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Europa in der atlantischen Welt der Neuzeit

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Politik (1450-1550)

In den hundert Jahren zwischen 1450 und 1550 unterlagen das Reich wie Europa gleichermaßen fundamentalen Veränderungsprozessen, die von der Forschung als der Beginn der neuzeitlichen Staatsbildung beschrieben worden sind. Staatsbildung meint dabei zweierlei: zum einen die Anstrengungen der großen Dynastien, allen voran diejenigen des Hauses Österreich, die Herrschaft in den von ihnen beherrschten Gebieten effizienter zu gestalten, zum anderen – und in unmittelbarem Zusammenhang damit – ihre zunehmende Machtkonkurrenz.

Die Herrschaftsverdichtung wurde vor allem durch den steigenden Finanzbedarf hervorgerufen, der in der Folge des wachsenden Machtgegensatzes der europäischen Dynasten und der Konfrontation mit dem expandierenden Osmanischen Reich entstand. Da die monarchische Spitze des Gemeinwesens nur über eine rudimentär ausgebildete Verwaltung verfügte und ihr ein staatlicher Zwangsapparat (Militär, Polizei) nicht zur Verfügung stand, vermochte sie diese Herausforderung nur zu bewältigen, indem sie die mitspracheberechtigten Schichten, d.i. vor allem der Adel, an den finanziellen Lasten zu beteiligen verstand. Europaweit entstand in den Ständeversammlungen, die ganz unterschiedliche Namen trugen (Landtag, Reichstag, États generaux, Parliament), eine Form politischer Teilhabe der Eliten, die die europäische Geschichte maßgeblich prägen sollte. Die auf diesem Weg bewerkstelligte Einbindung der gesellschaftlichen Eliten in die sich allmählich ausformenden europäischen Einzelstaaten stieß in den einzelnen Gemeinwesen in unterschiedlichem Ausmaß auf Widerständigkeit. Diese Widerständigkeit artikulierte sich teils in offenem Aufruhr (siehe auch Unruhe und Empörung), teils in Formen verdeckter Opposition. Insbesondere das Haus Österreich, dessen Machtbereich sich unter Karl I. von Spanien (1516)/Kaiser Karl V. (1519) seit den 1520er Jahren über nahezu den gesamten europäischen Kontinent und die „neue“ Welt erstreckte und damit im Sinne eines sacrum imperium viele verschiedenartige Länder umfasste, sah sich in seinen zentraleuropäischen Besitzungen zu großen Zugeständnissen an die territorialen Eliten genötigt. Die Institution „Reichstag“, in der das kaiserliche Reichsoberhaupt mit den adeligen und städtischen Herrschaftsträgern des Reiches im Mit-, Neben- und Gegeneinander die Geschicke von Europas Mitte bestimmte, veranschaulicht in ihrer Genese und ihrer Ausformung exemplarisch, welch große gesellschaftliche und politische Handlungsspielräume dem Adel verblieben waren. Die fortdauernd große Autonomie der adeligen Herrschaftsträger resp. deren Bestreben, diese zu bewahren, schlug sich nicht zuletzt in divergierenden religiösen Optionen (siehe auch: Religion & Konfession/Glauben) der monarchischen Spitze und der ständisch organisierten Machteliten nieder. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist dies vor allem für die zentraleuropäischen Besitzungen des Hauses Habsburg zu beobachten (Herrschaft und Staatsbildung).

Die dynastische Machtkonkurrenz gewann mit dem Einfall Karls VIII., König von Frankreich (1470-1498; reg.: 1483-1498) in Italien 1494 eine neue Qualität. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts (1756) bestimmte der Machtgegensatz der Häuser Österreich – Valois (bis 1589)/Bourbon in zahllosen Kriegen den Gang der europäischen Geschichte. Er ist maßgeblicher Bestandteil der frühneuzeitlichen Kriegsverdichtung in Europa. In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde er von König Franz I. und Kaiser Karl V. vor allem um das reiche Norditalien ausgefochten und im Frieden von Cateau-Cambrésis (1559) vorläufig beigelegt, der Norditalien bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) zur Hegemonialzone der spanischen Linie des Hauses Österreich werden ließ.

Die ganze „Christenheit“, vor allem aber das Haus Österreich, sah sich mit der Expansion des Osmanischen Reiches unter Süleyman I., dem Prächtigen (reg. 1520-1566) konfrontiert; zum einen zu Wasser, d.h. im Mittelmeerraum (1522 Einnahme von Rhodos und damit Kontrolle des Seeweges zwischen Konstantinopel und Ägypten), zum anderen zu Lande, d. h. vor allem im südosteuropäischen Raum. Nach der Schlacht von Mohács 1526 wird Habsburg unmittelbarer Nachbar des Osmanischen Reiches. Dramatischer Höhepunkt war die Belagerung Wiens 1529 durch osmanische Truppen (Kriegsverdichtung und Friedensutopie).

Die theoretische Reflexion über Politik und die rechte Art des politischen Handelns war nur rudimentär ausgebildet. Ein Autor wie Macchiavelli (siehe auch: Wissen, Kommunikation, Medien) ändert an diesem Sachverhalt nichts, zu diskrepant war sein Politikkonzept zur fortdauernden ethischen Konzeption des Politischen, die vor allem in den Fürstenspiegeln und ihrer moralischen Fundierung der fürstlichen Rolle ihren Niederschlag fand. Doch nicht nur was die Politik innerhalb eines Gemeinwesens anbelangte, sondern auch was diejenige zwischen den europäischen Gemeinwesen betraf, hinkte die theoretische Reflexion der praktischen Politik hinterher: Für die „internationalen“ Beziehungen bedeutete dies, dass es zwar in Anlehnung an die altüberkommene „bellum iustum“-Theorie (Augustinus, Thomas von Aquin) durchaus wirkmächtige Vorstellungen von der rechten Art der Kriegführung gab, diese jedoch nicht weiter systematisiert wurden.

Erst der 1547/48 zwischen Kaiser Karl V. und den protestantischen Ständen ausgefochtene Schmalkaldische Krieg (siehe auch: Glauben) stellt, wie die Forschung erst jüngst erarbeitet hat, einen bedeutsamen Beitrag zur Ausformung eines neuzeitlichen Widerstandsrechtes dar, das in den konfessionell amalgamierten Auseinandersetzungen des folgenden Jahrhunderts fortgeschrieben werden sollte (Diskurse und Praktiken).

Weitere kurze Informationen zu den einzelnen thematischen Aspekten finden Sie, angereichert um weiterführende Literaturhinweise und Quellen – neben den hier präsentierten Lernmaterialien – für dieses Jahrhundert und die zeit bis 1789 unter:

http://www.muenster.de/FNZ_Online/ (Staatsbildungsprozesse)

GHM, MR