[…] Von Dr. Jos. Kohler, Professor in Würzburg. Würzburg 1883. Nachwort zu
Shakespeare vor dem Forum der Jurisprudenz. Von Demselben. Würzburg 1884.
Wer von einem Buche verlangt, dass es in eines der
üblichen Literaturfächer streng hineingehöre, wird an dem vorliegenden keine
Freude haben. Denn es ist schwer zu sagen, ob dieses Werk eines
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Juristen über einen Posten eine juristische oder eine ästhetische Arbeit sei.
Wer sich aber mit tiefen Gedanken und aus weitschichtigem Wissen strömenden
mächtigen Anregungen zufrieden gibt, der wird
Kohler's Buch zu
wiederholten Malen lesen und immer neue geistige Genüsse daraus schöpfen. Denn
Kohler ist nicht nur ein Gelehrter und Philosoph – seine tiefe
Empfindung, sein lebhaftes Gefühl für alles Wahre und Schöne stempelt ihn zum
Dichter und auf seinem Buche ruht der tiefe Reiz der Poesie.
Hier aber sollen wir es ja nur mit dem Rechtshistoriker und Juristen
zu thun haben und uns auch nur auf den Standpunkt der Jurisprudenz stellen – nun
wohl! halten wir uns an unsere Aufgabe.
Inwiefern kann ein Dichter Gegenstand einer
rechtswissenschaftlichen Untersuchung bilden? Zunächst müsste diese Frage dahin
beantwortet werden, dass uns der Dichter, als Darsteller des Lebens [u]n[d]
de[r] Anschauungen seiner Zeit, eine wahre und unverfälschte Quelle der
Rechtsgeschichte sein kann. So könnte man z. B. aus Homer
die Rechtsgewohnheiten und Anschauungen der Griechen der homerischen Zeit
exc[erpiren] – was auch vielfach geschehen ist. Auf diese Weise aber und zu
diesem Zwecke Shakespeare zu verwerthen, war keineswegs
Kohler's Absicht
– und mit Recht – denn, er sagt es ja selbst, für das Recht und die
Rechtsanschauungen der Zeit Shakespeare's haben wir andere Quellen in Hülle und
Fülle und brauchen daher nicht zu diesem Quellen-Surrogat zu greifen.
Kohler weist vielmehr seinem Dichter eine höhere Rolle zu. Er fasst
ihn als Rechtsphilosophen auf; als solchen schätzt er ihn hoch und nicht mit
Unrecht. Er prüft ihn auf seinen rechtsphilosophischen Inhalt; er will seine
Ideen über das Recht und einige wichtige Rechtsinstitute kennen lernen und
kennen lernen lassen. Damit aber glaubt
Kohler seine
Aufgabe noch nicht erschöpft. Als Rechtshistoriker will er uns auch den
Zusammenhang der Shakespeare'schen Ideen über das Recht mit der geschichtlichen
Entwicklung desselben nachweisen. In Anbetracht nun, dass es sich hier um einen
wirklich „gottbegnadeten“ Dichter handelt, dessen Werke von unsterblichem Werthe
sind – um einen Dichter, wie er nur vielleicht von Jahrtausend zu Jahrtausend
der Menschheit beschieden ist, muss die Aufgabe, die sich
Kohler stellte,
als vollkommen berechtigt anerkannt werden. Auch entspricht der Erfolg
vollkommen den Bemühungen des Verfassers. Die rechtsphilosophische Ausbeute aus
der reichen Fundgrube Shakespeare'scher Dichtungen ist eine ganz respectable. Da
wird zuerst an dem „Kaufmann von Venedig“ das Schuldrecht in seiner
universalhistorischen Entwicklung und bei dieser Gelegenheit das Verhältniss des
Rechts zur Moral beleuchtet.
Kohler tritt hier
mit grossem Geschick der bekannten Auffassung
Ihering's
entgegen, als ob der Richterspruch des „weisen Daniel“ eine Verhöhnung des
Rechts, ein „elender Winkelzug“ wäre und legt dar, wie dieser Richterspruch dem
neuen, im Bewusstsein des Volkes bereits siegreichen
Rechtsgefühle Ausdruck verschaffe gegenüber dem
alten, formell noch giltigen Rechte,
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das jedoch im
Rechtsbewusstsein des Volkes schon jeden Boden verloren habe und mit der
lebendigen Moral nicht mehr vereinbar ist. Dieser letztere Umstand zwingt den
„weisen Daniel“, dem veralteten formellen Rechte eine Nase zu drehen, um dem
noch nicht codificirten, erst in der Larve der Moral befindlichen Rechte zum
Siege zu verhelfen. – Hamlet gibt dem Verfasser Veranlassung, uns eines der
ältesten Rechtsinstitute der Völker, die Blutrache, in ihrer historischen
Entwicklung darzustellen.
[1]
Hier ists's wieder der Held des Stückes selbst, über dessen
Rechtsgefühl die alte barbarische Strenge der Blutrache ihre Macht bereits
verloren hat; Hamlet ist zu sehr Philosoph und Culturmensch, um dem grausamen
rücksichtslosen Rachetrieb des alten Rechtsinstituts zu fröhnen. – In „Maass für
Maass“ zeigt uns der Verfasser einerseits den Conflict zwischen geschriebenem,
nicht aufgehobenem Rechte und einer demselben zuwiderlaufenden Uebung,
andererseits die hohe Bedeutung des Begnadigungsrechts. Auch die übrigen Dramen
Shakespeare's werden auf ihren juristischen Gehalt geprüft und ausgebeutet. Es
ist nicht möglich, hier auf Einzelnes einzugehen, doch wollen wir nur bemerken,
dass, abgesehen von dem grossen rechtsgeschichtlichen Werthe der Darstellungen
über Schuldrecht und Blutrache, das Buch in allen seinen Partien von grösstem
Interesse ist – allerdings nicht
nur für den Juristen,
sondern auch für den Verehrer Shakespear'scher Dichtung und somit, das läuft
wohl auf eins hinaus, für jeden, der Sinn für Poesie hat. Shakespeare hat in
Kohler einen seiner besten Interpreten gefunden.