In case of further interest in archive documents please contact gerald.mozetic@uni-graz.at or reinhard.mueller@uni-graz.at
[home]
Rezension von: Hugo Preuss: Gemeinde, Stat, Reich als Gebietskörperschafen. Versuch einer deutschen Statsconstruction auf Grundlage der Genossenschaftstheorie. Berlin 1889, in: Deutsche Litteraturzeitung, Jahrgang 1891, Nr. 10, S. 343-345.
[Rezension:] Hugo Preuß: Gemeinde, Stat, Reich als Gebietskörperschafen. Versuch einer deutschen Statsconstruction auf Grundlage der Genossenschaftstheorie.
[…] Berlin, Springer, 1889. XI u. 419 S. gro. 80. M. 8.
Ludwig Gumplowicz
[…] Berlin, Springer, 1889. XI u. 419 S. gro. 80. M. 8.
343
Wer des Verfs. akademische Antrittsrede über die Entwicklung der Statstheorie in Schmollers Jahrbuch XIII gelesen hat, muss demselben ein günstiges Horoskop stellen. Er ist ein geistreicher, für seinen Gegenstand begeisterter Forscher, der sich auf fortschrittlicher Bahn bewegt. Sein vorliegendes Werk sit eine Ausführung des in jener Rede kurz entwickelten statsrechtlichen Porgramms. Die Grundidee des Verfs. wurzelt in der Genossenschaftstheorie, und der vertritt die Ansicht, dass die menschlichen „Verbände“, da sie eine aufsteigende Evolution darstellen (Familie, Gemeinde, Stat, Reich, Weltverein), auch entwicklungsgeschichtlich erklärt werden müssen.
In dem ersten dogmengeschichtlichen Teil versucht nun Verf. den Nachweis, dass die bisherige
344
deutsche Statstheorie trotz „zahlreicher und manigfacher Consctructionsversuche nur ein negatives Resultat“ erzielte. Den Grund dieses Misgeschickes scheint Verf. in dem Umstande finden zu wollen, dass die bisherige Statstheorie den Souveränetätsbegriff zum Ausgangspunkt nahm; der müsse ganz eliminiert werden (S. 99). Den zweiten Teil widmet Verf. der Analyse der Begriffe: Souvernänetät, Stat und Herschaft, wobei er wider gegen die bisherigen Theorien polemisiert und nachzuweisen sucht, wie aus dem „germanischen Recht sich das Grundprincip des modernen Rechtsstat entwickelt, welches berufen ist den romanischen Begriff und das romanische Wort: Souveränetät ganz zuverdrängen“ (S. 136). Im dritten Teil folgt die Synthese des Verfs., welche darin gipfelt, dass „nicht nur begrifflich, sondern auch historisch die Gemeinde das Primäre, der Stat das Secundäre, das Reich das Tertiäre ist“ (S. 207). „Dermaleinst“ aber wird sich „vielleicht“ auch „der umfassende Organismus der Völkergemeinschaft vollenden“ (208). Ref. glaubt damit den Standpunkt und die Grundidee des Buches angedeutet zu haben. Verf. scheint der Ansicht zu sein, dass er uns eine „juristische“ Statsconstruction bietet; Ref. dagegen ist der Ansicht, dass wir es mit einer mehr geschichtsphilosophischen (stark an Hegel erinnernden) Construction zu tun haben. Große Begabung, Geist und Scharfsinn gesteht Ref. dem Verf. gerne zu; leider aber steht Ref. auf einem schnurstracks entgegengesetzten Standpunkt. Wenn, wie das Verf. in seiner Antrittsrede sagte, „Theorie“ so viel heißt wie „sehen dessen, was wirklich ist“: so hält Ref. die hier aufgestellt Theorie des Verfs. für unrichtig, weil die hier dargestellte Evolution der Wirklichkeit nicht entspricht. Verf. nennt sein Buch einen „Versuch einer deutschen Statsconstruction“. Damit hat er wol selbst angedeutet, dass diese Construction für die gegenwärtige Situation des deutschen Reiches passt, dieselbe als eine notwendige historische Erscheinung erklärt. Das mag richtig sein. Von einem allgemeineren Standpunkte aus aber kann Ref. diese Construction als richtig nicht acceptieren; auf andere Staten der Welt, auf den Stat als solchen passt sie keineswegs. Es gab in Deutschland schon sehr viele Statsconstructionen, welcher immer den Zweck hatten, den gegebenen Zustand begrifflich zu begründen; die älteste dieser Constructionen lautete: „römisches Reich deutscher Nation“. Jede solche Construction ist ein Versuch, das momentan Bestehende, soweit es eben geht, als das historisch Notwendige und allein Berechtigte darzustellen. In der Geschichte dieser Versuche wird einst der des Verfs. als einer der glänzendsten figurieren. Wie aber Deutschland tatsächlich nie ein „römisches Reich“ war, trotzdem diese Construction einst ihre große Bedeutung und Berechtigung hatte, so ist der Stat tatsächlich keineswegs eine Zwischenstufe zwischen Gemeinde und Reich. Wenn aber eine befriedigende Erklärung und „Construction“ der gegenwärtigen statsrechtlichen Verhältnisse zwischen den Staten und dem Reiche in Deutschland bisher nicht gelungen ist, was Verf. mit Recht behauptet: so ist's ja möglich, dass die Ursache dieser Constructionsschwierigkeit ganz wo anders liegt, als wo sie Verf. sucht; sie kann ja auch darin liegen, dass, wie Joseph v. Held
345
meinte: „alle sogenannten Statenverbindungen in der Tat Etappen auf dem Einigungs- oder Enteinigungswege der Völker, also Uebergangsstationen sind“. Ref. neigt mehr zur Ansicht v. Helds.
Graz, Gumplowicz.