Kriminalromane jenseits des Krimi
Von Dorothy Sayers bis Leonardo Sciascia
Keine andere Form des Romans hat im 20. Jahrhundert ähnlich erfolgreich
gewirkt wie der Krimi. Dabei belegt schon die saloppe Genrebezeichnung, die wir
benutzen, Verbreitung und Popularität einer Gattung, welche in verschiedenen
Typen vom eher analytischen Detektivroman zum eher actionbestimmten Agentenroman
nach wie vor gleichermaßen beliebt zu sein scheint. Gründe für diese Beliebtheit
lassen sich natürlich unter vielfältigen Fachperspektiven beibringen. Als
Literarhistoriker will ich vor allem auf drei Momente hinweisen, denen jeweils
ein bestimmter Aspekt der idealtypischen Gattungsstruktur des Krimi
entspricht.
Aspekte eines Gattungserfolgs
Zunächst darf der Krimi beanspruchen, Funktionen des alten
Abenteuerromans unter geschichtlichen Bedingungen fortzuführen, die das
Abenteuer – zumindest als romaneske Norm im Sinne des „roman courtois“ oder des
„libro de caballerias“ – eigentlich verbieten. Was in der feudalen Welt als
Abenteuer galt, wird im System moderner Staatlichkeit zu einem Phänomen von
Verbrechen und Verbrechensbekämpfung; wo einst der Ritter Mut und höfisches
Verhalten bewies, tun Polizeiinspektoren oder Privatdetektive jetzt, was ihr Amt
oder ihren Job ausmacht. Demnach könnte man sagen, daß der Krimi (neben anderen
Verdiensten) auch die Leistung erbringt, das traditionelle literarische
Lustprinzip des Abenteuers mit dem gesellschaftlichen Realitätsprinzip
berufsbürgerlicher Normalität zu versöhnen. Das heißt: Durch den Krimi ist dem
Abenteuerroman seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit
gegeben, aktuell und nah zu werden, statt wie bei Alexandre Dumas oder Karl May
in historische oder exotische Fernen zu emigrieren.
Eine zweite Attraktion bildet die Steigerung der Spannung, die aus der
Erwartung von Abenteuern erwächst, durch das Rätsel eines Geheimnisses, das die
Serie abenteuerlicher Ereignisse umschließt und motiviert. Auch unter diesem
Aspekt folgt der Krimi ehrwürdigen Traditionen, welche bis zur analytischen
Tragödienform des König Ödipus oder zum Verfahren der
nachgestellten Vorgeschichte in antiken Epen und Romanen zurückreichen. Dabei
liegt in der „Medias-in-res“-Technik der sogenannten ‚epischen Umstellung‘, wie
sie die „Odyssee“, die Aeneis oder Heliodors Aithiopika kennen, wohl der Ursprung des erzählerischen
Geheimnis-Schemas, das eben im Krimi – und zumal im „klassischen“ Detektivroman
– seine pointierteste Gestalt finden wird.
Welche Wandlungen das Geheimnis-Schema bei dieser Entwicklung erfahren
hat, wäre in einer lohnenden und meines Wissens noch nicht durchgeführten
literarhistorischen Untersuchung zu zeigen: wichtige Etappen müßten hier etwa
die Komplikationen der epischen Umstellung im heroisch-galanten Roman der
Barockzeit darstellen, dann verschiedene Formen des Gothic Novel zwischen Sir
Horace Walpole und Mrs. Ann Radcliffe, schließlich die Romane von Wilkie
Collins, in dessen Werk sich mit The Woman in White
(1860) und The Moonstone (1868) ein gleichsam
exemplarischer Übergang vom Mystery Novel zum Detective Novel vollzieht.
Entscheidende Bedeutung kommt auf diesem Parcours gewiß dem Prozeß der
Rationalisierung und Moralisierung des Geheimnisses zu: ursprünglich Wirkung
einer göttlichen Providenz oder eines dämonischen Fatums, wird das Geheimnis in
der unmittelbaren Antezedenz des Krimi zum Ergebnis einer Intrige, die nicht
mehr transzendent als Verhängnis, sondern immanent als Verbrechen aufzufassen
ist.
Als Produkt verbrecherischer Machinationen begriffen, präsentiert sich
das Geheimnis, so sehr seine Schrecken in mancher Hinsicht gesteigert werden
mögen, nunmehr grundsätzlich unter dem Aspekt der Aufklärbarkeit. Dem entspricht
es, wenn die Lösbarkeit aller Rätsel auch im Figurenrepertoire des Krimi durch
die Gestalt des Detektivs quasi verankert wird. Damit gewinnt die moderne
Heldenrolle, die der Detektiv bekleidet, indes eine zweifache Faszination. Zum
einen ist der Detektiv immer noch ein Held, wie er vom traditionellen
Abenteuerroman vorgesehen war: ein Anwalt moralischer Normen, der das
Normwidrige und Böse notfalls im direkten Kampf unschädlich macht. Zum anderen
besteht sein distinktives Moment jedoch in der Komponente des
„Scharfsinnshelden“ (A. Ludwig), das heißt: im intellektuellen Heroismus einer
Rationalität, die neben dem Bösen spezifischer noch das Irrationale, Absurde und
Unsinnige vernichtet. Daraus folgt als dritte und wahrscheinlich wirkungsvollste
Qualität des Krimi eine Potenzierung seines Happy-Ending. Das gute Ende stellt
hier einmal, wie es sich für jegliche Unterhaltungsliteratur gehört, die
verletzte bürgerliche Moralordnung wieder her. Zugleich bestätigt es im
unwandelbar garantierten Nachvollzug von Aufklärung die bürgerliche
Erkenntnisordnung, und dies um so eklatanter, je paradoxer (insbesondere im
klassischen Detektivroman á la Agatha Christie, John Dickson Carr, Ellery Queen
usw.) die Verfremdung vertrauter Ordnungen vorher zugespitzt wurde. So hat bei
der Lektüre des Krimi eine gewisse Lust an der Angst, die Richard Alewyns
berühmter Aufsatz Anatomie des Detektivromans allzu
einseitig hervorhob, wohl ihren unverkennbaren Anteil. Doch wird sie, damit sie
Lust bleiben kann, immer bloß angeregt, um zum Schluß ein für alle Mal beruhigt
zu werden, wenn ein doppeltes Heil korrigiert, was unrecht war, und aufklärt,
was dunkel schien.
Über den Krimi hinaus
Bisher habe ich die umgangssprachliche Gattungsbezeichnung Krimi auch
deshalb gebraucht, weil ich mich stets auf den Idealtyp des Genres bezog, der
nach Lesererwartung und Publikationsmodalitäten gemeinhin dem Bereich
unterhaltender Literatur zugerechnet wird. Nun hat der massenhafte Erfolg einer
bestimmten Gattung von Unterhaltungsliteratur in der neueren Literaturgeschichte
aber immer auch jene Literatur affiziert, die nach ihrem Selbstkonzept anderes
und mehr als Unterhaltung bezweckt. Neben dem Idealtyp des konventionsgerechten
und – im Falle guten Gelingens – vorzüglich unterhaltsamen Normal-Krimi gibt es
daher seit langem Kriminalromane, um die es – gattungssystematisch wie
literaturkritisch – komplizierter bestellt ist. Mit ihnen sollen sich die
folgenden Betrachtungen befassen, wobei ein besonders kompliziertes (und
interessantes) Beispiel, Leonardo Sciascias Roman Todo Modo
(1974),die Perspektive unserer Notizen
bestimmt.
Am plausibelsten sind die verschiedenen Kriminalromane jenseits des
Krimi vielleicht zu ordnen, wenn man sie typologisch nach ihrem jeweiligen
literarischen Ausgangsmilieu gruppiert. Es ergeben sich dann zwei Gruppen, die –
trotz unvermeidlicher Überschneidungen – einigermaßen klar unterschieden werden
können: einerseits Romane, die über den Krimi als ihren traditionellen
generischen Ausgangspunkt hinaus wollen; andererseits Romane, die vom – wenn man
so will – avancierten Ausgangspunkt progressiver Poetiken auf den Krimi als ein
Gattungsmodell zurückgreifen, das sie mit anderen zu kombinieren, kritisch zu
verfremden oder schlechthin zu falsifizieren suchen.
Für die erste Gruppe kann exemplarisch das Werk von Dorothy L. Sayers
eintreten, das Ulrich Suerbaum unlängst mit der treffenden Formel „Vom
Kreuzworträtsel zum Roman“ charakterisiert hat (vgl. Theorie
und Praxis im Erzählen des 19. und 20. Jahrhunderts: Studien zur englischen
und amerikanischen Literatur zu Ehren von Willi Erzgräber, Tübingen
1986, S. 181–193). Seine Anfänge lassen etwa in Whose Body? (Der Tote in der Badewanne), einem Krimi, den
die Autorin später selbst als ,,conventional to the last degree“ kritisierte,
überdeutlich die Konventionen des in den zwanziger Jahren dominanten Typus eines
„pointierten Rätselromans“ erkennen. An dessen Perfektionierung hat auch die
Sayers in gewisser Weise mitgewirkt, indem sie das Ratespiel zwischen Autor und
Leser durch die Einführung bestimmter „Fair-Play“-Regeln zu disziplinieren
trachtete und den Leser im übrigen mit besonders anspruchsvollen
Denkspsortaufgaben konfrontierte: man erinnere sich beispielsweise an das
Problem der Dechiffrierung eines Geheimcode im 28. Kapitel des relativ späten
Romans Have his carcase (Mein Hobby, Mord) von 1932. Wesentlicher ist bei Dorothy Sayers jedoch der
eindrucksvoll konsequent durchgeführte Versuch, den Krimi seines Spielcharakters
zu entkleiden und dafür dem ernsten realistischen Roman, da heißt: einem „novel
of character and manners“, anzunähern. Was diesen Versuch strukturell
behinderte, hat die Sayers sicher schärfer gesehen als irgendein Zeitgenosse,
wenn sie in einem ihrer zahlreichen poetologischen Beiträge zum Detektivroman
kritisch bemerkt: „alles – und insbesondere psychologische Wahrscheinlichkeit –
wurde dem ‚surprise ending‘ geopfert“. In der Tat war es in erster Linie das
Postulat einer sensationell überraschenden, doch faktisch möglichen
Problemlösung, das zu jeder realistischen Wahrscheinlichkeitsforderung in einem
Verhältnis unaufhebbarer Spannung stand. Demgemäß wird in den Romanen der Sayers
schon ziemlich früh der Stellenwert des „surprise ending“ reduziert, während um
so mehr Gewicht erhält, was einmal „a serious artistic treatment of the
psychological elements“ genannt wird. Dabei fällt auf, daß Dorothy Sayers in
ihren theoretischen Schriften etwas einseitig das Postulat eines psychologisch
orientierten Realismus betont: wahrscheinlich dachte sie hier vor allem an den
durchaus subtilen Liebes- und Emanzipationsroman zwischen Harriet Vane und dem
Detektiv Lord Peter Wimsey, der in den letzten Bänden ihrer Serie mehrere
einzelne Kriminalromane übergreift. Mindestens ebenso bedeutsam sind in diesen
Bänden jedoch die Ansätze eines soziologisch orientierten Realismus, die jeweils reich nuancierte Bilder bestimmter Orte und
Milieus – eines mondänen Seebads, eines Oxforder College oder eines in der
Traditionalität seiner Lebensverhältnisse geborgenen Marschendorfs – ergeben.
Charakteristisch für die Ausweitung zum realistischen Roman wirken
insbesondere eine Fülle von Elementen, welche sich nicht in unmittelbarer
funktionaler Abhängigkeit vom detektivischen Plot entwickeln. Bei ihnen geht es
primär um die Kennzeichnung verschiedener gruppenspezifischer Mentalitäten und
Redeweisen, für die Dorothy Sayers eine selten hinlänglich gewürdigte
Virtuosität der Dialoggestaltung einzusetzen weiß. Indessen führt gerade die
Virtuosität, mit der die Romane der Sayers ständig vom Krimi-Schema abschweifen,
auch zu einem gewissen Dilemma. Es zeigt sich in der eigentümlichen Aufspaltung
des erzählerischen Code, welche dann sichtbar wird, wenn die Äußerungen, die für
die Mimesis des Raumromans Relevanz besitzen, und jene, die für die Konstruktion
des detektivischen Plot wichtig sind, nicht nur ihre strikte Abhängigkeit
einbüßen, sondern sich wechselseitig beeinträchtigen.
Solche Stellen, an denen die kompositorischen Linien des Krimis und des
realistischen Romans allzu weit auseinandertreten, erscheinen etwa in der
unglaublich komplizierten Mordvorrichtung von Busman’s
Honeymoon (Lord Peters Hochzeitsfahrt),die
bereits Raymond Chandler mit sarkastischem Spott bedachte, oder auffälliger noch
am Schlußpunkt der Detektion in Have his carcase. Hier
wird die gegenüber der sozialkritischen Schilderung der Seebadatmosphäre an sich
ganz belanglose Tatsache, daß das Mordopfer an der Bluterkrankheit litt (weshalb
aus dem ungeronnenen Zustand seines Blutes keine Rückschlüsse auf den Zeitpunkt
des Mordes zu ziehen waren), plötzlich zum Schlüssel der gesamten Affäre und
schiebt sich in ihrer rohen Faktizität vor alle anderen Informationen, die das
gesellschaftliche Panorama des „watering-place“ Wilvercombe erstellen. Damit
verliert der Code der soziologischen und psychologischen Relevanzen, das heißt:
der realistische Roman über das Leben in einem Seebad, im letzten Moment seine
Bedeutung und wird von dem Code der faktischen Relevanzen, dem um täuschende
oder aufklärende materielle Indizien zentrierten Kriminalroman, überholt und
verdrängt: Der Ernst der Katharsis, den der realistische Roman in Have his carsase erreichen möchte, löst sich
gewissermaßen auf im Unernst einer kontingenten detektivischen Pointe.
Das in den späten Romanen der Sayers entworfene Programm einer
amplifizierenden Erweiterung des Krimi zum Roman von kritischem Realismus hat
insgesamt umfangreichere und bedeutsamere Folgen gehabt, als ihm gewöhnlich
zugestanden werden. Wenn ich recht sehe, prägt seine Poetik – mit natürlich
unterschiedlichen Resultaten – einen Großteil der neueren Gattungsentwicklung,
und ein rezenter Roman wie Stanley Ellins Very old money
(1985)mag demonstrieren, wie selbstverständlich
Sayers’ Konzept des kriminalistischen ,,novel of character and manners“ bis in
die Gegenwart präsent geblieben ist. Mit ihrer Konzentration auf die Darstellung
scharf umrissener sozialer Milieus sind diesem Konzept in den USA beispielsweise
die Kriminalromane von Chester Himes oder Harry Kemelman gefolgt, in England
jene von Julian Symons. Dabei ergeben sich zumal in Kulturen, die auf eine
weniger dichte Krimitradition zurückblicken als die angelsächsische, häufige
Überschneidungen mit den Anregungen, welche von Simenon oder Chandler ausgehen.
Dafür sind diverse Vertreter des „Neuen Deutschen Kriminalromans“ ebenso ein
Beispiel wie in Italien die Simenon nahen Romane Antonio Perrias oder in Spanien
die eher Chandler nahen Romane von Manuel Vázquez Montalbán.
In der Struktur aller dieser Erzählungen wiederholen sich, wenngleich
zumeist auf einem bescheideneren narrativen Niveau, die Phänomene und Probleme,
die bereits das Werk der Sayers kennzeichneten. Kein Autor kümmert sich noch
sonderlich um das Arrangement eines „surprise ending“, und bei den fast
unvermeidlichen Spannungen zwischen dem Code des realistischen Romans und jenem
des detektivischen Plot gerät nicht selten das speziell Kriminalistische ins
Hintertreffen. Sehr prononciert ist das etwa der Fall in den Romanen Vázquez
Montalbán, für deren intelligente politische, literarische oder gastronomische
Glossen das Krimi-Schema nunmehr ein schwaches Gerüst und oft auch nur noch eine
Verlegenheit darstellt. Selber um Leseempfehlungen gebeten, würde ich aus dem
weiten Feld der Sayers-Nachfolge mit Abstand die beiden Romane La donna della domenica (Die Sonntagsfrau) und A che
punto è la notte? des italienischen Autorenduos Fruttero-Lucentini
hervorheben. Besonders der letztere, der in Deutschland sonderbarerweise ohne
größeres Echo blieb, ist meines Erachtens einer der bemerkenswertesten
Kriminalromane der Gattungsgeschichte. Wie die späten Romane der Sayers hat er
es auf eine amplifizierende Erweiterung des Krimi-Schemas abgesehen (602 Seiten
im Hardcover-Format der Erstausgabe), und wie bei der Sayers besteht sein Thema
nicht allein in mysteriösen Verbrechen, sondern im Panorama eines Raumes: hier
der Stadt Turin. Die erzählerischen Mittel, welche Fruttero-Lucentini bei der
Entfaltung dieses Panoramas verwenden, zeigen indes, daß die Verfasser außer
Dorothy Sayers wohl auch Dos Passus’ Manhattan Transfer
und wahrscheinlicher noch Vargas Llosas La casa verde
oder Conversación en La Catedral studiert haben.
Jedenfalls wird deren Technik einer zunächst verwirrenden Montage scheinbar
zusammenhangloser Handlungs- und Gesprächsfragmente in A che
punto è la notte? aufs raffinierteste zur Herstellung weitreichender
Spannungsbögen genutzt. Vor allem aber ist in diesem Roman das schwierige
Problem der Integration des realistischen und des detektivischen Code
überzeugender gelöst als bei vielen ähnlichen Versuchen; denn was die Detektion
am Ende ans Tageslicht bringt, hat tatsächlich auf sehr spezifische Weise mit
dem thematisierten Raum Turin, der Stadt der Fiat, zu tun.
Kritische Rückgriffe auf den Krimi
Gewissermaßen komplementär zu den Autoren, die über den Krimi
hinausstreben, verhalten sich jene anderen, die als Romanciers, oder
allgemeiner: als Erzähler, auf den Krimi zurückgreifen. In ihren Texten
verbindet sich mit dem Hommage an die Erfolgsgattung oft eine Kritik, welche in
erster Linie die Sicherheiten betrifft, die das potenzierte Happy-Ending des
Krimi garantiert, und so entsteht aus dem verfremdenden Rückgriff auf das
Gattungsschema häufig die paradoxale Form eines Kriminalromans ohne oder mit
gewollt unbefriedigender Lösung.
Von den Beispielen, die hierzu angeführt werden können, würde im Grunde
jedes einen ausführlichen Kommentar verdienen. Man denke etwa an Carlo Emilio
Gaddas Quer pasticciaccio brutto de via Merulana (Die
gräßliche Bescherung in der Via Merulana), einen Roman, den Leonardo
Sciascia als den ,,absolutesten Krimi, der je geschrieben wurde“, bezeichnet
hat: einen „Krimi ohne Lösung“ (,,Un ‚giallo‘ senza soluzione“).
Detektiverzählungen mit scheiternden Detektionen und mit Detektiven, welche sich
in undurchschaubaren Labyrinthen verlieren, gibt es bei Jorge Luis Borges. Die
berühmteste unter ihnen ist sicherlich La muerte y la brújula
(Der Tod und der Kompaß),während die aparteste
als Entwurf im fiktiven Opus des Herbert Quain (Exámen de la
obra de Herbert Quain) erscheint: ein imaginärer Krimi mit dem Titel
The God of the Labyrinth,der
zu einer falschen Lösung führt, die vom Leser selbst revidiert werden muß. Dabei
wirkt bezeichnend, daß sowohl Borges als auch Gadda schon frühzeitig, das heißt:
vor der Praxis ihrer eigenen Rückgriffe, das literarische Interesse erkannten,
das dem Krimi-Schema innewohnt. Von Gadda existieren Notizen aus dem Jahr 1928,
in denen er seine Absicht erklärt, „romanesk, interessant, Conandoylisch“ zu
schreiben, freilich mit bestimmten „Differenzen“, die damals noch nicht näher
umrissen werden. Borges hat zwischen 1936 und 1939 regelmäßige Aufsätze und
Rezensionen für die argentinische Wochenzeitschrift El
Hogar verfaßt, welche neuerdings in einem schönen Band (Textos Cautivos,Barcelona, Tusquets, 1986)
gesammelt sind. Ihr Themenbereich geht von Croces Ästhetik bis zu Ludendorffs
„totalem Krieg“ ; doch besteht eine nicht abreißende Konstante dieser Beiträge
in der Besprechung gerade erschienener angelsächsischer Detektivromane. Ihnen
läßt sich eine durchaus eigenwillige Poetik des Krimi entnehmen, und außerdem
ist zu beobachten, daß Borges, der mit seinen Ideen stets sehr ökonomisch
umging, die Skizze seines God of the Labyrinth hier
bereits 1938 in einer Rezension des Detektivromans Excellent
Intentions von Richard Hull vorweggenommen hat.
Neben den Texten von Borges und Gadda sind, was Kriminalromane ohne
Lösung und scheiternde Detektive anbelangt, noch viele Experimente
vergleichbarer Art zu nennen. Man erinnert sich an verschiedene Texte aus dem
Umkreis des „Nouveau Roman“, allen voran Alain Robbe-Grillets Les gommes,oder an die Anti-Detektivromane von
Friedrich Dürrenmatt. In der neueren lateinamerikanischen Literatur hat sich
besonders Mario Vargas Llosa typische Züge des Krimi-Schemas virtuos zunutze
gemacht, wovon die Romane La ciudad y los perros (Die Stadt
und die Hunde) und Conversación en La Catedral
(Gespräch in der Kathedrale) mit ihren nicht ganz eindeutig geklärten
Mordfällen und der systematischen Verrätselung ihrer Erzählstrukturen wohl das
eindrucksvollste Zeugnis ablegen. Am intensivsten bestimmt der kritische Rekurs
auf den Kriminalroman indes das Werk des sizilianischen Erzählers und Essayisten
Leonardo Sciascia, der gewiß nicht zufällig einmal eine „Kurze Geschichte des
Kriminalromans“ geschrieben hat, welche eben mit Gaddas „absolutestem Krimi“,
dem „,giallo‘ senza soluzione“ endet.
„Krimis ohne Lösung“ sind nämlich auch die bedeutendsten Romane
Sciascias: Il giorno della civetta (Der Tag der Eule), A ciascuno il suo (Tote auf Bestellung), Il Contesto (Tote Richter reden nicht) und Todo Modo. Um die Funktion ihres Verfahrens und zumal
ihrer Abstinenz von befriedigenden Lösungen richtig einzuschätzen, müssen wir
zunächst den prononcierten Optimismus in Erinnerung rufen, der dem doppelten
Happy-Ending des idealtypischen Krimi zu eigen war. Er bestätigte durch jede
gelungene Detektion ja gewissermaßen das historische Gelingen von Aufklärung
überhaupt: einerseits moralisch im Kampf gegen das Verbrechen als Inbegriff
aller Unmoral, andererseits erkenntnistheoretisch im Nachweis, daß selbst das
schwierigste Problem mit rational-empirischen Analysen angemessen zu bewältigen
ist. Einen solchen Optimismus, der dem Gattungsschema selber anhängt, hatten
trotz der Verdüsterung ihres Wirklichkeitsbildes sogar die Kriminalromane
Dashiell Hammetts und Raymond Chandlers bewahrt, obgleich sie stärker als je
zuvor das Phänomen des Gangstertums und des organisierten Verbrechens
berücksichtigten. So verfolgte Chandlers Detektiv Philip Marlowe die Fälle, mit
denen er konfrontiert wurde, in einer Haltung märchenhafter Integrität, deren
Motivation in einer Umwelt, die das Verbrechen zum System erhob, eigentlich kaum
noch plausibel zu begründen war. Außerdem blieben Hammett wie Chandler weit
stärker als etwa Simenon oder die Sayers den Konventionen des ,,surprise ending“
treu, was zur Folge hatte, daß die entscheidenden Verbrechen bei ihnen nie nach
den Regeln der Wahrscheinlichkeit auf die organisierte Kriminalität des
Romanvordergrunds zurückgehen durften, sondern mit Pointen von überraschender
Unwahrscheinlichkeit am Ende den verborgenen und gleichsam altmodischen
Leidenschaften des Romanhintergrunds zugeschrieben wurden.
Die Romane Sciascias können nun als eine narrative Kritik eben dieser
Widersprüche, die aus dem Konflikt zwischen einer pessimistischen Weltsicht und
einem prononciert optimistischen Erzählschema resultieren, gelesen werden. Wie
bei den Amerikanern die Ordnung des Romanbeginns aus einem bereits kriminellen
System von ,,gangs“ und „rackets“ besteht, so ist es in Sciascias Il giorno della civetta und A ciascuno
il suo das gleichfalls kriminelle System der Mafia, welches die
Gesellschaft einigermaßen im Gleichgewicht hält, solange es nicht durch abrupte
innere Kräfteverschiebungen gestört wird. Anders als Hammett und Chandler zieht
Sciascia aus den Verhältnissen, die seine Romanwelt voraussetzt, indessen die
logische beziehungsweise systemkonforme Konsequenz. Wenn das organisierte
Verbrechen in die normale gesellschaftliche Ordnung integriert ist, kann auch
die Rückkehr zur Ordnung am Romanende nur eine Rückkehr zum Verbrechen sein. Für
den Detektiv folgt daraus eine neue und essentiell tragische Rolle; denn seine
Aufklärungsarbeit steht jetzt nicht mehr im Dienst der Ordnung, sondern erweist
sich als deren fatalste Störung. Zwar mag sie noch die richtigen Spuren finden
und die Wege freilegen, die von der Peripherie ins Zentrum des Systems führen;
doch wird sie von keiner Instanz mehr fortgesetzt oder gar belohnt. Hat die
Aufklärung das Zentrum des Systems erreicht, weiß sich das System vielmehr zu
wehren und den Detektiv als Außenseiter und radikalen Störenfried zu
eliminieren. So macht in Il giorno della civetta Capitano
Bellodi wohl sichtbar, wie die Verkettung der Mafia vom Killer Diego Marchica
über den Bauunternehmer Pizzuco und den Boss Don Mariano Arena bis zum
Abgeordneten Livigni und zur „Eccellenza“, dem Minister Mancuso, reicht; dann
sorgt aber gerade der Umfang dieser Verkettung dafür, daß ihre unerwünschte
Detektion negative Folgen nicht für die Entdeckten, sondern umgekehrt für den
Entdecker zeitigt.
In Il giorno della civetta verliert der Detektiv
jede Kontrolle über die juristische Auswertung seiner Rekonstruktionen, und in
dem verwandten Roman
ciascuno il suo (wie dann auch in Il
Contesto)fällt er sogar selbst einem Mord zum
Opfer. Dabei korrigieren diese Romane die Tradition der Kriminalromane Hammetts
und Chandlers nicht allein, indem sie dem Detektiv das Privileg des Erfolgs und
der Unsterblichkeit nehmen, sondern mehr noch durch die spezifische
Motivkonstellation, in der sie den Detektiv jeweils scheitern lassen. Was bei
Hammett und Chandler das „surprise ending“ ausmachte, die Entdeckung einer
Hintergrundswelt verborgener erotischer Leidenschaften jenseits des
Romanvordergrunds der organisierten Kriminalität, wiederholt sich bei Sciascia
nämlich mit einer bedeutenden Modifikation. Wie in den amerikanischen Romanen
wird auch hier bei der Zuschreibung des zentralen Mordfalls ein Motivations- und
Interpretationswechsel vom organisierten zum privaten Verbrechen vollzogen; doch
ereignet er sich jetzt nicht mehr in der ideal endgültigen Erkenntnis des
Detektivs, sondern wird gegen dessen Erkenntnis durch eine Manipulation der
etablierten Macht erpreßt, welche die Existenz einer Mafia leugnet und den
zentralen Mordfall statt dessen aus den Leidenschafts- und Ehrenmotiven der
sizilianischen Folklore, das heißt: als „omicidio passionale“ und als „guestione
di corna“, erklärt. Was früher zu den Manipulationen des kriminalistischen
Gattungskanons gehörte, wird von Sciascia demnach als tatsächliche Manipulation
in das Innere der Romanwirklichkeit übertragen, so daß sich mit der Anklage
eines mafiosen politischen Zustands die ideologische Entlarvung eines romanesken
Ablenkungsmanövers verbindet.
Todo Modo oder die Suspension von Aufklärung
Die Verunsicherung des Lesers, die Sciascia mit der Negation eines
moralischen Happy-Ending eingeleitet hat, wird in den späteren Romanen Il Contesto und insbesondere Todo Modo
radikalisiert, indem jetzt auch das erkenntnistheoretische Happy-Ending
ausbleibt. Eine solche Verweigerung von Erkenntnis, die trotz aller moralischen
Enttäuschung wenigstens partiell befriedigen könnte, deutet sich in ll contesto an, wenn der Leser nie eindeutig erfährt,
welche Bewandtnis es mit der offenkundig politischen Verschwörung hat, die der
Detektiv Rogas entdeckt, bekämpft und schließlich seinem Freund Cusan mitteilt.
Aus verschiedenen Andeutungen muß der Leser hier selber anhand eigener
Konjekturen folgern, daß die Serienmorde an Staatsanwälten und Richtern nicht –
wie Rogas’ Vorgesetzte es insinuieren – jugendliche Anarchisten als Täter haben,
sondern ein Rachewerk des einst zu Unrecht verurteilten Apothekers Cres sind,
und weiter: daß Cres bei seiner Ausschaltung des Richterstandes durch die
Repräsentanten der politischen Exekutive gedeckt wird, um die in Wahrheit
lächerlich harmlose und eitle Protestbewegung zu belasten und derart im Chaos
günstige Voraussetzungen für einen Putsch oder verschärfte Repression zu
schaffen.
Daß die kriminelle Intrige hier nur angedeutet und nicht explizit
enthüllt wird, mag mit der Ungeheuerlichkeit des Vorwurfs zu tun haben, welcher
natürlich schon durch die Gattungsangabe ,,Una Parodia“ und die Situierung der
Aktionen nicht mehr in Sizilien, sondern in einem imaginären Staat, wo alle
Namen vage spanisch klingen, weitgehend eingeschränkt ist. Immerhin belegt aber
der auf Il Contesto folgende Roman Todo
Modo,daß die Technik zunehmender Verdunklung
des Plot bei Sciascia nicht bloß einen einmaligen Versuch darstellt; denn die
labyrinthischen Qualitäten des Contesto werden in diesem
zugleich irritierendsten und interessantesten Buch, das wir von Sciascia
besitzen, noch entschieden vertieft. Schauplatz des Romans, in dem die schon Il contesto charakterisierenden literarisch-ideologischen
Diskussionen und Divagationen mehr und mehr zauberbergartig in den Vordergrund
treten, ist eine zum Luxushotel umgebaute Eremitei, in der sich eine Gruppe von
Politikern, hohen Staatsbeamten und Managern unter dem Patronat des intelligent
unheimlichen Priesters Don Gaetano zu geistlichen Exerzitien zusammenfindet. Daß
die frommen Übungen nur ein Vorwand für substantiellere politische und
geschäftliche Interessen sind, bleibt dem Ich-Erzähler, den es zufällig auf die
Eremitei verschlagen hat, nicht lange verborgen: Don Gaetano gibt es selbst zu,
und als sich im Kreis der betenden Führungskräfte in rascher Folge drei Morde
ereignen, kommt die Hintergründigkeit der Veranstaltung, bei der es unter
anderem auch um die Aufteilung illegaler Parteispenden geht, ans Tageslicht.
Nicht ans Tageslicht kommt jedoch die Identität des Mörders oder der
Mörder; bis zuletzt bleibt ungeklärt, wer zunächst den Ex-Senator Michelozzi
erschoß, wer darauf den Advokaten Voltrano als möglichen Mitwisser tötete und
wer schließlich Don Gaetano, den allwisssenden Organisator der Exerzitien, aus
dem Wege räumte. Dabei ist zu beachten, daß diese Verweigerung der Klärung für
den Leser etwas außerordentlich Irritierendes hat. Es handelt sich ja nicht wie
etwa bei Robbe-Grillets Les gommes um einen Roman, dessen
Handlungsführung so total verfremdet ist, daß die traditionelle Krimifrage
(,Whodunit‘) nach der Gestalt des Täters von vornherein sinnlos erscheint. Ganz
im Gegenteil zeigen mehrere aus der Gattungstradition vertraute Erzählsignale
die Möglichkeit einer pointierten Lösung an.
So ist häufig von bestimmten Indizien die Rede, zum Beispiel von einer
Pistole, mit der Michelozzi erschossen wurde und die zum Schluß neben der Leiche
Don Gaetanos gefunden wird; dann betonen einmal der Erzähler und einmal der
Staatsanwalt, daß wenigstens Gaetano zweifellos Bescheid weiß, und am Ende des
19. Abschnitts versichert der Erzähler sogar, beim Zeichnen die definitive
Lösung des Problems erkannt zu haben, die „klar und beinahe evident“ sei, „sehr
ähnlich jener des Purloined Letter von Poe“. Im gleichen
Moment wird der Leser jedoch durch ein „Aber mehr will ich nicht sagen“
enttäuscht und auf die Verifizierung der noch unausgesprochenen Lösung
vertröstet, welche am nächsten Tag stattfinden soll. Am nächsten Tag folgt indes
lediglich die lakonische Angabe des Aufbruchs zur Verifizierung, über deren
Resultate keinerlei weitere Information mitgeteilt wird. Erst im letzten
Abschnitt gesteht der Erzähler unversehens, für die Ermordung Don Gaetanos, die
sich nach der Verifizierung ereignet haben muß, selber verantwortlich zu sein,
in einem Kontext allerdings, in dem dies (vom Gesprächspartner ohnehin nicht
akzeptierte) Geständnis ebensogut ironische wie ernste Bedeutung haben kann.
Damit gerät der Leser, was den Ablauf der Verbrechen und die Identität
der Verbrecher betrifft, in eine quälende Ungewißheit. War ihm in Sciascias
ersten Kriminalromanen das Happy-Ending von Bestrafung und Sühne entzogen
worden, so bleibt ihm nun auch das Happy-Ending der Erkenntnis versagt. Wo ihn
der klassische Detective Novel als pointierter Rätselroman, dessen erzählerische
Gestik auch Todo Modo zunächst wie ein Pastiche zu
übernehmen schien, durch das Geschenk eklatanter Enträtselung zu beruhigen
pflegt, beunruhigt ihn jetzt ein ungelöstes oder nur halb gelöstes Rätsel weit
über den Text hinaus. Er fragt sich: Hat der Ich-Erzähler, wie er (ernst oder
ironisch?) behauptet, Don Gaetano wirklich erschossen? Vielleicht,
wahrscheinlich, weil Don Gaetano zuvor Michelozzi und Voltrano erschoß? Oder ist
ein einziger Mörder für alle drei Morde verantwortlich? Etwa der Minister oder
einer der Präsidenten? Statt zum passiven Genuß des vergeblich erwarteten
Sensationsfinales wird der Leser, von solchen nicht beantworteten Fragen
aufgestört, zu einer Art aktiver ré-écriture angehalten, mit der er die
Leerstellen des Textes, welche dem Halbdunkel erfahrener Realität ähneln,
ausfüllen und neu verbinden kann.
Dabei wird der Leser um so dringlicher zur Mitarbeit aufgefordert, als
sich seine ré-écriture in Todo Modo nicht auf die
Leerstellen des kriminalistischen Zusammenhangs beschränken läßt. Durch den
kriminalistischen hat Sciascia hier nämlich gleichzeitig einen ideologischen
Zusammenhang entworfen, der in den Gesprächen zwischen dem laizistisch
gesinnten, doch von apokalyptischen Ahnungen geplagten Erzähler und dem
tiefgründigen Don Gaetano ebenfalls nur mit einer Serie von Andeutungen und
Verweisen erstellt wird.
Ähnlich dem detektivischen Plot gibt sich die politisch-philosophische
Diskussion mit Absicht derart allusiv und fragmentarisch, daß die Frage nach dem
richtigen Leben am Ende kaum weniger unentschieden bleibt als die Frage nach dem
wahren Mörder. Gewiß behält der Erzähler auf dem Höhepunkt der Diskussion das
letzte Wort, und gewiß schließt der Roman, um die Befreiung von religiösen
Versuchungen zu symbolisieren, mit dem Zitat des Endes von Gides Les caves du Vatican,doch wird
andererseits Don Gaetano, der die Welt unter dem Aspekt Pascalscher Metaphysik
als einen Abgrund sieht, in welchem dem Verzweifelten bis zur Zerstörung alles
erlaubt ist, wie zum Ausgleich durch eine besonders scharfsinnige Eloquenz
ausgezeichnet. Gegenüber den brillanten Argumentationen und Pascal-Zitaten soll
die lakonische Berufung auf Voltaires „L’ homme n’est point une énigme“, der
Vorbehalt und Einwand des Erzählers, absichtlich bescheiden wirken. Wie
Aufklärung in der Detektion nicht triumphiert, erweist sie sich auch in der
Moraldebatte als fragil: nicht eine unwiderlegliche Gewißheit, sondern gleich
der Detektion eine Aufgabe, die noch nicht gelöst wurde.
Der Widersinn affirmativer Aufklärung, dem der Kriminalroman kraft
seines Gattungsschemas stets mehr oder weniger täuschende Realität verlieh, ist
so in doppelter Weise überwunden; weder im Moralischen noch im Kognitiven endet
die Erzählung beim Trugbild gesicherter Ordnung. Statt dessen erfährt der Leser,
was Aufklärung einzig sein kann: Unsicherheit, Fragen und Reflexion.