<name>Han Nächten bey ünsern Dorfrichtä [Einfältiges Bauern Lied auf die heil‹ige› Nacht.]</name> <date from="1760" to="1770">1765 +/- 5</date> <note type="comments"> <p>Ein traditionelles Hirtenlied ist bezeichnenderweise die älteste uns überlieferte Mundartdichtung Peter Gottlieb Lindemayrs. Denn diese vor allem im Alpenraum kultivierte Liedform ist nicht nur eine der beliebtesten des Volksgesangs und bis heute fest im Liedgut um den Weihnachtskreis verankert. Im Bereich der Dialektliteratur nimmt das Hirtenlied darüber hinaus eine Schlüsselstellung ein, war es doch an der Ausprägung und Verbreitung dieser Dichtungsart wesentlich beteiligt. Grund dafür ist das aus bäuerlicher Sicht hohe Identifikationsangebot der thematischen Vorgabe, die neutestamentarische Überlieferung von den Hirten auf dem Feld, denen der Engel die frohe Botschaft von der Ankunft des Herrn überbrachte (Lukas 2, 8-20). Im Mittelpunkt steht hier der einfache, ländliche Mensch, der – mit einem zentralen Mysterium der christlichen Glaubenslehre konfrontiert – intuitiv die richtige Entscheidung trifft und die Nähe des Herrn sucht, um ihn nach seinen bescheidenen Möglichkeiten zu huldigen. Bereits im 3. Jahrhundert findet sich diese Szene in den Bildprogrammen der Katakombenkunst. In der deutschen Literatur ist sie verbunden mit den Anfängen des Schauspiels als Teil unangestrengter religiöser Unterweisung für die ungebildeten Schichten in der Weihnachtsliturgie. Ab dem ausgehenden Mittelalter lassen sich schließlich vielfältige lyrische Umsetzungen, zumal in der Volkskultur, nachweisen. Die Ausgestaltung der bäuerlichen Lebenswelt, die gute szenische Umsetzbarkeit aufgrund der zumeist dialogischen Form, die Orientierung am Alltagssprachlichen und die Möglichkeit, wichtige Glaubensinhalte auch mit komischen und sentimentalen Elementen zu vermitteln, machten das Hirtenlied zu einem fixen Bestandteil des weihnachtlichen Brauchtums gerade in ländlichen Gegenden. </p> <p>Doch Bedeutung hatten diese Lieder als Ausdruck der Volksfrömmigkeit nicht nur im liturgischen Zusammenhang etwa bei der Hirtenmesse oder in privaten Andachten. Wichtig waren derartige Brauchtumslieder vor allem auch für die arme Bevölkerung als zusätzliche Erwerbsmöglichkeit. Wie u. a. Matthias Höfer und Pius Schmieder bezeugen, waren bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts die alten Stadlinger Schiffleute und auch Kinder unterwegs, um sich mit dem Singen von Liedern in der Weihnachtszeit bis um Dreikönigtag ein wenig Geld dazuzuverdienen, um den sonst einkommenslosen Winter zu überstehen. Gut denkbar, dass hier der junge Stadelschreiber seinen Untergebenen unter die Arme griff, indem er ihnen in den ersten Amtsjahren ein neues Lied für ihr Repertoire schrieb. So kann es auch nicht wundern, dass diese bezaubernde Pastorelle zum bekanntesten Lied P.G. Lindemayrs wurde und sich in erstaunlich vielen, teils stark zersungenen Fassungen erhalten hat. Einen ersten Überblick über die reiche Überlieferungssituation ab 1826 gibt Alfred Webinger 1923, den Arnold Blöchl in seinem Melodieergänzungsband zu Wilhelm Paillers wichtiger Weihnachtsliedersammlung überarbeitet. Nicht erfasst allerdings ist in beiden Zusammenstellungen neben der ältesten und authentischsten Handschrift auch die älteste überlieferte Melodie, die im Folgenden wiedergegeben wird. Die Autorenzuordnung, erstmals in Schmieders Edition 1875 getroffen und durch Hans Anschober, der das Lied unbegründet Maurus Lindemayr zuordnet, ein halbes Jahrhundert später in Frage gestellt, wird durch die Übereinstimmung der frühen Überlieferungsträger eindeutig bestätigt. </p> <p>Auf den ersten Blick verarbeitet <hi rend="italic">Han Nächten bey ünsern Darfrichtä</hi> durchaus traditionell die drei wichtigsten Handlungsmomente des Hirtenlieds: die Verkündigung durch den Engel, der Aufbruch zum Ort des Geschehens und die Anbetung des Kinds. Interessant allerdings ist die Modifikation der Sprechsituation, die der Autor in der ersten Strophe vornimmt. Denn das Lied beginnt nicht mit einem Simultanbericht der Ereignisse im Gespräch der Hirten oder einem unmittelbaren Augenzeugenbericht. Der bäuerliche Sprecher Lippel erzählt vielmehr, wie er über den besonderen Vorfall zunächst vom Dorfrichter informiert wurde, der ihn selbst nur durch Hörensagen vermittelt bekommen hat. Um dem Gesagten nachzugehen, machte er sich umgehend auf den Weg und fand die Heilige Familie im Stall. In der Schlussstrophe, in der erstmals eine konkrete Zuhörerschaft angesprochen wird, fordert er konsequenterweise auch alle seine Nachbarn auf, nach seinem Bericht sich von der Wahrheit des Gesagten persönlich zu überzeugen. So wird bereits über die Spezifizierung der Redesituation auf einen wesentlichen Aspekt der christlichen Heilslehre hingewiesen, den Glauben an die gute Botschaft („Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben“, Joh. 5,24). <lb></lb>Durchaus dem Bilderschatz der Gattungstradition entnommen sind die folgenden Schilderungen des bäuerlichen Sprechers, doch gewinnen sie durch die geschickte Kombination von Erhabenem und Niedrigem, von Transzendentem und Allzumenschlichem im Hausruckviertler Basisdialekt einen besonderen Reiz. Das Halleluja der Engel wird zur rübensüßen ‚Musi‛ barocker Putti, die ausgelassen um den zu Tode erschrockenen Lippel herumtollen. Dieser wiederum versetzt die stillende Gottesmutter mit seinem ungestümen Auftreten in Angst und Schrecken. Ungleich zurückhaltender ist der Bauer aber dann in der entzückenden Szene mit dem Jesuskind, das er nur schüchtern anzustupsen wagt, bevor er es schließlich doch in seiner überschäumenden Begeisterung umarmt und küsst. Ein eher selten verarbeitetes Motiv ist dagegen die selbstreflexive Thematisierung des Liedsingens. </p> <p>Nicht nur die Inszenierung des Sprechers, auch die Strophenform mit zweiteiligem Aufbau verwendet Peter Gottlieb Lindemayr wenige Jahre später auch bei seinem ‚Urlaublied‘ <ref target="info:fedora/o:dic.499">"Es hat mä mein Nachbä dä Kramä"</ref> wieder. Der erste Strophenteil verbindet stumpf und klingend endende Verse im Kreuzreim, der zweite besteht aus zwei Paarreimen, der erste mit klingender, der zweite mit stumpfer Kadenz. Die dreihebigen Verszeilen mit Auftakt und überwiegenden Doppelsenkungen verweisen auf eine dem ‚Landler‘ nahestehende originale Vertonung im Dreiviertel- bzw. Sechsachteltakt. Ob sie mit jener Melodie identisch ist, die Frauenberger für Klavier arrangiert hat, müssen weitere Quellenfunde weisen. Stilistisch weist die Literarisierung des Dialekts noch einige Unsicherheiten auf; nicht selten kommt es zu Interferenzen mit standardsprachlichen Formulierungen (so etwa in der vierten Strophe der Reim ‚hinein-ein‘). </p> </note> Dialect Cultures Christian Neuhuber Projektleitung Editor Stefanie Edler Editor Elisabeth Zehetner Editor Alexander Nussbaumer Technische Umsetzung Institut für Germanistik, Universität Graz Austrian Centre for Digital Humanities, University Graz o:dic.502

Weihnachtslied / Hirtenlied
Sitemap lyrics Weihnachtslied-Hirtenlied
Einfältiges Bauern Lied auf die heil‹ige› Nacht. 1789-1799 Lambach, Stadl-Paura (?) Han Nächten bey ünsern Darfrichtä Peter Gottlieb Lindemayr Friedrich Kramel Sammelhandschrift Peter Gottlieb Lindemayrs [StbSch Cpl 347] Neuhuber (Hg.) Peter Gottlieb Lindemayr. Lieder in oberösterreichischer Mundart 2010 Neuhuber, Christian (Hg.): Peter Gottlieb Lindemayr. Lieder in oberösterreichischer Mundart. Hg. und kommentiert von Christian Neuhuber. Kritische Erstausgabe. Wien: edition präsens 2010. 15 Han Nächten bey ünsern Darfrichtä

StaL Ccl 718/II, f. 163v

Einfältiges Bauern Lied auf die heil‹ige› Nacht.

1 Han Nächten bey ünsern Darfrichtä Ä seltsami Zeitüng däfarn, Daß äf dä Haid seltsami G'sichtä Durch d'Nachbäsbuebm gsehä sänd warn. Dräf han ih mich nöt gar lang bsunnä, Han Steckä, und Schnapsack gschwind gnummä, Ih wollt halt äh wissen ungfähr, Was öppä dös Wundä Ding wär.

2 Ih säh wohl ä Glanzen, ä Glitzeln, In Lüften schön gflügelti Buebm. Iehn Musi dö thät mich recht kitzeln Wär süß, wie ä hoirigi Ruebm. Der Obrist sait: Frieden auf Erden Soll heut huntern Leuten noh werden, Dö's gut und recht aufrichti mainn, Mit Sünden Gott zürnä nit thain.

3 Dräf hat ä sih umdräht und g'schwungä, Ih bagäzet, wie's Öspa Laub; Dö Klienern sänd um mih her gsprungä Däß alls dicks dävon gieng dä Staub. Du derfst dä nit fürchten, Mein Lippel! Sait ainä zu mir, dort in Krippel Wirst finden bey Esel und Rind Ä neugebohrn, wundäschöns Kind

4 Flux kämm ih gleih hin zu dä Hütten Und scha[u] bey dä Klumpsen hinein. Den Alten, den thät ih schön bitten, Ä möcht mih ä weng lassen ein. Der hat mä ganz freundlä grads gwunkä, 's Kind hat in dä Muedä just trunkä. Däkemmä ist recht die gut Frau, Hat schon gmaint, ih bin dä Wauwau.

5 Aft thät ih's Guraschi erst nehmä Han's Kind bey dä Zeher antatzt. Dä Kitzel thät mir so weit kemmä Hann busserlt und g'halst däß alls gschmatzt. Dräf hat ä mih ganz Kerzen grehä Ganz steif, und recht freundlih angsehä Ih sung iehm ä Liedel ä drey. Äs iß iehm recht wohl gwön dabey.

6 Gehts Buebmer und Menschär allsammä, Wenn's äh dößel Wunä wöllt schaun. Ös Nachbäsleut all mitänanä Ös derft's eng äh währlä wohl traun. Thüet's Öpfel und B[ir]n mit eng nehmä Ös werd's sechsmal wiedä bekemmä Gott wird enggar gwiß däfür gebn Das ewi, und auserwöhlt Lebn.

Hirtenlied 2. Hälfte 18. Jh. Hofgastein Nacht hab i von unsern Dorfrichta Maurus Lindemayr Pinzgauer Volkslieder [Liedersammlung des Franz Lackner] (Sbg. Museum HS 1094) Hummer Franz Lackner und seine Liedersammlung 1984 Hummer, Hermann: Franz Lackner und seine Liedersammlung. In: Jahrbuch des österreichischen Volksliedwerkes 32/33 (1984), S. 79-89.

Quelle: Liedersammlung des Franz Lackner ("Pinzgauer Volkslieder", 1886) Nr. 5, S. 9f. (Text und Noten); dort datiert auf "c. 1750"; tatsächlich muss es wohl etwas später niedergeschrieben wordensein. Vgl. auch Hummer 1984, der auf S. 82 Auszüge aus diesem Lied abdruckt; allerdings mit normalisierter Schreibung und auch im Inhalt/Wortlaut (!) stärker abweichend, sodass fraglich ist, ob er für den Auszug nicht in Wirklichkeit auf eine andere Quelle zurückgegriffen hat.

In der Handschrift findet sich neben dem Titel die Autorangabe Rupert Kapeller (s.u.). Diese Autorzuschreibung ist falsch, denn das Lied stammt ursprünglich von P.G. Lindemayr; eventuell könnte die Nennung von Rupert Kapeller in der Sammlung aber als Hinweis auf eine von ihm verfasste Melodie zu sehen sein.

Die letzten zwei Strophen der Hauptvariante fehlen in dieser Version, dafür ist eine andere letzte Strophe angefügt.

[S. 9] No. 5 Hirtenlied von Franz [durchgestrichen; darüber:] Rupert Kapeller, Lehrer in Hofgastein (c. 1750)

1. Nacht hab i von unsern Dorfrichta a seltsame Zeitung dafahrn, daß auf da Haid ganz fremde Gsichta beim Dorf bueman gsehn sand warn. Da habi mi gar nit lang bsunna, hab Schnappsack und Steckn mitgnumma, da wollt i halt wissen, wie rah, was das für a Wunderding wah.

2. Da sah i halt glinnzln u. glitzln in Wolken, schön singa dö Buam do [sic] Musik dö that mi schier kitzln, weils a no so schön singa thun. Ein Obrihter soll ja auf Erden Er soll ja der höchst König werden, Daß Gott mit uns aufrichtig moat, Und d Sünden von uns wegga loat.

[S. 10] 3. Da hat er sich um und um gschwunga, Potz tausend, wie‘s Oeschbama Lab Die Lampl sind ghupft und sand gsprunga Ja daß krat daran geht da Stab. Du därfst dö nit z’fürchtn, mein Lippl, Sagt oana, da drinna ban Kripl Gehts eina und schauts nur krat gschwind, Dort drin ba da Muada ligts Kind.

4. Wie ich zu dem Stall hin bin kemma, Schau ich ba da Klumpsen hinein, Da sah i an steinalte Dattl, frag, ob i nöt därfat hinein. Da Josef, der hat mir glei gwunka, S’Kind hat bei der Mutter drin trunkn, Dekemma is wohl die schön Frau, Hat gmoat und i bin der Wau wau.

5. Und wenn es nicht kommt zum sterben, So bitt i dich, herzig schöns Kind Thu uns doch die Gnade erwerben, Verzeihung all unserer Sünd. Wir bitten, du wollst uns erquicken, Du wollst uns von gähen Tod bschützen, Führ uns in den Himmel hinein Wannst einmal der Richter wirst sein.

o.T. [Ha Nächtn ban ünsan Darfrichta] Ha Nächtn ban ünsan Darfrichta Peter Gottlieb Lindemayr Ernest Frauenberger Liedersammlung des P. Ernest Frauenberger (MaK G 45, 819a) Sherman (Hg.) The Lambach Thematic Catalogue 2001 Sherman, Charles H. (Hg.): The Lambach Thematic Catalogue (1768): A Facsimile Edition With Annotations and Commentary (Thematic Catalogues 27). Hillsday, New York 2001.

f. 30r-30v + 27r (Abschluss in erster Zeile), Melodie mit Klavierarrangement und 1. Strophe Frauenberger wohl nur Arrangeur einer älteren Melodie eines unbekannten Komponisten

Anton Obermayr nennt in seinem Katalog von 1768 Kramel als Komponisten dieses Lieds, vgl. Sherman Nr. 945