbietet, ersehen wir, wie nothwendig die Wissenschaften einem Staate sind, der seiner Vollkommenheit und seines Glükes versichert seyn will. Diese verwandeln ihre Jnwohner in neue Menschen, sie geben ihnen gute Sitten, verschaffen eine wohleingerichtete Polizey, und mildere Geseze. Hierdurch ziehen sie solche aus der Dunkelheit, worinne sie bis dahin gesteket sind, und entfernen von ihnen das Rohe, welches ihnen von Natur angeklebet.

[262] Roußeau ( ) hat zwar,5 um sich der Welt durch diese paradoxe Säze bekant zu machen, mit Cornelius Agrippa das Gegentheil behauptet. Er will die Tugend nur stets bey den Unwissenden, und die Laster im Gefolge der Künsten und Wissenschaften finden; da aber seine Beweise sich nur auf Mißbräuche gründen, und diese seine Abhandlung ein Werkgen ist, in welchem man mehr Beredsamkeit und Trugschlüße als gesunde Vernunft, fast nichts als Spfizfindigkeit antrift: so ist nichts gegen die allgemeine Meynung zu befürchten; indem die Welt vom Nuzen der Wissenschaften all zu sehr überzeuget ist.

Will also ein Staat sich Vortheile verschaffen, so nehme er sich um die Aufnahme der Wissenschaften an; pflege er eine gute Erziehung der Jugend, das andere wird nothwendiger Weise folgen. „Die Erziehung der Kindern“, spricht Rollin ( ) „ist von den grösten Weltweisen, und den berühmtesten Gesezgebern jederzeit als die sicherste Quelle der Ruhe, und der Glükseligkeit, nicht allein der Häusern, sondern auch selbst der Staaten und Reichen angesehen worden.“6 Und gewiß; was ist eine Republik oder ein Königreich anders, als ein großer Cörper, dessen Munterkeit und Gesundheit von dem Wohlstande der Privathäusern herrüret? Diese sind gleichsam die Glieder und Theile desselben, und keines kann seine Verrichtung unterlassen, daß es nicht der ganze Cörper empfinden solte.

Sezet nun wohl nicht eine gute Erziehung, die zum Endzweke hat, den annoch rohen Verstand junger Leuten durch Erlernung der Künsten und Wissenschaften zu verbessern, und auszupuzen, alle Bürger und Hohe des Landes, noch mehr als andere, in den Stand, ihre verschiedene Bedienun-[263]gen würdig zu bekleiden? Jst es nicht offenbar, daß die Jugend gleichsam die Baumschule des Staates ist? kann man nicht versichern, daß das gute oder mangelhafte, in der Erziehung, in den ganzen Staatscörper einen Einfluß hat, und gleichsam die Seele und der Charakter des ganzen Volkes wird?

Wenn ich auch an der Wochenschrift, dem Bürger, nicht das Gute fände, was ich an ihm belobe: würde ich dennoch denselben in alle Hände wahrer patriotischer Bürgern wünschen; indem er Gedanken heget, die eines wahren Bürgers wert sind, und andurch sein erstes Versprechen aufs genaueste erfüllet. Er will verbessern, nicht wie jener Proiektenmacher, der den ganzen Staat erst umzukehren und unglüklich zu machen gedenket, um einen Anschein des Guten hervorzubringen, dessen Unternehmung auf eigenen Nuzen zielet, worzu er von dem Staate nichts als den Namen borget. Nein: er versuchet es ganz anders: er fängt an dem Grunde an, an der Erziehung, die bey uns so sehr versäumet ist. Aus dieser Ursache wird in seinen Blättern die Frage aufgeworfen: welches die beste Einrichtung der untern Schulen sey etc. Es haben diese Frage Heker, Sulzer, Krüger, May, und verschiedene deutsche Gelehrte gründlich erörteret. Jch werde es wagen ihre Lehren zum Gebrauche anzuwenden, und sie uns nuzbar zu machen.

Wir wissen von Natur nichts, spricht Roußeau ( ),7 sondern müßen erst alles lernen, wenn wir auch so groß, und so gebildet geboren würden, als wir in den männlichen Jahren sind; Die Erziehung muß sich daher gleich nach der Geburt anfangen, und man muß ein Kind durch die Wahl der Sachen, die man ihm vorstellt, unterrichten, ehe es noch reden noch verstehen kann. Ein fast allgemeiner Fehler ist es, daß die Gebährerinen (Mütter kann ich solche unmöglich nennen) ihre Säuglinge gleich nach der Geburt von ihren Brüsten entreissen, und sie den Ammen zur Erziehung übergeben, die gemeiniglich nichts zum Voraus haben, als daß ihre Zärtlichkeit sie eher als andere zum [264] Falle verleitet, und aus denen noch das anvertraute Kind die Wirkung ihrer elenden Erziehung mit der Milch einsaugen muß. Doch wolte ich zur Noth dieses der Bequemlichkeit solcher Eltern noch verzeihen, denen das Gefül des Vergnügens der wichtigste Endzwek ihres Ehestandes ist; die Erziehung würde dabey nicht so viel leiden, wenn im übrigen unsere deutsche Staaten die Verordnung hätten, wie bey Swift das Land der Liliepuziern, wo die Kindsmägde, nach gerichtlicher Überzeugung, daß sie ihre untergebene Kinder mit Drohen, mit Poltergeistern, Schreken und Schlagen zum Schweigen getrieben, und bey zunehmenden Jahren sie mit Märchen von Erscheinungen, Wiederkunft der Todten und anderen solch abgeschmaken Sachen, wodurch unsere deutsche Mägde die Einbildungskraft der Kindern verderben, unterhalten haben, dreymal öffentlich gepeitschet, für ein Jahrlang ins Gefängnis geworfen, und hernach auf ewig ins Elend verwiesen werden.

Väter und Mütter müßen also die erste Hofmeister seyn, wenn sie anders einen wahren Grund zur künftigen rechten Erziehung legen wollen. Der berühmte Dechant Swift sagt, die Kinder seyen ihren Eltern keinen Dank schuldig, daß sie das Leben von ihnen empfangen haben, weil jene damals etwas ganz anderes als die Erzeugung zum Endzwek gehabt, da der Grund zu ihrer Geburt geleget worden. Wenn dem also ist: wie können Eltern von ihren Kindern Dank fodern, die in ihrem männlichen Alter nichts so sehr als die versäumte Erziehung beweinen müßen? Es liegt daher den Eltern ob, alle Mühe auf die Erziehung ihrer Kindern anzuwenden, um sie zu den Wissenschaften oder ihrem zukünftigen Stande vorzubereiten, und sie von den Mißbräuchen rein zu erhalten, die ihnen bis ins späte Alter nachhängen, und von denen unsere Länder ganz überschwemmet sind ( ).8 Haben aber die Kinder unter einer weisen Auf-[265]sicht ihrer Eltern jene Jahre erreichet, die ihnen Kräfte beybringen, etwas zu erlernen: so schike man sie in öffentliche Schulen, die diesem Alter weit nüzlicher sind, als die Privatlehrer ( ).9 Damit aber der eingerissenen Gewohnheit vieler Eltern gesteuert werde, die ihre fast noch unmündige Kinder in die Schulhäuser schiken, nicht in Meynung etwas zu erlernen, sondern nur, daß sie, wie es gemeiniglich heißt, von der Gasse hinweg kommen, und also die Schullehrer (ich schäme mich des Ausdrukes) als Kindsmägde einer unmündigen mutwilligen Jugend bestellen: so ist nothwendig, daß der Einsicht eines klugen Lehrers gänzlich überlassen werde, welche Kinder die erfoderliche Fähigkeit und Kräfte haben. Den Eltern ist hierinne nur selten einiger Glaube beyzumessen; indem diese meistentheils allzusehr für die mittelmäßige Gaben und Reden ihrer Kindern eingenommen sind, ihre Einfälle als Spizfindigkeiten eines reifen und erleuchteten Verstandes angeben, und also dieselbe mit Zwang den Lehrern aufdrängen. Aber wie? solte denn nicht jede Mutter an ihren Kindern, wenn sie nur recht viel schwazen, Wunderkinder finden?

Es ist zwar unläugbar, daß es Kinder giebt, die fast noch in den Kinderschuhen Männer sind; es ist aber dieses eine Seltenheit: doch giebt es solche, und hiemit ists schon genug, daß man sich, in Absicht auf die Schullehre, bey solchen Kindern nicht an das siebende, wie etwelche behaupten, oder gar an das zwölfte oder fünfzehnte Jahr, wie Roußeau ( ) fodert,10 binden solle. Manchen ist die Natur vor diesen Jahren günstig, und theilet ihnen die Kräfte mit, welche bey einem Menschen erfodert werden, um seine Gaben zu gebrauchen; denn Fähigkeit hat die Natur schon vor der Geburt in ihrer Seele gelegt. Andern aber ertheilt sie ihre Gaben später; daher dann die Schulaufnahme der vernünftigen Beurtheilung eines Lehrers zu überlaßen ist.

Die erste Sorgfalt eines Lehrers muß sofort seyn, seine Untergebene recht lesen zu lehren. Dieses ist das einzige Mittel zur gründlichen Erlernung der Wissenschaften zu gelangen.

[266] Solches muß aber den Kindern angenehm, beliebt, und gleichsam zum Spiele gemacht werden, damit sie einen Eifer bekommen, sich selbst damit zu beschäftigen, und Neugierde zu selbigem muß sie anspornen.

Es ist gemeiniglich eine sehr unzeitig angebrachte Strenge der Schullehrern, wenn sie die Kinder gleich beym ersten Eintritte in das Lehrzimmer mit einem rohen Tone anfahren und überraschen, wenn diese nicht gleich beym Anblike des Schulmeisters die Buchstaben begreifen; nicht anders, als wenn erfodert würde, daß die Kinder die Kentnis des Alphabetes schon mit den fünf Sinnen auf die Welt brächten; daher kömt es, daß die Kinder mit so schwerem Herze in jene Schulen gehen, wo ein solcher Schulmonarch mit einer schaumigremischen Mine auf der Catheder thronet, welche dann die erschrokene Jugend für eine Folterbank ansieht. Hierdurch bekömt sie einen Ekel für allem Lernen und Studiren, der ihnen das ganze Leben hindurch nachhänget, und der Anblik eines Buches macht sie traurig und verwirt, zumalen, wenn das Lernen ihnen, wie es gemeiniglich geschieht, als eine Strafe aufgegeben wird.

Diesen Fehler zu verhüten, haben die Gelehrten verschiedene Arten ersonnen, wie man den Kindern zur Erlernung des Lesen, Freude und Liebe erregen könte. Sie haben Fibeln oder A b c-Bücher heraus gegeben, worinnen die Buchstaben durch Schildereyen von Fischen, Vögeln, vierfüßigen Thieren und auch andere Figuren angezeigt werden. Jn gleicher Absicht haben andere gewiße Würfel, worauf Buchstaben gemalt oder geschnitten sind, und andere die Buchdruker Tische des Herrn du Mas gebrauchet. Alle diese Arten haben ihren sichern Nuzen; sie können aber, die Fibeln ausgenommen, nicht allgemein gemacht werden, und dieses verleitet mich auf eine andere Weise, von deren guten Fortgang und Nuzen ich selbst überzeuget bin. Man laße die jungen Schüler aus ihren Fibeln die Buchstaben fast mechanisch nach der Ordnung erlernen: sie werden dadurch die Fertigkeit gewinnen, sich nach einem Zusammenhange der Buchstaben zu besinnen, wenn sie außer der Ordnung gefragt werden; jedoch müßen ihnen inzwischen die Unterscheidungszeichen eines Buchstabens von dem andern angezeigt werden. Haben nun die Kinder sich die-[267]se bekannt gemacht: so schreite man zum Buchstabiren, man laße sie entweder selbst Buchstaben zusamen sezen, oder gebrauche das gewöhnliche A __ b Ab. Die Kinder müßen aber erst nicht mehr als eine Reihe lesen, und derselben Zusamenhang begreifen, ehe sie die andere anfangen; können sie diese fertig lesen: so müßen sie wieder von hinten anfangen; Z. B. Ab eb ib ob ub __ ub ob ib eb ab __ bu bo bi be ba u. s. w. Können sie dieses: so frage sie der Schulmeister willkürlich um die Bedeutung dieser oder jener Sylbe aus der Reihe: und fehlen die Kinder hierinne nicht mehr: so seze der Lehrer einen und sodann immer mehrere Buchstaben hinzu; man wird den Nuzen augenscheinlich erfahren. Auf diese Weise gehe man alle Reihen des A __ b Ab durch, bis sie selbe wißen, alsdenn laße man die Kinder aus den Reihen in unterbrochener Ordnung aufsagen, damit sie das A __ b Ab nicht auswendig lernen, als wodurch die mehreste Kinder verdorben werden, die alles dieses, ohne zu irren, mittelst einem glüklichen Gedächtniß hersagen, ungeacht sie keine einzige Sylbe auszusprechen, ja nicht einmal die Buchstaben außer der Reihe zu nennen wißen, wenn man sie außer dem Zusamenhange darnach befragt. Man wird sich wundern, wie bald auf solche Art die Kinder werden lesen, und die Sylben gleich aussprechen lernen, ohne die einzelne Buchstaben vorher zu sagen, und zugleich wird man überzeuget werden, daß solches Buchstabiren, wie Herr Geßner meynet ( ),11 nicht wohl abgestellet werden könne, besonders da seine Vorschläge an sich weit beschwerlicher, und die Kinder viel verwirrter zumachen scheinen.

Sobald die Kinder in dem Lesen eine Fertigkeit erlanget haben: so hat ein Lehrmeister darauf zu sehen, daß sie bey einem jeden Comma oder Unterscheidungszeichen einen kleinen Halt machen, und nicht dasjenige zusamen ziehen, was nicht dazu gehöret ( ).12 Sie werden dadurch gewöhnet werden, verständlich zu lesen; besonders wenn der Schulmeister ein oder zweymal des Tages etwas weniges vorließt, [268] und dabey seine eigene Geschiklichkeit (die bey Bestellung eines solchen Lehrers vördersamst zu prüfen) im Lesen zeiget. Man wird dabey jenen schwermütigen Schulton in unsern Schulen vermissen, der gegenwärtig so gewönlich ist, und man wird verhüten, daß nicht einsmal Leute, wie ich etwelche kenne, auf die Kanzel steigen, welche zum Ekel und Verdruß der Zuhörern eine, obschon gut verfertigte, Abhandlung in lauter verstimten Tönen herunter gauzen. Jn dem Munde solcher Lesern, so gelehrt sie auch ausser dem seyn mögen, wird alles, was sie lesen, die gemeine Zeitung so, wie die Rede des Tullius (von Versen gar nicht zu sprechen) recht Beklagungswürdig verdorben. Wie dringend ist hiemit auf die Verbesserung der Lehrart des Lesens anzutragen!

Jst aber einmal die Kentnis der Buchstaben und das Lesen von den Kindern vollkommen begriffen: so ist es leicht, sie in dem Schreiben zu unterweisen, welches anfänglich den Kindern nur zum Spiele dienen muß. Nur daß man nicht die gewöhnliche Methode gebrauche. Diese tauget hier wiederum gar nichts, wo man die Kinder an dem ersten Buchstaben A anfangen läßt. Man gewöhne sie zuerst die Feder ordentlich zu halten, und mit einer Leichtigkeit zu regiren, sodann laße man sie, wie im Zeichnen, nur Striche machen, damit sie in Entwerfung der Buchstaben einen flüchtigen Zug bekommen, nachhin nehme man den leichtesten Buchstaben, als das i, welches, in der Handschrift, mittelst kleiner Zusäzen zum Anfange der mehresten Buchstaben, besonders aber zum Zusamenhange derselben, dienlich ist, sofort das n. u. m. a. g. q. o. r. und so weiter, bis zu den schweresten. Auf diese Art wird den Kindern das Buchstaben malen nicht nur viel leichter, sondern sie lernen auch die Hand ihres Meisters weit richtiger nachahmen. Man muß ihnen aber nur einen Buchstaben vorzeichnen, und nicht eher den anderen anfangen, als bis sie den erstern in seinen behörigen Zügen nachschreiben können. Und so muß man es mit den Worten, und endlich mit ganzen Reden machen. Vorschriften aber, die einen ganzen Zusamenhang haben, müßen allzeit nüzliche Dinge enthalten, als erstens sittenreiche Sprüche aus der heiligen Schrift, [269] aus den heiligen Vätern oder andern ruhmwürdigen Schriftstellern. Nachhin können ihnen zur Vorschrift dienen Quittungen, Wechsel-Fracht-Kauf-Schuldbriefe und andere im gemeinen Leben vorkommende Schriften, nur damit die Zeit bey den Kindern nicht ungenüzt vorbey gehe, welches die Hauptangelegenheit eines Lehrers seyn muß. Es ist auserordentlich, welch gute Wirkung diese Lehrart thut.

Hiebey ist noch mit Nachdruk zu erinnern, daß man den Kindern den Gebrauch der Unterscheidungszeichen (interpunctionum) und die Rechtschreibung, die ganz und gar von dem Fleiße und Wissenschaft des Lehrers abhänget, recht beobachten, und nach Regeln begreiffen lehre; welches aber in unseren Gegenden eine sehr seltene Eigenschaft gemeiner Schullehreren ist. Was Wunder denn, wenn wir über fehlerhafte Copisten, ungeschikte Buchdruker, und oft selbst, in der Rechtschreibekunst, unerfahrene Schriftsteller klagen? Sie haben es nicht besser gelernt, der Tadel fällt auf ihre Lehrer zurük. Beynebens soll man die Kinder nicht nach gezogenen Linien zu schreiben gewöhnen, ohne welche sie nachhin zu schreiben nicht mehr im Stande sind. Man sehe nur fleißig darauf, und erinnere sie öffters, daß sie keinen Buchstaben höher oder tiefer anfangen oder endigen sollen: das gerade schreiben wird ihnen von selbsten eigen werden.

Jst nun dieser Grund gelegt: so schreite man zu anderen Wissenschaften, die man in den Trivialschulen vorzunehmen hat. Die Jugend kann in Ansehung ihrer künftigen Lebensart in drey Classen eingetheilet werden ( ):13 Erstens in die, welche zu Handwerken, Künsten, oder zur Kaufmannschaft angehalten werden sollen. Zweytens in die jenige, welche sich dem Kriegestande oder den Höfen, und, drittens, welche sich dem Studiren auf ihr ganzes Leben wiedmen wollen. Hieraus entstehen dreyerley Arten Lectionen; einige sind allen dreyen Classen gemein, einige gehören für die anderte und dritte Classe, einige nur für die dritte. Jch werde sie izo ohne Unterschied samt der Art sie abzuhandeln hieher sezen; zu Ende aber werde ich die Ordnung anbringen, wie selbe ein Lehrer zum Nuzen der Jugend vortragen könte.

[270] Die Religion muß eines der ersten seyn, das der Jugend einzuflößen; wie schlecht sie aber in Schulen zeither ist vorgenomen worden, ist uns aus höchst betrübten Folgen bekant. Kaum können die Kinder buchstabiren: so giebt man ihnen den Catechismus in die Hände, um eine Frage nach der andern bloß maschinenmäßig auswendig zu lernen, unbekümert, ob sie das, was sie lernen, begreiffen.; und wie solte dieses möglich seyn, da sie ausser den Worten des Catechismus nichts weiteres von ihrem Schulmeister hören ? Jch war einst gegenwärtig, wo eine Weibsperson von 22. Jahren, die im Begriffe war, sich zu verheyraten, in den gemeinsten Religionssäzen geprüfet wurde. Sie wußte wie ein Papogey alle Fragen ihres Catechismus so, wie die darauffolgende Antworten herzusagen; da sie aber gefragt wurde, was ihre Seele sey? ob diese oder der Leib sterbe? so wußte sie es nicht. Warum? der Pfarrer fragte sie nicht, laut des Catechismus, mit den Worten: ob die Seele des Menschen unsterblich sey? Da sie nun auf mehrere solche Fragen nicht antworten konte: so gestund sie freymütig, daß sie nur die Fragen, wie sie im Catechismus gedrukt wären, ohne Auslegung, in der Schule gelernt habe, und also, dieselbe wenn sie ihr mit der geringsten Wortänderung vorgetragen werden, nicht verstünde. Wie soll nun solch eine zukünftige Mutter ihren Kindern eine wahre Erziehung, wie [Fénelon, François, Fenelon] fodert ),14 beyzubringen vermögend seyn? macht dieses eine bessere Einrichtung der Schulen nicht höchst nothwendig?

Es muß hiemit den Kindern, ehe sie noch recht lesen gelernt, ein würdiger Begriff von GOtt eingepräget werden ( ),15 daß nemlich dieser das höchste Wesen sey, so durch sich selbst alle mögliche Vollkommenheiten (welches den Kindern mit Beyspielen zu erläutern ist) ohne Einschränkung besize, welcher der Ursprung aller Dingen, in sich und gegen die Geschöpfe lauter Güte und unendliche Liebe sey, und uns aus keiner andern Absicht erschaffen habe, als gutes zu thun; in dieser Welt laße GOtt nicht nur die tugendsamen Menschen, seine Freunde, sondern [271] auch die Lasterhaften, seine Feinde, das Übermaaß seiner Liebe spüren: in der künftigen (wovon dann den Kindern kein allzu materiäler Begriff zu machen) belohne er uns, wenn wir hier unsere Pflichten erfüllet, und strafe uns alldort nach seiner Gerechtigkeit, wenn wir den Endzwek unserer Erschaffung aus eigener Schulde verkehret. Hat nun die jugendliche Seele den Begriff von der Gottheit, und aus dieser Lehre, eine wahre Ehrerbietung und Liebe gegen sie zu fülen erlernet: so schreite man zum Catechismus ( ),16 aus welchem man ihnen eine Frage nach der andern erkläre, und sie dieselbe auswendig lernen laße. Nachhin aber muß sie der Lehrer nicht nach dem wörtlichen Jnhalte des Buches fragen, sondern jede Frage in mehr andere zertheilen, nach Anweisung des Verfassers der Briefen vom Schulwesen, die zu Rostok im Jahre 1759 herausgekommen ( ),17 damit es theils die Kinder beßer begreiffen lernen, theils daß der Lehrer von ihrer Einsicht versichert werde. Jst man nun mit der Jugend in den ersten Jahren also verfahren: so laße man sie die Bibel lesen ( ),18 die man ihnen nach ihrer Art erkläret. Sie werden hieraus den Nuzen ziehen, sowohl die Religion, als die Geschichte zu erlernen. Endlich rathe ich noch, daß man den schon etwas erwachsenen Kindern des berühmten Muratorius wahre Andacht zu Handen gebe, welches Buch, obschon es von vielen, zu ihrem Nachtheile ( ) ist angefochten worden,19 dennoch ein Mittel bleibet, die so sehr eingerissene Mißbräuche zu vertilgen. Dieses meyne ich, sey der beste Weeg, durch welchen man der Catholischen Kirche den grösten Nuzen schaffen könte; indem man ihr auf solche Weise vernünftige Christen auferziehet.

Die Sprache muß der andere Gegenstand eines Lehrers seyn. Hier öfnet sich ein ganzes Feld von Jrtümern und Mißbräuchen. „Unsere Art“, spricht ein gewisser Ge-[272]lehrter ( ),20 „die Sprache zu erlernen, und überhaupt die ganze Methode ist so schlecht, daß, wenn ich Vollmacht bekäme, alle Schulen aufs äusserste zu verderben, ich just die izige, und keine andere, einführen würde.“ Sobald die Schulknaben lesen und schreiben können: so muß der zukünftige Staatsmann sowohl, als der zukünftige Schneider oder Schuster sich zum Latein lernen bequemen; keine andere Wissenschaft ist für ihn in den Schulen, und keine andere wird darinne abgehandelt. Er muß, gemeiniglich schon von der Trivialschule an, . Jahre Latein lernen, damit er was habe, das er in . Jahren wieder vergessen könne. Er muß aus seiner Gramatik Kunstwörter erlernen, die er nicht verstehet, weil sie ihm nicht erkläret werden. Z. B. Declinatio prima, numerus singularis, pluralis, casus, genus, substantivum, adiectivum, Pronomen, verbum. conjugatio u. s. w. die junge Maschine lernet alle dieses mit einer solchen Fertigkeit, daß, so bald der Knab höret, wie Musa im Genitivo laute? er also gleich antwortet: Musæ, ohne zu wissen, was das sagen wolle: im Genitivo, oder nur das geringste bey diesen Wörtern zu denken. Hierauf kommen dann die Regeln, die von dem Lehrer bloß mit andern Worten hergesagt werden; und dieses heißt erklären, oder, Schulzünftig zu sprechen, expliciren. Jch erinnere mich hiebey der lächerlichen Erzählung eines meiner Freunden. Dieser sagte mir, er hätte den Nominativus lange für einen großen Sünder gehalten, von dessen Bekehrung der Gebrauch des Reciprocum sui sibi se abhänge; denn die Regel Reciproco sui sibi se utimur, quando Nominativus transit in se ipsum, wäre ihm also erkläret worden: das Reciprocum sui sibi se gebrauchen wir, wenn der Nominativus in sich selbsten geht. Jn sich selbsten gehen und sich bekehren hätte er nun in seiner Jugend öfters den Sündern zurufen gehöret, und daher wär bey ihm solch eine falsche Meynung entstanden. ◀Letter/Letter to the editor ◀Level 3

Die Fortsezung folget.

Maynz den 26ten Tag des Weinmonats 1765. ◀Level 2 ◀Level 1

1( ) Bossuet introduction à l’Histoire universelle.

2( ) Osterwald Erdbeschreibung S. 306. Mallets Erdbeschr. . th. S. 65. Schaz: Atl. Hom. . th. S. 346.

3( ) Nach dem Berichte des Herrn Lenglet du Fresnoy in seiner Einleitung zur Geschichte, zählte Ägypten vor Zeiten 17. Millionen Jnwohner, da es izo vielleicht nicht mehr den ten Theil hat.

4( ) Mes pensées S. 44.

5(e) Die Akademie zu Dijon hatte zur Preisfrage aufgeworfen: ob die Wissenschaften die Sitten verbesserten? Roußeau antwortete mit Nein, und Dijon beehrte ihn mit ihrem Preise. Hätte diese Akademie nicht so sehr das neue geliebet: so würde sie nicht unter vielen Gegnern einen großen Prinzen gezälet haben. Jedoch! wird sie sich dieses nicht zur Ehre halten?

6( ) Traité de la Maniere d’Enseigner & d’Etudier les belles lettres . . pag. 85.

7( ) Emile T. . pag. 86.

8( ) Wie diese Erziehung zu bewirken, zeiget auf das schönste Hr. Profess. Krüger in seinem kleinen Buche von der Erziehung, welches ich allen Eltern, da es sehr wenig kostet, anempfele. Sie werden alles, was sowohl der Gesundheit des Leibes, als den Sitten ihrer Kindern nüzlich ist, kurz, doch vollständig, in denselben finden.

9( ) Quintilian, L. 1. c. 3.

10( ) Emile, ou l’Education à Lyon 1762. Tom. 1. p. 245.

11( ) Jn den Vorschlägen von Verbesserung des Schulwesens. S. 254. seiner kleinen Schriften.

12( ) Briefe über die Einrichtung des Schulwesens. S. 100.

13( ) Gesners kleine Schriften S. 356.

14( ) L’Education des filles. Chap. de la Relig.

15( ) Krüger von Erziehung der Kindern S. 37.

16( ) Rollin Methode d’Etudier Tom. 1. & c. pag. 199.

17( ) Seite 116.

18( ) Fleury du Choix des Etudes chap. 17. pag. 99.

19( ) Berti Hist. Eccles. Sæcul. 18.

20( ) Briefe über das Schulwesen. Seite 43.