[...] Ins Deutsche übertragen von Meinhard Eheberg. Tübingen 1884, Laupp.
Der Verfasser gibt eine Darstellung der verschiedenen in
Literatur und öffentlichem Leben zum Ausdruck gekommenen socialistischen Theorien
der Neuzeit. Wer sich mit diesem Material bekannt machen will, kann es auch in
diesem Buche übersichtlich geordnet finden.
Fichte und
Marlo,
Rodbertus-Jagetzow,
Marx,
Lassalle, die „social-conservativen“
Huber und
Wagener, die „social-evangelischen“
Stöcker und
Todt,
die „katholisch-socialen“
Ketteler und
Moufang, die Internationalen und
Bakunin, endlich
die Kathedersocialisten – sie alle werden hier der Reihe nach besprochen. In welchem
Geiste? – so ungefähr wie
Schäffle den
Socialismus in seiner „Quintessenz“ bespricht.
Anscheinend
wird den verschiedenen Richtungen und ihren Ausartungen mit einigen kritischen
Bemerkungen, die aber das Wesen der Sache nicht treffen, entgegengetreten, im Grunde
aber kann der Verfasser seinen
Glauben an die Wahrheit und
Trefflichkeit dieser Lehren und Theorien nicht
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verbergen.
Laveleye ist ebenso Kathedersocialist wie es
Schäffle in
seiner „Quintessenz“ war (seither schrieb er allerdings die „Aussichtslosigkeit der
Socialdemokratie“). Das zeigt sich am deutlichsten aus dem einleitenden Capitel:
„Die Fortschritte des Socialismus.“ Der Verfasser meint, dass sich die Lage der
arbeitenden Classen seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts
verschlimmert habe, was zur Entstehung und Verbreitung der socialistischen
Lehren am meisten beitrug. „Dank der Privilegien der geschlossenen Körperschaften
war die Arbeit meist Eigenthum – heute wurde sie zur Waare, deren Preis bald steigt,
bald fällt.... Heute herrscht das Darwin'sche Gesetz des Kampfes um's Dasein“ u. s.
w. Also im vorigen Jahrhundert und den demselben vorausgehenden war die Arbeit
Eigenthum? Ja, aber wessen Eigenthum? Die Arbeit des Leibeigenen war Eigenthum des
Herrn! War das besse?r – Verfasser weist auf die bessere Lage der zünftigen
Handwerker der früheren Jahrhunderte im Vergleich mit dem heutigen Proletariat hin –
auch heute gibt es wohlhabende Gewerbetreibende und auch in früheren Jahrhunderten
war das
ländliche Proletariat nicht auf Rosen gebettet.
Letzteres leugnet auch
Laveleye nicht,
schreibt es jedoch dem Umstande zu, dass „im Mittelalter die Lehren des
Christenthums noch nicht verstanden waren und daher die Herren ihre Leibeigenen als
Arbeitsvieh betrachteten“. „Jetzt aber[“], so tröstet sich
Laveleye, „da der
Grundsatz der Gleichheit von Natur- und Rechtswegen bis ins Innerste unserer Gehirne
und unserer Herzen gedrungen ist, kann nur der crasseste Egoismus und vollendete
Ignoranz den Forderungen der arbeitenden Classe noch Widerstand entgegensetzen.“ Das
ist Alles sehr schön gesagt, aber in vollkommener Verkennung der Natur der
menschlichen Gesellschaften. Zur Rechtfertigung der Gleichheitsforderung des
Socialismus beruft sich
Laveleye auf die
Bibel und die Lehren des Evangeliums. Dagegen müssen wir bemerken, dass solche
Berufungen unwissenschaftlich sind. Heilige Schrift und Kirchenväter sind keine
Autoritäten für die
Wissenschaft und auch nicht für den
Staat.
Laveleye beruft
sich auf den heiligen Basilius, der da sagt: „Der Reiche ist ein Dieb“; auf den
heiligen Johann Chrysostomus, welcher meint: „Der Reiche ist ein Räuber; es muss
Gleichheit herrschen, indem der Eine dem Andern von seinem Überfluss giebt; am
besten wäre es, dass alle Güter gemeinschaftlich wären“; auf des heiligen Hieronymus
Ausspruch: „Der Besitz ist immer ein Diebstahl; wenn er nicht durch den
gegenwärtigen Besitzer verübt wurde, so durch dessen Ahnen“; auf die Worte des
heiligen Ambrosius: „Die Natur hat Gemeinschaftlichkeit begründet; die Gewalt das
Privateigenthum“; auf die Meinung des heiligen Clemens: „Nach Gerechtigkeit müsste
Alles Allen gehören; nur Ungerechtigkeit schuf das Eigenthum“; wen will der
Verfasser mit solchen Citaten überzeugen? Alle diese Aussprüche stehen ausserhalb
jeder wissenschaftlichen Discussion und sollten in dieselbe nicht hineingezerrt
werden.