Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

Realitäts- und Wirklichkeitskonzepte in der Moderne
Literatur, Kunst, Fotografie und Film

Susanne Knaller

Beginnen lässt sich mit einer Besonderheit der deutschsprachigen Begriffsverhältnisse – der seit dem 18. Jahrhundert und besonders mit Kant gültigen Differenzierung von Realität und Wirklichkeit.1 Weder die anglo-amerikanischen noch die romanischen Sprachen kennen diese Unterscheidung. Dieser Umstand wird wiederum dadurch kompliziert, dass Realität und Wirklichkeit seit dem 20. Jahrhundert in der Umgangssprache wie auch in akademischen Texten häufig als Synonyme verwendet werden. Selbst im wissenschaftlichen Gebrauch ist eine ausführlich argumentierte Differenzierung selten. Die Wahl, für die vorliegende historische und systematische Textsammlung und Analyse ‚Realität‘ und ‚Wirklichkeit‘ zu verwenden, ist begriffsgeschichtlich motiviert und durch das hier ins Verhältnis gesetzte besondere Feld der Sprach- und Bildkünste begründet. Die doppelte Begrifflichkeit berücksichtigt zudem das mit Realität und Wirklichkeit formulierbare prozessuale Spiel zwischen einer – wie auch immer epistemologisch und erkenntnistheoretisch verstandenen – Entität, Sachheit bzw. Sachverhaltschaft (Realität) und einem jeweils in Gang gesetzten und sich äußernden Werden bzw. Wirken (Wirklichkeit). Ein Verweisungs- und Wirkungsprozess, der besonders das künstlerische Schaffen produktiv bestimmt und gestaltet. Keinesfalls stellen ‚Realität‘ und ‚Wirklichkeit‘ die einzigen semantisch verknüpfbaren Begriffe dar. Das zeigen das Register der Website und die Eintragungen in der Kategorie ‚Realitätsbegriffe‘, die auch ‚Welt‘, ‚Sein‘, ‚Dasein‘ und ‚Natur‘ umfassen. Angesichts dieser komplexen Begriffslage soll mit einem kurzen Überblick über relevante Aspekte der Begriffsgeschichte begonnen werden, um in einem weiteren Schritt auf epistemologische und Kunstfragen einzugehen.

A) Realität oder Wirklichkeit?

Vor der Konstruktion eines modernen Subjektbegriffs im 18. Jahrhundert, also vor der Annahme, dass Wahrnehmung, Bewusstsein und Medien die Grundlage von Realitäts- und Wirklichkeitskonzeptionen bilden, und vor einem modernen Repräsentationsbegriff, der ein Konzept von Subjektivität und Differenz voraussetzt und damit eine der Grundlagen für moderne Konzeptionen bildet, steht ‚Realität‘ noch unter dem Einfluss der scholastischen Tradition. Diese versteht unter realitas die Eigenschaft, die Wesenheit, im Plural unter realitates die formalen Merkmale einer res. Davon unterschieden wird ens und esse, also ein Seiendes, Seiendheit, Termini, die wiederum mit dem Adjektiv ‚real‘, also Eigenschaften verbunden werden können. Eine wichtige Unterscheidung bildet dabei die Auffassung von Sein, das aus sich selbst Sein hat (ens reale) von solchem, das sich im Intellekt bildet (ens rationis).2 Reales (also in der Natur gegebenes) und konzeptuelles Sein sind daher im Begriff ebenso von Anfang an verankert wie das Konzeptpaar real-ideal (Sein und Denken). Dabei zeigt sich, dass eine strenge Differenzierung von real-ideal bzw. Realität-Idealität auch in frühen Verwendungen nicht gegeben ist.3 Vor Kant jedoch ist das Verhältnis zwischen Ding, Zeichen und Denken statisch und komplementär. Alle Formen sind nur in ihrem Verhältnis zum (grundsätzlich perfekten) System Natur möglich. Daher ist die absolute Form auch immer „ideal“ – ens realissimum. Die damit zusammenhängenden Fragen nach dem Status der Objekte, dem Verhältnis von Sein und Möglichkeit, Zustand und perfectio bzw. Objekt und Idee liegen auch den bahnbrechenden Überlegungen Descartesʼ zugrunde, dem es um das Problem der Seiendheit des denkenden Ich, der Objekte und der Denkinhalte geht.4 Der Descartesʼsche Rationalismus hat u.a. zu zwei Konsequenzen für die westliche Episteme geführt: a) Wissen basiert nunmehr auf einer Division zwischen kognitiven Subjekten und realen Objekten. Ein Verhältnis, das einen semiotischen Prozess impliziert, der nur durch die Transzendierung des Subjektiven und der Semiosis gestoppt werden kann. b) Auf Grund der Tatsache, dass Wahrheit auf Kognition beruht, ist das Reale (im Sinne von Substanz) durch res extensa (Objekte, Materie) wie durch res cogitans (Denken) formiert. Da letztere die Wahrheit begründet, ist res extensa wahr nur aufgrund ihres Seins als Repräsentation oder als Inhalte der res cogitans. Wissen und Erkenntnis sind daher in letzter Konsequenz nur kognitiv und begrifflich „wahr“. Erst an diesem Punkt wird ein modernes Konzept von Realität vorstellbar: Realität als ontologisches, philosophisches Konzept ist das Andere des Subjekts, das dieses rational verstehen und zu kognitivem Gehalt abstrahieren muss, um Wahrheitsansprüche stellen zu können. Wie sich zeigt, führt der kartesianische Rationalismus die Semiosisfrage ebenso mit sich wie die Befragung empirischer Objekte. Mit der Semiosisfrage stellt er das Problem der Repräsentation, der „Objektwerdung“ der Idee in den Raum, mit der Frage nach Empirie die Seiendheit von Subjekt und Objekt. Wobei realitas einen Sachgehalt in der Repräsentation (realitas obiectiva) oder in der Natur (realitas formalis) meint.5 An dieser Stelle muss auch betont werden, dass der Oberbegriff des gesamten Seins, das Regelwerk und -system bis in das 19. Jahrhundert durch den Begriff „Natur“ bestimmt wird. Dieser bleibt auch der Bezugspunkt für das Verhältnis von Sein und Denken, Objekt und Subjekt, res extensa und res cogitans.

In Auseinandersetzung mit dem rationalen Ansatz Descartesʼ wird schließlich Kant in der Kritik der reinen Vernunft ein System erstellen, das die Koordinaten von Subjekt und Natur über die Relation Subjektivität und Begriff in ein idealistisch orientiertes System führt. Weiterhin relevant bleibt damit die Problematik von Realität und Idealität, also Sein und Denken. Denn das Objekt „entsteht“ nur, wenn man es wahrnimmt. Gleichzeitig setzt Wahrnehmung Objekte voraus, weshalb Wirklichkeit von einer Setzung, einem Akt abhängig ist, dessen Wirksamkeit von Anschauungsformen wie Raum und Zeit und von Realitätskategorien bedingt ist.6 Nicht einsehbar, nur annehmbar und als von einer höheren Ordnung geregelt ist dabei die Realität, die Seinsweise der Dinge im Gegensatz zur Wirklichkeit, dem Dasein.7 Kants Zeitgenossen Friedrich Heinrich Jacobi paraphrasierend, beschreibt Albrecht Koschorke das Kantʼsche Pardox so: „Ohne die Annahme von Gegenständen, die auf die menschliche Wahrnehmung einwirken, findet man keinen Einlass in das System der Kantischen Erkenntniskritik; mit dieser Annahme aber verliert man diesen Aufenthaltsort sogleich wieder.“8 Denn jede Rückführung von den Erscheinungen auf die Dinge an sich ist nur kausal denkbar. Kausalität ist aber gemäß dem Kantʼschen Kategoriensystem mit außerhalb der Erscheinungswelt liegenden Verhältnissen nicht verknüpfbar, weshalb Kant letztendlich seinem eigenen Erklärungsmodell widerspricht.9 Dieses ungelöste Dilemma zwischen Empirie und Idee, Erscheinung und Ding an sich wiederholt sich bis heute in unterschiedlichen diskursiven Spielarten und poetologischen Programmen. Abgesehen von den damit verbundenen philosophischen Grundfragen nach dem Seinsstatus der Dinge und den Möglichkeiten perzeptiver, kognitiver und repräsentativer Einsicht und Darstellung gehört dieses erkenntnistheoretische Dilemma zu den begründenden Voraussetzungen eines modernen Selbstverständnisses in Literatur und Kunst. Besonders brisant wird die Frage dann, wenn im 20. Jahrhundert die Realitäts- und Wirklichkeitsbegriffe bestimmenden Konstituenten wie Subjekt und Medium uneingeschränkte Autonomie wie (Selbst)Reflexivität zugesprochen bekommen.10 Vorerst, im 18. Jahrhundert, versuchen die ästhetischen und künstlerischen Systeme, den Fragen über den umfassenden Begriff der Natur nachzugehen.

B) Modell Natur

Seit dem 18. Jahrhundert wird der Zusammenhang von Kunst und Realität zweifach bestimmt: von 1) dem Umstand, dass sich ein moderner Realitäts- und Wirklichkeitsbegriff mit der Annahme einer objektiven Realität herausbildet, der wiederum in Relation zu setzen ist mit der gleichzeitig durch die Ästhetiktheorien und Kant in Gang gesetzten 2) Infragestellung einer letztgültigen rationalen Beweisbarkeit, wenn nicht der vorausgesetzten Notwendigkeit eines solchen Konzepts. Die in Kant angelegte Konstruktivität von Wahrnehmung und Anschauung schreibt den repräsentativen oder medialen Akt zu einem individuellen, schöpferischen und fiktiven um. Die Vorstellung des geniehaft kreativen Künstlers setzt daher eine Aufwertung des empirischen und sensitiven Erfahrens voraus, wie sie auch die Materialität der Repräsentation stärker in den Blick bekommt. Der Ort der höchstmöglichen kognitiven und formalen Möglichkeiten und der Freiheit des menschlichen Wirkens wird die Kunst. Dennoch hat sie sich wie jedes Sein und jeder Wirklichkeitsakt ihrem Verhältnis zum umfassenden Modell der Natur zu stellen. Zunächst Kants berühmtes Zitat:

Genie ist das Talent (Naturgabe), welches der Kunst die Regel gibt. Da das Talent, als angebornes produktives Vermögen des Künstlers, selbst zur Natur gehört, so könnte man sich auch so ausdrücken: Genie ist die angeborne Gemütsanlage (ingenium), durch welche die Natur der Kunst die Regel gibt.11

A. W. Schlegel resümiert:

Wenn man aus dieser subjektivsten Verengung das Wort Natur wieder bis zum Inbegriff aller Dinge erweitert, so leuchtet freylich, daß die Kunst ihre Gegenstände aus dem Gebiete der Natur hernehmen muß; denn es gibt alsdann eben nichts andres. Die Fantasie kann in ihren kühnen Flügen zwar übernatürlich, aber niemals aussernatürlich werden. Die Bestandteile ihrer Schöpfungen, wie sie auch durch ihre wunderbare Thätigkeit verwandelt seyn mögen, müssen immer aus einer vorhandenen Wirklichkeit entlehnt seyn. In diesem Sinne braucht man aber gar nicht der Kunst vorzuschreiben, daß sie die Natur nachahmen soll, sondern sie muß es; es hat gar keine Gefahr, daß sie etwas anders können wird. Der Satz würde daher richtiger lauten: die Kunst muß Natur bilden; wo er alsdann blose Thatsache und berichtigter Ausdruck von dem des Aristoteles wäre. [...]

Wird nun Natur in dieser würdigsten Bedeutung genommen, nicht als eine Masse von Hervorbringungen, sondern als das Hervorbringende selbst; und der Ausdruck Nachahmung in dem edleren Sinne, wo es nicht heißt, die Äusserlichkeiten eines Menschen nachäffen, sondern sich die Weise seines Handelns zu eigen machen, so ist nichts mehr gegen den Grundsatz einzuwenden, noch zu ihm hinzuzufüen [sic!]: die Kunst soll die Natur nachahmen. Das heißt nämlich, sie soll wie die Natur selbständig schaffend, organisirt und organisirend, lebendige Werke bilden, die nicht erst durch einen fremden Mechanismus, wie etwa eine Pendeluhr, sondern durch inwohnende Kraft, wie das Sonnensystem, beweglich sind, und vollendet in sich selbst zurückkehren. Auf diese Weise hat Prometheus die Natur nachgeahmt, als er den Menschen aus irdischem Thon formte, und ihn durch einen von der Sonne entwandten Funken belebte.12

Wie die Zitate zeigen, ist die wichtigste Vorgabe für ästhetische Formen im 18. Jahrhundert das Verständnis und die Befolgung der Vorgaben des Systems Natur. Dieses die ästhetische Formen konstituierende Verhältnis von Kunst und Natur bedingt in der Folge zum einen die Wichtigkeit der Frage nach den Differenzierungskriterien von Kunst und Nicht-Kunst (d. h. unter anderem auch Wirklichkeit, Geschichte). Andererseits weist es auch auf die Notwendigkeit hin, das künstlerische Objekt in der Wirklichkeit zu verorten, es einerseits als reales Objekt zu erkennen und dessen Seinscharakter poetologisch zu behandeln wie andererseits Seinsstatus literarischer und künstlerischer Figuren und Inhalte zu bestimmen. Beiden ästhetischen Grundfragen, der Differenz von Kunst und Nicht-Kunst sowie dem Realitätsgrad der künstlerischen Arbeit, soll im Folgenden nachgegangen werden. Dazu ist ein Blick auf die Wissenschaften hilfreich.

C) Kunst – Nicht-Kunst

Die stete Ausbildung der Ausdifferenzierung der Wissensdiskurse bedingt in nicht geringem Maße, dass moderne Sprach- und Bildkünste möglich werden. Jedoch bildet einen Legitimationsgrund für die Wissenschaften ihre Abgrenzung zum Komplex Dichtung/Literatur, der zu einem Gegenstand mit Eigenschaften und Interessen wird, die diese nicht bestimmen dürfen: das als Wahrnehmungskategorie aus den Wissenssystemen sich emanzipierende Schöne und eng im Zusammenhang damit Affektbildung, Subjektivität. David Hume zeigt das in aller Deutlichkeit:

Morals and criticism are not so properly objects of the understanding as of taste and sentiment. Beauty, whether moral or natural, is felt, more properly than perceived. […] If we take in our hand any volume; of divinity or school metaphysics, for instance; let us ask, Does it contain any abstract reasoning concerning quantity or number? No. Does it contain any experimental reasoning concerning matter of fact and existence? No. Commit it then to the flames: for it can contain nothing but sophistry and illusion.13

Mimesis I

Wenn es also für die Kunst- und Literaturfragen des 18. Jahrhunderts eine Gemeinsamkeit gibt, dann ist es der Auftrag zur Auseinandersetzung mit der Natur. Diese allgemeingültige Grundbedingung, die schon in Humanismus und Renaissance Legitimationsfunktion für die bildende Kunst und Dichtung hatte, hält auch so disparat angelegte Konzepte wie das der imitatio naturae oder den ut pictura poiesis-Topos zusammen, wie er deren Veränderungen bedingt. Auch der immer wieder stark gemachte Dualismus Realismus-Idealismus wird durch den gemeinsamen Nenner der Naturbetrachtung abgeschwächt. Schiller zeigt das in seiner Abhandlung Über naive und sentimentalische Dichtung, in der naiver (nachahmender realistischer) und sentimentalischer (idealisierender) Dichter zum Naturmodell verpflichtet werden:

Dem naiven Dichter hat die Natur die Gunst gezeigt, immer als eine ungeteilte Einheit zu wirken, in jedem Moment ein selbstständiges und vollendetes Ganzes zu sein und die Menschheit, ihrem vollen Gehalt nach, in der Wirklichkeit darzustellen. Dem sentimentalischen hat sie die Macht verliehen oder vielmehr einen lebendigen Trieb eingeprägt, jene Einheit, die durch Abstraktion in ihm aufgehoben worden, aus sich selbst wieder herzustellen, die Menschheit in sich vollständig zu machen, und aus einem beschränkten Zustand zu einem unendlichen überzugehen. Der menschlichen Natur ihren völligen Ausdruck zu geben ist aber die gemeinschaftliche Aufgabe beider, und ohne das würden sie gar nicht Dichter heißen können;14

Der im Mimesisbegriff enthaltene Auftrag, künstlerische und literarische Äußerungen in ein Verhältnis zur Natur zu setzen, definiert die Künste und ihren Stellenwert zueinander, legt ihren Wissens- und Erkenntniswert fest. Wobei künstlerische visuelle und sprachliche Formen in allgemeine und erkenntnisorientierte Aussagen übertragen werden sollen. Das gelingt, indem Kunst wie Literatur auf Kongruenz mit Natur zielen, eine Zusammenführung, die die künstlerischen Zeichen mit einer Überführbarkeit von Form in Aussage, der Transzendierung des semiotischen Materials ermöglichen würden. Diese mimetische Qualität wiederum garantiert die Übertragung des künstlerischen Zeichens in Affekte wie Begrifflichkeit. Wirksam wird dabei sowohl die Bedeutung von Mimesis als Gestaltung von Ähnlichkeit wie auch das Verständnis von Mimesis als Abstraktion eines Modells. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Ähnlichkeit und Abstraktion lässt sich schon bei Aristoteles erkennen, dem es um die Erkenntnis von Mustern, Organisationsformen bzw. Strukturen des Seienden geht. Daher meint sein später als Diktum ausgelegte Gedanke von der Nachahmung der Natur nicht Mimesis einer Vorlage, sondern Mimesis eines Modells und von Verfahren.15 Das Bild und der Text mit Mimesisauftrag sollen das Modell, die Struktur und damit die Idee der Erscheinungen zur Evidenz bringen. Das gelingt durch die wahrscheinliche Fiktion (vs. die faktische Vereinzelung der Geschichte), inhaltliche Typologisierung, Verallgemeinerung der Formen und exemplarische Wirkung, also ein praktisch-moralischer Ansatz, der auch im 18. Jahrhundert die Grundlage von Kunst bildet. Auch lassen die neuen Ästhetiktheorien Wahrnehmung und damit den rezeptiven und perzeptiven Prozess als subjektiv und erkenntnisorientiert denken. Bild- und Textverfahren leiten besondere Wahrnehmungs-, Wirkungs- und Erfahrungsintentionen.

Andererseits befinden sich Sprache und Bild in ihrem Verhältnis zur Natur semiotisch auf doppeltem Boden. Während z. B. auf Basis der klassischen Bildkunst trotz aller Rationalität des Stils noch die Synthesen und damit unbedingte Naturkongruenz bildende Allegorese stehen kann, ist schon Diderots Umgang mit Malerei an eine besondere Vorstellung von ästhetischer Wahrnehmung in Bild und Rezeption gebunden, das ein besonderes Spiel von Kunst, Natur und Illusion konstruiert. Gelungenes Beispiel dafür ist seine Beschreibung der Landschaftsbilder Vernets im Salon von 1867. Darin inseriert er die Diskussion um das Verhältnis von Natur- und Kunstschönheit in einen Naturerfahrung und Bildbeschreibung nicht mehr trennenden „Spaziergang“, an dessen Ende das Konstrukt Kunst aufgrund der freien Individualität des Künstlers triumphiert: „Ce nʼest donc plus de la nature cʼest de lʼart, ce nʼest plus de Dieu, cʼest de Vernet que je vais vous parler.“16

Formen ästhetischer Transzendenz des Referenten – ein enges Verhältnis von Affekt und Begriff generierend – befördern zunächst auch noch die Wissenschaften in ihrem Zusammenspiel mit der Ästhetik. So erhebt Alexander von Humboldt unter Einfluss von Friedrich Schiller für seine naturkundliche Beschreibungssprache die Forderung nach einer „poësie descriptive“17 und beschwört den „alten Bund des Naturwisssens mit der Poesie und dem Kunstgefühl“18, gleichzeitig zeigt sich der Wunsch nach medialer Transzendenz in Anschauung und Objektivität, die er unter dem von der Landschaftskunst beeinflussten Begriff des „Totaleindruck“ subsummiert. Womit das paradoxe Verhältnis von Natur, Subjektivität und Form deutlich wird: Einerseits bildet Subjektivität (Wahrnehmung, empirische Selbst-Erfahrung, Einbildungskraft) den Motor für semiotische Formation und Erkenntnis; andererseits bedarf es ihrer Aufhebung, will man zu wissenschaftlicher und künstlerischer Objektivität in der Aufzeichnung des Ideals oder der Natur-Wahrheit kommen. Der jeweilige Umgang damit bedingt die im 19. Jahrhundert erfolgende Ausdifferenzierung von Kunst und Wissenschaft. Während sich Letztere schließlich dezidiert von ästhetischen Verfahren zugunsten rationaler Beschreibung oder Abstraktion trennen wird (Humboldt selbst ist ein Beispiel), setzt Kunst auf formale und mediale Selbstreflexion und macht diese zu ihrem erkenntnisbedingendem Signum. Form steht damit in einem Spannungsfeld zwischen Transzendenzauftrag (in ihrer Funktion als mimetischer Evidenzgenerator) und Semiosis (die Form als Grundlage von Aisthesis und Poiesis). Denn eine der nachhaltigsten Konsequenzen der wahrnehmungs- und medienästhetischen Wende im 18. Jahrhundert ist die Eröffnung der Möglichkeit, den Schwerpunkt von den dargestellten Gegenständen, dem Bild- und Textinhalt mit seinen moral-ethischen und Wissensimplikationen auf die Form, den Modus, das Material zu lenken: „[…] lorsque nous regardons avec application les tableaux […] notre attention prinicipale ne tombe pas sur lʼobject imité, mais bien sur lʼart de lʼimitateur“ schreibt Dubos.19 Wenngleich das Mimesisprinzip unabdingbare Grundlage der Kunst bleibt, stellt sich die Künstlerin/der Künstler mit ihrer/seiner besonderen Form als neu zu definierende ästhetische Kategorie zwischen Sujet und fertigem Bild (siehe Diderot). Die wirkungsästhetisch relevanten Emotionen, die dadurch hervorgerufen werden, sind nicht nur in den dargestellten Inhalten und Abstraktionen begründet, sondern auch in der individuellen Form.20 Dennoch eröffnet sich damit keine formale Freiheit, keine offen zu denkende konstruktive Kreativität. Denn, in aller Strenge betrachtet, können Kunst und Literatur innerhalb des Mimesisbegriffs nur Spielarten der Natur sein. Es obliegt dem Künstler, der Künstlerin wie dem Autor und der Autorin, den formalen und inhaltlichen Freiraum des Ästhetischen zu nützen, ohne das Modell der Natur zu verlassen. Die ästhetische Arbeit relationiert dabei Wahrnehmungseffekte wie Erkenntnis- und Wissensinhalte im Typologischen und exemplarisch Allgemeinen. Das Verhältnis Wahrnehmung, Gegenstand und Begriff bleibt von Kohärenz bestimmt, gültig ist ein repräsentationslogisches Paradigma, in dem wirkliche und mögliche Welten eins werden und die Einbildungskraft ein Interface zwischen individueller Geniekraft und moralischem Auftrag darstellt. Form in Allgemeines und Abstraktion überführend, zielt Literatur auf das Wahrscheinliche, ist nicht pure Kopie des Augenscheinlichen, sondern Begriff und Evidenz. Friedrich Schlegel schreibt begeistert über Karl Philipp Moritz:

Er beschreibt das Schöne als das in sich Vollendete, was als ein für sich bestehendes Ganze von unsrer Einbildungskraft umfaßt werden kann. Nun sey aber der große Zusammenhang der ganzen Natur, der über das Maaß unsrer Anschauung hinausgeht, das einzige wahre, für sich bestehende Ganze; jedes einzelne Ganze in ihm sey wegen der unauflöslichen Verkettung der Dinge nur eingebildet; aber es müßte sich dennoch, als Ganzes betrachtet, jenem großen Ganzen in unsrer Vorstellung ähnlich, und nach eben den ewigen festen Regeln bilden, nach welchen dieses sich von allen Seiten auf seinen Mittelpunkt stützet, und auf seinem eignen Daseyn ruht. Jedes schöne Ganze aus der Hand des bildenden Künstlers sey daher im Kleinen ein Abdruck des höchsten Schönen im großen Ganzen der Natur. Vortrefflich! sowohl die im Schönen liegende Beziehung aufs Unendliche, als das Streben der Kunst nach innerer Vollendung ist hiedurch aufs glücklichste ausgedrückt.21

Neu ist, dass der Wahrscheinlichkeitsbegriff über die aristotelische Vorstellung einer Vollendung des schon Vorhandenen durch Mimesis hinausgeht in die von Leibniz stark gemachte Vorstellung der Entdeckung und des Sichtbarmachens von Möglichkeiten. Gleichzeitig forciert das 18. Jahrhundert damit einen Schöpfungsbegriff, der im aristotelischen „Vollendungsgedanken“ zwar schon enthalten ist, sich aber nun an Wahrnehmung orientiert und damit mediale Fragen der Bild- und Textformen zu medialen Fragen der Perzeption erweitert. Das Neue im Begriff der imitatio naturae, so das Ergebnis einer Diskussion im legendären Giessener Kolloquium zu Nachahmung und Illusion, sei daher die Verstärkung einer dem Mimesisbegriff inhärenten Zweideutigkeit zwischen Nachahmung der sensuellen Erfahrung der wirklichen Dinge und – seit der Frühromantik – Nachahmung der schöpferischen Natur im Künstler.22 Letzteres ist dem Konzept schon in der Antike eingeschrieben, ersteres wird jedoch erst dann möglich, als das subjektive Moment (sei es im Sinne von Sinneserfahrung, sei es im Sinne von kognitiver Leistung) als selbstreflexives, perspektiviertes Wahrnehmen Welterkennen ermöglicht. Es ist die ästhetische Wahrnehmungsform von Natur und Kunst gleichermaßen, die kongenial einen Wirklichkeitsbegriff der Graduierung von Möglichkeitsformen zu Perfektion, von Mannigfaltigkeit zu Ganzem zur Darstellung bringt. Im Weiterdenken der Leibniz-Wolffʼschen Vorgaben, so Hans Heinz Holz, kann Baumgarten dann „einen paradigmatischen Perfektionsgrad der Anschauung in der Kunst finden, die dank ihrer Ordnung des Materials eine höhere Seinsintensität besitze als die kontingente Faktizität der Dinge.“23 Sprachkunst und Bildkunst befinden sich folglich in einem permanenten Spannungsverhältnis zwischen Abstraktion des Einzelnen (Faktum, Details) und Anschauung des Ganzen (Modell Natur).

Konstruktive Kreativität, mit der die absolute Modellhaftigkeit der Natur zu wanken beginnt, deutet sich mit Baumgarten zwar schon an, wird aber erst dann zu einer poetologischen Größe, als Zeichen und Medien nicht nur eine objektivierende bzw. Natur idealisierende, sondern verstärkt eine Wirklichkeit bildende Kraft zugesprochen bekommen. Dass der Mimesisauftrag noch über die Romantik hinaus Kunst und Literatur bestimmt, steht außer Frage. Das konstruktive oder produktive Vermögen der Form, der Sprache und der visuellen Zeichen bleibt bis ins 19. Jahrhundert beschränkt auf das Mögliche. Gleichzeitig aber fordern die Wahrnehmungsfragen und die Formoffensive im Kontext des Originalitätspostulats die konstruktive und kreative Kraft der Medien und des „Genies“ heraus. Daher messen sich Kunst und Literatur in der Folge nicht mehr allein an ihrem mimetischen Vermögen, also an der Frage, welche Gattung oder welches Medium dem Mimesispostulat und damit auch dem Abstraktionsauftrag gerechter wird, sondern vermehrt an ihrem schöpferisch-konstruktiven Potential. Diese Entwicklung von Mimesisauftrag zu autonomer Konstruktion lässt sich am Begriff der Illusion vorführen.

Illusion I

Wie mit Kant, Schiller, Schlegel usw. gezeigt werden konnte, ist das Kunst- und Literatursystem schon im 18. Jahrhundert durch Modelle von Wahrnehmung, Subjektivität und Form geprägt, die von Realitäts- und Wirklichkeitsbegriffen ausgebildet werden und ihrerseits Realitäts- und Wirklichkeitsbegriffe mitbilden. In diesem Komplex von Konstruiertheit und Konstruieren hat der Illusionsbegriff variierende Merkmale und Funktionen und ist dank seines engen Verhältnisses zu wissenschaftlichen und philosophischen Diskursen eine Gelenkstelle zu nicht-ästhetischen Modellen. Der Neurobiologe Hinderk M. Emrich definiert die allgemeine Funktion von Illusionen konzis als “besondere Repräsentanten unserer aisthetischen Welt, unserer Welt der Wahrnehmung. Gleichzeitig sind sie uns ‚philosophische Lehrmeister‘ im Wissen um das, was wir ‚Wirklichkeit‘ nennen.”24 Aber die Illusion per se ist weder instruktiv noch wahrheitstragend. Vielmehr ist es die Aufdeckung von Illusion, ihre Brechung, die uns „etwas über die Art und Weise sowie über die Regeln und Kanäle, über die wir normalerweise unsere Wahrnehmungswelten aufnehmen“,25 zeigt. Das gilt mehr noch für die ästhetische Illusion. Sie bildet im 18. Jahrhundert einen der wichtigsten ästhetischen Begriffe mit aus, die zwischen Subjekt, Natur und Form vermittelnde Einbildungskraft, und eröffnet durch ästhetische Verfahren Möglichkeitswelten. Bodmer und Breitinger schreiben:

Wenn die Einbildungs-Krafft so reichlich angefüllt ist, so muß sie nothwendig einen herrlichen Einfluß über eine Schrifft haben, indem sie dieselbe mit lebhafften Bildnissen und Gemählden belebet, welche den Leser gleichsam bezaubern; Er vergißt darüber, daß er nur die Beschreibungen der Sachen lieset, und fällt auf den Wahn, er sehe die Dinge selber vor sich, und wohne den erzehlten Begebenheiten persönlich bey.26

Illusionsbegriffe stützen auch die gattungs- und medienorientierten Dispute in den Bild- und Sprachkünsten. So erklärt Diderot in seinem Entretiens sur le fils naturel den Illusionismus des Dramas in Anlehnung an die Malerei.27 Lessing plädiert für eine dichterische Form der malerischen Anschauung ohne Täuschung: „Es sind Kräuter und Blumen, welche der gelehrte Dichter mit großer Kunst und nach der Natur malet. Malet, aber ohne alle Täuschung malet.“28 Da Form-, Material-, Gattungs- und Medienbegriffe spezifisch und individuell gestaltbar werden, sind Kunst und Literatur Ausdruck von partikulären Wirklichkeiten und partikulärem Wissen. Folgende Fragen werden akut: Was geschieht auf den Bildern und in den Texten, was geschieht im Umgang mit den Bildern und Texten, und in welchem Verhältnis steht und soll das alles zur Realität stehen? Der ästhetische Illusionsbegriff, wie er sich im 18. Jahrhundert neu herausbildet, stützt diese Interessenslage. Wesentlich und kunstbildend ist dabei die schon beschriebene Illusionsbrechung, die Doppelrahmung von Täuschung und Enttäuschung, wie Niklas Luhmann hervorhebt.29 Darin liegt für ihn auch die Differenz von Kunst zu Nichtkunst begründet. Konsequente kunstontologische Gültigkeit erhält das Wechselspiel von Illusion und Reflexion aber erst ab dem Zeitpunkt, als der Diderotʼsche, Bodmerʼsche oder Lessingʼsche Illusionsbegriff zum Scheinbegriff sich wandelt und damit Mimesis zugunsten eines ästhetischen Wirklichkeitsbegriffs, eines autonomen Realitätsgehalts auflöst. Mit diesem idealistischen Transzendenzprojekt gehen Bildkunst und Sprachkunst auf in einer universalen Poetik des Ästhetischen, basiert die Beschreibung der einzelnen semiotischen und medialen Möglichkeiten der Künste auf einem ontologischen Bestimmungsauftrag: „Wenn man verschiedene Kunstarten mit einander vergleicht, so kann nicht von dem größern oder geringern Werthe des Zwecks die Rede seyn. [...] Denn das Unendliche leidet gar keine Vergleichung, und der Genuß des Schönen hat unbedingten Werth“, schreibt Friedrich Schlegel 1797 in Ueber das Studium der Griechischen Poesie.30 Mit ästhetischen Programmen wird seit dem Ende des 18. Jahrhundert ein Wahrheits- und Erfahrungsfeld entworfen, in dem der Künstler durch seine Subjektivität zum Medium einer sich durch die künstlerische Darstellung ereignenden Wahrheit wird. Es handelt sich dabei nicht um Wahrheit durch kausale Argumentation bzw. Wahrheit durch adäquate Mimesis, sondern im idealen Fall um ein Moment der Aufhebung des Medialen zugunsten einer scheinhaften Präsenz – dies gelingt dem Schönen im Schein bzw. dem scheinhaften Schönen31, seine Bestimmtheit findet das künstlerische Subjekt in der augenblicklichen, zeitenthobenen Synthese von Gefühl und Reflexion, Geist und Sprache.32 Subjektivität im Modus der poetischen, d.h. unendlichen und selbstbezogenen Reflexion bildet die Grundlage für eine Kunst, die zwischen einem sich nie präsenten, sich aus einem Selbstgefühl äußernden Individuum und einem sich unendlich entziehenden Bestimmungsgrund symbolisch vermittelt. Der dem Mimesisbebriff inhärente spannungsreiche Konflikt zwischen Referenz und Transzendenz wird von Schelling durch eine wörtliche Lektüre von ‚Reflexion‘ in anschauliche Identität überführbar:

Das Kunstwerk nur reflektiert mir, was sonst durch nichts reflektiert wird, jenes absolut Identische, was selbst im Ich schon sich getrennt hat; was also der Philosoph schon im ersten Akt des Bewußtseins sich trennen läßt, wird, sonst für jede Anschauung unzugänglich, durch das Wunder der Kunst aus ihren Produkten zurückgestrahlt.33

Romantische Kunst bleibt zwar idealerweise mimetisch, indem sie sich am Naturschönen orientiert. Dieses ist aber den Eingriffen einer Kunst auszusetzen, die sich streng als Differenz zu Nicht-Kunst versteht. Für das 18. und frühe 19. Jahrhundert ist es daher neben der Absetzung von der Geschichtsschreibung vor allem das Empirische und Materielle, der sinnliche Rohstoff, den es ästhetisch zu bearbeiten und zu überholen gilt. Dagegen wird dem Kunstbegriff ein autonomes, konstruktives Potential zuerkannt – Goethe:

Indem der Künstler irgendeinen Gegenstand der Natur ergreift, so gehört dieser schon nicht mehr der Natur an, ja man kann sagen: daß der Künstler ihn in diesem Augenblick erschaffe, indem er ihm das Bedeutende, Charakteristische, Interessante abgewinnt oder vielmehr erst den höheren Wert hineinlegt.34

Es ist Aufgabe der Kunst, das Faktische und das Charakteristische in die ästhetische Idee, in ideale Form zu transzendieren. Während Gottsched noch von einer unveränderlichen Natur der Dinge spricht, weshalb es in der Kunst nicht um den „Eigensinn“ der Menschen geht,35 Goethe schon von einer Phänomenalität des Empirischen ausgeht, die Kunst offenlegen würde, merkt Friedrich Schlegel programmatisch an: „Jedes Kunstwerk bringt d[en] Rahm[en] mit auf die Welt, muß die Kunst merken lassen.“36 Hegel fasst schließlich das Verhältnis Natur und Kunst zu Beginn des 19. Jahrhunderts so zusammen:

Kunstwerk ist es nur, insofern es, aus dem Geiste entsprungen, nun auch dem Boden des Geistes angehört, die Taufe des Geistigen erhalten hat und nur dasjenige darstellt, was nach dem Anklange des Geistes gebildet ist. [...] Dadurch steht das Kunstwerk höher als jedes Naturprodukt, das diesen Durchgang durch den Geist nicht gemacht hat; wie z. B. durch die Empfindung und Einsicht, aus welcher heraus in der der Malerei eine Landschaft dargestellt wird, dies Geisteswerk einen höheren Rang einnimmt als die bloß natürliche Landschaft. Denn alles Geistige ist besser als jedes Naturerzeugnis.37

Die poetische Wahrheit generiert sich selbst. Kunst ist Kunst.

Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts, so lässt sich zusammenfassen, wollen sich die Künste offensiv als Kunst darlegen. Sie stellen sich einem Wirklichkeitsbegriff, der über Realität, Subjekt und Form in neuen Kategorien nachdenkt. Damit treffen ein wissensbedingtes (und -bedingendes) rationales und ein von Subjektivität und Wahrnehmung abhängiges Wirklichkeitskonzept aufeinander, das Form begründet, wie es durch Form bestimmt ist. Ersteres ist Konsequenz der rationalen Wissensmodelle, zweiteres Folge (wie Überwindung) des metaphysischen Naturbegriffs, wie er noch im Mimesiskonzept zur Geltung kommt.

Gerade angesichts der empirischen, physiologischen, psychologischen Wissenschaftsdiskurse, der Herausbildung gesellschaftsanalytischer Paradigmen und des Einflusses der Subjektphilosophie wird eine Diskussion um das Verhältnis von Kunst und Nicht-Kunst und damit eine Ausdifferenzierung von wissenschaftlichen bzw. ästhetischen Wirklichkeitsbegriffen und Kunstbegriffen unabdingbar. Dabei gehen idealistisch-ästhetische und empirisch-rationale Wirklichkeitskonzepte in Konkurrenz zueinander, schaffen ein spannungsreiches Verhältnis, das eng bleibt, sich bald aber nicht mehr nach den tradierten Vorgaben metaphysischer Naturkonzepte aufrechterhalten lässt. Schillers vernichtende Kritik an Alexander von Humboldt – er spricht von schamloser Ausmessung der unfassbaren Natur und Formeln leerer Worte, mangelnder Anschauung und Einbildungskraft, gleichzeitig eine Kritik an einem empirischen Wirklichkeitsbegriff38 – geht einher mit einem idealistischen Objektivitätsbegriff von Realität, den er in Malerei und Dichtung fusionierenden Landschaftskunst wiederfindet39; dieser ist aber auch für den von Schiller kritisierten Alexander von Humboldt gültig, denn für ihn mündet Naturerfahrung in einen prägnanten Moment der Landschaftserfahrung, der in sprachlichem Beschreiben und Erzählen den Augenblick der ersten, unmittelbaren Wahrnehmung des Neuen einfangen kann – „Alexander von Humboldts Kosmos ist vielleicht das erste Buch, das im Medium der Sprache die Welt als Buch und das Buch als Welt miteinander in Berührung bringt“, schreibt Hans Feger in Anlehnung an Hans Blumenberg.40 Jedoch muss der Hinweis auf diesen Topos ergänzt werden. Denn Landschaft meint für Humboldt – im Gegensatz zu Schiller – auch ein Bild, eine Ansicht – ein Visualitätskonzept, dem ein Beobachtungsbegriff zugrunde liegt, der wiederum einen Beschreibungsstil bedingt. An dieser Schnittstelle zwischen Referenz und Evidenz bzw. empirischen Naturzeichen (das Buch der Welt) und ästhetischer Form (das Buch als Welt) grenzen sich die naturwissenschaftlichen Diskurse der Sichtbarmachung und Dokumentation von den idealistischen, selbstreferenziellen der Präsenzgenerierungen ab. Während Humboldt in den „Ideen zu einer Physiognomie der Gewächse“ noch ästhetische Verfahren zur Hervorrufung von Evidenzeffekten postuliert,41 wird er später eine Trennung von Ästhetik und Naturwissenschaft ins Auge fassen.42

Realismus I

Die idealistische und romantische Vorstellung des Poetischen als höchster Realität da höchster Evidenz stößt nicht nur dort an ihre Grenzen, wo ein Transzendenzgrad erreicht wird, der das Material in totaler Form/Abstraktion aufgehen lässt und damit die Lebenswelt und die Objekte nicht mehr erreicht. In Widerspruch zum idealistischen Theorem der ästhetischen Totalanschauung steht auch das seit Kant ausformulierte Argument, die Gegenstände in ihrer vorliegenden Form würden durch Wahrnehmung und Verstandestätigkeit geschaffen werden – eine Auseinandersetzung mit der These von der Scheinhaftigkeit der zugänglichen Wirklichkeit. Besondere Brisanz erhält die damit akut werdende Frage nach dem Seinsgrad des ästhetischen Materials in seinem Verhältnis zum Seins- oder Faktizitätsgrad der empirischen Dinge. In den Blickpunkt der Theorien zu Bild- und Sprachkunst im 19. Jahrhundert rückt daher 1) das ästhetische Material in seiner Materialität wie auch 2) in seiner Funktion der Formgebung/Expression von Wahrnehmbarkeit. In diesem Zusammenhang ist eine stete Ablösung des mimetischen Auftrages die Formierung von modernem Realismus, besser gesagt unterschiedlicher Realismen zu beobachten. Etwa der transzendenzorientierte, prä-modernistische und formalistische Realismus Cézannes, den Merleau-Ponty in Le doute de Cézanne analysiert und den er anhand von dessen Rührung angesichts der Balzac-Novelle Le chef-dʼœuvre inconnu beschreibt. Darin lässt der berühmte Maler Frenhofer nach seinem Tod und nach einer lebenslangen Suche nach der perfekten Form ein Bild zurück, das für die Betrachter (unter ihnen Poussin) nur ein „Chaos von Farben und eine Vielzahl von Linien“, eine „Wand aus Malerei“ ergibt. Cézannes Kampf mit Natur und Form (das reicht von seinen geologischen Studien bis zum Studium der Klassiker) ist für Merleau-Ponty in der Novelle kongenial zum Ausdruck gebracht, denn der Künstler würde das Schauspiel, an dem die Menschen teilnehmen, ohne es zu sehen, fixieren und es ihnen zugänglich machen.

Fragen der Wahrnehmung und Zugänglichkeit von Wirklichkeit stellen sich im 19. Jahrhundert aber auch verstärkt in Auseinandersetzung mit den rational-empirischen und physiologischen Modellen der Naturwissenschaft. Wesentlich für die Entwicklung realistischer, perspektivischer Topologien ist die gestärkte Wahrnehmungsform des Beobachtens und mit dieser ein Visualitätsmodell, für das der Aufschwung der optischen Wissenschaften und die in den moralischen Wochenschriften entworfene Figur des „spectator“ exemplarisch sind. Für die Sprachkunst bedeutet es eine Steigerung des schon im 18. Jahrhundert relevanten Beobachtungsbegriffs und visueller Verfahren, die nun das Detail, einzelne Objekte in ihrer Vielheit, Perspektivität befördern. Mehrere Aspekte finden im Beobachtungsparadigma zusammen. Zunächst die von Empirismus und Ästhetik in Gang gesetzte Verlagerung von streng rationalen Erkenntnismodellen zu solchen, die Wahrnehmungsfragen betonen. Und eng im Zusammenhang damit stehend, wird die Subjektfrage als Medienfrage ästhetisch und theoretisch behandelt. Dem ganzheitlichen Naturbegriff tritt ein Wirklichkeitsbegriff an die Seite, der sich der Faktizität der Dinge ebenso annimmt wie der Wahrnehmungsbedingtheit und Konstruktivität von Sichtbarkeit. Damit wird das künstlerische Material zum autonomen Material, bekommt eine „Objekthaftigkeit“ jenseits seines Verhältnisses zu den Sujets. Repräsentierte und erzählte Objekte können auf diese Weise ihrerseits einen reinen Formcharakter erhalten, der nicht mehr Transzendenz in ein Ganzes oder zeichentransparente Abstraktion bedeutet, sondern die Materialität der Zeichen hervorkehrt. Realismus ersetzt auf diese Weise Mimesis, denn Sprach- und Bildkunst verstehen sich nicht mehr als Fiktion im Gegensatz zu Geschichte oder Wirklichkeit, sondern holen Faktizität referentiell ein, wie das ästhetische Material selbst Objektcharakter erhält.43 Literatur ist dann nicht mehr Fiktion par excellence in Differenz zur Geschichte (das in Absetzung vom aristotelischen Gebot der wahrscheinlichen Fiktion) bzw. der Ort des Möglichen, der generierten perfectio, sondern Ort des Wirklichen wie selbst Wirkliches.

Dieser Weg zum modernen Realismus wird maßgeblich von Diderot und seiner Auseinandersetzung mit Wahrnehmungs- und Kunstfragen vorbereitet, wenn er das Potential des Details, der Fülle, der genauen Beobachtung zur Generierung von Wirklichkeitsillusion beschwört.44 Diderot ergänzt den klassizistischen Naturbegriff durch ein Konzept des réel, wobei der innovative Aspekt in Diderots Detailbegriff nicht nur in seinem künstlerischen Individualitätskonzept (s. Vernetbeschreibung) oder in der Anbindung des réel an gesellschaftliche Umwelt liegt45– beides in Differenz zur klassischen Mimesis- und Illusionsvorstellung –, sondern in seiner Betonung multiperspektivischer Beobachtungsverhältnisse.46 Sein Beobachtungsbegriff lässt sich so beschreiben:

Das Verhältnis von Blick und Gebärde, von Beobachtung und Körperausdruck, das gemäß der Vierten Wand zwischen Zuschauern und Bühne besteht, kehrt auf der Bühne selbst wieder und wird hier als Kommunikation beobachtbar. [...] Die Menschen auf der Bühne Diderots erscheinen als empirische Menschen in einem empirischen Raum im Medium ihres Körpers als Ausdrucksmittel; sie erscheinen als „betrachtete Betrachter“ im Dialog.47

Dennoch wäre es verfrüht, hier schon von einem modernen Realismus zu sprechen. Diderots Visualitäts- und Bildverständnis als ikonische Selbstreflexion und Referenz auf Welt implizieren eine Perspektivität, die zwar plural und performativ fungiert, gleichzeitig jedoch regulierbar und kalkulierbar bleibt. Das Wirkliche wird zusammengeführt im stets identischen Gefühlsapparat des Menschen und einem moralisch ausgerichteten Schönen. Auch die Wahrheit der Details ist, wie Jauss richtig ausführt, nicht „rein faktisch, sie schließt die verborgene Seite der Dinge ein und beruht auf subtilen Zusammenhängen, die uns das Genie des Romanciers aufzudecken weiß“.48

Fotografie I

Das ändert sich mit den realistischen Ansätzen im 19. Jahrhundert. Etwa mit Stendhals Detailpoetik der Sichtbarmachung, die auf der Vorstellung einer auf das je individuelle Wahrnehmungsfeld eingeschränkten Perspektive beruht. Oder mit der in Flauberts und Jamesʼ Romanen neu gestellten Individualitätsfrage in Form der Narration im personalen Modus, eine zugleich polyperspektivische wie entmoralisierende Form des Erzählens. Diese Perspektivität wird schließlich mit den Bildern des wohl bahnbrechendsten Mediums der letzten Jahrhunderte, der Fotografie, nachhaltig gestärkt. Die Fotografie fordert über das neu zu definierende Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit bestehende und bisher gültige Bild- und Gattungsformen heraus. Sie unterstützt zum einen die für das 19. Jahrhundert relevante Verbindung von Kunst und Wissenschaft, die der aus dem szientistischen Vokabular entliehene Begriff der Objektivität schafft. Ermöglicht durch den beobachtenden Blick auf die empirische und gesellschaftliche Wirklichkeit, formiert sich bei Flaubert z. B. ein „empiristisches Wirklichkeitsverständnis der faktographischen Registratur“49, bei Zola eine wissenschaftstheoretische Poetik50 heraus. Mit dem Ausbau der Naturwissenschaften, zunehmender soziokultureller Komplexität und der Fotografie ändern sich die Bedingungen für Wirklichkeitsreferenz und Wirklichkeitsrelationen. Diese messen sich zwar weiterhin am illusionsauslösenden Effekt. Letzterer ist aber nicht moralisch besetzt, sondern für ihn gelten Wirklichkeitswahrnehmung bzw. -beobachtung und Anschlussfähigkeit an positivistische Realitätskonstruktionen als Parameter. Die Fotografie ist aber auch anschließbar an einen idealistischen Realismus. Durch die fotografische Abbildgenauigkeit zeigt sich eine neue Welt51, das fotografische Bild bestätigt eine von Repräsentation bzw. Wahrnehmung unabhängige Realität: Das Foto ist die vollkommene Wiedergabe des Gegenstandes, mehr noch, der Gegenstand kann sich selbst abbilden, wie sich das Bild selbst generiert. Für Henry Fox Talbot „it is not the artist who makes the picture, but the picture which makes itself“.52

Schließlich eröffnet die Fotografie mit ihren neuen Bildformen auch neue Blickformen und macht Bildlichkeit und Medialität selbstreflexiv zum Thema. Die Natur bildet sich zwar in der Auffassung Talbots selbst ab, der Apparat ist mechanisch aufzeichnend, nicht selektiv, aber das fotografische Bild muss als Bild und als Wahrnehmungsbild bewusst werden, um seine Funktion zu erlangen. Dies gelingt mithilfe der sprachlichen Beschreibung des beschreibenden Bildes. Der Unterschied zwischen der Wahrnehmungsästhetik des 18. Jahrhunderts und einer medienreflexiv ausgerichteten Ästhetik des 19. Jahrhunderts wird z. B. an der Differenz der Landschaftserfahrung in Bild und Sprache von Goethes Werther und der Erfahrung der modernen fotografischen Stadtlandschaft von Talbot deutlich: Während Werther Empfindungen und Natur visuell und sprachlich in seinem Brief vom 10. Mai in einem Landschaftseindruck als intensives Gefühl aufgehen lässt, ein Beispiel eines empfindsamen und ästhetischen Totaleindrucks, reflektiert Talbot die Wahrnehmung und Bildlichkeit des Bildes und versucht das Fotografische mithilfe von Narration und Deskription, der Entstehungsgeschichte und der Ordnung raum-zeitlicher Koordinaten einzuholen.53

Verlässt man daher das sichere Terrain des programmatischen Diktums von der mechanischen oder natürlichen (Selbst-)Abbildung der Wirklichkeit und definiert die (künstlerischen und nicht-künstlerischen) Bilder als Wahrnehmungsbilder, so pluralisiert sich Referenz: Emerson spricht 1889 im Zusammenhang mit der von ihm postulierten naturalistischen Fotografie von einer Bildform, die „physical, physiological, and psychological properties of eyesight“54 reflektiere, sie zeige, wie die Dinge aussehen, nicht wie sie sind – „[…] the naturalistic photographer [...] would endeavor to render the tree as it appeared to him when standing a hundred yards off […]“.55 Wie Wolfgang Kemp feststellen kann, findet seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Theorien des Stereoskops eine Verschiebung von der Nachahmung der Natur zu einer Nachahmung des Gesichtsbildes statt:

Seit der Renaissance hatte sich die Malerei als eine mehr oder minder systematische Paarung aus Objektivität und Subjektivität etabliert; bei aller Pflege der Perspektive wollte man kaum das Sehen reproduzieren. Im 19. Jahrhundert, unter der Herrschaft naturwissenschaftlichen Denkens, in Folge neuer Anforderungen an die Kunst, als Ergebnis radikaler Subjektivierungstendenzen, aus den verschiedensten Gründen also ändert sich diese Grundeinstellung: Jetzt will man nicht mehr zu sehen geben, sondern das Sehen geben.56

Schon die Camera obscura impliziert trotz aller Abstraktion des Blicks die Anwesenheit des Beobachters bzw. einen Beobachtungsakt:

On the one hand the observer is disjunct from the pure operation of the device and is there as a disembodied witness to a mechanical and transcendental re-presentation of the objectivity of the world. On the other hand, however, his or her presence in the camera implies spatial and temporal simultaneity of human subjectivity and objective apparatus.57

Im Unterschied zu den Bildproduktionsapparaten im 18. Jahrhundert wird mit der Daguerreotypie bzw. Fotografie Wahrnehmung selbst thematisch. In der Camera obscura z. B. ging es im Wesentlichen um objektivierbare Wahrheit auf stabilem Grund; sie zeigt das Bild eines sich selbst nicht beobachtenden Beobachters. Es handelte sich dabei um eine geometrische Optik, ein Wirklichkeits- und Subjektbegriffe ordnendes Konstrukt, mit dem Wahrnehmung abstrakt erfasst wird.58 Ab dem 19. Jahrhundert lässt sich verstärkt von einer physiologischen Optik sprechen, die in eine Selbstbeobachtung des Betrachters und Beobachtung der Vision führt. Sehen ist dann weniger eine privilegierte Form von Wissen, sondern wird selbst Objekt des Wissens: “It is a moment when the visible escapes from the timeless order of the camera obscura and becomes lodged in another apparatus, within the unstable physiology and the temporality of the human body.“59 Auch wenn die Objektivität des fotografischen Apparats ein von Beginn an bestimmendes Postulat ist, impliziert der Wahrnehmungsfaktor (Sehen als Wahrnehmung) eine konstruktive und subjektive Komponente, die den Objektivitätscharakter der Fotografie relativiert.

Darin liegt zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine der Grundlagen für die Bestimmung der Kunstfotografie mit Realismusanspruch. Die Fotografie ist zwar weiterhin „realistisch“, aber nicht mehr als technisch ermöglichtes Simulakrum der Wirklichkeit, sondern als Repräsentation einer psychologisch oder physiologisch definierten, die Wirklichkeit konstruierenden Wahrnehmung. Willi Warstat kommentiert: „Die Photographie zwingt den Photographen also zu einer außerordentlich energischen Durchdringung der Natur, zu Gegenständlichkeit und Sachlichkeit, sie zwingt ihm eine Kultur des Auges auf, die im besten Sinne eine realistische Kultur ist.“60 Auf diese Weise bringen die empirischen Ansätze der naturwissenschaftlich ausgerichteten physiologischen, psychologischen und Wahrnehmungstheorien mit den Begriffen Erfahrung (bzw. Empfindung) und Wahrnehmung eine mediale Konstruktdimension ein, der sich die Avantgarden des 20. Jahrhunderts konsequent annehmen werden. Sie verstehen die Fotografie als Abstraktion von Seh- und Raumerfahrung. Die neuen Apparate und ihre Bilder verlagern ab nun konsequent Fragen der Mimesis und Repräsentation zu Fragen nach der Materialität und den Wahrnehmungsmöglichkeiten der Objekte wie der Bilder selbst.

D) Realitäten im 20. Jahrhundert

Welt/Existenz/Leben

Aufgrund der konsequenten Ausdifferenzierung der Systeme, der rasanten Modernisierung von Technik und Wissenschaften, den innovativen Bild- und Reproduktionsmedien sowie den neu zu bestimmenden Verhältnissen zwischen Kunst und Wissen pluralisieren sich im 20. Jahrhundert Realitätsbegriffe, stehen in Konkurrenz und können auch antagonistische Beziehungen zueinander haben; sie setzen an den verschiedensten Koordinaten an, die wiederum verschiedensten Konzepten unterliegen und keine fixe Zuordnung mehr aufweisen müssen. Beispielhaft dafür sind die Aufspaltung des Subjekts (Freud) und die Vieldeutigkeit des Objekts, das zwischen absoluter Konstruiertheit, purer Materialität und totaler Abstraktion changiert. Sprache und Begriffe sind als repräsentativ, mit Wirklichkeit kongruent (Russell61), selbst als wirklich (Frege) oder als Modelle der Wirklichkeit (Wittgenstein) denkbar. Trotz dieser Pluralität handelt es sich bei den verschiedenen Realitätsbegriffen weiterhin um systematische Versuche der Realitätsbewältigung, Realitätsrepräsentation und Realitätserklärung. Konzepte, die diese radikalisierte Kontingenz reflektieren, sind die neu bewerteten Begriffe von Welt, Leben und Existenz. Mit diesen werden Dualismen/Binaritäten wie Innenwelt-Außenwelt, Realität-Schein, Sein-Dasein usw. einer Kritik unterzogen. Ein Menschenbegriff, der Körper, Sprache, Symbolbildung und Handeln umfasst, ersetzt ein abstraktes, kognitives Subjektkonzept. Besonders ‚Welt‘ taucht in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen, künstlerischen und auf Alltag bezogenen Feldern auf und ergänzt die beiden Begriffe Realität und Wirklichkeit insofern, als damit individuelle, politische, künstlerische Zusammenhänge als Handlungs- und Wirkungsbereiche des Menschen und von Dingen gemeint sind. ‚Welt‘ ist damit einerseits ein geordnetes System, andererseits aber auch ein stets prozesshaftes Wirkungsfeld. Die zahlreichen Komposita von Außenwelt zu Zahlenwelt führen schließlich vor, dass sich der Begriff Welt im Laufe der Zeit deutlich von seinen physikalisch-kosmologischen Verwendungen gelöst hat und zu einem subjektiven, solipsistisch und existentiellen Weltbegriff wurde. Das wird schon von Pascal vorgegeben, der „le monde“, die Welt als Sektion des Wahrnehmbaren im großen Ganzen der Natur begreift, oder von Christian Wolff, der Welt zum zentralen Sachthema der Philosophie macht und den Begriff als „Reihe veränderlicher Dinge [...], die nebeneinander sind und aufeinander folgen, insgesamt aber miteinander verknüpfet sind“, bestimmt.62 Für Rorty schließlich ist ‚Welt‘ im 20. Jahrhundert nur plural zu denken, als „Name für die zu einer gegebenen unbestrittene Mehrzahl unserer alltäglichen Überzeugungsinhalte“63. Goodman kann daher auch von erzeugten „Versionen“ sprechen („version“ bzw. „worldmaking“), denn im Rahmen seiner allgemeinen Symboltheorie für Handeln, Sprechen und Wahrnehmen lassen sich Realitätskonzepte so denken:

Ging die Sonne vor einer Weile unter, oder ging die Erde auf? Dreht sich die Sonne um die Erde oder die Erde um die Sonne? Heute gehen wir unbekümmert mit etwas um, das einst eine Frage von Leben oder Tod war, wenn wir sagen, die Antwort hänge vom Bezugsrahmen ab. Aber auch hier müssen wir, wenn wir sagen, das geozentrische und das heliozentrische System seien verschiedene Versionen ‚derselben Tatsachen‘ nicht fragen, was diese Tatsachen sind, sondern vielmehr, wie solche Wendungen wie ‚Versionen derselben Tatsachen‘, oder ‚Beschreibungen derselben Welt‘ zu verstehen sind. Dies ändert sich von Fall zu Fall; im vorliegenden Fall schreiben die geozentrische und die heliozentrische Version, auch wenn sie von denselben Einzelobjekten – Sonne, Mond, Planeten – sprechen, diesen Objekten sehr verschiedene Bewegungen zu. Zwar können wir immer noch sagen, daß die beiden Versionen sich mit denselben Tatsachen befassen, wenn wir damit meinen, daß sie nicht nur von denselben Objekten sprechen, sondern auch routinemäßig ineinander übersetzbar sind. So wie Bedeutungen zugunsten bestimmter Beziehungen zwischen Termini verschwinden, so verschwinden Tatsachen zugunsten bestimmter Beziehungen zwischen Versionen. 64

Für weitere Begriffsverwendungen von ‚Welt‘ lassen sich stichwortartig nennen: Diltheys geistige Welt im Modell seiner Lebensphilosophie, Husserls Lebenswelt, Heideggers In-der-Welt-Sein und Weltbildung als existentielle Bestimmung des Menschen, Merleau-Pontys „monde“ („être au monde“) und „existence“ („comme corps“ und „du monde“); metakritisch in diesem Zusammenhang Nietzsches Trennung von Welt und scheinbarer Welt als Strategie des Überlebens, Derridas „jeu du monde“, Luhmanns Differenz von System und Umwelt. Nietzsche, Bergson, Husserl und Heidegger schließen an ‚Welt‘ auch Lebens-, Daseins- und Existenzbegriffe an, wobei die Synonymisierung mit ‚Realität‘ und ‚Wirklichkeit‘ besonders mit der analytischen Philosophie betont wird.

Medialität I

Die zuletzt beschriebenen Modifikationen und Erweiterungen der Realitätsbegriffe werden auch durch den Ausbau des in den philosophischen Ästhetiktheorien stark gemachten Wahrnehmungsbegriffs möglich, der mit den modernen Wissenschaften und neuen Bildmedien des 19. Jahrhunderts die Frage nach Medialität der Wirklichkeitsformen, des Wissens und der künstlerischen Gattungen mitbestimmt. Wirklichkeitszuschreibungen wie Wirklichkeitsbedingungen werden ab da als von medialen Verhältnissen abhängig gedacht. Im philosophischen Diskurs zeigt sich das durch Perspektivität statt linearer Referenz und einer metakritischen Behandlung der Verhältnisse von Subjekt und Objekt, Wahrnehmung, Körper und Sachen. Während die Medien- und Gattungsfragen des 18. und auch 19. Jahrhunderts noch stark von einem ganzheitlichen Naturbegriff abhängig sind, die Repräsentationsmöglichkeiten und Formen von Bild- und Textgattungen nach ihren Nachahmungsqualitäten bewertet werden, bedingen nunmehr Medien und Wahrnehmungsformen die Wirklichkeit selbst. Diese nachhaltige Veränderung in den Entwürfen von Realitätskonzepten äußert sich in unterschiedlicher Radikalität.

Von großem und nachhaltigem Einfluss erweisen sich die Sprachontologien, mit denen der idealistische Geist durch Sprache ersetzt und Wahrheit auf logische Sequenzen reduziert wird. (Wittgenstein, Russell) Gemeinsam mit der Vorstellung von der Sprachabhängigkeit des Wissens entwickelt sich schon mit Cassirer in den 1920er Jahren ein Konzept von der Symbolhaftigkeit bzw. -abhängigkeit von Verstehen, Handlung und Selbstverständnis. Nietzsche ging davor noch weiter, er versteht Realität wie Subjekt und Wahrheit als sprachliche Metapher:

Das „Ding an sich“ (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfasslich und ganz und gar nicht erstrebenswerth. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und nimmt zu deren Ausdrucke die kühnsten Metaphern zu Hülfe. […] Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen reden und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. [...]

Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauche einem Volke fest, canonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen.65

Mit diesem linguistic turn eröffnen sich unterschiedliche formalistische, linguistische, analytische, semiotische, strukturalistische Theoreme der Zeichen- und Codeabhängigkeit von Erkenntnisansprüchen, können Realitätskonzeptionen, die auf der Vorstellung von Materie, Substanz und Wahrheit (naturwissenschaftliche und metaphysische Gesetze) basieren, in Frage gestellt werden.66 Mit dem Formalismus und Strukturalismus schließlich entsteht die weitreichende Vorstellung einer die Realität (oder Wirklichkeit) konstruierenden, wenn nicht erst konstituierenden Zeichenwelt. Konsequenterweise lässt sich damit auch der Text als Welt bzw. Realität denken. Calvinos von der Semiotik geprägte spielerische Poetik einer ars combinatoria reflektiert diese Vorstellung:

Am Ende dieses Vortrages merke ich, daß ich immer von „Wirklichkeitsebenen“ gesprochen habe, während das Thema dieses Kongresses (zumindest im Italienischen) „Die Ebenen der Wirklichkeit“ lautet. Der zentrale Punkt meines Vortrages liegt vielleicht gerade darin: die Literatur kennt nicht die Wirklichkeit sondern nur die Ebenen.

Ob es die Wirklichkeit gibt, von der die verschiedenen Ebenen nur Teilaspekte sind, oder ob es nur die Ebenen gibt, das kann die Literatur nicht entscheiden. Die Literatur kennt die Wirklichkeit der Ebenen und das ist eine Wirklichkeit, die sie vielleicht besser kennt, als man sie durch andere Erkenntnismethoden kennenlernen könnte. Das ist schon sehr viel. 67

Der Realitätsgehalt der literarischen Konstruktionen misst sich nicht mehr auf der Ebene von Referenzen oder Reproduktionen. Oder anders ausgedrückt: Die als real erfasste Materialität des literarischen Textes macht eine strikte Differenz von Fiktion und Nicht-Fiktion obsolet. In Fortführung wie in Absetzung der formalistischen Konzepte und von herkömmlichen strukturalistischen Positionen wird diese spielerische Materialität der Sprache in den Theorien der Poststrukturalisten und der Dekonstruktion in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts intensiviert, indem Begriffe wie Struktur, Sprache, Subjekt, Zeichen in ihren tradierten Definitionen und Verwendungsweisen zur Disposition gestellt werden. Das führt keinesfalls zu einer Ablehnung des Realitätsbegriffs per se, die Notwendigkeit von Realitätskonzepten wird nicht negiert, vielmehr werden Formen der Konstruktion und des Gebrauchs von Realitätsbegriffen in unbedingter Anbindung an Kohärenz- und Korrespondenztheorien hinterfragt. Seit den 1980ern werden diese metadiskursiven Ansätze von Medientheorien flankiert, die wiederum den Fokus von sprachlichen zu Bildkategorien verschieben können. Dieser Paradigmenwechsel wird auch als pictorial turn diskutiert.68 Wie schon für die „Sprachwende“ ist auch hier Wittgenstein ein frühes Beispiel:

Nur das intendierte Bild reicht als Maßstab an die Wirklichkeit heran. Von außen betrachtet steht es gleich tot und isoliert da. Es ist als hätten wir ein Bild erst so angeschaut, daß wir in ihm leben und die Gegenstände in ihm uns als wirkliche umgeben, und dann träten wir zurück und wären nun außerhalb, sähen den Rahmen und das Bild wäre eine bemalte Fläche. So, wenn wir intendieren, umgeben uns die Bilder der Intention und wir leben unter ihnen. Aber wenn wir aus der Intention heraustreten, so sind es bloße Flecke auf einer Leinwand, ohne Leben und ohne Interesse für uns. Wenn wir intendieren leben wir unter den Bildern (Schatten) der Intention zugleich mit den wirklichen Dingen. Denken wir, wir sitzen im verdunkelten Kino und leben im Vorgang des Films. Der Saal werde nun erhellt aber das Lichtspiel auf der Leinwand gehe weiter. Aber jetzt sehen wir es plötzlich „von außen“ als Bewegungen von lichten und dunkeln Flecken auf einer Leinwand. 69

Die von Wittgenstein beschriebene Anstrengung gegenüber Wirklichkeit – egal ob Bildinhalte oder empirische Dinge –, sich immer in ein Verhältnis setzen zu müssen, womit stets ein Vorgang der Formierung einhergeht, ist eine der Grundhaltungen der Moderne des 20. Jahrhunderts. Wittgenstein (und Calvino) schließen an die schon eingangs aufgeworfene und an verschiedenen Stellen weitergeführte Frage nach dem Realitätsgehalt der Objekte wie der Kunst/Texte (als Objekte, als Inhalte) an. An welchem Punkt man dabei im 20. Jahrhundert angekommen sein kann, zeigt der Vergleich zu Diderots perspektivischer Annäherung an ein Bild von Chardin:

On nʼentend rien à cette magie. Ce sont des couches épaisses de couleur appliquées les unes sur les autres et dont lʼeffet transpire de dessous en dessus. Dʼautres fois, on dirait que cʼest une vapeur quʼon a soufflée sur la toile; ailleurs, une écume légère quʼon y a jetée. [...] Approchez-vous, tout se brouille, se aplatit et disparaît; éloignez-vous, tout se recrée et se reproduit.70

Diderots Analyse weist darauf hin, dass der Schein seine Aufhebung stets mit setzt, das Bild daher nicht in Ähnlichkeit und Korrespondenz aufgehen kann, sondern im Wahrnehmungsvorgang auf das Material und die Fläche referiert, will es ästhetisch verstanden sein. Wittgensteins und Calvinos Zugang (dem Flaubert, Gide, Valéry, Musil u.a. vorausgehen) interessiert nach der Demystifikation des schöpferischen Gestus dieses Spiel zwischen Mimesis und reflexiver Illusion nicht mehr. Ästhetische und nicht-ästhetische Welten, Kunst und Nicht-Kunst stehen auch seit den Avantgarden (dazu später ausführlicher) in einem Verhältnis zueinander, das ein medial bedingtes Selbst- und Fremdverhältnis zur Grundlage hat. Lacan wird das mit seinem Blickkonzept zusammenfassen:

Ich meine, und Merleau-Ponty gibt uns den Hinweis, daß wir im Schauspiel der Welt angeschaute Wesen sind. Was uns zum Bewußtsein macht, das setzt uns auch mit demselben Schlag ein als speculum mundi. Heißt es nicht Befriedigung, unter diesem Blick zu sein, von dem ich in Anschluß an Merleau-Ponty sprach, unter diesem Blick, der uns einkreist und der aus uns in erster Linie angeschaute Wesen macht, freilich ohne daß uns dies angezeigt würde!71

Dabei kann man im Bild sein oder aus dem Bild herausfallen (wie die berühmte Szene mit der auf dem See schaukelnden Fischdose zeigt72). Die mediale Evolution der digitalen Technologie stellt diese Realitätsverhältnisse vor eine weitere Herausforderung und zwingt durch die alltägliche Verbreitung digitaler visueller Formate zu einer Neusichtung von Referenz- und Realitätsbegriffen, die über die Fragen nach Konstruktion und Reproduktion hinausgehen muss. Dazu in der Folge einige weiterführende Überlegungen zu den vorgestellten Sprach- und Bildtheorien im Kontext des digitalen Bildes.

Realismus II

Während für den tradierten Realismus- und Mimesisbegriff das Konzept bzw. die Annahme einer „ersten“ Wirklichkeit bzw. Erfahrungswelt in Differenz zum Abbild unumgänglich ist, stellt sich für das digitale Bild die Referenzfrage vor allem als Effekt einer alphanumerischen Datei, deren Daten jederzeit bearbeitet werden können. Nicht mehr kognitive und sensitive Wahrnehmung, chemisch-physikalische Lichtprozesse und Bilderzeugungstechnik bzw. Bildmaterial bestimmen die Produktion eines Bildes, sondern gespeicherte, prinzipiell manipulierbare Rechenprogramme. Daraus ist jedoch nicht der Schluss zu ziehen, dass Ähnlichkeiten mit der Erstwirklichkeit der Wahrnehmung ausschließlich programmatisch und nicht mehr realistisch zustande kommen.73 Oder anders ausgedrückt: Programmatik und Realismus schließen einander nicht aus. Zwar beruhen Realismus und Nachahmung auf der Vorstellung von Ähnlichkeitsrelationen zwischen dem, was unter erster Wirklichkeit verstanden wird, und diese repräsentierenden Zeichen. Ähnlichkeit ist jedoch keine fundamentale, unumstößliche Größe, sondern stets abhängig von medialer Darstellung, von Zeichenkonzeptionen und Wahrnehmungsmustern. Semiotiker wie Umberto Eco haben in den 1960er und 1970er Jahren mit dieser Überlegung der Zeichentheorie von Peirce widersprochen, die zwischen Index, Ikon und Symbol unterscheidet. Gegen Peirce wird eingewandt, dass das Erkennen von Ähnlichkeiten auf Dechiffrierungsmustern und Erkennungsbildern basiert und nicht Repräsentation bestimmter Eigenschaften eines Gegenstandes und Ergebnis unmittelbarer Wahrnehmung ist. Die ikonischen Zeichen würden einige Bedingungen der Wahrnehmung des Gegenstandes erst dann wiedergeben, wenn diese aufgrund von Erkennungscodes bereits selektiert worden sind.74 Voraussetzung für die Zuordnung und Sinngestaltung von Gegenständen ist kodifizierte, d. h. konventionalisierte Wahrnehmung: Das ikonische Zeichen konstruiert ein Modell von Beziehungen, das dem Modell der Wahrnehmungsbeziehungen homolog ist, das wiederum für das Erkennen und Erinnern eines Gegenstandes die Basis bildet. Für Eco ergibt sich aus diesen Überlegungen schon zur Zeit der Anfänge der Computertechnologie die Konsequenz, dass Bilder keine analoge, sondern eine digitale (arbiträre Zeichen-)Struktur haben: „Alles was wir gesagt haben, bedeutet nicht, daß das ikonische Bild (im ontologischen Sinn) ‚natürlich‘ digital ist. [...] Es bedeutet aber, daß jedes ikonische Bild digital analysiert und produziert werden kann. Und das genügt, um die vorangegangene Behauptung zu bekräftigen, [...] die theoretische und praktische Möglichkeit, das Analogische auf das Digitale zurückzuführen.“75 Als konventionalisiertes und nicht als natürliches Zeichen verstanden, lassen sich das analoge Bild (ein Ikon, die Fotografie) wie die arbiträre Sprache auf binäre Systeme zurückführen (z. B. durch Oppositionen besetzt-unbesetzt, leere Stelle vs. volle Stelle in bildsystematisierenden Rastern und Gittern).76 Das solcherart erzeugte digitale Bild ist – in strukturalistischen Termini – Text/Textur/Netz ohne natürliche Verbindung zum Gegenstand.77

Nun kann aber von Unterschieden in der Bildergenerierung und vor allem Bildrezeption nicht abgesehen werden. Das nicht-digital produzierte fotografische Bild z. B. mag zwar nach digitalen Strukturmustern funktionieren, das Bild-Referent-Verhältnis basiert jedoch nicht auf mathematischer Berechnung und Licht, sondern auf einer chemisch-physikalischen Behandlung einer optischen Spur. Erinnert sei an Roland Barthesʼ vielfach zitierte Abhandlung zur Fotografie La chambre claire, in der er der Fotografie die Authentizität des „Es ist so gewesen“ zuschreibt.78 Eine Zuschreibung, die für jedes fotografische Bild gelten muss, denn, wie Volker Wortmann zeigt, sind Authentizitätszuschreibungen auch in tradierten Fotografien konventionalisiert und von Erkennungscodes abhängig.79 Wie jedes andere Bildsystem ist auch die Fotografie kodifiziert, interpretationsauffordernd und interpretationsbedürftig. Ein Bild, das wie eine Fotografie aussieht, wird auch wie eine Fotografie rezipiert. Deshalb müssen Referenzauthentizität wie Realismus als Verfahren durch die digitale Technik nicht verabschiedet werden. Zwar ist das Bild in der digitalen Kamera immer schon als Bild da, gleichzeitig Ausgangsbild und Endbild80 und damit ungleich offen für Bearbeitungen und Rezeptionen.81 Aber wesentlich dabei ist, dass sich der Rezeptionsprozess ändert, wenn sich das Motiv schon als Bild zeigt und sich als solches ohne Zwischenphasen von Bildwerdungsprozessen wahrnehmen lässt. Nur auf Basis einer Rezeption der Verzögerung kann Barthes seine Zeitthesen zur Fotografie formulieren. Denn die Kraft der Fotografie liegt für Barthes nicht allein in ihrer Wiedergabe (sie ist in La chambre claire niemals als Illustration eingesetzt) oder ihrem Erinnerungsvermögen; sie ist nicht Kopie, sondern temporaler Index und affektives Ereignis. Ihr Bestätigungsvermögen und ihre Zeugenschaft sind nicht allein bezogen auf das Objekt (das gelingt auch der historischen Narration oder Chronik), sondern auf die Zeit. Fotografie prägt hier die Zeitform der Nachträglichkeit, eine Form mit repetitivem, memorialem Charakter, die Jetzt (die Zeit der Fotografie und der Rezeption) und Damals (die Zeit des Dargestellten) inkludiert. Zeit tritt nicht nur als Konzept entgegen, sondern bleibt als Ereignis evident.

Der affektive Zeitmoment des „cʼa eté“ und des darin impliziten Plusquamfutur der Rezeption „Es wird so gewesen sein“ ist zwar noch immer Teil der fotografischen Produktion und Rezeption, dennoch bedingt das digitale Dispositiv einen Realismus, der Zeit- und Raumverhältnisse weniger repräsentativ denn performativ einsetzt. Da Realismus eine auf Wahrnehmungs- und Darstellungskonventionen beruhende Größe ist, sind dessen diskursive Muster auch immer wieder unterschiedlich. Selbst bei der realistischen Formen zugrunde liegenden Annahme einer Welt des Vorhandenen und der Möglichkeit ihrer Repräsentation spielt es z. B. keine Rolle, ob diese Welt metaphysisch, empirisch oder konstruktiv begründet ist. Ebenso irrelevant wie die Frage nach den Konstitutionsbedingungen der empirischen Welt ist für diese wie für jede realistische Zuschreibung, ob sich Ähnlichkeitsrelationen zwischen fiktiven oder als „real“ eingestuften Objekten und Zeichen einstellen. Die Reality-TV-Shows sind ein Beispiel für die spielerische Aufbereitung und Akzeptanz von psychologischem Realismus durch konstruierte Authentizitätseffekte. Wesentlich ist dabei, dass die zur Verfügung gestellte Zeichenwelt Wahrnehmungen ermöglicht, die für alltägliche Wiedererkennungs- und Orientierungsmuster anschlussfähig sind. Deshalb müssen mit dem digitalen Bild weder der Realismus- noch der Referenzbegriff bzw. die Vorstellung einer primären Welt fallen, vielmehr tritt, während sich die Konstituenten reformulieren und die Muster realistischer Wahrnehmung modifizieren, deren wechselseitige codierte Bedingtheit hervor. Das, was Götz Großklaus den Fall der Widerspiegelung nennt,82 ist die Ablösung eines tradierten Wirklichkeitscodes, der auf Zweiteilung basiert (zwischen Objekt und Repräsentation, zwischen Realität und Fiktion) zugunsten eines Netzwerks simultan möglicher Informationsprozesse: eine als Medienrealität wahrgenommene Wirklichkeit mit permanenten Verschiebungsmöglichkeiten.

Diese Realität des Möglichen entsteht vorwiegend auf Bildschirmen (TV, Video, Computer). Um aber Realitätskonzepte wie Möglichkeitsbedingungen schaffen zu können, müssen digitale Bilder (bewegt oder unbewegt) nicht nur weiterhin Echtzeit und Realraum erfahrbar machen, sondern auch das Wissen um Medialität immer wieder aktualisieren. Möglich wird diese Positionierung zwischen Identifikation/Immersion und reflexiver Distanz durch eine partizipative bis interaktive rezeptive Haltung.83 Für den Kunstbereich lassen sich interaktive Medienprojekte nennen, die Mitspieler auffordern, simultan zwischen Realwelt (Körper, Raum- Zeiterfahrung) und Simulation zu agieren. Im Spiel partizipiert man an der sozialen Welt und ist zugleich von ihr getrennt.84 Für die zeitgenössische Medienkunst gilt, was Thomas Dreher zu Peter Weibel und Jeffrey Shaw bemerkt:

In computergesteuerten, in Echtzeit auf Rezipienten reagierenden Bildsimulationen [...] wird Selbst- und Fremdbezug in einer über (neo-)konzeptuelle Kontextuelle Kunst hinausweisenden Weise thematisiert. Vor die Frage nach spezifischen, historisch bedingten Kontextbedingungen wird die Frage gerückt, wie mentale Kontextvorstellungen beziehungsweise Weltbilder in einer Umwelt konstruierbar sind, in der (massen-)medial vermittelte Raumsimulationen mindestens ebenso prägend sind wie unmittelbare Realraumerfahrung: Fragen der Weltwahrnehmung treten wieder vor Analysen des Kunstbetriebs.85

Daher lässt sich Neue Medienkunst von der Meta-Kunst seit Duchamp ebenso absetzen wie von partizipativen Formen seit Dada bis zu Art & Language, Allan Kaprow und Adrian Piper. Während der Beobachterstandpunkt der Meta-Kunst extern ist, kann man mit Rössler von einer endogenen Perspektive bei computergenerierten Installationen sprechen.86 Diese, von Weibel als „Endoapproach“ bezeichnet, lässt den Betrachter als Datenmenge ins Bild kommen, obwohl er ihn/sie zugleich als Körper im Echtraum belässt. Ziel ist, dass sich der Betrachter als reflexives Selbst- und Fremdbezüge koordinierendes Wesen erfährt, das sich – sich gleichzeitig im Handlungsraum wie im Handlungsmodell befindend – synchron in empirischen wie simulierten Räumen bewegt.87 Auf der Ebene der Strukturen werden also durch Spielvorgänge Alltagshandlungen simuliert, auf der Ebene der Bildinhalte ermöglichen referentielle Bildmuster Wiedererkennbarkeit. Bilder werden dabei nicht mehr auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft, sondern auf ihren Effekt, auf ihre erzeugten Referenzen, sind Ausgangsmaterial fortlaufender Gestaltungen und Erweiterungen.

Der Zusammenfall von Innen und Außen88 birgt für einige Kulturtheoretiker und Philosophen Gefahren für ein bis dato gültiges Realitätsbild. Jean Baudrillards Diktum von einer Realität, die, überrannt von Medien und Bildern, nur mehr als Simulakrum existieren würde, ist ein berühmtes Beispiel für einen kulturkritischen Ansatz. Für Vilem Flusser sind zeitgenössische Formen durch das Verschwinden von Repräsentation bzw. Abbild zugunsten von möglichen Modellen, die er Vorbild nennt, gekennzeichnet.89 Unter Abbild versteht Flusser eine Abstraktion von Beobachtungen und Wahrnehmungen, durch die Menschen ihre Existenz und die der Welt formulieren können. Gleichzeitig ist das Abbild die Negation des So-Seins (die Welt, wie sie ist), indem es ein Sein-Sollen (die Welt, wie sie sein sollte/könnte) entwirft. Im Gegensatz zu Vorbildern, wären Abbilder noch immer an das Reale gebunden. Flusser diagnostiziert für die Gegenwart eine Dominanz des Vorbildes. Realität wird damit zu einem Entwurf des Subjekts. Anstatt Realität zu beobachten und sich mit ihr zu konfrontieren, entwirft es sich selbst und die Welt anhand kalkulierbarer Möglichkeiten (vgl. 34-48). In dieser starken Betonung der künstlichen Realitäten will Flusser die Gefahr des Verlustes einer für ihn wesentlichen Differenz erkennen, die zwischen Realität und Fiktionalität. Übersehen wird jedoch dabei, dass jedes Abbild immer auch ein Vorbild ist, d. h. eine Abstraktion, ein Modell, ein Entwurf von Welt.90 Mit Virtualität wird folglich die Untrennbarkeit der Realität von Fiktion evident. Die Interrelation von Realität und Fiktion zeigt allerdings auch umgekehrt die Abhängigkeit des Fiktionalen, Virtuellen von einem Realen: Um ein Vorbild (Flusser) oder einen Möglichkeitssinn (Musil, Großklaus) zu erhalten, braucht es auch in der Ära der neuen Medien und entgrenzten Medien-Genres ein Realitätskonzept, das die sinnlichen und kognitiven Perzeptionen von Körper, Raum und Zeit umfasst. Daher bleiben gerade in diesem Kontext verschiedene Fragen brisant: neben der Realismus- und Abbildfrage für (die neuen) Bilder sind das die räumlichen Verhältnisse zwischen Rezipient/innen und Produzent/innen, da Teilnahme, Produktion und Beobachtung nunmehr auch parallel geführt werden können; Zuschreibungen und Modifikationen des Körpers, womit mediale, Erfahrungs- und Wahrnehmungsfunktionen ebenso wie neue Darstellungsformen befragt werden.

E) Realitäten im 20. Jahrhundert

Medialität II

In neueren Realitätsbegriffen ist die Medienfrage zentral und unumgänglich. Realität und Wirklichkeit sind stets vermittelt oder konstruiert durch Bild-, Körper- und Sprachmedien, die Interrelationen bilden wie einander ausschließen können. In semiotischen Modellen werden Wirklichkeitsbegriffe auf Code-Vereinbarungen bzw. kulturell bedingte Wahrnehmungsmodelle zurückgeführt (Goodman, Pasolini, Cavell), postsemiotische Modelle begründen Realitätsbegriffe anhand interdisziplinär orientierter Wahrnehmungstheorien medientheoretisch, kulturwissenschaftlich und anthropologisch (Rancière, Barthes, Gombrich, Sobchak). Soziologische Positionen schließlich reagieren kritisch und analytisch auf verschiedene Mediensysteme, indem sie die kulturell und gesellschaftlich relevanten Veränderungen durch verschiedene Kommunikationssysteme und Bildsysteme, neuerdings auch der neuen Medien bzw. der digitalen Techniken untersuchen (Baudrillard, Flusser, Sekula). Die theoretischen Ansätze dieser unterschiedlichen Modellierungen überschneiden sich innerhalb der Diskussion um Realitäts- und Wahrnehmungskonzepte, was sich gut an dem in den 1980er und 1990er Jahren vielbesprochenen Begriff des Simulakrums verdeutlichen lässt. Die prominenteste Theorie aus diesem Umfeld hat Jean Baudrillard vorgelegt, der aus einer dezidiert kulturkritischen Perspektive beklagt, dass durch die Bilderflut alle Formen der unmittelbaren Wirklichkeit dem Tod durch Medien und ihrer Bilder erlegen seien. Das im Simulakrumbegriff enthaltende Konzept, Realität werde durch Zeichen von Realität, Bilder z. B., ersetzt, ist aber schon in den Modellen des linguistic turn und des Konstruktivismus angelegt. Wenn, wie von diesen Modellen dargelegt, die Welt nur in einer sprachlich oder kulturell kodifizierten Form sinnhaft produzier- und rezipierbar ist, dann ist Mediatisierung unumgehbar, die Möglichkeit der Erkenntnis einer unvermittelten, vormedialen Wirklichkeit folglich auszuschließen. Jede Realitätsvorstellung ist deshalb mit Notwendigkeit an eine Bild- oder Zeichenfolge gebunden, in weiterem Sinn Simulierung von Welt.

Die von Baudrillard und Flusser kritisierte „Wende“ wurde auch positiv gedeutet, nämlich im Sinne von Gottfried Boehm, der 1994 in einem viel beachteten Aufsatz versucht hat, mit dem Begriff „iconic turn“ auf die zentrale Rolle des menschlichen Bildvermögens hinzuweisen.91 Mit dieser Theorie eines anthropologisch gefassten Bildvermögens ist nicht die Vorstellung von Abbildvermögen als Sicherung von Wirklichkeit verbunden, auch nicht die Auslöschung der Welt durch Bilder, vielmehr wird virtuelle Wahrnehmung zum Erkenntnisvorgang schlechthin stilisiert und damit Verbildlichung als Konstituens von Sinnzuschreibungen überhaupt bestimmt. Bildern wohnt somit eine poietische Leistung inne, d. h. sie generieren eine eigene Wirklichkeit.92 Mit diesem Ansatz öffnet sich eine Verbindung zur Phänomenologie etwa Maurice Merleau-Pontys, der nicht von einem Gegenüber zwischen Bild und Welt, sondern von einem dynamischen Vollziehen in der Welt ausgeht, das Reflexion wie Selbstreflexion des Subjekts in ihrer Simultaneität voraussetzt. Damit ist Sehen im phänomenologischen Sinn, wie etwa auch bei Waldenfels93, immer auch ein Sich-selber-Sehen, Bildproduktion stets ein Sich-Selbst-ins-Bild-Setzen. Indem Merleau-Ponty dieses fremd- und selbstbezogene Tun nicht nur auf das Sehen, sondern auch auf den eigenen Körper richtet, wird ein anthropologischer Ansatz möglich94, an den wiederum Hans Belting mit seinem postsemiotischen Ansatz anschließt, wenn er in seiner Bild-Anthropologie den Körper als einen Ort der Bilder untersucht, über den soziale Akte ebenso gesetzt wie Identitäten kollektiver und singulärer Natur gebildet werden.

Die mediale Sicht auf die Bilder holt unseren Körper, der in den vielen Spielarten der Semiotik bewußt aus dem Spiel gebracht wurde, als mediales Subjekt in die Diskussion zurück. Die Zeichentheorie gehört zu den Abstraktionsleistungen der Moderne, denn sie trennte die Welt der Zeichen von der Welt der Körper in dem Sinne, daß Zeichen in sozialen Systemen zu Hause sind und auf Vereinbarungen fußen. Sie wenden sich an eine kognitive statt an eine sinnliche, körperbezogene Wahrnehmung. [...] Erst eine anthropologische Sicht gibt dem Menschen, der sich medial erfährt und ebenso medial handelt, seinen Ort zurück.95

Der phänomenologische Ansatz inspiriert wiederum Vivian Sobchack, eine Phänomenologie der Gegenwärtigkeit im Kino und in den elektronischen Medien zu entwerfen. Film-Bilder und digital generierte (bewegte) Bilder haben in ihrer Auffassung die Körper- und Raum-Welt-Erfahrungen nachhaltig verändert. Der Unterschied der beiden Bild-Formen liegt für Sobchack vor allem darin, dass die digitale Technologie den Körper durch simulierte Präsenzerfahrungen zum Verschwinden bringen würde:

Solch euphorische ‚Gegenwärtigkeit‘, wie sie die elektronischen Medien sichtbar werden lassen, ist nicht nur bemerkenswert, sondern gefährlich – aufgrund ihrer Motivationslosigkeit, des Abgerücktseins von Körper und Welt, ihrer Beschränkung auf den gegenwärtigen Augenblick (die uns vielleicht einmal die Zukunft kosten wird). 96

Optimistisch erkennt sie jedoch eine Rückkehr zum Körper in der Alltagskultur, etwa in der Fitness-Bewegung. Dagegen ließe sich angesichts der Entwicklungen seit 1988 viel einwenden. Die Diagnose von Sobchack ist insofern richtig, als die elektronischen Medien Körper neu definieren, gleichzeitig ist aber auch festzuhalten, dass den elektronischen Bildern als Körperbildern oder als Körper-Erleben der Nimbus des Verlustes nicht mehr unbedingt anhaftet. Kulturelle Realitäten und Identitäten bilden sich in einem Spannungsfeld von Bild – Körper – Medium, das im Kontext der neuen Medien zwischen Wirklichkeitssteigerung und Realitätsverlust changiert. Neuere Kunsttheorien interessiert daher weniger eine kunstwissenschaftlich geprägte Diskussion des Realitätsbezugs mimetischer Verfahren, sondern der Inszenierungsgehalt und Ereignischarakter traditioneller und neuer Bildkonfigurationen sowie die Verschränkungen von Bild – Körper – Medium in Film, Video, Installations- und Netzkunst. “97

Angesichts der vielfältigen Realitätsbegriffe und der Offenheit der Theorien seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erweist sich eine allgemeine und historische Systematisierung von künstlerischen Programmen, aber auch im Hinblick auf deren Verständnis vom Verhältnis Kunst und Realität als Herausforderung. Nie in Frage gestellt, sondern geradezu forciert wird die Relation von Sprach-/Bildkünsten und Realität auf mehreren Ebenen: Zum einen bilden Realitätsbegriffe aus dem Bereich der Wissenschaften und neuen Techniken sowie der Soziologie die theoretische Grundlage für realistische und avantgardistische Programme des 19. und 20. Jahrhunderts. Zum anderen bildet sich die Vorstellung, Kunst ersetze und erweitere Wirklichkeit und schaffe damit alternative Welten, Unmittelbarkeiten und Präsenz, die realistische Konzepte nicht anbieten würden. Zu neuer Geltung kommen dabei ein idealistischer Ansatz ebenso wie ein reformulierter Geistbegriff und ein aktualisiertes Geniekonzept. Der Modernismus und modernistische Varianten in Sprach- und Bildkunst sind Beispiele dafür. Und schließlich gehört weiterhin zu den konzeptuell herausforderndsten Fragen die nach der Seinsqualität der künstlerischen Objekte in ihrem Verhältnis zum Faktizitätsgrad der empirischen Objekte. An dieser Gelenkstelle treffen sich wieder Realismus und Idealismus, Avantgarden und Modernismus. Hans Blumenberg beschreibt das paradoxe Verhältnis von positivistischer, technischer Faktizität und Konstruktivität so:

„Nur durch die Reduzierung der Natur auf ihren nackten Material- und Energiewert wird eine Sphäre reiner Konstruktion und Synthese möglich. So ergibt sich der auf den ersten Blick paradoxe Sachverhalt, daß in einem Zeitalter höchster Geltung der Wissenschaft von der Natur zugleich deren Gegenstand in seinem Seinsrang für den Menschen nivelliert worden ist.“98

Möglich wird ab diesem Zeitpunkt, dass Materialität in einem ästhetischen Sein aufgeht, das als eine von vielen möglichen Welten exemplarisch ist und damit wie bei Paul Klee etwa dem Zufälligen entgeht und dadurch Strukturen eines „Urgrundes der Natur in neuer Überzeugungskraft“ zu erkennen geben würde.99 Möglich wird aber auch der Realismus Robbe-Grillets, für den die Welt weder exemplarisch, sinnvoll oder absurd, sondern einfach „ist“.100 Das Material eines Films bleibt daher begrenzt wie unendlich wiederholbar:

Es ist eine Welt ohne Vergangenheit, die sich in jedem Augenblick selbst genügt und die in fortschreitendem Maß wieder verlöscht. Der Mann und die Frau beginnen erst zu existieren, als sie zum erstenmal auf der Leinwand erscheinen, vorher sind sie nichts, und nachdem die Vorführung des Films beendet ist, sind sie wiederum nichts. Ihre Existenz dauert nur so lange wie der Film. Außerhalb der Bilder, die man sieht, außerhalb der Worte, die man hört, kann es keine Wirklichkeit geben.101

Blumenbergs und Robbe-Grillets Einschätzung des ästhetischen Materials können – trotz zeitlicher Nähe – unterschiedlicher nicht sein. Hans Heinz Holz befindet sich in seinem reichhaltigen Artikel zur Geschichte des Begriffs Realität mehr als ein halbes Jahrhundert später noch immer in der Nähe von Blumenberg, wenn er Kunst als „wahrer“ als das Naturvorbild beschwört, da die Realität des Materials in Sinn und damit als Realität par excellence aufgehen würde.102 Die Verschiedenheit der Antworten zeigt, dass das Verhältnis von Sprach- und Bildkunst im 19. und 20. Jahrhundert an den jeweiligen Antworten auf die Frage nach dem Realitätsgehalt des Ästhetischen weiter verfolgt werden muss. Die Offenheit der Antworten bestätigt aber auch, dass ein chronologisches Entwicklungs- bzw. ein Evolutionsmodell die Konzepte zum Verhältnis von Kunst und Realität nicht hinreichend behandeln kann.

To be continued...

1 Vgl. dazu allg. Tobias Trappe, „Wirklichkeit“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 12, hg. von Gottfried Gabriel. Basel 2005, 829-846; und die div. Artikel zu „Realität“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 8, hg. von Karlfried Gründer. Darmstadt 1992. Auch den Aufsatz von Wolfgang Welsch, „‚Wirklich‘. Bedeutungsvarianten – Modelle – Wirklichkeit und Virtualität“, in: Sybille Krämer (Hg.), Medien. Computer. Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien, Frankfurt a. M. 1998, 167-212, 175, Fn. 12; sowie den Artikel „Realität“ von Hans Heinz Holz in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 5, hg. von Karlheinz Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/Burkhart Steinwachs/Friedrich Wolfzettel. Stuttgart 2010, 197-227, 198. Kant unterscheidet ‚Dasein‘ (Wirklichkeit) und ‚Realität‘ in seiner Kategorientafel im Sinne von Differenz zwischen Modalkategorien und Qualitätskategorien in: Kritik der reinen Vernunft, hg. von Ingeborg Heidemann. Leipzig 1989, bes. 150, 154ff., 218f., 243-253. Vgl. auch Georg Wilhelm Friedrich Hegels Trias Realität, Wirklichkeit, Sache seit Phänomenologie des Geistes (1807).

2 Vgl. Jean-François Courtine, „Realität/Idealität“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 8, 185-193, 186.

3 Ebda., 188.

4 Hervorzuheben ist, dass trotz der von Descartes beförderten Modernitätszugewinne durch die Trennung von Objekt und Subjekt (Sein und Ding), Realität bis in das 18. Jahrhundert weder als unabhängig noch als objektiv gegeben vorstellbar ist. Ontologische und kognitive Objektivität ist jedoch der Weg in einen modernen Realitäts- und Wirklichkeitsbegriff, der sich neben Descartes auch bei Leibniz ansetzen lässt. Vgl. auch ebda., 182.

5 Ebda., 195.

6 Kant, Kritik der reinen Vernunft, 301.

7 Ebda., 304f. Vgl. auch Courtine, „Realität/Idealität“, 197.

8 Albrecht Koschorke, Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt a. M. 2012, 391.

9 Ebda., 390.

10 Ebda., 392.

11 Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, hg. von Gottfried Martin/Ingeborg Heidemann/Joachim Kopper/Gerhard Lehmann. Stuttgart 1991, 235.

12 August Wilhelm Schlegel, „Über das Verhältnis der schönen Kunst zur Natur; über Täuschung und Wahrscheinlichkeit; über Styl und Manier (1808)“, in: Walter Jaeschke (Hg.), Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795-1805). Mit Texten von Humboldt, Jacobi, Novalis, Schelling, Schlegel u.a. Hamburg 1999, 332-334.

13 David Hume, An Enquiry concerning Human Understanding (1748), hg. von Tom L. Beauchamp. Oxford/New York 1999, 211.

14 Friedrich Schiller, „Beschluß der Abhandlung über naive und sentimentalische Dichter nebst einigen Bemerkungen einen charakteristischen Unterschied unter den Menschen betreffend“, in: Theoretische Schriften, hg. von Rolf-Peter Janz, unter Mitarbeit von Hans Richard Brittnacher, Gerd Kleiner und Fabian Störmer. Frankfurt a. M. 2008, 776-791, 776f. Vgl. zur Diskussion zwischen Schiller und Goethe Marie-Christin Wilm, „Die ‚Reduktion empirischer Formen auf ästhetische‘. Zur poetologischen Bestimmung von Wirklichkeit und Stoff durch Schiller, Goethe und Wilhelm Humboldt“, in: Hans Feger/Hans Richard Brittnacher (Hg.), Die Realität der Idealisten. Friedrich Schiller. Wilhelm von Humboldt. Alexander von Humboldt. Köln/Weimar/Wien 2008, 112-144.

15 Susanne Knaller, „Realitätskonzepte in der Moderne. Ein programmatischer Entwurf“, in: dies./Harro Müller (Hg.), Realitätskonzepte in der Moderne. Beiträge zu Literatur, Kunst, Philosophie und Wissenschaft. München 2011, 11-28, 17f. Auch Monika Ritzer, Vom Ursprung der Kunst aus der Nachahmung. Anthropologische Prinzipien der Mimesis, in: Rüdiger Zymner/Manfred Engel (Hg.), Anthropologie in der Literatur. Poetogene Strukturen und ästhetisch-soziale Handlungsfelde. Paderborn 2004, 81-101, 83. Vgl. auch Hans Blumenberg, „‚Nachahmung der Natur‘. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen“, in: Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede. Stuttgart 1981, 54-103, 55f.

16 Denis Diderot, „Vernet. Salon de 1767“, in: Œuvres. Tome IV. Esthétique – Théâtre. Ed. Laurent Versini. Paris 1996, 594-635, 626. Vgl. zu Diderots Salons auch Gregor Sauerwald, Die Aporie der Diderot’schen Ästhetik (1745-1781). Ein Beitrag zur Untersuchung des Natur- und Kunstschönen als ein Beitrag zur Analyse des neuzeitlichen Wirklichkeitsbegriffs. Frankfurt a. M. 1975.

17 Alexander von Humboldt, Die Kosmos-Vorträge 1827/1828 in der Berliner Singakademie, hg. von Jürgen Hamel und Klaus-Harro Tiemann in Zusammenarbeit mit Martin Pape. Frankfurt a. M. 2004, 213. Auch in einem Brief an Karl August Varnhagen von Ense vom 27. 10. 1834.

18 Alexander von Humboldt, Kosmos. Für die Gegenwart bearbeitet von Hanno Beck. Stuttgart 1978, 263. Die vier Abteilungen über die Ergründung der Weltgesetze umfassen neben „Begriff und die Begrenzung der physischen Weltbeschreibung als einer eigenen und abgesonderten Disziplin“, „objektiven Inhalt, die reale empirische Ansicht des Naturganzen in der wissenschaftlichen Form des Naturgemäldes“ auch „den Reflex der Natur auf die Einbildungskraft und das Gefühl als Anregungsmittel zum Naturstudium durch begeisterte Schilderungen ferner Himmelsstriche und naturbeschreibende Poesis (ein Zweig der modernen Literatur), durch veredelte Landschaftsmalerei, durch Anbau und konstrastierende Gruppierung exotischer Pflanzenformen“ sowie die „Geschichte der Weltanschauung, d. h. der allmählichen Entwicklung und Erweiterung des Begriffs vom Kosmos als einem Naturganzen“. (30f.). Vgl. dazu Jörg Robert, „Weltgemälde und Totalansicht. Ästhetische Naturerkenntnis und Poetik der Landschaft bei Schiller und Alexander von Humboldt“, in: Feger/Brittnacher (Hg.), Die Realität der Idealisten, 35-52.

19 Jean-Baptiste Dubos, Réflexions critiques sur la poésie et sur la peinture. Nachdruck der Ausgabe von 1770. Genf 1967, 69.

20 Vgl. Hubertus Kohle, Ut pictura poesis non erit. Denis Diderots Kunstbegriff. Mit einem Exkurs zu J. B. S. Chardin. Hildesheim/Zürich/New York 1989, 47.

21 Schlegel, „Über das Verhältnis“, 334.

22 Hans Robert Jauss (Hg.), Nachahmung und Illusion. Kolloquium Giessen Juni 1963. Vorlagen und Verhandlungen. München 1964, 185.

23 Holz, „Realität“, 207.

24 M. Hinderk Emrich, „Illusionen, die Wirklichkeit und das Kino“, in: Gertrud Koch/Christiane Voss (Hg.), …kraft der Illusion. München 2006, 39-52, 39.

25 Ebda.bda., 39.

26 Johann Jakob Bodmer/Johann Jakob Breitinger, „Von dem Einfluß und Gebrauche der Einbildungs-Krafft“, in: Schriften zur Literatur, hg. von Volker Meid. Stuttgart 1980, 29-35, 35.

27 „Un incident imprévu qui se passe en action, et qui change subitement lʼétat des personnages, est un coup de théâtre. Une disposition de ces personnages, sur la scène, si naturelle et si vraie, que, rendue fidèlement par un peintre, elle me plairait sur la toile, est un tableau.“ Denis Diderot, „Entretiens sur le fils naturel“, in: Œuvres. Tome IV. Esthétique – Théâtre, 1131-1190, 1136.

28 Gotthold Ephraim Lessing, Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei und Poesie, in: Werke. Bd. 6. Kunsttheoretische und kunsthistorische Schriften, hg. von Herbert G. Göpfert. München 1974, 9-187, 111.

29 Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft. Frankfurt a. M. 1995, 177f.

30 Friedrich Schlegel, „Über das Studium der Griechischen Poesie“, in: Jaeschke (Hg.), Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795-1805), 63.

31 Novalis, Werke/Briefe, Dokumente. Bd. 2. Fragmente 1 (1798), hg. von Ewald Wasmuth. Heidelberg 1957, 374.

32 Winfried Menninghaus, Unendliche Verdoppelung. Die frühromantische Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion. Frankfurt a. M. 1987, 94.

33 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, System des transzendentalen Idealismus (1800). Mit einer Einleitung von Walter Schulz. Hamburg 1957, 325.

34 Johann Wolfgang von Goethe, Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil, in: Werke. Bd. 12. Schriften zur Kunst. Schriften zur Literatur. Maximen und Reflexionen, hg. von Erich Trunz. Hamburg 1953, 30-55, 46.

35 Johann Christoph Gottsched, „Versuch einer Critischen Dichtkunst“, in: Schriften zur Literatur. Stuttgart 1972, 63.

36 Friedrich Schlegel, „Fragmente zur Poesie und Literatur“, in: Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner. Sechzehnter Band. Erster Teil. Mit Einleitung und Kommentar herausgegeben von Hans Eichner. München/Paderborn/Wien/Zürich 1981, 92.

37 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, „Vorlesungen über die Ästhetik“, in: Werke in zwanzig Bänden. 13. Frankfurt a. M. 1970, 49.

38 Schiller an Körner, Jena, 6. 8. 1797, in: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 29. Briefwechsel. Schillers Briefe 1. 11. 1796 – 31. 10. 1798, hg. von Norbert Oellers und Frithjof Stock. Weimar 1977, 112-113.

39 Exemplarisch dafür die Besprechung „Über Matthissons Gedichte“ (1794), die einigen Einfluss auf die zeitgenössische Kunsttheorie und auch auf Alexander von Humboldt hatte. Verwiesen sei aus der zahlreichen Literatur auf die Arbeiten von Jörg Robert, „Die Kunst der Natur – Schillers Landschaftsästhetik und die anthropologische Revision von Lessings Laokoon“, in: Georg Braungart/Bernhard Greiner (Hg.), Schillers Natur. Leben, Denken und literarisches Schaffen. Hamburg 2005, 139-154 sowie „Weltgemälde und Totalansicht. Ästhetische Naturerkenntnis und Poetik der Landschaft bei Schiller und Alexander von Humboldt“, in: Feger/Brittnacher (Hg.), Die Realität der Idealisten, 35-43.

40 Hans Feger, „Die Realität der Idealisten. Ästhetik und Naturerfahrung bei Schiller und den Brüdern Humboldt", in: ebda., 15-34, 28.

41 Alexander von Humboldt, Ansichten der Natur. Erster und zweiter Band, hg. und kommentiert von Hanno Beck. Darmstadt 1987.

42 Vgl. dazu Robert, „Weltgemälde und Totalansicht“, 52.

43 Vgl. die berühmte Briefstelle von Gustave Flaubert: „Ce qui me semble beau, ce que je voudrais faire, c’est un livre sur rien, un livre sans attache extérieure, qui se tiendrait de lui-même par la force interne de son style. [...] Les œuvres les plus belles sont celles où il y a le moins de matière; plus l’expression se rapproche de la pensée, plus le mot colle dessus et disparaît, plus c’est beau. Je crois que l’avenir de l’Art est dans ces voies.“ Gustave Flaubert an Louise Colet am 16. 1. 1852, in: Œuvres complètes. Bd. 13. Correspondance 1850-1859, hg. von der Société des Études littéraires françaises. Paris 1974, 157-160, 158.

44 Exemplarisch dafür die Éloge de Richardson (1762). Vgl. Susanne Knaller, „Der italienische Briefroman im Kontext von Subjektivitätstheorien und Mimesispoetiken im 18. und 19. Jahrhundert. Ugo Foscolos „Le ultime lettere di Jacopo Ortis“, in: Giedeon Stiening/Robert Vellusig (Hg.), Die Poetik des Briefromans im 18. Jahrhundert. Tübingen 2012, 279-292, 279f.

45 Wie sehr dieser Wirklichkeitsbegriff noch in der Konzeption eines Naturganzen verankert ist, zeigt Joachim Küpper, Ästhetik der Wirklichkeitsdarstellung und Evolution des Romans von der französischen Spätaufklärung bis zu Robbe-Grillet. Ausgewählte Probleme zum Verhältnis von Poetologie und literarischer Praxis. Stuttgart 1987.

46 Besonders sein theatralisches Raumkonzept ermöglicht ihm, die rationalen Modi der Selbst- und Fremdbeobachtung auf eine Weise zu diskutieren, die Beobachtung zum Thema macht, indem er ein auf verschiedene Texte verteiltes metareflexives Zusammenspiel von Drama, Dialog, Kommentar und Briefwechseln inszeniert und auch für das Geschehen auf der Bühne eine Konstellation der wechselseitigen Beobachtung der Figuren entwirft. Vgl. Susanne Knaller, „Das Paradoxon der Beobachtung. Der Zusammenhang zwischen der Metapher der Vierten Wand und zeitgenössischen autofiktionalen Formen“, in: Sabine Folie/Ilse Lafer (Hg.), Hinter der Vierten Wand. Fiktive Leben – Gelebte Fiktionen. Ausstellungskatalog Generali Foundation Wien. Nürnberg 2010, 49-58.

47 Johannes Friedrich Lehmann, Der Blick durch die Wand. Zur Geschichte des Theaterzuschauers und des Visuellen bei Diderot und Lessing. Freiburg 2000, 110. Vgl. auch die wichtige Untersuchung von Doris Kolesch, Theater der Emotionen: Ästhetik und Politik zur Zeit Ludwigs XIV. Frankfurt am Main/New York 2006, 237–255.

48 Hans Robert Jauss, „Nachahmungsprinzip und Wirklichkeitsbegriff in der Theorie des Romans von Diderot bis Stendhal“, in: ders. (Hg.), Nachahmung und Illusion, 157-178, 162.

49 Küpper, Ästhetik der Wirklichkeitsdarstellung, 161.

50 Émile Zola, Le roman expérimental. Paris 1913, 46.

51 Jules Janin, „Le Daguerreotype“, in: L’Artiste 12 (1838-39), 145-148.

52 Henry Fox Talbot an die Literary Gazette vom 30. 1. 1839, zit. nach: http://www.daguerreotypearchive.org/texts/P8390017_NEW-ART_LIT-GAZETTE_1839-02-02.pdf

53 Mike Weaver (Hg.), Henry Fox Talbot. Selected Texts and Bibliography. Oxford 1992, 85f.: „This view was taken from one of the upper windows of the Hotel de Douvres, situated at the corner of the Rue de la Paix. The spectator is looking to the North-east. The time is the afternoon. The sun is just quitting the range of buildings adorned with columns: its façade is already in the shade, but a single shutter standing open projects far enough forward to catch a gleam of the sunshine. The weather is hot and dusty, and they have just been watering the road, which has produced two broad bands of shade upon it, which unite in the foreground, because, the road being partially under repair (as is seen from the two wheel-barrows, &c. &c.), the watering machines have been compelled to cross to the other side. By the roadside, a row of cittadines and cabriolets are waiting, and a single carriage stands in the distance a long way to the right. A whole forest of chimneys borders the horizon: for, the instrument chronicles whatever it sees, and certainly would delineate a chimney-pot or a chimney-sweeper with the same impartiality as it would the Apollo of Belvedere. The view is taken from a considerable height, as appears easily by observing the house on the right hand; the eye being necessarily on a level with that part of the building on which the horizontal lines or courses of stone appear parallel to the margin of the picture.“

54 Peter Henry Emerson, Naturalistic Photography for Students of the Art. The Death of Naturalistic Photography. Book 1. New York 1880. Nachdruck New York 1972, 197.

55 Ebda., 32. Emerson selbst ist unschlüssig bezüglich seiner Positionen zwischen objektivem authentischen Bild und subjektiver Interpretation, zwischen mathematisch technischer „Wahrheit“ und physiologisch-konstruktiver Erfahrung. Vgl. dazu Bernd Stiegler, Philologie des Auges. München 2001, 93ff.

56 Wolfgang Kemp, Theorie der Fotografie I. 1839-1912. München 1999, 20.

57 Jonathan Crary, Techniques of the Observer. On Vision and Modernity in the Nineteenth Century. Cambridge/London 1992, 41.

58 Ebda.

59 Ebda., 70.

60 Willi Warstat, Die künstlerische Photographie. Ihre Entwicklung, ihre Probleme, ihre Bedeutung. Leipzig/Berlin 1913, 76.

61 Bertrand Russell, My philosophical development. London 1959. Vgl. dazu den Artikel von Ulrich Dirks, „Welt“, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 12, 408-443, 425f.

62 Christian Wolff, „Vernünftige Gedanken von Gott, der Welt und der Seele des Menschen, auch allen Dingen überhaupt“, in: Gesammelte Werke I, 2 (1719), hg. von Charles. A. Corr. Hildesheim/New York 1983. 330. Zit. nach ebda., 417.

63 Dirks, „Welt“, 438.

64 Nelson Goodman, Weisen der Welterzeugung. Übersetzt von Max Looser. Frankfurt a. M. 1984, 116f. Ways of Worldmaking, Indianapolis/Cambridge 1978.

65 Friedrich Nietzsche, „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“, in: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-IV. Kritische Studienausgabe Bd. I (KSA 1), hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari. München 20098, 875-890, 879ff.

66 Vgl. dazu Sybille Krämer, „Kalküle als Repräsentation. Zur Genese des operativen Symbolismus in der Neuzeit“, in: Hans-Jörg Rheinberger/Michael Hagner/Bettina Wahrig-Schmidt (Hg.), Räume des Wissens. Repräsentation, Codierung, Spur. Berlin 1997, 111-122.

67 Italo Calvino, „Die Ebenen der Wirklichkeit in der Literatur“, in: Kybernetik und Gespenster. Überlegungen zu Literatur und Gesellschaft. Aus dem Italienischen von Susanne Schoop. München/Wien 1984, 156. Vortrag anlässlich des internationalen Kongresses I livelli della realtà in Florenz (September 1978).

68 William J. T. Mitchell, Picture Theory. Essays on Verbal and Visual Representations, Chicago 1994. Auch ders., „The Pictorial Turn“, in: Artforum (März 1992), 89ff.

69 Ludwig Wittgenstein, „Intentionalität“, in: Ein Reader, hg. von Anthony Kenny, Stuttgart: Reclam 1994, 85-86, 94. Aus: Philosophische Grammatik, in: Werkausgabe in 8 Bände. Bd. 4, hg. von Rush Rhees. Frankfurt a. M. 1993.

70 Denis Diderot, „Chardin“, in: Œuvres esthétiques. Textes établis, avec introductions, bibliographies, notes et relevés de variantes par Paul Vernière. Paris 1959, 481-498, 484. Dt. Übers.: „Man versteht diese Magie überhaupt nicht. Da sind dicke, aufeinander aufgetragene Farbschichten, deren Effekt von unten nach oben durchdringt. In anderen Fällen möchten wir behaupten, ein feiner Dunst sei auf die Leinwand gehaucht, und wieder ein anderes Mal, ein leichter Schaum sei darauf gespritzt. [...] Treten Sie näher: Alles verschwimmt, verflacht und verschwindet. Entfernen Sie sich: Alles erschafft und erzeugt sich wieder neu.“ Denis Diderot, „Salon von 1763“, in: Ästhetische Schriften. Bd. 1, hg. von Friedrich Bassenge. Berlin/Weimar 1967, 432-472, 454.

71 Jacques Lacan, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Das Seminar von Jacques Lacan. Buch XI (1964). Nach dem von Jacques-Alain Miller hergest. franz. Text. Ins Deutsche übersetzt von Norbert Haas. Olten/Freiburg im Breisgau 1978, 81. Le Séminaire. Tome 11. Les Quatre Concepts fondamentaux de la Psychoanalyse (1963-1964). T. I et III, ed. par Jacques-Alain Miller. Paris 1973.

72 Ebda., 101f.

73 Das wäre z. B. die Ansicht von Götz Großklaus, Medien-Zeit. Medien-Raum. Zum Wandel der raumzeitlichen Wahrnehmung in der Moderne. Frankfurt a. M. 1995, 53.

74 Umberto Eco, Einführung in die Semiotik. München 1992, 205.

75 Ebda., 229f.

76 Ebda., 228f.

77 Ebda., 213.

78 Roland Barthes, Die helle Kammer. Bemerkungen zur Fotografie. Frankfurt a. M. 1985, 95. La chambre claire. Notes sur la photographie. Paris 1980.

79 Volker Wortmann, „Was wissen Bilder schon über die Welt, die sie bedeuten sollen? Sieben Anmerkungen zur Ikonographie des Authentischen“, in: Susanne Knaller/Harro Müller (Hg.), Authentizität. Diskussion eines ästhetischen Begriffs. München 2006, 163-184, 167 vs. Hans Ulrich Reck, „Authentizität als Hypothese und Material. Transformationen eines Kunstmodells, in: ebda., 249-281, 277, „Digitale Fotografie hat keine Referenz mehr, weder ein Objekt noch eine Relation noch ein System. Es gibt keinen Bezug auf ein Original, es gibt nichts Authentisches mehr ‚darin‘ oder ‚dabei‘.“

80 Hans-Ulrich Reck, „Zwischen Bild und Medium“, in: Peter Weibel (Hg.), Vom Tafelbild zum globalen Datenraum. Neue Möglichkeiten der Bildproduktion und bildgebender Verfahren. Köln 2001, 17-50, 32.

81 Peter Legrady, „Bild, Sprache und Überzeugung in Synthese“, in: Hubertus von Amelunxen/Stefan Iglhaut/Florian Rötzer (Hg.), Fotografie nach der Fotografie. Dresden/Basel 1995, 88-92.

82 Großklaus, Medien-Zeit, 141f.

83 Sybille Omlin, „Intermedialität in der Kunst im Zeitalter der digitalen Transformation“, in: Monika Fleischmann/Ulrike Reinhardt (Hg.), Digitale Transformationen. Medienkunst als Schnittstelle von Kunst, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Heidelberg 2004, 75-77.

84 Tanja Wetzel, „Spiel“, in: Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 5, hg. von Karlheinz Barck/Martin Fontius/Dieter Schlenstedt/Burkhart Steinwachs/Friedrich Wolfzettel. Stuttgart 2010, 577-618.

85 Thomas Dreher, „Kontextreflexive Kunst. Selbst- und Fremdbezüge in intermedialen Präsentationsformen“, in: Peter Weibel (Hg.), Kontext Kunst. Köln 1994, 79-113.

86 Otto E. Rössler, Endophysik. Berlin 1992. Auch Dreher, „Kontextreflexive Kunst“, 109.

87 Ursula Frohne, „Diskursräume und Handlungsfelder“, in: Fleischmann/Reinhardt (Hg.), Digitale Transformationen, 85-89, 86.

88 Vgl. Elena Esposito, „Fiktion und Virtualität“, in: Krämer (Hg.), Medien, Computer, Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und neue Medien, 269-296.

89 Vilem Flusser, „Abbild – Vorbild“, in: Christiaan L. Hart Nibbrig (Hg.), Was heißt ‚Darstellen‘? Frankfurt a. M. 1994, 34-48.

90 Manfred Faßler, „Interaktion und Virtualität“, in: Holger Krapp/Thomas Wägenbaur (Hg.), Künstliche Paradiese. Virtuelle Realitäten. Künstliche Räume in Literatur-, Sozial- und Naturwissenschaften. München 1997, 184-200, 198f.

91 Gottfried Boehm, „Die Wiederkehr der Bilder“, in: ders./Karlheinz Stierle (Hg.), Was ist ein Bild? München 1994, 11-38, 16.

92 Für Boehm zeigt das auch Nietzsches Metapherntheorie, die er zugleich als Bildtheorie bewertet. Den „Wirklichkeitssinn“ begleitet damit ein „Möglichkeitssinn“ (ebda., 16).

93 Bernhard Waldenfels, „Ordnungen des Sichtbaren. Zum Gedenken an Max Imdahl“, in: Boehm/Stierle (Hg.), Was ist ein Bild?, 233-252.

94 Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist. Philosophische Essays, hg. und übers. von Hans Werner Arndt. Reinbek b. Hamburg 1967. L’Œil et L’Ésprit. Paris 1964.

95 Hans Belting, Bild-Anthropologie. München 2001, 14.

96 Vivian Sobchack, „The Scene of the Screen. Beitrag zu einer Phänomenologie der ‚Gegenwärtigkeit‘ im Film und in den elektronischen Medien“, in: Hans Ulrich Gumbrecht/K. Ludwig Pfeiffer (Hg.), Materialität der Kommunikation. Unter Mitarbeit von Monika Elsner u.a. Frankfurt a. M. 1988, 416-428, 427.

97 Vgl. Ursula Frohne, http://graduiertenkolleg.hfg-karlsruhe.de/content/schwerpunkte-der-2-f%C3%B6rderphase (19. 1. 2013)

98 Blumenberg, „Nachahmung der Natur“, 92.

99 Ebda., 93.

100 Alain Robbe-Grillet, Argumente für einen neuen Roman. Essays. Aus dem Französischen von Marie-Simon Morel. München 1965, 19.

101 Ebda., 103.

102 Holz, „Realität“, 209.

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Susanne Knaller: Realitäts- und Wirklichkeitskonzepte in der Moderne. Literatur, Kunst, Fotografie und Film, 2013

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