Realität und Wirklichkeit in der Moderne

Texte zu Literatur, Kunst, Fotografie und Film

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Grundriss der Ästhetik, 1913

Benedetto Croce

Quelle

Benedetto Croce: Grundriß der Ästhetik. Vier Vorlesungen. Autorisierte deutsche Ausgabe von Theodor Poppe. Leipzig: Felix Meiner 1913. (= Wissen und Forschen. Schriften zur Einführung in die Philosophie. Bd. 5.), S. 7-9, 13-23, 25-27, 55-60, 64-67.

Erstausgabe

Breviario di estetica: quattro lezioni. Bari: G. Laterza e Figli 1913. (= Collezione scolastica Laterza. 1.).

Genre

Vorlesung

Medium

Literatur, Kunst

[7] […] Der Künstler schafft ein Bild oder Phantasma; der Kunstgenießende stellt sein Auge auf den Punkt ein, den ihm der Künstler gewiesen, blickt durch die Spalte, die er ihm geöffnet hat und reproduziert in sich jenes Bild. „Intuition“, „Vision“, „Anschauung“, „Einbildung“, „Phantasie“, „Verbildlichungen“, „Vorstellungen“ usw. sind lauter Worte, die gleichsam als Synonyme in den Erörterungen über die Kunst beständig wiederkehren und die alle unseren Verstand auf denselben Begriff oder auf dieselbe Begriffssphäre richten: ein Zeichen allgemeiner Übereinstimmung.

Aber diese meine Antwort, die Kunst sei Intuition, erhält zugleich ihre Bedeutung und ihre Stärke durch all das, was sie stillschweigend verneint und wovon sie die Kunst unterscheidet Welche Verneinungen sind dabei mitinbegriffen? – Ich will die hauptsächlichsten bezeichnen oder wenigstens die für uns, in unserer Kulturlage wichtigsten.

Sie verneint vor allem, daß die Kunst etwas Physisches sei; z. B. gewisse abgegrenzte Farben oder Farbenbeziehungen, gewisse abgegrenzte Körperformen, gewisse abgegrenzte Töne oder Tonbeziehungen, gewisse Wärme- oder Elektrizitätserscheinungen, kurz, irgend derartiges nennt man „physisch“. Schon im allgemeinen Denken findet sich der Anknüpfungspunkt für diesen Irrtum, die Kunst zu etwas Physischem zu machen. Wie die Kinder nach der Seifenblase greifen, um den Regenbogen zu fassen, so wendet sich der menschliche Geist bei der Bewunderung der schönen Dinge spontan zur äußeren Natur, um die Ursachen zu erforschen und sucht gewisse Farben, gewisse Körperformen als schön, andere als häßlich zu denken oder glaubt sie so denken zu müssen. Aber mit Bewußtsein und methodisch ist dieser Versuch in der Geschichte des Denkens [8] häufig unternommen worden: angefangen von den „Kanons“, welche die griechischen und die Renaissancekünstler und -theoretiker für die Schönheit der Körper festgesetzt haben, von den Spekulationen über die geometrischen und arithmetischen Beziehungen, die in den Figuren und Tönen zu bestimmen seien, bis hin zu den Untersuchungen der Ästhetiker des 19. Jahrhunderts (z. B. Fechners) und zu den „Mitteilungen“, die auf den Philosophen-, Psychologen- und Naturforscherkongressen unserer Tage die Unkundigen über die Beziehungen der physischen Erscheinungen zur Kunst vorzulegen pflegen. Fragt man sich, aus welchem Grund die Kunst keine physische Tatsache sein kann, so ist in erster Linie zu antworten, die physischen Tatsachen haben keine Wirklichkeit, während die Kunst, der so viele ihr ganzes Leben widmen und die alle mit göttlicher Freude erfüllt, in höchstem Maße wirklich ist. Also kann sie keine physische d. h. unwirkliche Tatsache sein. Das klingt zweifellos zunächst paradox, weil dem einfachen Mann nichts fester und sicherer scheint als die physische Welt. Aber wir haben im Namen der Wahrheit nicht das Recht auf die bessere Einsicht zu verzichten oder sie durch eine weniger gute zu ersetzen, nur weil die erste den Anschein der Lüge hat. Um übrigens das Befremdliche und Widerborstige dieser Wahrheit zu überwinden, um auf vertrauten Fuß mit ihr zu kommen, braucht man nur zu erwägen, daß der Beweis der Unwirklichkeit der physischen Welt unwiderleglich erbracht ist und von allen Philosophen zugegeben wird, die nicht krasse Materialisten sind und sich in die schreienden Widersprüche des Materialismus verwickeln. Ja, er wird gerade von den Physikern selbst in den in ihre Wissenschaft eingestreuten philosophischen Bruchstücken vertreten, wenn sie die physischen Erscheinungen als Produkte von Prinzipien betrachten, die sich der Erfahrung entziehen, als Produkte der Atome oder des Äthers oder als Ausdruck eines Unerkennbaren. Ist doch im übrigen selbst die Materie der Materialisten ein übermaterielles Prinzip. So stellen sich die physischen Tatsachen durch ihre innere Logik und nach allgemeiner Übereinstimmung nicht so sehr als eine Wirklichkeit dar, sondern als eine [9] Konstruktion unserer Vernunft zum Zweck der Wissenschaft . Folglich muß die Frage, ob die Kunst eine physische Tatsache sei, vernünftigerweise die andersgeartete Bedeutung annehmen, ob nämlich die Kunst physikalisch konstruierbar sei. Und das ist sicherlich möglich; wir tun es tatsächlich jedesmal, wenn wir uns vom Sinn einer Dichtung abwenden, auf ihren Genuß verzichten und uns beispielsweise daran machen, die Worte der Dichtung zu zählen und sie in Silben und Buchstaben zu zerlegen, oder wenn wir uns der ästhetischen Wirkung einer Statue entziehen und sie messen und wägen: eine überaus nützliche Sache für die Verpacker von Statuen wie die erstgenannte für die Typographen, die eine Seite Dichtung „setzen“; aber völlig überflüssig für den Kunstbetrachter und Kunststudierenden, dem es gar nichts nützt und auch nicht erlaubt ist, sich seinem eigentlichen Objekt zu entziehen. Also auch in dieser zweiten Bedeutung ist die Kunst keine physische Tatsache; wenn wir in ihr Wesen und ihre Wirkung eindringen wollen, hilft es uns nicht das mindeste, sie physikalisch zu konstruieren. […]

[13] […] Ferner – und das ist die letzte und vielleicht wichtigste der allgemeinen Negationen, die hier anzuführen sind – wird mit der Definition der Kunst als Intuition gesagt, daß sie nicht den Charakter begrifflicher Erkenntnis hat. Die begriffliche Erkenntnis in ihrer reinen, nämlich philosophischen Form ist immer realistisch, sofern sie darauf zielt, die Realität gegenüber [14] der Irrealität festzustellen oder die Irrealität durch ihren Einschluß in die Realität als deren untergeordnetes Moment herabzusetzen. Dagegen besagt Intuition ausdrücklich Ungeschiedenheit von Realität und Irrealität, das Bild in seinem Wert als bloßes Bild, die reine Idealität des Bildes; und die Gegenüberstellung der intuitiven oder sinnlichen und der begrifflichen oder geistigen Erkenntnis, der Ästhetik und der Noetik zielt darauf, die Autonomie dieser einfacheren und elementareren Form der Erkenntnis geltend zu machen, die man mit dem Traum (wohlgemerkt nicht mit dem Schlaf) des theoretischen Lebens verglichen hat, dem gegenüber die Philosophie das Wachen wäre. Und wirklich, wer vor einem Kunstwerk fragt, ob das, was der Künstler zum Ausdruck gebracht hat, metaphysisch und historisch wahr oder falsch ist, der stellt eine sinnlose Frage und verfällt in einen ähnlichen Irrtum, wie wenn man die luftigen Bilder der Phantasie vor den Richterstuhl der Moralität bringt. Sinnlos ist die Frage, weil die Unterscheidung des Wahren und Falschen immer eine Wirklichkeitsbehauptung, d. h. ein Urteil, betrifft. Aber die Unterscheidung kommt nicht in Betracht gegenüber einem Bild oder einem reinen Subjekt, das eben nicht Subjekt eines Urteils ist, weil ihm die Aussage oder das Prädikat fehlt Es ist ein vergeblicher Einwand, die Individualität des Bildes könne nicht bestehen ohne eine Beziehung zum Universalen, von dem jenes Bild eine Individuation ist; denn hier wird ja nicht bestritten, daß das Universale wie der Geist Gottes überall ist, und alles mit sich beseelt, sondern es wird nur bestritten, daß in der Intuition als solcher das Universale logisch entwickelt und wirklich gedacht vorhanden ist. Und ebenso vergeblich ist es, sich auf das Prinzip von der Einheit des Geistes zu berufen, die durch die scharfe Unterscheidung zwischen Phantasie und Gedanke nicht zerstört, sondern im Gegenteil gestärkt wird, da ja aus der Unterscheidung der Gegensatz und aus dem Gegensatz die konkrete Einheit entsteht.

Die Idealität (wie man auch diesen Charakter genannt hat, der die Intuition vom Begriff, die Kunst von der Philosophie und Geschichte, von der Aussage des Universalen und von der [15] Wahrnehmung oder Erzählung des Geschehenen unterscheidet) ist die eigenste Tugend der Kunst: sobald sich aus dieser Idealität die Reflexion und das Urteil entwickelt, löst sich die Kunst auf und stirbt; stirbt im Künstler, der aus dem Künstler zum Kritiker wird; stirbt im Beschauer, der aus dem entzückten Kunstgenießer sich in den nachdenklichen Beobachter des Lebens verwandelt.

Aber die Unterscheidung der Kunst von der Philosophie (in ihrer vollen Weite verstanden, die das ganze Denken des Wirklichen umfaßt) zieht andere Unterscheidungen nach sich, darunter in erster Linie die der Kunst vom Mythus. Denn der Mythus stellt sich für den, der an ihn glaubt, als Offenbarung und Erkenntnis der Wirklichkeit gegenüber der Unwirklichkeit dar und weist die von ihm verschiedenen Glaubensformen als illusorisch und falsch von sich. Kunst kann er nur werden für den, der nicht mehr an ihn glaubt und sich der Mythologie als einer Metapher bedient, der ernsten Welt der Götter als einer schönen Welt, Gottes als eines Bildes der Erhabenheit. Der Mythus ist also, in seiner ursprünglichen Realität betrachtet, in der Seele des Gläubigen und nicht etwa des Ungläubigen, Religion und nicht einfaches Phantasma; und die Religion ist Philosophie, Philosophie im Vorstadium, mehr oder weniger unvollkommene Philosophie, aber doch Philosophie, so wie die Philosophie Religion ist, mehr oder weniger geläutert und ausgebildet, in beständigem Prozeß der Ausbildung und Läuterung, aber doch Religion oder Denken des Absoluten und Ewigen. Der Kunst fehlt zum Mythus und zur Religion eben das Denken und der daraus erwachsende Glaube; der Künstler steht seinem Bild weder gläubig noch ungläubig gegenüber: er schafft es.

Von anderer Seite her schließt der Begriff der Kunst als Intuition ebenso die Auffassung der Kunst als Produktion von Klassen, Typen, Arten und Gattungen aus oder auch, wie ein großer Mathematiker und Philosoph es von der Musik meinte, als Ausübung unbewußter Arithmetik, d. h. jener Begriff unterscheidet die Kunst von den positiven Wissenschaften und von der Mathematik, in denen beiden die begriffliche Form [16] auftritt, wenn auch ohne realistischen Charakter, als reine Allgemeinvorstellung oder reine Abstraktion. Indessen jene Idealität, die die Naturwissenschaft und Mathematik gegenüber der Welt der Philosophie, der Religion und der Geschichte scheinbar annimmt und die sie der Kunst scheinbar naherückt (daher denn heutigentags die Wissenschaftler und Mathematiker sich so gern als Schöpfer von Welten, von Fiktionen rühmen, die sogar bis auf das Wort den Fiktionen und Gestaltungen der Dichter ähnlich seien) – jene Idealität wird erzielt durch einen Verzicht auf das konkrete Denken, durch eine Generalisation und Abstraktion, die freie Bestimmungen, Willensentscheidungen, praktische Akte sind und als solche der Welt der Kunst fremd und feindlich. So kommt es denn, daß die Kunst viel mehr Widerstreben gegen die positiven Wissenschaften und die Mathematik zeigt als gegen die Philosophie, die Religion und die Geschichte, weil diese ihr als Angehörige der gleichen Welt der Theorie oder der Erkenntnis entgegentreten, während jene sie mit der ganzen Brutalität der Praxis gegen die Betrachtung beleidigen. Poesie und Klassifikation und, noch schlimmer, Poesie und Mathematik scheinen so wenig verträglich wie Feuer und Wasser, der esprit mathématique und der esprit scientifique die erklärtesten Feinde des esprit poétique; die Zeiten, in denen Naturwissenschaften und Mathematik vorwiegen (z. B. das intellektualistische 18. Jahrhundert), die unfruchtbarsten für die Poesie.

Da diese Geltendmachung des alogischen Charakters der Kunst, wie gesagt, die schwierigste und wichtigste der in der Formel: Kunst-Intuition eingeschlossenen Negationen ist, so nehmen auch die Theorien, die die Kunst als Philosophie, als Religion, als Geschichte oder als Wissenschaft oder gar nur als Mathematik zu erklären suchen, in der Geschichte der Ästhetik den breitesten Raum ein und schmücken sich mit den Namen der größten Philosophen. In der Philosophie des 19. Jahrhunderts bieten Schelling und Hegel Beispiele der Identifikation und Vermischung der Kunst mit der Religion und der Philosophie; Taine zeigt ihre Vermischung mit den Naturwissenschaften; die Theorien der französischen Naturalisten [17] die Vermischung mit der historischen und dokumentarischen Beobachtung und der Formalismus der Herbartianer die Vermischung mit der Mathematik. Aber man würde bei allen diesen Autoren und bei den anderen, die man anführen könnte, vergeblich nach reinen Beispielen solcher Irrtümer suchen; denn der Irrtum ist niemals rein, und wäre er es, so wäre er Wahrheit. Darum enthalten auch die Kunstlehren, die ich kurz „begriffsmäßige“ nennen will, zersetzende Elemente, die um so zahlreicher und wirksamer sind, je stärker der Geist des Philosophen war, der sie lehrte; und darum bei niemand zahlreicher und wirksamer als bei Schelling und Hegel. Sie hatten ein so lebhaftes Bewußtsein vom künstlerischen Schaffen, daß sie im einzelnen mit ihren Beobachtungen und Ausführungen eine Theorie nahelegten, die das gerade Gegenteil der im allgemeinen Geist ihrer Systeme enthaltenen war. Übrigens sind gerade die „begriffsmäßigen“ Theorien nicht nur, soweit sie den theoretischen Charakter der Kunst anerkennen, den anderen früher betrachteten überlegen, sondern sie steuern auch ihren Anteil zur richtigen Lehre bei, sofern sie eine Bestimmung der Beziehungen zwischen der Phantasie und der Logik, zwischen der Kunst und dem Denken fordern. Diese Beziehungen aber weisen, eben indem sie Unterschiede ausdrücken, auch auf die Einheit hin.

Hier wird nun schon ersichtlich, wie die höchst einfache Formel: „Die Kunst ist Intuition“ – die man in anderen synonymen Wendungen (z. B. „die Kunst ist Phantasiewerk“) im Munde aller derer wiederbegegnet, die tagtäglich von Kunst sprechen, und die man unter älteren Ausdrücken („Nachahmung“, „Fiktion“, „Fabel“ usw.) in soviel alten Büchern wiederfindet – wie diese hier im Zusammenhang einer philosophischen Erörterung ausgesprochene Formel sich mit einem historischen, kritischen und polemischen Inhalt erfüllt, von dessen Reichtum ich nur eine flüchtige Skizze geben konnte. Und es wird nicht mehr verwunderlich sein, daß ihre philosophische Eroberung eine übergroße Summe von Anstrengungen gekostet hat; denn diese Eroberung ist wie das Fußfassen auf einem in der Schlacht langumstrittenen Hügel und hat darum einen ganz [18] anderen Wert als die flinke Besteigung des Hügels durch einen sorglosen Spaziergänger in Friedenszeiten: er ist nicht der einfache Ruhepunkt auf einem Spaziergang, sondern das Resultat und Symbol des Sieges eines Heeres. Der Historiker der Ästhetik verfolgt die Etappen des mühsamen Vorrückens, bei dem (und das ist abermals eine Magie der Denkarbeit) der Sieger durch die Streiche des Gegner statt Kräfte zu verlieren neue Kräfte gewinnt und nach Zurückwerfung des Gegners und doch zugleich in seiner Begleitung auf die ersehnte Anhöhe gelangt.

Ich kann hier nur im Vorübergehen an die Bedeutung erinnern, die der aristotelische Begriff der Mimesis hat, der im Widerspruch zur platonischen Verurteilung der Poesie entstanden ist, und an den Versuch desselben Philosophen, die Poesie von der Geschichte zu unterscheiden. Es war ein noch ungenügend entwickelter und vielleicht in seinem Geist nicht ganz ausgereifter Begriff, der darum lange mißverstanden wurde, aber nach vielen Jahrhunderten der Ausgangspunkt für das moderne ästhetische Denken werden sollte. Und im Vorübergehen will ich an das ständig wachsende Bewußtsein vom Unterschied zwischen Logik und Phantasie, zwischen Urteil und Geschmack, zwischen Intellekt und Genie erinnern, das im Lauf des 17. Jahrhunderts lebendig wurde, ferner an die glänzende Form, die der Gegensatz von Poesie und Metaphysik in der „Scienza nuova“ Vicos annahm; weiterhin an die schulmäßige Konstruktion einer Aesthetica, unterschieden von der Logica als gnoseologia inferior und scientia cognitionis sensitivae, die Baumgarten zu verdanken ist, der übrigens in der begriffsmäßigen Auffassung der Kunst stecken blieb und dem aufgeworfenen Thema durch sein Werk nicht gerecht wurde; – ebenso an die gegen Baumgarten und alle die Leibnizianer und Wolffianer gerichtete Kritik Kants, der klarstellte, wie Intuition Intuition sei und nicht etwa „verworrener Begriff“; – an die Romantik, die mit ihrer künstlerischen Kritik und ihrer Geschichtschreibung vielleicht besser als mit ihren Systemen die neue von Vico angekündigte Idee der Kunst zur Entwicklung brachte; – und endlich an die von Francesco [19] de Sanctis in Italien begonnene Kritik, der gegenüber allem Utilitarismus, Moralismus und Begriffswesen die Kunst als reine Form (um seinen Ausdruck anzuwenden) oder als reine Intuition zur Geltung brachte.

Indessen, an der Wurzel der Wahrheit entspringt „gleichwie ein Sproß“ – sagt die Terzine des Vaters Dante – der Zweifel, eine Kraft, die die Vernunft des Menschen „von Höhe zu Höhe“ aufwärtstreibt. Die Lehre von der Kunst als Intuition, als Phantasie, als Form eröffnet nun ein weiteres und wohlgemerkt nicht das „letzte“ Problem, ein Problem, das nicht mehr in der Gegenüberstellung und Unterscheidung von Kunst und Physik, Hedonistik, Ethik sowie Logik besteht, sondern innerhalb des Gebietes der Bilder selbst liegt. Bei dem Zweifel, ob das Bild zur Definition des Charakters der Kunst ausreiche, handelt es sich in Wirklichkeit darum, das echte Bild vom unechten zu unterscheiden, und man kommt so zu einer Bereicherung des Begriffs des Bildes und der Kunst. Welche Aufgabe, so lautet die Frage, kann im menschlichen Geist eine Welt der reinen Bilder haben, die frei sind von philosophischem, historischem, religiösem oder wissenschaftlichem Wert, ja sogar frei von moralischem oder hedonistischem Wert? Was gibt es unnützeres als mit offenen Augen zu träumen in einem Leben, das nicht nur Augen, sondern auch offenen Verstand und beweglichen Geist verlangt? Die reinen Bilder! Hat doch das Sichweiden an reinen Bildern die wenig ehrenvolle Bezeichnung: „Phantastereien nachhängen“, denen gewöhnlich das Beiwort „müßig'' vorgesetzt wird. Eine sehr wenig triftige und recht abgeschmackte Sache: und das wäre die Kunst? Gewiß, wir unterhalten uns bisweilen mit der Lektüre irgendeines abenteuerreichen Schundromans, in dem die Bilder sich in der mannigfachsten und überraschendsten Weise jagen; aber wir unterhalten uns damit allenfalls in Augenblicken der Ermüdung wenn wir genötigt sind, die Zeit totzuschlagen, ohne doch das deutliche Bewußtsein zu verlieren, daß derartiges Zeug nicht Kunst ist. In solchen Fällen handelt es sich um einen Zeitvertreib und um ein Spiel; aber wenn die Kunst Spiel und Zeitvertreib wäre, fiele sie in die weitoffenen, stets aufnahme[20]bereiten Arme der hedonistischen Lehren zurück. Und nichts anderes als ein utilitaristisches und hedonistisches Bedürfnis ist es, das uns manchmal zur Entspannung des Verstandes und Willens treibt und zu einem lässigen Ausstrecken, während dessen die Bilder in unserem Gedächtnis abrollen oder bizarre Kombinationen mit der Einbildungskraft eingehen in einer Art Halbschlummer, den wir abschütteln, sobald die Ruhe zu Ende ist; und wir schütteln ihn bisweilen gerade ab, um uns dem Kunstwerk zuzuwenden, das eben der müßig Ruhende nicht zustande bringt. Demnach ist entweder die Kunst nicht reine Intuition, und die Forderungen bleiben unbefriedigt, die in den Lehren, deren Widerlegung wir uns oben angelegen sein ließen, zum Ausdruck kamen und damit wird eben die Widerlegung jener Lehren durch Zweifel verwirrt – oder aber die Intuition kann nicht in einem einfachen Vorstellen bestehen.

Um das Problem zu verengern und zuzuspitzen, wird es gut sein zunächst jenen Teil daraus zu eliminieren, der leicht zu beantworten ist und den ich gerade deshalb nicht aus den Augen lassen möchte, weil er gewöhnlich mit dem Problem vermengt und verwechselt wird. Die Intuition ist in Wahrheit die Produktion eines Bildes und nicht etwa einer unzusammenhängenden Masse von Bildern, wie sie zustande kommt durch das Heraufbeschwören alter Bilder, durch ihr willkürliches Aneinanderreihen, durch das ebenso willkürliche Kombinieren der Bilder miteinander, indem man etwa das menschliche Haupt mit dem Pferdenacken verbindet und so ein kindliches Spiel treibt. Um diesen Unterschied zwischen Intuition und Phantasterei auszudrücken, bediente sich die ältere Poetik vor allem des Begriffs der Einheit, indem sie verlangte, jede künstlerische Arbeit solle „simplex et unum“ sein; oder sie benutzte den verwandten Begriff der Einheit in der Mannigfaltigkeit, d. h. die mannigfaltigen Bilder müßten ihren Mittelpunkt finden und in ein komplexes Bild einschmelzen. Die Ästhetik des 19. Jahrhunderts prägte zu diesem Zweck die bei nicht wenigen seiner Philosophen anzutreffende Unterscheidung zwischen Phantasie (die alsdann die besondere künstlerische Fähigkeit wäre) und Einbildung als der außerkünstlerischen Fähigkeit. [21] Bilder sammeln, auswählen, zerteilen, kombinieren setzt im Geist die Erzeugung und den Besitz der einzelnen Bilder voraus; und zwar ist die Phantasie die Erzeugerin, während die Einbildung unfruchtbar ist, geeignet nur zu äußerlichen Kombinationen und nicht zur Erzeugung des Organismus und des Lebens. Das tiefere Problem, das sich unter dieser vorläufigen und etwas oberflächlichen Formel erhebt, ist also dies: welche Aufgabe kommt dem reinen Bild im Leben des Geistes zu? oder (was im Grund dasselbe bedeutet) wie entsteht das reine Bild? Jedes geniale Kunstwerk ruft eine lange Reihe von Nachahmern hervor, die auf mechanische Weise das Kunstwerk eben nur wiederholen, zerteilen, kombinieren, übertreiben und so die Seite der Einbildung gegenüber der Phantasie vertreten. Aber was ist die Rechtfertigung oder was ist die Genesis des genialen Werkes, das dann, zum Zeichen seines Ruhms, soviel Martern ausgesetzt ist? Um diesen Punkt aufzuhellen, bedarf das Wesen der Phantasie oder der reinen Intuition noch der Vertiefung.

Die beste Art, diese Vertiefung vorzubereiten, ist es die Theorien ins Gedächtnis zu rufen und zu kritisieren, durch die man, ohne in den Realismus oder die „begriffsmäßige“ Theorie zurückzufallen, versucht hat die künstlerische Intuition von der bloßen unzusammenhängenden Einbildung zu unterscheiden, zu bestimmen, worin das Einheitsprinzip besteht, und den produktiven Charakter der Phantasie zu rechtfertigen. Das künstlerische Bild – so hat man gesagt – ist ein solches, wenn es ein Sinnliches mit einem Übersinnlichen vereinigt und eine Idee darstellt. Nun kann „Übersinnliches“ und „Idee“ nichts andres bedeuten und hat auch bei den Vertretern dieser Lehre nichts andres bedeutet als Begriff, und sei es auch der konkrete Begriff (Idee), der der hohen philosophischen Spekulation eigen und ganz verschieden ist von dem abstrakten Begriff und dem gegenständlichen Begriff der Wissenschaften. Aber jedenfalls vereinigt der Begriff oder die Idee das Übersinnliche und das Sinnliche immer und nicht nur in der Kunst. Denn der neue, von Kant eingeführte und dem ganzen modernen Denken so[22]zusagen immanente Begriff des Begriffs schließt die Kluft zwischen der sinnlichen und der intelligiblen Welt, indem er den Begriff als Urteil und das Urteil als Synthesis a priori und die Synthesis a priori als das Wort, das Fleisch ward, als Geschichte, auffaßt. Somit führt jene Definition der Kunst nun doch wieder die Phantasie auf die Logik und die Kunst auf die Philosophie zurück und zeigt sich höchstens gegenüber der abstrakten Auffassung der Wissenschaft wirksam, nicht aber gegenüber dem Problem der Kunst. (Die Kantische Kritik der Urteilskraft, der ästhetischen und teleologischen, hatte eben die historische Aufgabe zu verbessern, was an Abstraktem in der Kritik der reinen Vernunft noch zurückgeblieben war). Ein sinnliches Element für den Begriff verlangen außer dem, das er als konkreter Begriff bereits in sich aufgenommen hat, und außer den Worten, in denen er sich ausdrückt, wäre ganz überflüssig. Beharrt man bei diesem Verlangen, so geht man allerdings über die Auffassung der Kunst als Philosophie oder als Geschichte hinaus, aber nur um in die Auffassung der Kunst als Allegorie hineinzugleiten. Und die unüberwindlichen Schwierigkeiten der Allegorie sind wohlbekannt; wie auch ihr kalter und widerkünstlerischer Charakter bekannt ist und allgemein so empfunden wird. Die Allegorie ist die äußerliche Verbindung oder das konventionelle und willkürliche Nebeneinander zweier geistiger Tatsachen, eines Begriffs oder Gedankens und eines Bildes, wobei man annimmt, daß dieses Bild jenen Begriff darstellen müsse. Weit entfernt, durch diese Verbindung den einheitlichen Charakter des künstlerischen Bildes zu erklären, stellt man vielmehr mit Fleiß noch einmal eine Zweiheit her. Denn bei diesem Nebeneinander bleibt der Gedanke Gedanke und das Bild Bild ohne gegenseitige Beziehung. Das geht so weit, daß wir beim Betrachten des Bildes ohne jeden Nachteil, ja sogar mit Vorteil den Begriff vergessen und beim Denken des Begriffs ebenso mit Vorteil das überflüssige und lästige Bild auflösen. Die Allegorie begegnete im Mittelalter ziemlich großer Gunst, in jenem Durcheinander von Germanen- und Romanentum, von Barbarei und Kultur, von beweglicher Phantasie und scharfer Reflexion; aber sie war das [23] theoretische Vorurteil und nicht die tatsächliche Wirklichkeit eben dieser mittelalterlichen Kunst, die, wo sie Kunst ist, den Allegorismus abweist oder in sich auflöst. Dieses Bedürfnis nach Auflösung des allegoristischen Dualismus führt in der Tat dazu, die Theorie der Intuition als Allegorie der Idee zu verfeinern zu der anderen Theorie der Intuition als Symbol; denn im Symbol besteht die Idee nicht mehr für sich und ist getrennt von der symbolisierenden Darstellung nicht denkbar, so wenig wie diese für sich besteht und ohne die symbolisierte Idee lebendig darstellbar ist. Die Idee geht ganz in der Darstellung auf, wie – nach einem Wort des Ästhetikers Vischer, dem dieser prosaische Vergleich in einer so poetischen und metaphysischen Sache zur Last fällt – wie in einem Glas Wasser ein Stück Zucker, das in jedem Wasserteilchen ist und wirkt, aber nicht mehr als Zuckerstück darin zu finden ist. Indessen die Idee, die verschwunden, die ganz Darstellung geworden, die nicht mehr als Idee zu fassen ist, (es sei denn, daß man sie als Extrakt gewinnt, wie den Zucker aus dem Zuckerwasser), ist nicht mehr Idee; sie ist nur das Zeichen des noch nicht wiederaufgefundenen Einheitsprinzips des künstlerischen Bildes. Gewiß, die Kunst ist Symbol, ganz Symbol, d. h. durchaus bedeutungsvoll; aber Symbol wessen? und was bedeutet sie? Die Intuition ist nur dann wahrhaft künstlerisch, wahrhaft Intuition, und nicht chaotische Anhäufung von Bildern, wenn sie ein Lebensprinzip hat, das sie beseelt und ein Ganzes mit ihr bildet; aber welches ist dies Prinzip? […]

[25] […] Solche Erfahrungen und kritischen Urteile kann man theoretisch in die Formel zusammenfassen: alles, was der Intuition Zusammenhang und Einheit gibt, ist das Gefühl. Die Intuition ist eben Intuition, weil sie ein Gefühl darstellt, und nur durch und aus dem Gefühl kann sie entstehen. Nicht die Idee, sondern das Gefühl gibt der Kunst die schwebende Leichtigkeit des Symbols: eine Gefühlsspannung, eingeschlossen in den Kreis einer Darstellung, das ist die Kunst; und darin vertritt die Gefühlsspannung die Darstellung und die Darstellung die Gefühlsspannung. Epik und Lyrik oder Drama und Lyrik sind schulmäßige Teilungen des Unteilbaren: die Kunst ist immer Lyrik, d. h. Gefühlsepik und -dramatik. Was wir an den echten Kunstwerken bewundern, ist die vollkommene Phantasieform, die ein Seelenzustand annimmt; und wir nennen dies Leben, Einheit, Kompaktheit, Fülle des Kunstwerks. Was uns an den falschen und unvollkommenen mißfällt, ist der nicht vereinheitlichte Gegensatz mehrerer verschiedenartiger Seelenzustände, ihre Schichtung oder ihre Mischung oder auch ihre schwankende Aufeinanderfolge, die eine scheinbare Einheit er[26]hält durch die Willkür des Autors, der sich zu diesem Zweck eines Schemas oder einer abstrakten Idee oder einer außerästhetischen Erregung der Affekte bedient. Bilderreihen, die im einzelnen ganz offenbar reich scheinen, lassen uns hinterher enttäuscht und mißtrauisch, da wir sie nicht aus einem Seelenzustand, aus einer „Farbskizze“, wie die Maler zu sagen pflegen, aus einem Motiv sich entwickeln sehen und da sie einander folgen und sich häufen ohne jene rechte Intonation, ohne jenen Akzent, der vom Herzen kommt. Was ist die Figur eines Gemäldes, die man aus seinem Hintergrund herausgelöst und auf einen anderen Hintergrund übertragen hat? was ist eine Gestalt im Drama oder im Roman außerhalb ihrer Beziehung zu allen anderen Personen und zur Haupthandlung? und welchen Wert hat diese Haupthandlung, wenn sie nicht eine Handlung des Geistes des Verfassers ist? Lehrreich sind in dieser Hinsicht die jahrhundertalten Streitigkeiten über die dramatische Einheit, die von den äußerlichen Bestimmungen der Zeit und des Ortes zunächst auf die Einheit der „Handlung“ übertragen wurde und schließlich auf die Einheit des „Interesses“ hinauslief. Das Interesse aber hätte man seinerseits in das Interesse des Dichtergeistes auflösen müssen, d. h. in sein innerstes Streben, in sein Gefühl. Lehrreich sind auch, wie sich gezeigt hat, die negativen Ergebnisse des großen Streites zwischen Klassizisten und Romantikern, wonach ebenso die Kunst negiert wurde, die mit dem abstrakten Gefühl, mit dem praktischen Ungestüm des Gefühls, mit dem Gefühl, das nicht Anschauung geworden ist, die Gemüter fortzureißen und über den Mangel an Bildhaftigkeit zu täuschen versucht, wie jene Kunst, die mit der oberflächlichen Klarheit des Bildes, mit der fälschlich korrekten Zeichnung, mit dem fälschlich scharfgeprägten Wort über die Abwesenheit des ihre Bestandteile rechtfertigenden ästhetischen Grundes, nämlich über den Mangel an inspiratorischem Gefühl zu täuschen sucht. Ein berühmter Ausspruch eines englischen Kritikers, der heute zu einer journalistischen Formel geworden ist, besagt, „alle Künste neigen zur Beschaffenheit der Musik“. Man müßte noch genauer sagen, daß alle Künste Musik sind, wenn man damit die Gefühlsentstehung der [27] künstlerischen Bilder hervorheben will mit Ausschluß der mechanisch konstruierten und realistisch plumpen. Und eine andere nicht weniger berühmte Sentenz, die von einem Schweizer Halbphilosophen stammt und der das nämliche gute oder schlimme Schicksal zuteil geworden ist, trivial zu werden, macht die Entdeckung, „jede Landschaft ist ein Gemütszustand“: unzweifelhaft, nicht etwa weil die Landschaft Landschaft, sondern weil sie Kunst ist.

Die künstlerische Intuition ist also immer lyrische Intuition: ein Wort, das nicht als Adjektiv oder Bestimmung des anderen, sondern als Synonym zu gelten hat, wieder eines, das man den verschiedenen, bereits angeführten Synonymen hinzufügen kann, die alle die Intuition bezeichnen. Wenn es sich bisweilen empfiehlt, das Synonym in die grammatikalische Form des Adjektivs zu kleiden, so geschieht es nur, um den Unterschied hervorzuheben zwischen der Bildintuition oder dem Bilderzusammenhang (da ja das, was man Bild nennt, immer Bilderzusammenhang ist und es ebensowenig Bilderatome gibt wie Gedankenatome) und der falschen Intuition. Die wahre und eigentliche ist die Bildintuition, deren Zusammenhang ein Organismus und deren Lebensprinzip eben dieser Organismus ist. Die falsche, nicht ernsthafte Intuition ist eine durch Spiel oder Berechnung oder sonst ein praktisches Bedürfnis, zustandegekommene Anhäufung von Bildern, deren Zusammenhang infolgedessen vom ästhetischen Gesichtspunkt aus betrachtet nicht organisch, sondern mechanisch ist. Aber von dieser besonderen erklärenden und polemischen Aufgabe abgesehen, bedeutet das Wort „lyrisch“ nur eine Zugabe; die Kunst bleibt vollkommen definiert, wenn man sie einfach definiert als Intuition.

[55] (III. Die Stellung der Kunst im Geist und in der menschlichen Gesellschaft) […]

Wie Foscolo schon im Verlauf seiner Liebeszustände es von Zeit zu Zeit nicht an Klarheit hatte fehlen lassen, so richtet er seiner Poesie gegenüber, nachdem sich der schöpferische Aufruhr beruhigt hat, er zu sich selbst gekommen ist und den vollen Klarblick gewonnen oder wiedergefunden hat, an sich selbst die Frage, was er denn wirklich gewollt oder was dieser Frau gebührt hätte. Möglich, daß ein Äderchen dieser Skepsis sich bereits während der Formung des Bildes eingeschlichen hat, falls unser Ohr sich nicht täuscht, wenn es hier und da in der Ode einen Ton eleganter Ironie gegen die Frau und des Dichters gegen sich selbst heraushört. Bei einem naiveren Geist wäre das nicht vorgekommen, und die Dichtung wäre dann auch entsprechend naiv ausgefallen. Wie dem auch sei, nachdem Foscolo zur dichterischen Vollendung gelangt und darum nicht mehr Dichter ist (um freilich ein anderes Mal wieder Dichter zu werden), fühlt er das Bedürfnis seinen wirklichen Zustand kennen zu lernen, formt er das Bild nicht weiter, weil er es geformt hat, phantasiert er nicht mehr, sondern nimmt wahr und erzählt („diese Frau, kann er später von der ‚Göttin‘ sagen, hatte ein Stück Hirn an Stelle des Herzens“); das lyrische Bild verwandelt sich für ihn und für uns in ein Stück Autobiographie oder in eine Wahrnehmung.

Mit der Wahrnehmung sind wir in ein neues und sehr ausgedehntes geistiges Gebiet eingetreten; und es gibt wahrlich nicht genug Worte, um gegen jene Denker satirisch zu werden, die heute wie in der Vergangenheit Bild und Wahrnehmung zusammenwerfen und aus dem Bild eine Wahrnehmung (Kunst als Abbild oder Kopie oder Nachahmung der Natur oder als Geschichte des Einzelwesens und der Zeiten usw.) und noch schlimmer aus der Wahrnehmung eine Art Bild machen, das man mit den „Sinnen“ erfaßte. Die Wahrnehmung ist jedoch nicht mehr noch weniger als ein vollständiges Urteil und bedeutet als solches ein Bild und eine Kategorie oder ein System von Verstandeskategorien, die das Bild beherrschen (Realität, Qualität usw.). Die Wahrnehmung ist dem Bild oder der [56] ästhetischen Synthesis a priori aus Gefühl und Phantasie (Intuition) gegenüber eine neue Synthesis aus Vorstellung und Kategorie, Subjekt und Prädikat, ist die logische Synthesis a priori, von der man all das wiederholen müsste, was von der andern gesagt wurde; vor allem, daß in ihr Inhalt und Form, Vorstellung und Kategorie, Subjekt und Prädikat nicht wie zwei durch ein drittes verbundene Elemente vorhanden sind, sondern daß die Vorstellung als Kategorie und die Kategorie als Vorstellung in untrennbarer Einheit da ist: das Subjekt ist Subjekt nur im Prädikat, und das Prädikat ist Prädikat nur im Subjekt. Auch ist ferner die Wahrnehmung nicht ein logischer Akt unter den anderen logischen Akten oder ihr rudimentärster und unvollkommenster; sondern, wer alle Schätze, die sie enthält, herauszuholen versteht, braucht die anderen Bestimmungen der Logizität nicht außer ihr zu suchen; denn die Wahrnehmung verzweigt sich (sie ist selbst diese synthetische Verzweigung) in das Bewußtsein des wirklich Vorgefallenen, das dann in seinen hervorragenden literarischen Formen den Namen Geschichte erhält, und in das Bewußtsein des Universalen, das in seinen hervorragenden Formen den Namen System oder Philosophie erhält: Philosophie und Geschichte machen lediglich durch das synthetische Band des Wahrnehmungsurteils, aus dem sie entstehen und in dem sie leben, die höhere Einheit aus, welche die Philosophen entdeckt haben, als sie Philosophie und Geschichte identifizierten, und welche die Menschen von klarem Verstand auf ihre Weise jedesmal entdecken, wenn sie beobachten, daß die in der Luft schwebenden Ideen Phantasmen und das, was allein wahr und allein wert ist erkannt zu sein, die geschehenden Tatsachen, die realen Tatsachen sind. Die Wahrnehmung (die Mannigfaltigkeit der Wahrnehmungen) kann sogar erklären, warum der menschliche Intellekt sich bemüht über sie hinauszukommen und eine Welt der Typen und Gesetze über ihnen aufzubauen, die von Maßen und mathematischen Beziehungen regiert ist; d. h. warum man außer der Philosophie und Geschichte Naturwissenschaften und Mathematik bildet.

Es ist nicht meine Aufgabe, hier einen Abriß der Logik zu [57] geben, wie ich einen Abriß der Ästhetik gegeben habe oder hier geben will. Indem ich daher die Umgrenzung und Entwicklung des Systems der Logik und der Verstandes-, Wahrnehmungs- oder geschichtlichen Erkenntnis beiseite lasse, will ich den Faden der Darstellung wieder aufnehmen, wobei ich diesmal nicht mehr vom künstlerischen und intuitiven Geist ausgehe, sondern vom logischen und historischen, der durch die Ausarbeitung des Bildes zur Wahrnehmung das Intuitive überwunden hat. Findet der Geist in dieser Form Befriedigung? Gewiß: alle kennen die überaus lebhaften Befriedigungen des Wissens und der Wissenschaft; alle kennen aus Erfahrung den heißen Wunsch, das Antlitz der von unseren Illusionen verhüllten Wirklichkeit zu schauen; und sei dies Antlitz auch schrecklich, der Anblick ist dennoch nicht ohne tiefe Wollust, nicht ohne Befriedigung über den Besitz der Wahrheit. Aber ist etwa diese Befriedigung im Unterschied zu der von der Kunst gebotenen vollständig und abschließend? Sproßt nicht am Ende auch neben der Befriedigung an der Erkenntnis der Wirklichkeit die Unbefriedigung? Auch dies ist ganz gewiß; und diese Unbefriedigung an der Erkenntnis bekundet sich, wie gleichfalls alle aus Erfahrung wissen, in dem Wunsch nach Handlung: die wirkliche Lage der Dinge erkennen – das ist schön und gut, aber nur erkennen, um zu wirken; die Welt erkennen – vortrefflich, aber doch nur um sie zu ändern: tempus cognoscendi, tempus destruendi, tempus renovandi. Kein Mensch bleibt bei der Erkenntnis stehen, auch nicht die Skeptiker und Pessimisten, die ja infolge jener Erkenntnis diese oder jene Haltung annehmen, diese oder jene Form des Lebens adoptieren. Schon das Fixieren der errungenen Erkenntnisse, jenes „Behalten“ nach dem „Erfaßthaben“, ohne das (immer mit den Worten Dantes) „Wissenschaft nicht wird“, die Bildung von Typen, Gesetzen und Maßstäben, die Naturwissenschaften und die Mathematik, auf die ich eben verwiesen habe, waren ein Überschreiten des Akts der Theorie und ein Weiterschreiten zum Akt der Handlung. Jedermann weiß nicht nur aus Erfahrung, und kann sich jederzeit aus den Tatsachen die Bestätigung holen, daß es sich so verhält, sondern man sieht auch, wenn man es bedenkt, es muß sich so verhalten.

[58] Man glaubte einmal (und auch jetzt noch tun es nicht wenige unbewußte Platoniker, Mystiker und Asketen), erkennen hieße die Seele zu einem Gott, einer Idee, einer Ideenwelt, einem Absoluten erheben, jenseits der menschlichen Erscheinungswelt. Da konnte es nicht ausbleiben, daß die Seele, nachdem sie sich mit widernatürlicher Anstrengung von sich selbst abgewendet und in jene höhere Sphäre gelangt war, sich törichterweise zur Erde zurückwandte, während sie doch in ewiger Seligkeit dort bleiben konnte und bleiben durfte. Der Gedanke, der nicht mehr Gedanke war, hatte als Gegenstück eine Wirklichkeit, die nicht Wirklichkeit war. Doch seit, dank Männern wie Vico, Kant, Hegel und anderen Häresiarchen derart, die Erkenntnis auf die Erde herabgestiegen ist und nicht als die mehr oder weniger blasse Kopie einer unbeweglichen Realität verstanden wird, sondern als beständiges menschliches Wirken, und seitdem sie nicht abstrakte Ideen, sondern konkrete Begriffe erzeugt, nämlich historisches Denken und Urteilen, Wahrnehmungen des Wirklichen, seitdem bedeutet die Praxis nicht mehr eine Degradation des Erkennens, einen Absturz vom Himmel auf die Erde, oder vom Paradies in die Hölle, und auch nicht etwas, zu dem man sich entschließen oder dessen man sich enthalten könnte, sondern sie ist getragen von der Theorie selbst, als Erfordernis der Theorie. Und wie die Theorie, so die Praxis. Unser Denken ist historisches Denken einer historischen Welt, Entwicklungsprozeß einer Entwicklung; und kaum hat man die Qualifikation einer Wirklichkeit ausgesprochen, so gilt diese Qualifikation schon nicht mehr, weil sie selbst eine neue Wirklichkeit hervorgebracht hat, die eine neue Qualifikation erwartet. Diese neue Wirklichkeit ist ökonomisches und moralisches Leben. Sie verwandelt den intellektuellen Menschen in den praktischen Menschen, in den Politiker und Heiligen, in den Industriellen und den Helden und die logische Synthesis a priori überführt sie in die praktische Synthesis a priori. Doch auch diese ist immer wieder ein neues Fühlen, ein neues Verlangen, ein neues Wollen, eine neue Summe von Leidenschaften, worin der Geist aber auch nicht verweilen kann und die vor allem als neuen Stoff eine neue Intuition, eine neue Lyrik, eine neue Kunst hervorruft.

[59] So führt der äußerste Punkt der Reihe (wie anfangs angekündigt) wieder mit dem ersten zusammen, der Kreis schließt sich und der Umlauf beginnt von neuem: der Umlauf, der ein Rücklauf des bereits durchmessenen Laufes ist, daher der Begriff mit der klassischen Bezeichnung Vicos „Ricorso“. Die dargelegte Entwicklung aber erklärt die Unabhängigkeit der Kunst und zeigt zugleich, aus welchen Gründen sie den Vertretern der falschen Theorien (der hedonistischen, moralistischen, begriffsmäßigen usw.), die ich oben kritisiert habe, abhängig schien, wobei ich übrigens darauf hinwies, daß jede von ihnen etwas Wahres andeutete. Fragt man sich nun, welche von den verschiedenen Aktivitäten des Geistes wirklich sei oder ob alle wirklich seien, muß man antworten: keine ist wirklich; denn wirklich ist allein die Aktivität aller dieser Aktivitäten, die auf keiner im besonderen beruht: von den verschiedenen Synthesen, die wir nacheinander unterschieden haben – ästhetische, logische, praktische Synthese – ist allein wirklich die Synthese der Synthesen, der Geist, der das wahre Absolute ist, der actus purus. Doch nach einer anderen Seite hin, und aus dem gleichen Grund sind alle wirklich, nämlich in der Einheit des Geistes im ewigen Lauf und Rücklauf, der ihre ewige Konstanz und Realität ist. Wer in der Kunst den Begriff, die Geschichte, die Mathematik, den Typus, die Moralität, die Lust und alles andere sah und sieht, hat recht, weil in ihr kraft der Einheit des Geistes diese und alle anderen Dinge enthalten sind; ja dies darin Enthaltensein und die entschiedene Einseitigkeit ebenso der Kunst wie jeder andern besondern Form, die sie alle auf eine einzige zurückführen möchte, erklärt den Übergang von einer Form zur anderen, die Erfüllung der einen in der anderen und die Entwicklung. Unrecht jedoch hat er (kraft der Unterscheidung, die ein von der Einheit untrennbares Moment ist) in bezug auf die Art, wie er sie darin vorfindet, nämlich alle abstrakt gleichwertig oder wirr durcheinander. Denn Begriff, Typus, Zahl, Maß, Moralität, Nützliches, Lust und Schmerz sind in der Kunst als solcher entweder als Vorher oder als Nachher oder besser gesagt als Vorher und als Nachher enthalten; darum finden sie sich darin entweder als „versunkene [60] und vergessene“ Voraussetzungen (um einen bevorzugten Ausdruck De Sanctis‘ anzuwenden) oder als Ahnungen. Ohne diese Voraussetzung, ohne diese Ahnung wäre die Kunst nicht Kunst; aber sie wäre auch nicht Kunst (und alle anderen Formen des Geistes würden dadurch in Unordnung geraten), wenn jene Erfordernisse sich der Kunst als solcher aufdrängen wollten, die reine Intuition ist und nichts andres sein kann. Der Künstler wird immer moralisch unschuldig und philosophisch einwandsfrei sein, mag auch seine Kunst eine minderwertige Moral und Kunst wiederspiegeln: als Künstler handelt und räsonniert er nicht, sondern er dichtet, malt, singt, kurz, er drückt sich aus. […]

[64] […] Jedoch gegen die Idee des Kreises im allgemeinen, die uns bei der Aufklärung der Beziehungen von Abhängigkeit und Unabhängigkeit der Kunst und der anderen geistigen Formen so wertvolle Hilfe bietet, ist der Einwand erhoben worden, sie denke sich die Tätigkeit des Geistes als ein langweiliges und melancholisches Schaffen und Zerstören, ein monotones Drehen um sich selbst, das nicht der Mühe wert sei. Gewiß, es gibt keine Metapher, an der man nicht irgendeine parodistische und karikaturistische Seite entdecken könnte; hat man sich einen Augenblick daran ergötzt, so fühlt man sich dann doch ernsthaft zu dem Gedanken zurückgenötigt, der in der Metapher ausgedrückt ist. Und der Gedanke besagt nicht ein unfruchtbares Sichwiederholen des Laufs im Rücklauf, sondern ganz offenbar ein beständiges Sichbereichern des Laufs im Rücklauf und in den Rückläufen der Rückläufe. Der letzte Punkt, der wieder der erste wird, ist nicht der alte erste, sondern tritt mit einer Mannigfaltigkeit und Präzision der Begriffe, mit einer Erfahrung erlebten Lebens und vollends angeschauter Werke auf, die dem alten ersten fehlten; er bietet Stoff für eine höhere, verfeinerte, umfassendere, reifere Kunst. So ist die Idee des Kreises, statt eines immer gleichen Drehens, nichts anderes als die wahre philosophische Idee des Fortschritts, des ewigen Wachstums des Geistes und der Wirklichkeit in sich selbst, wo sich nichts wiederholt außer der Form des Wachstums. Wird [65] man doch auch nicht einem gehenden Menschen vorwerfen wollen, sein Gehen sei ein Stehen, weil er die Beine immer im gleichen Rhythmus bewegt!

Ein anderer Einwand oder vielmehr ein anderer Anlaß zur Auflehnung wird häufig, wenn auch nicht klar bewußt, gegen dieselbe Idee wirksam: nämlich eine bei manchen oder einigen vorhandene Rastlosigkeit, eine Anstrengung den Kreislauf, das Gesetz des Lebens, zu durchbrechen und zu überwinden, um in eine Region zu gelangen, wo man vom mühereichen Lauf ausruhen und nun an das Ufer gerettet zurückblicken kann auf die gefahrvolle Woge. Doch ich habe schon Gelegenheit gehabt zu sagen, was es mit dieser Ruhe für eine Bewandtnis hat: scheinbar Erhebung und Vollendung ist sie tatsächlich Negation der Wirklichkeit; man erreicht sie freilich, aber sie heißt der Tod: der Tod des Individuums, nicht der Wirklichkeit, die nicht stirbt und sich an ihrem Lauf nicht ermüdet, sondern erfreut. Andere erträumen eine geistige Form, in die der Kreis sich auflöst, eine Form, die der Gedanke des Gedankens, die Einheit des Theoretischen und des Praktischen, Liebe, Gott oder wie man sie sonst genannt hat, sein müßte; und sie bemerken nicht, daß dieser Gedanke, diese Einheit, diese Liebe, dieser Gott bereits in dem und durch den Kreis existieren, und daß sie unnötigerweise eine bereits ausgeführte Untersuchung verdoppeln und das bereits Gefundene, gleichsam in dem das wirkliche Weltdrama nachbildenden Mythus einer anderen Welt metaphorisch noch einmal finden.

Wie sich das Drama in Wahrheit darstellt, als ideal und außerzeitlich, habe ich bisher gezeigt, wobei ich mich des Nacheinander nur zum Zweck der Darstellung bedient habe, um die logische Ordnung zu bezeichnen: – ideal und außerzeitlich, weil es keinen Augenblick und kein Individuum gibt, in dem es sich nicht ganz abspielt, wie es kein Teilchen des Alls gibt, in dem nicht der Geist Gottes weht. Aber die in dem idealen Drama unteilbaren idealen Momente kann man geteilt in der empirischen Wirklichkeit erblicken, gleichsam als körperliches und unreines Symbol der idealen Unterschiedenheit. Sie sind nicht [66] etwa wirklich geschieden (die Idealität ist die wahre Realität), sondern empirisch geschieden erscheinen sie dem, der sie typisierend betrachtet und der keine andere Art und Weise hat, um in den Typen die Individualität der seine Aufmerksamkeit fesselnden Tatsachen zu bestimmen als dadurch, daß er die idealen Unterscheidungen vergrößert und übertreibt. So scheint es, daß der Künstler, der Philosoph, der Historiker, der Naturforscher, der Mathematiker, der Geschäftsmann, der sittliche Mensch getrennt voneinander leben, und daß die Sphären der künstlerischen, philosophischen, historischen, naturwissenschaftlichen, mathematischen Kultur und des ökonomischen und ethischen Lebens getrennt voneinander bestehen; ja daß das Leben der Menschheit sich im Lauf der Jahrhunderte in Epochen teilt, in denen die eine oder die andere oder nur einige der idealen Formen vertreten seien: phantastische, religiöse, spekulative, naturwissenschaftliche, industrielle Epochen, solche politischer Leidenschaften, moralischer Aufschwünge, des Kultus des Genusses usw.; und diese Epochen haben ihre mehr oder weniger vollkommenen Abläufe und Rückläufe. Aber wer ein historisches Auge hat, bemerkt in der Einförmigkeit der Individuen, der Klassen, der Epochen, die beständige Verschiedenheit, und wer philosophisches Bewußtsein hat, die Einheit in der Verschiedenheit; der Historiker-Philosoph sieht in jener Verschiedenheit und Einheit den idealen Fortschritt zugleich als historischen Fortschritt.

Doch sprechen auch wir jetzt für einen Augenblick als Empiriker (da doch der Empirismus, wenn er schon vorhanden ist, auch zu etwas gut sein muß) und fragen wir uns, in welchen Typus unsere Epoche oder die, aus der wir herkommen, hineingehört, welches ihr vorwiegender Charakter ist. Auf diese Frage wird sofort einstimmig die Antwort erfolgen, sie sei oder sei gewesen naturwissenschaftlich der Kultur nach, industriell der Praxis nach; und ebenso einmütig wird man ihr philosophische oder künstlerische Größe absprechen. Aber da (und hier gerät der Empirismus schon in Gefahr) keine Epoche ohne Philosophie und ohne Kunst leben kann, so hat auch die unsere die eine und die andere gehabt, so, wie sie sie eben haben konnte. [67] Und ihre Philosophie und ihre Kunst, diese unmittelbar, jene mittelbar, stellen sich dem Denken als Dokumente dessen dar, was unsere Epoche in ihrer Gesamtheit und Vollständigkeit wirklich gewesen ist. Durch die Deutung dieser Dokumente werden wir uns den Punkt klarmachen können, von dem unsere Aufgabe ausgehen muß.

Die zeitgenössische Kunst, sinnlich, unersättlich in der Gier nach Genüssen, durchzogen von trüben Versuchen zu einer mißverstandenen Aristokratie, die sich ideell als wollüstig oder als herrschsüchtig und grausam enthüllt; bisweilen voll Verlangen nach einem Mystizismus, der ebenso egoistisch und wolllüstig ist; ohne Glaube an Gott und ohne Glaube an das Denken, ungläubig und pessimistisch – und häufig meisterhaft imstande solche Seelenzustände wiederzugeben – diese Kunst, die die Moralisten vergebens verdammen, ruft, wenn sie erst in ihren tieferen Motiven und ihrer Genesis verstanden ist, eine Tätigkeit hervor, die sich zwar gewiß nicht dazu hergeben wird, die Kunst zu verdammen, zu tadeln oder zur Umkehr zu bringen, wohl aber das Leben energischer auf eine gesündere und tiefere Moralität hinzulenken. Sie wird die Mutter einer vornehmeren Kunst und, ich darf sagen, auch einer vornehmeren Philosophie sein. Vornehmer als die unserer Epoche, die unfähig ist nicht nur von der Religion, der Wissenschaft und von sich selbst Rechenschaft zu geben, sondern gerade auch von der Kunst, die uns wieder ein tiefes Geheimnis geworden ist oder vielmehr ein Thema schauerlicher Ungereimtheiten für die Positivisten, Neokritiker, Psychologen und Pragmatisten, die bisher die zeitgenössische Philosophie repräsentiert haben und die – vielleicht um neue Kräfte zu erlangen und neue Probleme zu zeitigen! – zu den kindlichsten und rohesten Formen der Begriffe über die Kunst herabgestiegen sind.

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Benedetto Croce: Grundriss der Ästhetik, 1913

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